Hitlers Lieblingsfilmerin

4. Februar 2023. Begnadete Filmemacherin und Profiteurin des Nazi-Regimes: Leni Riefenstahl ist eine großen Licht-und-Schatten-Gestalten der deutschen Kunst im 20. Jahrhundert. John von Düffel widmet ihr eine Revue, die Intendantin Kathrin Mädler in Oberhausen auf die Bühne bringt.

Von Karin Yeşilada

"Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)" von John von Düffel in Oberhausen © Forster

4. Februar 2023. Was war sie denn nun: Vorreiterin und international bekannte Film-Ikone, Mitläuferin oder Monster? Die Ansichten über Leni Riefenstahl gehen auseinander, und die Auseinandersetzung um ihre Rolle als Protegé in der Nationalsozialistischen Diktatur, als Profiteurin und Regisseurin, die den Nationalsozialisten machtvolle Bilder lieferte und jegliche Verantwortung für deren Verbrechen leugnete, geht in eine neue Runde.

Mit einer weiteren Uraufführung – der achten in dieser Spielzeit – bringt das Theater Oberhausen ein Stück, das Autor John von Düffel bewusst nicht als Dokumentartheater angelegt hat, sondern als eine Art Revue, in der sich die Riefenstahl selbst inszeniert, als Star, als Heldin, und als Opfer einer Hetzkampagne, der sie die vermeintliche "Wahrheit" entgegensetzt. Doch es gibt auch Gegenstimmen, denn es treten nicht nur ihre Förderer aus der Nazi-Vergangenheit auf, Hitler und Goebbels, oder Verteidigerinnen in der Gegenwart, Alice Schwarzer, sondern auch eine Widersacherin, die Filmemacherin Nina Gladitz, und deren Kronzeuge, ein Auschwitz-Überlebender.

Mit dem Stück wolle er dem "Moment der Opfer die Wucht und Bedeutung geben, die sie verdienen", bekundet John von Düffel im Interview (im Programmheft), aber auch die selbst inszenierte Scheinwelt der umstrittenen Künstlerin entlarven. Ein faszinierende Unternehmung.

Die Regisseurin und ihre Erinnerungslücken

Das Theater ist ausverkauft; vorab war ausführlich über dieses Stück berichtet worden, das Intendantin Kathrin Mädler zur Uraufführung bringt. Im Publikum auch Schüler*innen der Oberstufe des Oberhausener Sophie-Scholl-Gymnasiums. Viele von ihnen haben Einwanderungsgeschichte, sehen genau so "südländisch" aus, wie sich Riefenstahl ihre Statisten für die monumentale Filmproduktion "Tiefland" wünschte. Wie denken sie darüber, dass die deutsche Regisseurin in Ermangelung authentischer Spanier kurzerhand gefangene Sinti und Roma aus Konzentrationslagern holen und als Statisten arbeiten ließ, die unfreien "Gastarbeiter" um ihre Gage prellte und nach Abschluss der Dreharbeiten wieder in die KZs zurückschickte? Dass über die Hälfte von ihnen in Auschwitz ermordet wurden und Riefenstahl nichts davon gewusst haben wollte?

Wahrheit ueber Leni Riefenstahl 1 c Forster uDas menschliche Hakenkreuz: Maria Lehberg, Philipp Quest, Torsten Bauer und Anke Fonferek © Forster

Zeitlebens stellte sich Leni Riefenstahl, die aufgrund ihrer persönlichen Freundschaft zu Adolf Hitler und anderen Nazi-Größen einen enormen Karriereaufschwung als Regisseurin im Nationalsozialismus erlebte, für ihre Filme nationalen und internationalen Ruhm erntete und sich nicht zuletzt dank millionenschwerer Förderung künstlerisch frei entfalten konnte, als politisch völlig uninteressierte Künstlerin dar, die viel über ihre "jüdischen Freunde" redete, kaum jedoch über den Holocaust. Nach dem Krieg erfand sie sich als Fotografin neu, genoss ihren Ruhm als "Deutschlands erste / größte Filmregisseurin" – und prozessierte gegen alle, die ihr Ansehen infrage stellten.

So sorgte sie auch dafür, dass der Dokumentarfilm von Nina Gladitz über ihre Mittäterschaft 1982 kurz nach Ausstrahlung im Giftschrank des WDR verschwand und die Karriere der Filmemacherin abrupt endete. Gladitz aber blieb dran und veröffentlichte vierzig Jahre später eine Studie, die Riefenstahl endgültig als Täterin entlarvt. Hier setzt von Düffels Stück an und verdeutlicht auch dem jungen, mit medialen Instagram-Selbstinszenierungen vertrauten Theaterpublikum, dass selbst der schönste Schein trügt, und vergessenen Opfer nach Jahrzehnten noch Erinnerung zuteil wird.

Leni, Hitler und Goebbels in einer #Metoo-Affäre

Eine großartige Entscheidung ist die Aufspaltung Riefenstahls in drei Figuren: Eine junge Leni (Maria Lehberg), die als Schauspielerin und Hitler-Fan reüssiert, eine mittlere Leni der Karriere-Jahre während des Nationalsozialismus (Ronja Oppelt) und eine Alters-Leni (Anke Fonferek), die den kommentierenden Erzählpart gibt und öfters in die gespielten Szenen eingreift, sie redigiert, oder gar zensiert. Letzteres immer dann, wenn es der jüngeren Leni Riefenstahl an die Wäsche gehen soll, wenn Männer – ein enthusiastischer Hitler, ein geiler Goebbels – den Tribut für die Karriere der Frau einfordern. Dann greift sie in die #Metoo-Situationen ein und rettet ihr Alter Ego.

Anke Fonferek gibt die Grande Dame selbstbewusst, bisweilen verführerisch, etwa wenn sie per Videoprojektion leinwandgroß von ihrer Bewunderung für Hitlers "Genie" flüstert. Maria Lehbergs junge Leni ist dagegen verspielt-unschuldig, windet sich aus Hitlers Überhöhungen und Ambitionen heraus und plant Filmprojekte.

Torsten Bauer lässt seinen Hitler in den opulenten Gebirgskulissen (Bühne: Mareike Delaquis Porschka) zu Original-Musik aus Riefenstahls Filmen (Musik: Cico Beck) pathetisch herumdonnern, geifert sich, das R rollend, ins Heldische und macht den Diktator à la Chaplin lächerlich, was im Publikum für Heiterkeit sorgt. Als der zweite Hitler (Philipp Quest) auftaucht, beide wie zwei Köter um die Riefenstahl herumwinseln und dann in "Heil, Heil"-Gebell verfallen, kippt es ins Läppische.

Wahrheit ueber Leni Riefenstahl 4 c Forster uRiefenstahl-Apotheose: Maria Lehberg, bekniet von Torsten Bauer und Philipp Quest © Forster

Dagegen wirkt Goebbels (Jens Schnarre), der die Regisseurin auf Drogen setzt und erpresst (Ronja Oppelt wirbelt entsprechend ekstatisch herum) deutlich mieser. Die sechs Figuren entfalten im ersten Teil, der die Erfolgsgeschichte Riefenstahls erzählt, ein dynamisches Spiel, das die Vielschichtigkeit der Selbstinszenierung gut ausleuchtet.

Wer behält das letzte Wort?

Der zweite Teil des Abends ist nüchterner, spannender auch, geht es doch hier um die Konfrontation Riefenstahls mit Filmemacherin Nina Gladitz. In der "Eva TV"-Show ergreift eine begeisterte Alice Schwarzer (parodiert durch Jens Schnarre) Partei und bügelt Gladitz ab. Die aber (bzw. der: Philipp Quest) beharrt allen Leugnungen zum Trotz darauf, dass Riefenstahl von den Deportationen und Ermordungen gewusst und sie gebilligt hat.

Und dann kommt ihr Kron- und Zeitzeuge zu Wort: Valentin Reinhardt. Torsten Bauer, vorher geifernder Hitler, spricht dessen Schilderungen über Auschwitz ganz ruhig, ein großer Moment. Gut wäre es gewesen, dazu noch die im Programmheft aufgeführten Namen aller ermordeten Filmstatisten auf der Bühnenwand abgebildet zu sehen. Stark auch, wie sich die drei Riefenstahl-Figuren, alle in knallroten Roben, aufgebracht zu einer Hydra vereinen und aus drei Köpfen gegen die vorgebrachten Anklagen zetern, wie sie sich zu einem Körper verschlingen und vor der eigentlichen Wahrheit schützen.

Am Schluss triumphieren sie noch ein letztes Mal und schmettern – the show must go on – Zarah Leanders "Davon geht die Welt nicht unter". Nach diesem wuchtigen Abend lassen wir uns davon aber nicht becircen. Oder etwa doch?

 

Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)
von John von Düffel
Uraufführung
Regie: Kathrin Mädler, Bühne, Kostüme und Video: Mareike Delaquis Porschka, Musik: Cico Beck, Ton: Simon Vieth, Video: Christian Janssen, Licht: Stefan Meik, Alexandra Sommerkorn, Dramaturgie: Saskia Zinsser-Krys.
Mit: Torsten Bauer, Anke Fonferek, Maria Lehberg, Ronja Oppelt, Philipp Quest, Jens Schnarre, Statisterie: Ulrich Blohm, Friedrich Grubenbecher, André Haibach, Edgar Kirchhoff.
Premiere am 3. Februar 2023
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.theater-oberhausen.de


Einen längeren Vorbericht mit vielen O-Tönen aus der Inszenierung und Kommentaren von John von Düffel und Kathrin Mädler bringt Christoph Ohrem in der Sendung "Scala" auf WDR 5 (3.2.2023).

Kritikenrundschau

"Die zweieinhalb Stunden vergehen im Fluge, doch hinter dem verständlichen Beifall bleibt die Frage, was John von Düffel konkret aussagen will", schreibt Wolfgang Platzeck in der Neuen Ruhr/Rhein Zeitung, der WAZ und der Westfälischen Rundschau (6.2.2023).

"'Die Wahrheit über Leni Riefenstahl' ist bereits die achte Oberhausener Uraufführung dieser Saison. Die neue Intendantin Kathrin Mädler ist in der Stadt positiv aufgenommen worden", gibt Alexander Menden in der Süddeutschen Zeitung (6.2.2023) Kontext. Nach der umstrittenen Intendanz Florian Fiedlers, in deren Verlauf das Haus viele Zuschauer verlor, sorge Mädlers weniger didaktischer Ansatz für eine meist gute Auslastung. "Den großen Publikumserfolg könnte nun 'Leni Riefenstahl' bringen." Text und Produktion gelinge der delikate Balanceakt zwischen der Darstellung einer komplexen Biografie und der klaren Benennung der tiefen Verstricktheit Riefenstahls in das nationalsozialistische System. "Begeisterter Applaus für einen starken, stringent inszenierten Abend über die brillante Filmkünstlerin ohne ersichtlichen moralischen Kompass."

Kommentare  
Riefenstahl, Oberhausen: Großer Theaterabend
Kathrin Mädler hat einen großen und berührenden Theaterabend mit einem erstklassigen Ensemble inszeniert. Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Riefenstahl im dritten Reich bzw. ihrer Selbstinszenierung zeigt dieser Theaterabend auf erschreckende Art. Ein großes Bravo also an alle Beteiligten. Insgesamt fahre ich diese Spielzeit immer wieder gerne nach Oberhausen und wurde nie enttäuscht.
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