Oder doch? - Theater Rampe Stuttgart
Tanz den Trennungs-Tango
9. Februar 2023. Mit einer Puppe lässt sich Allzumenschliches auf der Bühne treffgenau verhandeln. Grenzenlos sind die Ausdrucksmöglichkeiten, wenn noch der Körper ins Spiel kommt: Der Komplexität einer Beziehung widmet die Berliner Kompanie Raum 305 eine Trilogie. Der zweite Teil hatte jetzt beim Figurentheater-Festival "Imaginale" Premiere.
Von Verena Großkreutz
9. Februar 2023. Endlich, kurz vor Ende, Gesten der Hingabe: Der sehnige Künstlerkörper dreht und windet sich im Licht des Spots. Trapez-Ballett, Tanz ohne Bodenhaftung. Fantastisch und ästhetisch. Aber ist es jetzt zu spät für das Paar, dessen Beziehung hier verhandelt wird? Die Bühne jedenfalls ist leer nach dem letzten Black, dem letzten Aufflackern des verlöschenden Lichts. Keiner mehr da. Weder Mensch noch Puppe.
Die Antwort, die im Titel steckt, bleibt eine Frage: "Oder doch?" heißt das neue Stück der Berliner Kompanie Raum 305. Der Titel bezieht sich auf den Schlager "Wir wollen niemals auseinandergeh’n". Der Song scheint gelegentlich auf als ironisches Zitat in der Elektro-Beat-Untermalung dieser Performance des Trapezkünstlers Moritz Haase und des Puppenspielers Jarnoth.
Befreiung aus einer symbiotischen Beziehung
"Oder doch?" wurde jetzt im Rahmen des baden-württembergischen Figurentheater-Festivals Imaginale uraufgeführt – in der Alten Feuerwache Mannheim und im Stuttgarter Theater Rampe. Es ist der zweite Teil eines als Trilogie geplanten Werks über eine komplizierte Beziehungskiste. Die Platte hatte schon im ersten Teil einen Sprung: '"Wir wollen nie nie nie" lautete sein Titel.
Gesten der Hingabe des einen an den anderen bleiben singulär in "Oder doch?". Es geht darin vielmehr um Kämpfe der Selbstbehauptung und der Befreiung aus einer offenbar zuvor symbiotischen Beziehung. Zwei Türen auf der sonst leeren, akzentbeleuchteten Bühne stehen rahmenlos im Raum. Werden sie von den beiden geöffnet, knarren und knarzen sie. Ein Blick ins Ich des anderen wagen? Auch höllisches Gelächter sorgt gelegentlich für Psycho-Feeling, und eine körperlose Hand, die sich selbständig macht.
Das Ich im Ego
Das Ich, das Ego ist halt ein seltsam Ding: Erst tritt es in Gestalt einer dicken, weißen, gesichts- und konturenlosen Puppe in Erscheinung, dann kriecht ächzend und schimpfend ein dünnes Holzmännchen aus deren geplatztem Bauch. Das eine befreit sich vom anderen. Und der kleine Holzmensch – kniehoch, ebenfalls gesichtslos, schwankend, mit schlackernden Armen, doch sehr beweglich und stark – schafft es gar, schwere Hindernisse wegzuschieben.
Was Haase an Akrobatik zu bieten hat, macht das Puppen-Menschchen dank seiner Gummigelenke mit links. Es kann sogar fliegen. Nur durch kleine Durchgänge zu laufen, da hapert’s, da verhakelt es sich. Das Einfache ist halt das Schwere.
Zwei, die sich verloren haben
Alles vieldeutige Symbolik natürlich, entsprechend der Logik des (Alb-)Traumes, den Haase und Jarnoth erzählen – ohne Worte. Ihre eindrückliche, bildhafte, expressive Bühnensprache nährt sich aus der Luftakrobatik und dem Puppenspiel, dem Physical Theatre und dem Tanz. Biegsam sind sie beide, verknoten sich ineinander, stoßen sich ab. Mal wird der eine passiv wie eine schlappe Puppe, mal der andere.
Dann wird Tango getanzt: der eine kraftvoll und führend, der andere mit steifem Körper und starrer Miene. Mal schlagen sich die dicke und die dünne Puppe, mal die Männer. Es sind zwei, die sich verloren haben. Werden sie sich wiederfinden? Die Antwort gibt’s vermutlich in Teil drei.
Oder doch?
Uraufführung
Regie: Philipp Boë, Musik: Thimo Pommerening, Choreografie: Rudolf Giglberger, Bühne: Jakob Vonau und Daniele Drobny, Licht: Julia Lochmann und Werner Wallner, Kostüme: Stefanie Krimmel.
Mit: Jarnoth und Moritz Haase.
Premiere (Stuttgart) am 8. Februar 2023 im Rahmen des Festivals "Imaginale".
Dauer: 1 Stunde und 10 Minuten, keine Pause
www.theaterrampe.de
www.imaginale.net
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