Schmierstoff einer endlichen Epoche

12. Februar 2023. Die britische Dramatikerin Ella Hickson folgt dem Erdöl und einem Mutter-Tochter-Duo durch fast 160 Jahre Wirtschaftsgeschichte. Das Private ist hier politisch, neben der Petrochemie steht auch das Patriarchat auf dem Prüfstand. Julia Prechsl inszeniert den History-Sci-Fi-Mix.

Von Kai Bremer

12. Februar 2023. Dass „Öl der Erde“ nicht Ella Hicksons stärkster Text ist, wurde schon bei seiner deutschen Erstaufführung im Juni 2021 in Hannover durch Armin Petras deutlich. Jens Fischer etwa zeigte sich in seiner Nachtkritik ob der "brav chronologische[n] Erzählung" des Stücks irritiert. In fünf Teilen, die an verschiedenen Orten spielen und sich zwischen 1889 und 2051 ereignen, schildert die englische Erfolgsdramatikerin die Geschichte des Öls von seinem Aufkommen und der industriellen Revolution bis zum vermeintlichen Ende der Öl-Förderung Mitte des 21. Jahrhunderts. Die Frage im Großen Haus des Theaters Osnabrück ist dementsprechend, was Regisseurin Julia Prechsl aus diesem History-Sci-Fi-Mix macht.

Aufwachsen im Erdöl-Zeitalter

Prechsel konzentriert die Inszenierung auf das Leben von May (Sascha Maria Icks) und deren Tochter Amy (Otiti Engelhardt). In der ersten Szene ist May mit Amy schwanger, gut 160 Jahre später ist sie alt und Amy erwachsen. Besonders Engelhardts Spiel profitiert von den deutlichen zeitlichen Sprüngen. Im zweiten Teil (Teheran 1908) gibt sie das niedliche Kleinkind, im dritten (Hampstead 1970) sorgt sie als gnadenlos verknallter Teenager für fröhliches Kichern im Publikum.

2020 versucht Amy sich von ihrer Mutter, die inzwischen ehemaliges Parlamentsmitglied ist und britische Wirtschaftsinteressen weltweit vertritt, zu emanzipieren. 2051 im letzten Teil, der wie der erste in Mays Heimat Cornwall spielt, kümmert sich Amy verantwortungsvoll um ihre mittlerweile alte Mutter, was nach dem Ende des Öls keine leichte Aufgabe ist. Trotz dicker Steppjacken (Kostüme Miriam Waldenspuhl) frieren die beiden heftig, da sie nur begrenzt heizen können.

Ineinander von Patriarchat und Wirtschaft

Hickson lässt zuletzt William Whitcombe (Thomas Kienast) als Wiedergänger des Öl-Zeitalters auftreten, der eingangs des Stücks die erste Kerosin-Lampe auf den Bauernhof in Cornwall gebracht hatte. Prechsel verdichtet diesen Auftritt, indem Kienast und Icks nicht nur leidenschaftlich miteinander tanzen, sondern sich zudem intensiv küssen und schließlich mit ölschwarz verschmiertem Mund voneinander ablassen.

Die Regisseurin betont auf diese Weise die Symbolik des Endes und versucht, seiner Chronologie größere Bedeutung zu geben. Ähnlich verfährt sie bei Szenen, in denen die beiden Frauen patriarchaler Gewalt oder Autorität ausgesetzt sind. Aber wirklich überzeugen kann all dies nur selten, weil die Männer von Hickson letztlich viel zu plan und stereotyp angelegt sind, so dass nie deutlich wird, ob das Stück eher ein Ineinander von Patriarchat und Öl-Wirtschaft zeigen möchte oder nur ein zweites Fass aufmacht und zeitweilig sein Titelthema aus den Augen verliert.

Ästhetisierung des Anthropozäns

Die Osnabrücker Inszenierung kämpft also mit ähnlichen Problemen, die schon das Team in Hannover hatte. Zudem gleicht sie ihr: So wird im ersten Teil überzeugend die Live-Kamera eingesetzt und anschließend, ähnlich wie in Hannover, auf sie verzichtet. Dieser Umstand wirft freilich noch einmal mehr die Frage auf, ob die Inszenierung von Julia Prechsl einen neuen Blick auf das Stück ermöglicht.

Oel der Erde 04 805 Joseph Ruben uIntensives Zusammenspiel: Otiti Engelhardt, Sascha Maria Icks, Hannah Walther © Joseph Ruben

Was neben dem intensiven Zusammenspiel von Sascha Maria Icks und Otiti Engelhardt von diesem Abend bleiben wird, ist die Bühnengestaltung von Anna Brandstätter. Im Zentrum der Drehbühne liegt eine leichte Erhebung, die je nach Ausleuchtung sowohl Cornwalls Hügel als auch Wüstendünen anzudeuten vermag. Über der Bühne wölben sich matt-dunkle, wie Öl schimmernde, jedoch ungemein weich fallende, imposante Stoffbahnen. Sie decken mal den Hintergrund, mal die ganze Bühne ab. Dann erheben sie sich wieder sanft und ermöglichen neue Blicke. Das Spiel versinkt in und unter den wallenden Stoffbahnen, neue Szenen tauchen regelrecht auf.

Die Bühne wird so zu einem beeindruckenden Sinnbild eines Zeitalters, das ganz im Öl eingetaucht ist und in ihm zu versinken droht, obwohl der Rohstoff selbst immer knapper wird. Wenn diese Ästhetisierung des Anthropozäns allein dazu führen würde, dass lediglich die Grenzen von Hicksons Text eingehüllt würden, wäre das vielleicht unproblematisch. Aber die Bühne ist schlicht zu schön für das, was sich immer deutlicher für die Zukunft abzeichnet.

 

Öl der Erde
Von Ella Hickson. Aus dem Englischen von Lisa Wegener
Regie: Julia Prechsl, Bühne: Anna Brandstätter, Kostüme: Miriam Waldenspuhl, Musik: Fiete Wachholtz, Dramaturgie: Leila Etheridge.
Mit: Otiti Engelhardt, Stefan Haschke, Sascha Maria Icks, Janko Kahle, Thomas Kienast, Mario Lopatta, Anke Stedingk, Lena Vix, Hannah Walther, Manuel Zschunke.
Premiere am 11. Februar 2023
Dauer: 2 Stunden, 25 Minuten, eine Pause

www.theater-osnabrueck.de

Kritikenrundschau

"Künstlerisch gesehen ist diese solide erzählende Inszenierung nicht der große Wurf. Allzu affirmativ ist sie damit beschäftigt, den üppigen und nicht immer klischeefreien Erzählsträngen des Stücks zu folgen," schreibt Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (12.2023). 'Öl der Erde' bietet aus Sicht der Kritikerin allerdings "eine ungewöhnliche Tour D‘horizon durch die Geschichte eines vermutlich aussterbenden Rohstoffes. Dem Premierenpublium hat der knapp zweieinhalbstündige Abend gut gefallen, wie Jubel und anhaltender Applaus zeigten." Ein guter, tragender Regieeinfall sei wie beim Märchen 'Vom Fischer und syner Fru' die "düster-dräuende, apokalyptische Grundstimmung als Klammer aller Stationen. Schwarzen Schotter hat Anna Brandstätter auf ihre Bühne gehäuft. Über hundert Jahre später, wenn es aus dem vorindustriellen England in die Wüste Kurdistans geht, ragen kahle Felskuppen daraus hervor. Gewaltige schwarzgraue Wolkensegel heben und senken sich auf ganzer Bühnenhöhe, während dicker Nebel durch die Szenen wabert. Die Musik von Fiete Wachholtz braust wie ein Sturm über die Bühne und verbindet die Spielorte stilistisch miteinander." Im zehnköpfigen, "gut und prägnant zusammenspielenden Schauspielensemble" fällt Christine Adam besonders Otiti Engelhardt auf.

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