Medienschau: SZ, FAZ, Zeit, NDR – Zur Entlassung Marco Goeckes

Werk, Autor, Mensch

Werk, Autor, Mensch

17. Februar 2023. Nach der gestrigen Entlassung Marco Goeckes als Ballettchef in Hannover reagieren erneut die Medien – und setzen in ihren Kommentaren unterschiedliche Schwerpunkte.

Während die Staatsoper sich mit der Trennung von Goecke deutliche positionierte, "klingen die Erklärungen der Compagnien, die auch nach Goeckes Ausraster weiter mit ihm arbeiten wollen, ambivalent", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (17.2.2023). "Es geht in diesen Erklärungen nicht zuletzt um die Frage, wie die Ballettwelt auf die eindeutige Verletzung zivilisatorischer Mindeststandards reagiert." Das professionelle Umfeld Goeckes bemühe sich um Contenance und die Demonstration von Anstand.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.2.2023) notiert kurz und ohne Autor:innen-Nennung die Ergebnisse der Pressekonferenz, merkt aber an: "Berman schilderte Goecke als 'mitfühlenden, rücksichtsvollen, humorvollen, gelegentlich sehr verletzlichen Menschen' und versetzte sich überhaupt mehr in den Täter als in das Opfer. Sie müsse ihre Künstler schützen, meinte sie. Vielleicht vor sich selbst mehr als vor der Ballettkritik."

Dass Berman versuche, Mensch und Kunst auseinanderzuhalten, sei verständlich und empathisch, kommentiert Marie Serah Ebcinoglu auf Zeit Online (16.2.2023). "Doch ob das alles so klar zu trennen ist, ist fraglich." Zumal Berman nicht zwischen Kritik an den Medien und Kritik an den sozialen Medien differenziert habe. Allerdings habe die Pressekonferenz gezeigt, "dass auch nicht alle Journalistinnen und Journalisten zwischen Werk, Autor und Mensch trennen (können oder wollen) – bei einer Kollegin".

Der NDR (16.2.2023) sammelt Stimmen aus der Kultur, die auf Goeckes Entlassung reagieren. Ebenfalls im NDR (17.2.2023) kommentiert Alexander Solloch: "Auch braucht es nun wirklich keine Debatte darüber, ob etwa die Theater-, Ballett-, Opern-, Film-, Literaturkritik prinzipiell zu hart sei, wenn sie doch eine derartige Reaktion hervorruft. Im Gegenteil wüsste ich jedenfalls kaum zu sagen, wann die Kritik in Zeiten von Presse- und Meinungsfreiheit je milder gewesen wäre als heute; milder und: wirkungsloser…" Und kritisiert, dass die FAZ in ihrer Hüster-Verteidigung durch Herausgeber Jürgen Kaube nicht öffentlich gemacht hat, dass die beiden verheiratet sind.

(geka)

Kommentare  
Medienschau Hannover: Rächer- und Lynchfantasien
"Und kritisiert, dass die FAZ in ihrer Hüster-Verteidigung durch Herausgeber Jürgen Kaube nicht öffentlich gemacht hat, dass die beiden verheiratet sind." Das war mir neu. Und es erscheint mir für die Gefährdung der Pressefreiheit nicht weniger relevant als der Vorfall, auf den die FAZ reagiert. Überhaupt vermisse ich einen Hinweis darauf, dass fast alle Kommentatoren Partei sind und ihre eigene Sach' betreiben. Um eine nüchterne Analyse des Skandals und seiner Voraussetzungen scheint es niemandem zu gehen. Mir machen, um offen zu sein, die Rächer- und Lynchfantasien vieler Beobachter ebenso viel Angst wie der Angriff von Goecke auf Hüster, über dessen Verurteilung ja Einigkeit besteht. Dass Goecke zu gut dabei weg kommt, muss niemand ernsthaft befürchten.
Medienschau Hannover: Parteilos
Ich sehe mich in dem Fall selber als parteilos. Selbstverständlich hab ich auch schon gejammert in meiner Regie-Kummer-Kammer wenn XY aus der Presse 'meine' Inszenierung nicht verstanden hat und damit mein riesengrosses Genie. Logischerweise war der Kummer immer kleiner, wenn es eine Kollektiv-Regie gab, weil man sich dann gegenseitig stützte und die Kritik sogar wieder vergass oder gar als Impuls verstand, etwas vielleicht zu verdeutlichen, was missverstanden wurde. Oft - gerade bei bürgerlichen Zeitungen (wie FAZ und NZZ)- war der Verriss dann eher Bestätigung, dass man in einer Inszenierung die richtigen Fragen aufgeworfen hatte. Was in dem vorliegenden Fall erstaunlich ist, dass -sowohl auf Social Media zu merken, als auch hier auf NK, dass es Stimmen gibt, die den 'wilden Künstler' abfeiern. In der Druck-Presse gab es Äusserungen von Mathias Lilienthal, als auch Amelie Deuffelhardt, aber vor allem Karin Beier, die als Anregung zur 'Aufladung' gegen die Presse verstanden werden können. Interessanterweise alles Menschen, die in den Neunzigern ihre Karriere starteten, und die ein den Fällen doch nun in Verantwortung stehen, sich zu distanzieren von ihren Worten. Diese Art von vulgärer Sprache 'wilder Künstler' (Männer) galt damals als Empowerment für die Kraft der Kunst. Heute sind solche Worte verbale Übergriffe. Und wohl zu Recht. 'Scheisse am Ärmel der Kunst'. Das ist eine deutliche Aussage für eine Person mit Einfluss und Macht über viele Menschen. Wie steht es um die Compliance am deutschen Schauspielhaus? Um das Selbstverständis der Intendanz (was man öffentlich sagen sollte und was nicht?). Wenn man nun der Presse trauen kann (Bericht Daniele Muscionico, Luzerner Zeitung, vielleicht nur Gerücht, aber wer weiss?) kommt Karin Beier als Kandidatin für Schauspielhaus Zürich in Frage, auch wenn sie bis 2025 im Vertrag ist im Hamburg. Ganz naiv gefragt: Sollte Aussage Beiers Presse-Kritik sei 'Scheisse am Ärmel der Kunst' Teil des Assessements für Führungskräfte sein? Ich meine: Ja.
Wie stark Worte Taten beeinflussen können, zeigt dieser heute erschiene Spiegel-Podcast, schon nur Minute 7 -12 belegen, wie Diffamierung von Presse und reale Taten zusammenhängen. Die Theaterblase ist Teil der gleichen Welt, die hier beschrieben. Karin Beier, bitte gerne melden. Link zum Podcast: https://open.spotify.com/episode/4OzKF6GF0VLsSco1Oyw5cd?si=ihRWk4iVRoON6mgIKrljgg
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