Mensch Meier, wat'n Tohuwabohu!

4. März 2023. Das Dreamteam Sven Regener und Leander Haußmann zeigt eine Familienclash-Komödie mit Starbesetzung. Deftiger Grünkohl für Vegetarier, Boulevard auf Speed.

Von Andreas Schnell

"Intervention!" von Sven Regener und Leander Haußmann am Thalia Hamburg © Armin Smailovic

4. März 2023. Familie hat fast jeder Mensch – wer nicht, wird oft bedauert. Die Familie kompensiert schließlich manche Härte des modernen Lebens. Zugleich – oder gerade deswegen – ist die Familie ein scheinbar nie versiegender Quell der Gewalt, von Psychoterror bis Mord und Totschlag. Sven Regener und Leander Haußmann haben mit "Intervention!" eine Komödie geschrieben, die eine Patchwork-Familie bei der Krisenbewältigung zeigt. Besser: bei ihrem Versuch.

Familientherapie mit Geistererscheinung

Gegenstand der titelgebenden therapeutischen Familienzusammenkunft ist Jannis, Sohn von Markus (Jens Harzer) und dessen erster Frau Silvie (Marina Galic). Er hat sein Leben nicht im Griff, nimmt Drogen – und das als werdender Vater. Um sicherzustellen, dass Jannis wirklich kommt, laden ihn Markus und seine zweite Frau Katja (Gabriela Maria Schmeide) zum Grünkohlessen ein – das deftige norddeutsche Gericht hat Jannis trotz Vegetarismus noch nie verschmäht.

Für einen durchschlagenden therapeutischen Effekt sind zudem Mutter Silvie, Markus' Schwester Gudrun (Victoria Trauttmansdorff), deren Mann Helge (Tim Porath), Katjas Tochter Gwendolin (Lisa-Maria Sommerfeld) sowie Gisela (Sandra Flubacher) eingeladen, die, wie sie sagt, beinahe Großmutter von Markus und Gudrun geworden wäre, wäre nicht deren Vater Robert kurz nach seiner Gattin gestorben. Als Geist (Norbert Stöß) spukt Robert durch die Szene, sagt Dinge wie "Mensch Meier" oder erzählt von früher – doch natürlich hört niemand auf ihn.

Intervention 3 c Armin SmailovicUnheilbar zerrüttet: das Thalia Ensemble beim Thereapieversuch nach der Methode von Sven Regener und Leander Haußmann © Armin Smailovic

Natürlich entgleist das Vorhaben, noch bevor es begonnen hat. Mit zunehmender Heftigkeit werden alte Wunden aufgerissen – nur Jannis lässt auf sich warten. Statt seiner gerät ein Bote namens Friedemann (Steffen Siegmund) als Ersatz-Jannis zwischen die rasant wechselnden Fronten. Wobei er einiges einstecken und einen Zahn ausspucken muss. Während Teile der Familie eigentlich schon ein anderes Objekt für ihre Intervention ausgemacht haben, nämlich Markus, der – vermeintlich oder nicht, man weiß auch das nicht – an Demenz erkrankt ist.

Die Kunst des Autors Regener besteht, neben den ausschweifend kreiselnden inneren Monologen seiner Romane, unter anderem darin, in lakonischen Dialogen die großen Themen zu verhandeln – oder das, was seine Figuren dafür halten. Haußmann, mit dem Regener eine lange Arbeitsbeziehung verbindet, hat wiederum nicht nur mit Regeners Stoffen Erfahrung, sondern auch sonst nachweislich ein Händchen für Komödien.

Klamauk mit Zahlenrätsel

Eingerichtet hat Haußmann die Uraufführung der "Intervention!" im Grunde als Boulevardkomödie, in einem klassischen Wohnzimmer-Setting. Eine Gazewand trennt die Küche ab und ist Projektionsfläche für Nahaufnahmen. In pointierten Szenen entfaltet sich das Geschehen, angereichert mit Erörterungen zum norddeutschen Wintergericht und mit Pop-Zitaten.

Das hochkarätige Ensemble um Jens Harzer und Gabriela Maria Schmeide weiß, wie viel Kapital sich aus derlei Stoff herausschlagen lässt, auch wenn das Timing nicht immer makellos ist. Da wird über Glastische gestolpert, verheddern sich die mit ihren Eitelkeiten und Traumata eigentlich doch recht normalen Familienmitglieder symbolträchtig in Verpackungsbindfäden. Und finden dabei zwar nicht immer den Weg aus dem Klamauk. Dafür aber regelmäßig den vor den Fernseher, auf dem eine für das Publikum rätselhaft bleibende Sendung Zahlen verkündet, deren Höhe, da sind sie sich ausnahmsweise einig, einmal wichtig werden könnte.

Theater, das nicht fertig werden will

Wie ja überhaupt im Leben eigentlich alles wichtig werden kann. Es kommt nur darauf an, was man daraus macht. Was vielleicht der Kern dieses Abends ist. Denn eigentlich ist "Intervention!" eine Art Theater im Theater, ein improvisiertes Drama, das nicht fertig werden will. Am Ende wird alles wieder auf Los gesetzt. Zwar mahnt der Geist schon im ersten Akt: "Wir wollen uns alle abregen und noch einmal von vorne anfangen." Aber auf ihn hört erstens keiner. Und zweitens ist er natürlich als Teil dieser ganz normalen dysfunktionalen Familie auch Teil des Problems. Irgendwie dann doch auch ganz schön realistisch, diese "Intervention!".

 

Intervention!
von Sven Regener und Leander Haußmann
Regie und Bühne: Leander Haußmann, Dramaturgie: Matthias Günther, Mitarbeit Bühne: René Fußhöller, Kostüme: Eleonore Carrière, Video: Rasmus Rienecker, Martin Prinoth, Licht: Christiane Petschat.
Mit: Jens Harzer, Norbert Stöß, Gabriela Maria Schmeide, Lisa-Marie Sommerfeld, Marina Galic, Victoria Trauttmansdorf, Tim Porath, Sandra Flubacher, Steffen Siegmund.
Uraufführung am 3. März 2023
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

Not amused zeigt sich Peter Helling im NDR (4.3.2023): Der Abend ist für ihn ein "ältlicher Versuch der Wiederbelebung des Sprechtheaters. Ein freudloses Spiel mit Theaterformen. Ein aggressiver Theater-Impro-Workshop"; eine "theatralen Bruchlandung", die eine "latente Aggression" zeige.

So richtig lustig werde der Abend nicht, findet Katrin Ullmann in der taz (6.3.2023): "Zähe drei Stunden lang arrangiert Haußmann seine pseudo-verschrobenen Figuren zwischen Sofa und Designerstühlen". Die Inszenierung mag dabei "ironisch, witzig und kritisch" gemeint sein, sei in ihrer "ausufernden Sprachverliebtheit" vor allem aber ein nicht endendes "Wortgeschwurbel ohne dramaturgischen Bogen".

Die erste Hälfte des Abends sei "regelmäßig witzig" attestiert Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (5.3.2023). Zum zweiten Teil der Inszenierung fällt Briegleb jedoch ein eindeutiges Urteil: "furchtbar, mit sehr langem U. Einen solchen Zerfall von gemeiner Schärfe in fade Geschmacklosigkeit hat man lange nicht gesehen."

"Haußmann und Regener haben ein Stück geschrieben, das, getragen von einem Schauspielerensemble in Höchstform in der Dramaturgie von Matthias Günther, ständig laut 'Kunst' schreit und sich als hakenschlagendes Hybridtheater erweist", so Jan Wiele in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.3.2023). Das Stück wirke nach dem Komödienauftakt "bald wie ein Traum- oder Assoziationsspiel, in dem einmal gesagte Sätze später verschoben und verdichtet wieder- auftauchen". Dabei werde auch die Dramaturgie immer kühner. "Vielleicht haben Regener und Haußmann die Schraube etwas überdreht im Versuch, allen zu zeigen, dass sie auch improvisieren können. Aber dass gerade sie, während auf dem Theater noch immer Romanadaptionen dominieren, wieder an andere Formen anschließen, ist nicht nur eine Pointe, sondern auch aller Ehren wert."

"Jens Harzer, dieser wundersam beim Spielen über die Sprache selbst nachdenkende Bühnenkünstler, schafft es fast immer, noch den banalsten Dialogen Zauber, Unschuld, Dringlichkeit zu geben. Doch, um es gleich zu sagen: Hier stößt auch er an seine Grenzen", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (9.3.2023). Die Figuren seien zu flach, "auch schöpfen sie viel zu sehr aus einem einzigen Sprachreservoir; sie klingen alle quälend ähnlich", so Kümmel. "Rasch baut sich Langeweile im Zuschauerraum auf. Da es Nullen sind, die hier miteinander abrechnen, kann man auf hohe Erkenntnissummen nicht hoffen."

 

 

 

Kommentare  
Intervention!, Hamburg: Gekürzt und abgekürzt
Ein exquisites Ensemble müht sich, damit der Abend nicht untergeht. Der zweite Abend war gekürzt und sollte 2 1/2 Stunden ohne Pause laufen. Nach 90 Minuten habe ich ihn ganz individuell für mich beendet.
Intervention, Hamburg: Patchwork-Romantik
Wow - endlich weiß man, was des Menschen Welt im Innersten zusammenhält. Grün-Kohl. Supper, jeden Heller wert. Garantiert... Wenn ich das über das Stück auch nur lese, habe ich das Gefühl, dass sich niemand mehr aufregen muss über alte weiße Männer, weil es gar nicht die alten weißen Männer sind, die hier denken, dass sie noch Wichtiges zu vermelden haben, obwohl sie die Zeichen der Zeit haarscharf verkennen - es scheinen eher die vor-alten weißen Männer zu sein, in einer Art Patch-Work-Romantik tief im Sattel ihres gesicherten Einkommens versunken...
Intervention, Hamburg: Mutig
Trotz der zumeist schlechten Kritiken nach der Uraufführung freuten wir uns am Donnerstag auf die Aufführung des Regener-Haußmann-Stücks und wurden nicht enttäuscht. Die Autoren hatten deutliche Kürzungen vorgenommen, so dass die Vorstellung bereits nach gut zwei Stunden endete. Dies wurde an dem Abend leider nicht kommuniziert. Ich finde es mutig, dass die Autoren diesen Schritt gingen. Eine kurze Erklärung wäre allerdings wünschenswert gewesen.
Herausragend waren G. M. Schmeide und J. Harzer, wie nicht anders zu erwarten.
Die Slapstick-Komödie lieferte witzige Momente. Gut gelaunt verließen wir das Theater.
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