Der Kampf ist vielschichtig

20. März 2023. Seit Anfang des Jahres kocht in der Kulturszene Griechenlands der Unmut hoch über ein Mitte Dezember verabschiedetes Präsidialdekret, das Abschlüsse von Kunsthochschulen abwertet. Seit Anfang Februar sind Schauspielschulen und Theater besetzt, die Protestierenden fordern das Parlament zu einer Änderung des Dekrets auf. Der Regisseur Yiannis Panagopoulos über Motive und Chancen der Proteste.

Interview von Sophie Diesselhorst

Ein Solidaritätskonzert vor dem Hauptgebäude des Griechische Nationaltheaters in Athen während der Besetzungszeit © Spiros Chatziaggelakis

20. März 2023. Seit Dezember 2022 protestiert die griechische Kulturszene gegen ein umstrittenes Dekret des Präsidenten über die Gehälter im öffentlichen Dienst, das im vergangenen Dezember verabschiedet wurde und die Abschlüsse von Schauspielschulen herabstuft und mit denen von Gymnasien, also dem Abitur, gleichsetzt. Was genau bewirkt dieses Dekret für Theaterschaffende?

Yiannis Panagopoulos: Zunächst einmal ist das Dekret absurd, denn um an einer Schauspielschule aufgenommen zu werden, braucht man bereits ein Abitur. Dem Dekret zufolge fügen drei Jahre Schauspielschule deiner Bildung also nichts hinzu. Das Dekret ist außerdem problematisch, weil es ein prekäres Arbeitsfeld noch prekärer macht. Wir werden faktisch als unterqualifizierte Arbeitskräfte betrachtet, was bedeutet, dass private Produzent:innen bereits versuchen, Schauspielern Löhne von 700 Euro pro Monat anzubieten.

Das griechische Parlament kann das Dekret noch ändern. Was fordern Sie vom Parlament?

Das Dekret beschreibt vier Stufen von Arbeitnehmern. Diejenigen, die nur die Pflichtschule absolviert haben, die Abiturient:innen, die "technisch Gebildeten" und diejenigen mit einem Universitätsabschluss. Wir würden gerne als "technisch gebildete Arbeitnehmer:innen" gelten, damit unsere Ausbildung zumindest symbolisch anerkannt wird. Das würde auch bedeuten, dass wir zumindest ein bisschen mehr Einfluss haben, wenn wir über unsere Gagen verhandeln. Wir müssen viel verhandeln, sowohl in den privaten Theatern als auch in den meisten öffentlichen Theatern, da es in unserem Sektor keinen Tarifvertrag für ganz Griechenland gibt, 

Der Protest richtet sich aber nicht nur gegen das Dekret, sondern auch gegen die Behandlung der Kultur und der Künste im Allgemeinen durch die amtierende Regierung, oder?

Ja, der Status von Kultur und Kunst wird herabgesetzt. In der Tat sind die künstlerischen Berufe die einzigen Berufe, die in dem Präsidialdekret so herabgewürdigt werden. Die Bologna-Reform des Hochschulsystems hat eine Gesetzeslücke geschaffen, die schon vor 20 Jahren hätte behoben werden können. Wir haben im künstlerischen Bereich immer noch Diplome; für ein Diplom studiert man drei Jahre und nicht wie sonst für einen Bachelor vier. Außerdem ist Griechenland das einzige EU-Land ohne eine Universität für bildende und darstellende Kunst. All dies hat dazu beigetragen, dass wir Künstler:innen im Dekret so schlecht abschneiden. Die Situation ist also nicht nur die Schuld der derzeitigen Regierung. Aber die Geste, uns so herabzusetzen, ist bezeichnend für diese Regierung, die sich mehr um Wirtschaft als um das Leben der Menschen kümmert und schon gar nicht um Kunst und Künstler:innen.

Wie haben die Proteste gegen das Dekret begonnen und wie haben sie sich entwickelt?

Die Schauspielschule des Griechischen Nationaltheaters in Athen, wo auch ich gearbeitet habe, war die erste, die von ihren Studierenden besetzt wurde (hier ein Statement der Studierenden in englischer Übersetzung). Andere Schauspielschulen folgten bald darauf. Die Studierenden organisieren die Proteste in regelmäßigen Versammlungen. Auch die Lehrkräfte der Schauspielschule des Nationaltheaters brachten ihre Solidarität zum Ausdruck, indem sie Anfang Februar massenhaft kündigten. Es gibt außerdem Theater, die besetzt sind: Alle Bühnen des Nationaltheaters in Athen, das Nationaltheater von Nordgriechenland sowie die Stadttheater in Athen und Patras. 

Welche Auswirkungen haben die Proteste bisher gehabt? 

Die wichtigste Wirkung ist für mich, dass wir vom Publikum gehört werden. In den Theatern, die noch spielen, wird nach den Aufführungen ein von der Schauspieler:innengewerkschaft verfasster Brief (hier im griechischen Original) verlesen, der die Situation beschreibt. Und aus der Reaktion des Publikums wird deutlich, dass es auf unserer Seite steht. Außerdem haben wir viele Solidaritätsschreiben von Gewerkschaften aus der ganzen Welt erhalten, aus Deutschland, Frankreich, Südamerika, von renommierten Schulen wie der Ernst-Busch-Schule in Berlin und von Künstler:innen wie Thomas Ostermeier oder Sasha Waltz. 

Was glauben Sie, was passieren wird?

Ich bin ein optimistischer Mensch, aber ich kann im Moment nicht wirklich optimistisch sein, da die Zeit drängt. Das Parlament wird bald ankündigen, dass es seine Arbeit einstellt, weil in der nächsten Zeit (wahrscheinlich Ende Mai) Neuwahlen stattfinden. Wenn es also nicht sehr bald zu einer Lösung kommt, was unwahrscheinlich ist, bedeutet das, dass es für einige Zeit keine Bewegung in der Sache geben wird und wir unseren Kampf höchstwahrscheinlich mit der nächsten Regierung fortsetzen müssen.

Die Besetzung der Schauspielschule des Athener Nationaltheaters wurde soeben (am 19. März) abgebrochen. Wie steht es um die Moral der Protestierenden?

Die Situation wird derzeit kritischer und schwieriger. Nach dem tragischen Zugunglück vom 28. Februar stehen die Menschen in Griechenland unter großem Schock und versuchen das kollektive Trauma zu überwinden. Die Wut auf die Regierung hat nun einen neuen Schwerpunkt. Mit der Aussetzung der Besetzungen wollen die Studierenden ihr Bewusstsein für die gegebene politische Situation demonstrieren, es bedeutet aber keineswegs, dass sie aufgeben und das Dekret akzeptieren. Der Kampf ist vielschichtig und wird weitergehen.

Yiannis Panagopoulos ist Schauspieler und Regisseur. Als Regielehrer ist er zuständig für die Erweiterung, Ausbau und Verbesserung der Regie- und Schauspielschule des Athener Nationaltheaters. Außerdem ist er Beauftragter für Internationale Beziehungen der Griechischen Schauspieler:innen-Gewerkschaft.

 

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