Alltag im Ausnahmezustand

19. März 2023. Der ukrainische Autor Andriy Bondarenko hat ein Stück über den Alltag im Luftschutzbunker geschrieben: Was geschieht, wenn sich dort – notgedrungen – so etwas wie eine Paranormalität ausbildet? Die aus der Ukraine gebürtige Regisseurin Elina Finkel bringt das Auftragswerk auf die Bühne.

Von Michael Bartsch

"Was man im Dunkeln hört" von Andriy Bondarenko an der Neuen Bühne Senftenberg © Steffen Rasche

19. März 2023. Das enge Studiotheater der Neuen Bühne Senftenberg im dominanten Schwarz verbreitet für sich genommen schon Kelleratmosphäre. Stahlregale, die als Laufstege und separate Spielzonen dienen, verstärken den Eindruck noch. Die angebrachten Leuchtstoffröhren schaffen jenseits der Theaterspots sehr authentische Lichtstimmungen. An der Bühnenrückwand hängen zahlreiche Anoraks und Mäntel wie in einer Garderobe: Vorübergehend hier abgegeben – aber dieser "vorübergehende Zustand" hält bereits länger als ein Jahr an.

Denn gezeigt wird ein Kellerraum irgendwo in der Ukraine, nicht das Massengrab unter dem Theater von Mariupol, aber auch kein Refugium, das vor russischen Raketen sicher wäre. Der infame russische Angriffskrieg ist omnipräsent, jeden kann es jederzeit treffen. Und doch bildet sich in diesem Mikrokosmos eine Paranormalität aus, die das gewohnte Leben draußen in diesen hermetischen Untergrund transportiert.

Die Situation der Opfer

Autor Andriy Bondarenko thematisiert in seinem Stück "Was man im Dunkeln hört" klug die vergleichbar in allen Existenzkämpfen der Geschichte zu beobachtende Ambivalenz der Opfer zwischen Flucht vor dem Grauen und allzumenschlicher Anpassung an das Diktat des Fatums.

Bondarenko arbeitet derzeit als Leiter des Literatur- und Theaterdepartments in Lviv. Sein Auftragswerk für das bemerkenswerte Senftenberger Theater mitten im Lausitzer Braunkohlerevier hängt mit dem Sonderfonds des Brandenburger Kulturministeriums für kriegsbetroffene ukrainische Künstler zusammen. Hinzu kommt, dass die Regisseurin des Abends – Hausregisseurin Elina Finkel – zwar lange schon in Deutschland lebt, aber aus der Ukraine stammt.

Was man im Dunkeln 2 SteffenRasche uAlltag im Luftschutzbunker: Tom Bartels, Lena Conrad und Sybille Böversen © Steffen Rasche

Die Insassen von Bodarenkos Luftschutzbunker trinken Kaffee und Tee "als Zeichen, dass wir noch am Leben sind". Sie können zwar ihren freien Tag nicht draußen verbringen, bereiten sich aber auf den morgigen Arbeitstag vor. Das Paar Jura und Julia will hier unten sogar die durch den Kriegsbeginn verhinderte Hochzeit nachfeiern, muss aber zuvor Konflikte wegen des langen Aufenthalts Julias im Westen aufarbeiten.

Berührende poetische Passagen

Bei diesen Szenen steigert sich das lange nur aus eher sterilen Monologen und Dialogen bestehende Geschehen zu turbulenter Heiterkeit. Ein humorvoller Zug der Textvorlage ist es auch, wenn ungebetene Hochzeitsgäste einem angeblichen Zettel mit der Einladung zu einer Orgie folgen. "Die Stimmung ist im Keller", verleitet ein Wortspiel zum Lachen. Solch komisches Talent beweist Bondarenko auch, wenn er eingangs einen Prepper-Typen parodiert, der ebenso in Polen oder Deutschland leben könnte. Nicht nur mit einem Notfallkoffer plant er sein Überleben, auch auf einen Atomschlag bereitet er sich vor.

Neben Humor, ja Situationskomik, berühren poetische Passagen. Die offenbar traumatisierte Oma, die Tschernobyl überlebt hat, fantasiert von Atomnixen und gelben Todestulpen. Das Stück balanciert zwischen den von außen hereindringenden Alarmen – ja, Todesnachrichten – und der makabren Alltagskomik im Schutzraum.

Intensiver Beifall

In der Ausschöpfung dieser Kontraste aber bleiben die Inszenierung und auch die Schauspieler hinter dem Potenzial des Textes zurück. Sowohl die tödliche Gefahr als auch deren trotziges Ignorieren ließen sich pointierter ausspielen. Die bei Bondarenko durchaus angelegten Typen entfalten sich zu wenig.

Das Publikum spendete dennoch langen, intensiven Beifall, der auf eine auch nach einem Jahr noch wenig abgenutzte Solidarität schließen ließ.

Was man im Dunkeln hört
von Andriy Bondarenko
Aus dem Ukrainischen übersetzt von Lydia Nagel
Uraufführung
Regie: Elina Finkel, Bühne und Kostüme: Flavia Schwedler, Dramaturgie: Johann Pfeiffer.
Mit: Tom Bartels, Sybille Böversen, Lena Conrad, Cassandra Emilienne, Roland Kurzweg.
Premiere am 18. März 2023 

www.theater-senftenberg.de

 

Kritikenrundschau

Zunächst seien die Szenen und Schlaglichter des Auftragswerkes stimmig und anrührend. Bondarenko verklammere Kinderängste und Erwachsenenfurcht, Zorn und Fatalismus. "Und die in der Ukraine geborene Hausregisseurin Elina Finkel bringt die kurz-prägnanten Szenen zunächst dicht und flink auf die Bühne", schreibt Ute Grundmann in der Lausitzer Rundschau (20.3.2023). "Doch weil Autor Bondarenko meint, Humor sei auch in einem 'sehr schrecklichen, sehr anstrengenden und katastrophalen Krieg' etwas, auf das man sich verlassen könne, wenn man von Dunkelheit, Leere und Angst umgeben ist, kippen Stück und Aufführung." Die Kritiker fährt fort: "Elina Finkel zerschlägt mit dem letzten Drittel des 90-Minuten-Abends alles, was sie zuvor einigermaßen aufgebaut hat.“ Der ganz reale Krieg in der Ukraine werde schließlich "zum Kasperletheater, und das wenige Tage nach Erlass eines Haftbefehls gegen Putin wegen der Kriegsverbrechen in der Ukraine".

Brandenburg aktuell vom RBB hat einen Fernsehbeitrag über die Inszenierung gebracht.

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