Und da fuchtelt die Kalaschnikow

26. März 2023. Hier geht es um Krieg. Wussten Sie? Krieg ist eine schlimme Sache. Grund genug, um auf einem Haufen Nationalflaggen zu tanzen? Besser wenn nicht. Es wird trotzdem getan. Der Abend von Regisseur Oliver Frljić schnabuliert, was er zu fassen bekommt – auch Heiner Müller ist nicht sicher.

Von Janis El-Bira

"Schlachten" am Maxim Gorki Theater Berlin © Ute Langkafel MAIFOTO

26. März 2023. Die Zeitenwende ist nun auch am Gorki angekommen. Hier, wo bis vor kurzem jeder ruchbare Text mit spitzen, aber geschickten Fingern angefasst, wo noch jede Quelle kritisch befragt und jedes Darstellungsmittel auf seine Berechtigung hin abgeklopft wurde – hier also wird an diesem Abend ordentlich aufmunitioniert. Als gelte es, noch schnell die letzten Mittel aus dem Sondervermögen "Theater spielt Krieg" durchzubringen, fuchtelt man mit Kalaschnikows, räuchert mit Nebel, schreckt mit Detonationssounds und traktiert aufgehäufte Babypuppen mit Zigarettenstummeln, die in die Knopfaugen gedrückt werden. Wo groß gehobelt wird, da fallen auch mal die selbst definierten Bebilderungsstandards.

Ober-Hobler dieses Abends ist Regisseur Oliver Frljić, sowieso nicht gerade für Zimperlichkeit oder kunstseidene Subtilitäten bekannt. Mit "Schlachten" vervollständigt er seine "Kriegstrilogie" am Gorki, die in "Dantons Tod / Iphigenie" und Brechts "Mutter Courage" ihre, sagen wir, streitbaren ersten Teile hatte. Über diese Angelegenheit nun wird es wenig zu streiten geben. Sie ist bodenlos und in ihrer Null-Reflexion über die eigene Diskursposition und Wirkung tatsächlich außergewöhnlich ärgerlich.

Klassiker-Petersilie

Dabei geht es immerhin los, wie's draufsteht: "mit Texten von Heiner Müller". Vidina Popov springt, trés grand guignol, aus einer Seitentür und spricht die berühmten "Philoktet"-Geleitworte: "Was wir hier zeigen, hat keine Moral. Fürs Leben können Sie bei uns nichts lernen. Wer passen will, der kann sich jetzt entfernen." Kurzes Saallicht, textgetreu, dann sind wir schon in einem anderen Müller-Text, "Germania 3: Gespenster am toten Mann", seinem letzten Stück. Mehmet Yilmaz gibt den Stalin, einen der vielen Geschichts-Zombies in diesem schon halb aus dem Grab geschriebenen Text. "Die Toten haben einen leichten Schlaf", müllert es im stahlgeschmiedeten Hochton, dem man bei diesem Autor allzu leicht erliegt. Auf der Tonspur rauscht alsbald eine CNN-Breaking-News-Collage zu Konflikten in aller Welt vorbei, das Ensemble tanzt – der Himmel weiß, warum – einen Rave zu den Silben "Hit-ler". Man ahnt spätestens jetzt, was sich im Laufe der 75 Minuten dieser Inszenierung erhärten wird: Den Müller gibt's hier vor allem, weil er so verdammt geil klingt. Ein klarer Fall von Sound-Klau, um die eigenen Absichten mit Klassiker-Petersilie aufzuhübschen.

Marina Frenk, Mehmet Yılmaz, Vidina Popov, Tim Freudensprung in Schlachten3. TEIL DER KRIEGSTRILOGIEMIT TEXTEN VONHeiner MüllerREGIEOliver FrljićBÜHNEIgor PauškaKOSTÜMEKatrin WolfermannMUSIKALISCHE LEITUNGDaniel RegenbergVIDEO DESIGNStefan BischoffDRAMATURGIESimon MeienreisMarina Frenk, Mehmet Yılmaz, die Kalaschnikow, Vidina Popov und Tim Freudensprung © Ute Langkafel MAIFOTO

Denn Frljić schert sich nicht wirklich um Müller oder um den angeblich zentralen "Philoktet". Ihn lässt er unter vollständiger Ausblendung seiner systemspezifischen Subtexte später von Vidina Popov und Marina Frenk in unter 15 Minuten durchpeitschen. Nein, Frljić geht’s um Krieg. Krieg mit großem Demoschilder-K wie in "Nie wieder Krieg!". Das "Philoktet"-Zitat vom Anfang erweist sich so als Schwindel. Frljić hat nämlich derart tonnenweise überlegenes Moralbewusstsein im Gepäck, dass es ihm nicht einmal peinlich scheint, seinem Publikum zwischendrin ein "Germany's Next Top-Opfer"-Spiel vorzusetzen. Gefunden werden soll der Krieg mit dem größten Empathie-Potenzial (es gewinnt – mei, wie böse! – das Erdbeben in der Türkei und Syrien). Fast noch einen Dreh schlimmer: Munter und minutenlang wird spekuliert, warum die USA wegen des Irakkriegs nicht wie jetzt Russland mit Sanktionen belegt wurden. Dann würden vielleicht noch immer keine amerikanischen Flugzeuge im europäischen Luftraum fliegen, keine amerikanischen Dirigenten und Opernsänger mehr auftreten. Dazu läuft, man mag es sich tatsächlich kaum vorstellen, "Imagine" von John Lennon. Ein inszenierter Whataboutism, wie ihn Sahra Wagenknecht weitaus virtuoser beherrscht. Den Tanz auf einem Haufen von Nationalflaggen allerdings, den es später noch gibt, hätte aber auch sie sich nicht ausdenken können.

Grausames mit Grausamen

Heiner Müller muss schließlich am Ende noch einmal ran. Mit Passagen aus "Die Schlacht" und noch einmal "Germania 3" wird des Menschen Wolfsnatur weidlich ausgestellt, Grausames im Text mit Grausamem auf der Bühne vergrößert und vergröbert. Und schließlich noch dieses: Das Ensemble warnt, nun müsse man die Augen schließen, denn es kämen jetzt Bilder, die uns verfolgen würden. Gezeigt werden sodann, bühnenfüllend, Fotos erbärmlich verreckender, zu Skeletten ausgemergelter Kinder in Krisengebieten. Bilder ohne Quelle, ohne Ort, ohne Kontext, ohne Namen. Obszön wirkungsheischend drangeklatscht an dieses unterschiedslose Kriegs-Einerlei. Dazu, fast klar, Susan Sontag und ihr Text "Das Leiden anderer betrachten", den man vielleicht besser genauer gelesen hätte. Schluss ist damit zwar noch nicht ganz, aber gesehen und gehört hat man längst genug. Bitte wieder abrüsten.

 

Schlachten
3. Teil der Kriegstrilogie
mit Texten von Heiner Müller
Regie: Oliver Frljić, Bühne: Igor Pauška, Kostüme: Katrin Wolfermann, Musikalische Leitung: Daniel Regenberg, Video Design: Stefan Bischoff, Dramaturgie: Simon Meienreis.
Mit: Marina Frenk, Tim Freudensprung, Vidina Popov, Mehmet Yilmaz.
Premiere am 25. März 2023
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

"Da ist es wieder, das gute alte Welterklärungstheater im Frontalunterrichtsstil", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (30.3.2023). Man sei hinterher nicht klüger, "aber man hat es wenigstens schriftlich bekommen, dass die Menschheit nicht immer zu friedlichen Umgangsformen neigt". In der Überwältigungsästhetik sei der Abend zumindest konsequent: Hauptsache heftig. Gegenüber dem Realschrecken verhalte sich die Aufführung parasitär. Und wenn eine Wehrmachtspuppe in der Unterhose Goethes "Prometheus"-Gedicht versteckt, dann "bleibt das so rätselhaft wie die ganze dröhnende Veranstaltung".

Dieser Stoff sei "die richtige Wahl, wollte man allzu plakatives Kriegsbebilderungstheater vermeiden", meint Kritiker Erik Zielke im nd (online 26.3.2023). "Aber man will nicht", ist Zielkes Diagnose. "Die einfache Botschaft dieses Abends, dass jeder Krieg auch ein Verbrechen ist, ist unbestreitbar richtig. Leider zieht der Regisseur außerdem den trügerischen Schluss, dass sich deshalb überhaupt alle Kriege gleichen." Der Vergleich zwischen der Invasion der USA im Irak vor 20 Jahren und dem Einmarsch Russlands in die Ukraine werfe beispielsweise interessante Fragen auf. Doch: "Auf der Theaterbühne wirken sie als Hybrid aus Agitprop und Infotainment dennoch vollkommen deplatziert", urteilt der Kritiker. "Pseudoreflexiv" lausche man einer "Kritik unter Niveau an der Instrumentalisierung von Kriegsbildern". Doch: Deren Einsatz in "Schlachten" sei an der Grenze zum Missbräuchlichen. "Jedes Bemühen um Analyse und auch nur einen Gedanken wird ausgespart", ist das Resümee des Rezensenten zu diesem Abend.

Einen "zynischen Abend" ohne "substanziellen Gedanken" hat Barbara Behrendt für rbb24 gesehen (26.3.2023). Die Inszenierung folge rundum einem "einfachen Rezept", auch im Umgang mit den Müller-Texten: "Man nehme am besten mehrere seiner Stücke und verquirle sie so lange miteinander, bis niemand mehr der Handlung folgen kann." Das befreie von "lästigen Interpretationen, die sonst eingefordert werden". Fazit: "So profitiert auch das Theater wunderbar vom Kriegsgeschehen."

Ein Regisseur der "leisen Worte oder feinnervigen Subtexte" sei Oliver Frljić nicht, so Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (26.3.2023). Im besten Falle aber reiße die "Schonungslosigkeit dieser Bühnensprache gut abgehangene Deutungsschemata" auf. Davon sei zumindest beim "starken, düster-clownesken Beginn" dieser Inszenierung etwas zu spüren, wenn die Worte "schnell und scharf" über die Rampe poltern. Doch leider "währt diese Dichte nicht lang", der "Philoktet"-Teil sei "heillos verplappert". So werde der Abend "fatalerweise" immer dort "am besten, wenn 'Müller-Pause' einsetzt und die vier martialischen Clownssoldaten in lockerer Quizshow-Stimmung mit unbequemen Fragen zu Kriegen der Gegenwart jonglieren".

Im Gorki erlebe man "einen Abend, wie man ihn – zurückhaltend gesagt – seit langem nicht gesehen hat auf einer Bühne", findet Christine Wahl im Tagesspiegel (26.3.2023). Denn er beantworte die Frage, "wie man im Theater den Krieg thematisieren kann", auf eine Weise, die "einem – dies allermindestens – sehr fremd geworden ist in den letzten Jahren". Frljić sei ein "ein Bühnenvollstrecker der absichtsvollen Maximaldrastik", der sein Publikum "aus den hehrsten moralischen Überzeugungen heraus provozieren" wolle. An diesem Abend wirkten die Bilder jedoch "denkbar inadäquat, oft kitschig bis obszön". Geboten werde eine "Rocky Horror Kriegs-Picture Show, die den Krieg an und für sich mit dreifachem Ausrufezeichen verurteilt und unterhalb dieser Aussage jedwede Differenzierung einebnet".

"In Frljićs Bildern steckt auch dieses Mal ein hohes Maß an Provokation und die ist ihm so lieb, dass er darüber das Nachdenken über das dramaturgische Zusammenwirken von Symbol, Bild, Text und Spiel vergisst", seufzt auch Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (26.3.2023). Der Abend sei ein "Kriegs-Potpurri", die Aufführung ein "gruseliges Maskentheater, Weltgeschichte auf Projektionsflächen, Agitprop und Emblematik". Aber die "Abfolge von Provokationsversuchen" führe zu "nicht einem einzigen neuen Gedanken, sondern nur in müden Ärger", so Spreng.

Oliver Frljić setze sich "zwischen die meisten der denkbaren Stühle in Sachen (Ukraine-)Krieg. Daher ist abzusehen, dass diese Inszenierung auf weitgehende Ablehnung stoßen wird. Ansehenswert ist sie dennoch, vielleicht sogar genau deshalb", schreibt Tom Mustroph in der taz (30.3.2023). "Auch auf die Mobilisierungspraktiken im Hinterland hat Frljić es abgesehen." Gelobt wird ausdrücklich das Programmheft und seine Erläuterungen zu "Verfahren und Praktiken, die Konflikte gewaltfrei zu lösen. Das szenische Material indes befeuert weiter die Gewalt."

Kommentare  
Schlachten, Berlin: Museal
Ähnlich museal wie schon der vorherige Teil der Trilogie (Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“) wirkt auch diese recht beliebige Müller-Kompilation, der Erkenntnisgewinn bleibt gering. Geben Sie es ruhig zu, von diesen ganzen Müller-Texten haben Sie langsam genug, provoziert Vidina Popv in einem ihrer typischen Gorki-Soli das Publikum.

Zwischen all den Müller-Extrakten, die unter einem großen Poster des Altmeisters dargeboten werden, gibt es hin und wieder auch kurze Exkurse in die Gegenwart. Dass der aktuelle Krieg in der Ukraine, der seit einem Jahr die öffentliche und oft unterkomplex in all zu einfachen Schwarz-Weiß-Mustern geführte geführte politische Debatte dominiert, schon eine längere Vorgeschichte hat und seit 2014 dauert, ruft uns Vidina Popov ebenso ins Bewusstsein wie die hohen Todeszahlen der Kriege in Syrien oder Äthiopien, die bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit erhielten.

Zum John Lennon-Hit „Imagine“ rattern lange Zahlenreihen über die Bühnenwände, die bekanntere und vergessene Kriege in der Geschichte akribisch auflisten. Ein paar Sticheleien gegen die moralische Selbstgewissheit des Westens zwanzig Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von US-Präsident George W. Bush gegen den Irak dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Diese kurzen Interventionen werfen kleine Schlaglichter auf das altbekannte Thema, wie einseitig mediale Aufmerksamkeit und Empathie mit Kriegsopfern verteilt sind. Etwas ausführlicher äußert sich dazu auch Nicole Deitelhoff (Direktorin der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung) im Interview auf dem Abendzettel.

Von der aufrüttelnden und polemischen Kraft der besten Frljić-Arbeiten bleibt diese Müller-Hommage mit aktuellen Einsprengseln leider ein ganzes Stück entfernt.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/03/25/schlachten-gorki-theater-kritik/
Schlachten, Berlin: Da bin ich aber froh ...
... dass ich an diesem Abend nach Dresden ins Theater fahren durfte.
Schlachten, Berlin: Klar und deutlich
Vielen Dank für diese Kritik. Solche Vorkommnisse müssen klar und deutlich benannt werden – trotz Haustierstoffwechsels.
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