Sisi & Ich - Sandra Hüller und Susanne Wolff in Frauke Finsterwalders Kaiserinnen-Spielfilm
Bis dass der Tod ...
30. März 2023. Kaiserin Sisi hat Konjunktur. Wiederentdeckt wird sie als feministische Stilikone. Frauke Finsterwalders Spielfilm gestaltet die Beziehung Elisabeths von Österreich-Ungarn und ihrer letzten Hofdame, Irma Gräfin von Sztáray, zeitgenössisch neu. Die Schauspiel-Stars Susanne Wolff und Sandra Hüller haben sich des Doppels angenommen.
Von Elena Philipp

30. März 2023. Sisi lebt ein sapphisches Ideal, im Kreis ihr zugetaner Frauen auf der griechischen Insel Korfu. Wind bauscht die Vorhänge der sparsam, aber elegant möblierten Villa, goldenes Licht durchströmt die Szenerie. Paradiesisch. Soldatisch hart ist der Weg zu diesem außerweltlichen Ort für die neue Hofdame Irma. Einmal durchs Hofzeremoniell muss sie sich kämpfen.
Sandra Hüller gibt diese historisch verbürgte, aber in Frauke Finsterwalders Film "Sisi & Ich" radikal modernisierte Irma Gräfin von Sztáray ganz hülleresk als vieldimensionales Wesen. Harte und weiche Anteile gibt sie ihrer Figur mit, die in flackerndem Wechselspiel und oft zu den unpassenden Gelegenheiten an die Oberfläche treten. Ihre Irma wirkt wie hingegeben an den Moment und steht doch beobachtend neben sich.
Inselidyll für eine verschworene Community
Als Irma in einem kahlen, kalten Marmorsaal der Hofburg der peinlichen Prüfung ihrer Vorgängerin unterworfen ist – sind die Waden fest genug? Ist die Taille so schmal, wie es die Kaiserin gern hat? –, lässt sie die Prozedur mit kichernder Verwunderung über sich ergehen. Spontanes Lachen ist eigentlich ein No-go in diesen Kreisen, die auf maximalen Gehorsam und die Minimierung persönlicher Affekte getrimmt sind. Frauke Finsterwalder setzt damit gleich in den ersten Szenen ihres Films einen satirischen Ton. Psychologisch stichhaltig wäre es nicht, dass Irma ihren Eigensinn bewahrt hat, ihre Erziehung muss brutal gewesen sein: Als sie sich während des Wartens vor einem der riesigen Spiegel ungehörig einen Mitesser ausdrückt, warnt ihre Mutter sie einmal, dann holt die züchtig roséfarben gekleidete Frau aus und rammt Irma die Faust ins Gesicht.
Sibylle Canonica und Sandra Hüller als Mutter und Tochter mit Regisseurin Frauke Finsterwalder am Set von "Sisi & Ich" © Produktion
Drastische physische Komik, eine fast haptische Körperlichkeit auf der Leinwand zieht sich durch den ersten Teil von "Sisi & Ich", für den Frauke Finsterwalder, wie schon 2013 für "Finsterworld", gemeinsam mit ihrem Ehemann Christian Kracht das Drehbuch geschrieben hat. Zu den Blutflecken bei der Audienz kommt später das Erbrochene, das sich die seekranke Irma bei der Überfahrt nach Korfu mit dem Ärmel abwischt. Und dann der Schweiß, als sie dort von Elisabeths Hofwalter verpflichtet wird, im Sprint und Hürdenlauf über Blumenkübel der vom Dach aus zusehenden Kaiserin ihre Fitness zu beweisen. Die erste Amtshandlung, um Irma in den Korfu-Kreis aufzunehmen, ist denn auch, ihr Kleid zu verbrennen. Sie wird gebeten, eines der wallenden, zeitlos bis heutig wirkenden Gewänder anzulegen, die Sisi ihren Damen zu tragen vorgibt. Die sonnendurchflutete, üppig begrünte Residenz auf Korfu ist ein veritabler Monte Veritá für die verschworene Community. Der einzige Mann, Graf von Berzeviczy als Aufpasser und Dienender, hat es hier nicht leicht.
Sisi-Manie 2023
In Film, Fernsehen, in der Literatur und letzthin auch im Theater ist zum 125. Todestag der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn eine regelrechte "Sisi-Manie" ausgebrochen. Zwei Netflix-Serien, zwei Langfilme, Karen Duves dokufiktionaler Roman "Sisi" und eine "Staatsaktion" von Rainald Grebe am Volkstheater Wien: Die schon zu ihren Lebzeiten hysterisch verehrte Kaiserin fasziniert noch immer und erneut.
Auf Netflix befriedigen die Empresses eine royale Sehnsucht im Anschluss an Megaserien wie "The Crown" und "Bridgerton". Die deutschsprachigen Filme – neben "Sisi & Ich" der von der Teichtmeister-Affäre überschattete "Corsage" von Marie Kreutzer – üben sich in Gegenlektüren. Star und Stilikone war Sisi, hier wird sie als frühe Feministin gezeichnet, die gegen das höfische Protokoll eine freiheitliche Lebensweise fern von Wien durchsetzt. Statt ein von Bediensteten und Höflingen steif orchestriertes Frühstück einzunehmen, absolviert Susanne Wolffs Sisi frühmorgens im schicken schmalen Rock einen Power Walk mit ihrer Entourage und lässt sich die Ziegenmilch frisch in den Krug melken. Der Kaiserin Vorbild und ja: auch der Zwang für die ihr Unterstellten, es ihr gleichzutun, schafft einen engen Kreis verschwisterter Frauen, der gleichermaßen unter dem Bann ihrer Persönlichkeit steht wie ihr Bund von strengen Verhaltensregeln geprägt und Sisis Willkür unterworfen ist.
Schauspielfest mit Genrewechsel
Kapriziös war die Kaiserin, wusste ihre Macht zu nutzen, das ist biographisch belegt. Susanne Wolff gibt dem mit Strenge gemischten Charisma dieser von Schlankheit, Sport und Schönheit Besessenen natürlich wirkende Autorität und je eine Prise Koketterie und Großmut bei. Als Irma bei ihrem Eintreffen gewogen und vermessen wird, wie es in Sisis Umfeld üblich ist, versteckt sich die Kaiserin hinter einem Fächer, um dann in ein ebenso unzeremonielles Lachen auszubrechen wie Irma zuvor. Hier haben sich zwei gefunden. Erst entspinnt sich Vertrautheit, dann eine große Nähe zwischen den beiden ungleichen Frauen. Ihre enge Beziehung gipfelt in einem Wüstenausflug bei einer Nordafrika-Reise, den der gemeinsame Haschischgenuss in einen Trip verwandelt. Dann kippt die Handlung, Eifersucht führt die beiden Figuren auf emotional auseinander strebende Bahnen, der Film wendet sich in Richtung Melodram.
Angela Winkler als gulaschbesessene Kaiserinmutter, zwischen Susanne Wolff und Sibylle Canonica © Bernd Spauke
Wie lässig hingegeben an ihre Rollen Sandra Hüller und Susanne Wolff dieses Frauen-Doppel spielen, in freundschaftlicher Vertrautheit, später mit kühler Verachtung und unterschwelligem Hass, ist für Schauspielfans eine Freude. Auch Angela Winkler als quälerische Kaiserinmutter ist sensationell: Mit eiserner Härte zwingt sie ihrer Tochter ein Gulasch auf, das diese, aus Protest von jeglicher Etikette absehend, in sich hineinschlingt und anschließend wieder erbricht. Bis in die Nebenrollen ist "Sisi & Ich" mit Sibylle Canonica als Irmas Mutter, Stefan Kurt als Korfu-Aufseher, Johanna Wokalek als streng prüfende Baronin Festetics oder Anne Müller als libertäre Baronin Rothschild und anderen markant besetzt. Ein Schauspielfest.
Sandra Hüller ist mit "Sisi & Ich" für die beste weibliche Hauptrolle beim Deutschen Filmpreis nominiert. Auch für Kamera und Bildgestaltung (Thomas W. Kiennast), Kostüm (Tanja Hausner) und Tongestaltung (Marco Teufen, Paul Rischer, Gregor Bonse) gibt es Nominierungen. Für die Regie nicht, und das ist bei aller Freude am anachronistischen Detail insofern nachvollziehbar, als der Eindruck bleibt, dass dem Film die Befreiung von Sisi-Stereotypen, nach der er strebt, nicht ganz gelungen ist. Das Finale hat etwas ungemein Konventionelles und wechselt noch einmal das Genre-Fach. Wie viel mehr Freiheit "Corsage" seiner historischen Figur erlaubt, ist im Vergleich verblüffend. Dort geht die Reise hin zum sapphischen Ideal. Hier: wird die Welt für freiheitsliebende Frauen wieder eng.
Sisi & Ich
Spielfilm (2023)
Regie: Frauke Finsterwalder, Drehbuch: Christian Kracht und Frauke Finsterwalder
Mit: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Stefan Kurt, Georg Friedrich, Sophie Hutter, Maresi Riegner, Johanna Wokalek, Sibylle Canonica, Angela Winkler, Markus Schleinzer, Anne Müller, Anthony Calf, Tom Rhys Harries, Annette Badland, Ravi Aujla u.a.
Kinostart 30. März 2023
Dauer: 2 Stunden 12 Minuten
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Im zweiten Teil dann der völlige Bruch, ein Rückfall ins altbekannte Sisi-Bild, viele langatmige Täler sind bis zum erstaunlich konventionellen Ende.
Komplette Kritik: daskulturblog.com/2023/02/19/sisi-ich-film-kritik/
Ansonsten entwickelt der Film spät, aber doch seinen eigenen Sog. Sehr gelungen ist die mit auffälliger Körnung - durch Super16 - und einfallsreicher Kameraarbeit von Thomas Kiennast prunkende visuelle Gestaltung, die Wahl der Schauplätze, der Zugriff von Regie und Drehbuch (Finstewalder zusammen mit Christian Kracht) auf diese nicht einfache Geschichte und auf die nicht einfache Figur. Dass Susanne Wolff nicht besonders sympathisch, sondern relativ anstrengend wirkt, entspricht sicher viel stärker der historischen Wahrheit als die Wärme der unvergleichlichen Romy Schneider. Sehr schön und nachdenklich machend sowie einen Hauch verschwörungstheoretisch ist die Sequenz mit dem Attentat gestaltet. Insgesamt: ein ähnlicher Ansatz wie Marie Kreutzer in CORSAGE, aber letztlich erfreulich eigenständig und weniger verbissen-negativ. Nicht zuletzt für an der Thematik Interessierte eindeutig ein Pflichttermin, wobei vorrangig an sentimentalen Schmachtszenen interessierte Fans pseudohistorischer Wohlfühl-Kostümsoap-Ästhetik - wie BRIDGERTON & Co - von der Machart ein wenig irritiert sein könnten.