Da wackelt die Hütte

23. April 2023. Im Suff ist er ein Menschenfreund, aber "sternhagelnüchtern" dann wieder ganz der Schinder und Ausbeuter: Bertolt Brechts finnischer Gutsherr Puntila. Christina Tscharyiski setzt die Kapitalismusparabel am Berliner Ensemble in Szene. Mit Auftritt von Warnwesternträgern zur letzten Rebellion.

Von Janis El-Bira

Bertolt Brechts "Herr Puntila" in der Regie von Christina Tscharyiski am Berliner Ensemble © JR / Berliner Ensemble

23. April 2023. Es wäre gewiss falsch, ungerecht und vergröbernd, würde man diesen Abend eine Laubsägearbeit heißen. Auch wenn die Versuchung naheliegt. Dafür sorgt allein schon der zarte Duft nach den Schlafzimmer-Ausstellungen im schwedischen Möbelhaus, den die Bühne von Thilo Ullrich verströmt. Und säuberlich ausgesägt wurde tatsächlich aus diesem portalhohen Holzverhau samt Durchlässen in der Mitte, zur Rechten und zur Linken, damit die Drehbühne sich drehen und das Ensemble seine Wege finden kann. Es findet sie, soviel sei schon gesagt, im Laufe der gut zwei Stunden auf die Weise, wie Brechts Puntila die Schnapsflasche zum Mund führt: Zielgenau, umweglos, wirkungssicher.

Riesenbaby lässt es raus

Regisseurin Christina Tscharyiski gehört zur Fraktion der jungen Begabten ihres Fachs, die den Klassikern zwar nicht mit dem ganz großen Dekonstruktionsbesteck zu Leibe rücken, sich aber so weit auf ihr Handwerk verstehen, dass trotzdem meist kein Musealisierungsverdacht aufkommt. Heißt: In der Regel ist Leben in der Bude. Diesmal also Brecht, Puntila, Berliner Ensemble – und Tscharyiski tut, was diese hochspezifische, dem Lebendigen nun auch nicht immer nur zuträgliche Kombination einfordert: Sie liefert ab. Textfester Brecht nach Erben-Geschmack ist das an diesem Abend, mitsamt Kapitelüberschriften auf Spruchbändern, die hübsch analog am Seilzug überm Parkett flattern. Mit Pro- und Epilog, Herr und Knecht, mit Volksstück und Parabel. Wobei das Volksstück, als das Brecht den "Puntila" verstanden wissen wollte, eindeutig dominiert.

Puntila1 JR Berliner Ensemble uNur nett, wenn er sternhagelvoll ist: Sascha Nathan als Gutsherr Puntila © JR / Berliner Ensemble

Dafür sorgt schon Sascha Nathan, dessen saufseliger Puntila Mensch bleibt, auch dort noch, wo er "sternhagelnüchtern" eigentlich jene kapitalistische Schinderfratze zeigen soll, die der Suff verdeckt und Brechts Stück die Dialektik verleiht. Das ist kein Mangel in Nathans Spiel, im Gegenteil. Es gibt ja Schauspieler*innen, denen das Menschenfreundliche und Weiche auch im größten Bösetun nicht zu nehmen ist – und es ist schön, dass es sie gibt.

Wenn dieser Puntila sich jedenfalls beim finnischen Saunagang splitterfasernackt von seinem Gutsgesinde auspeitschen und aus Zubern übergießen lässt, dann wirkt seine Nacktheit eher kindlich als übergriffig. Nathans Puntila ist eigen. Ein Riesenbaby, das gefüttert werden will und muss – und zwischendurch eben naturgemäß alles vollkotzt.

Volksstück eben

Fürchten kann man sich da eher vor dessen Chauffeur Matti, dem Peter Moltzen die Schneidigkeit und kühle Arroganz eines Wiener Kaffeehaus-Oberlivrierten gibt. Oder sogar vor Puntilas Tochter Eva, in deren Rolle Nora Quest einmal auf den Zinnen der Laubsäge-Burg sitzt und mit Popcorn aufs Personal wirft. Sie ist die vom Regiekonzept erwartbar hochempowerte Femme Fatale mit 20er-Jahre-Touch, der man die Langeweile angesichts ihres bemitleidenswerten Verlobten (sehr kunstvoll als automatenhafter Attaché: Pauline Knof) doppelt und dreifach abkaufen soll.

Wenn Eva und Matti schließlich zur Badehütten-Szene zusammenfinden, um ein Stelldichein simulieren, das den Attaché von Eva abbringen soll, hat der Klamauk pauschal Vorfahrt. Da wackelt die Hütte und beschlagen die Fensterscheiben. Volksstück eben.

Wo sind die guten Gutsherren?

Und die Parabel? Nun ja. Es gibt noch einen Chor, den Regie und Kostümbild (Jelena Miletić) zweckmäßig in verschiedenfarbige Warnwesten gesteckt haben, damit man auch sicher weiß, mit wem man's zu tun hat: Auftritt der Ausgebeuteten, die der Willkür Puntilas schutzlos ausgeliefert sind. Sie rotten sich dann und wann zusammen, um Paul Dessau oder Billie Eilish zu singen, elegant arrangiert von Johannes David Wolff. Wir im Publikum gehören auch dazu, sobald Puntila und Matti während der Gesindemarkt-Szene von der Bühne steigen und im Saal nach geeigneten Arbeitssklaven Ausschau halten. Blöd nur, dass alle passive Staffage bleiben, wir hier unten genauso wie die oben im Chor. Allesamt Begleitpersonal für den großen Untergeher im Zentrum.

Aber man will ja auch gar nicht einprügeln auf diesen über seinem Kotzeimer hängenden Puntila. Man will ihm, mindestens ganz zum Schluss, eher eine Decke bringen. Das allerdings ist dann leider gar nicht mehr so Brecht-treu. Wo der menschliche Reflex gerechteren Verhältnissen im Weg steht, würde der nämlich sagen, da ist dieser selbst eine Täuschung. Ungehört verpufft so zwangsläufig auch das berühmte Schlusswort und mit ihm die eigentliche politische Sprengkraft: "Den guten Herrn, den finden sie geschwind, wenn sie erst ihre eignen Herren sind." Mag sein. Aber dieser Abend tut ein wenig, als habe das alles Zeit bis morgen. Heute ist erstmal noch Theater.

 

Herr Puntila und sein Knecht Matti
von Bertolt Brecht
Regie: Christina Tscharyiski, Bühne: Thilo Ullrich, Jelena Miletić, Musikalische Leitung: Johannes David Wolff, Dramaturgie: Johannes Nölting, Licht: Reiner Casper.
Mit: Sascha Nathan, Peter Moltzen, Nora Quest, Dela Dabulamanzi, Pauline Knof, Nina Bruns, Nora Moltzen. Chor: Stefanie Adam, Moritz Bachmann, Fabian Bam, Lisa Annika Braun, Justyna Chaberek, Zuzana Cuker, Tilman Eicke, Anna Fechner, Kirsten Gatemann, Alina Greis, Michael Gugel, Laurens Heintze, Michael Hoffmann, Andrea Johns, Sven Johns, Naima Middendorf, Umut Özer, Adalina Rühl, Silvia Schmidt, Philipp Schubert, Annika Schwerdt, Carina Schwertner, Ned Stuart-Smith, Guiseppe Tuzzolo, Benedikt Vogel, Xenia Wenzel, Yann Weyer.
Premiere am 22. April 2023
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

Es scheine "schwierig zu sein, die aus der Industriegesellschaft abgeleitete Klassenfrage auf die heutige Wissensgesellschaft zu übertragen, deren Ausbeutungs- und Selbstausbeutungsmechanismen viel stärker subjektiv inkorporiert sind", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (24.4.2023). "Hinzu kommen die gestrengen Brecht-Erben. Insofern tut Tscharyiski genau das, was man sich vorgestellt hatte für so eine Neu-Inszenierung am Brecht-Theater: Sie rückt dem Stück mit einem flauschigen Staubwedel zuleibe, der das Interieur zwar möglichst oberflächenglänzend erstrahlen, aber dabei jeden Stein penibel auf dem anderen lässt: genau dort, wo er schon immer gestanden hat. Es gibt hier also weniger einen konzeptionellen Gesamtgedanken als vielmehr eine Reihe voneinander unabhängiger Auffrischungsideen."

"Es wirkt dieser Abend alles in allem zwar solide, aber insgesamt auch ein bisschen uninspiriert, es kracht zwar derb und deftig, aber da tut nichts wirklich weh, da eckt nichts an", schreibt Katrin Pauly in der Morgenpost (24.4.2023). "Höchstens noch berührt es, wie Sascha Nathans Puntila am Ende nach seiner völligen Selbstzerstörung fix und fertig in verschwitzter, dreckiger Unterwäsche am Boden liegt. Matti hat da schon beschlossen, seinen Herrn endgültig zu verlassen, drückt ihm vorher aber noch kurz einen Kuss auf den Scheitel. Nach klassenkämpferischer Rebellion sieht das nicht aus, sondern eher nach menschlicher Enttäuschung und Resignation."

"Ein textgenauer Abend", der aber das kapitalismuskritische Aufbegehren in Brechts Text "auf eine nicht besonders eindringliche Weise" darbringe, ist dieses BE-Schauspiel für André Mumot in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (22.4.2023). Brecht werde in eine "lauwarme Modernisierungs-Schonkost verpackt". Sascha Nathan allerdings biete "großes Schauspielertheater".

"Ein stärker erdachtes als real erspieltes Brecht-Revival" sah Doris Meierhenrich und schreibt in der Berliner Zeitung (24.4.2023): "Eine Löchrigkeit beherrscht diesen Abend, die zweifellos sinnreich das so gespenstische wie zynisch umklappende Wechselspiel vom realen in ideologischen Besitz imitiert. Und dennoch wird diese Leere von den Figuren nicht wirklich spannungsreich ausgefüllt." Das große Problem dieses Abends sei eine nicht wirklich vorhandene stringente Spielführung. "Das so ausgiebig wie schwach exerzierte Textaufsagen an der Rampe wird zwar hin und wieder von scharf geschnittenen Comic-Choreografien unterbrochen", so Meierhenrich. "Doch auch sie bleiben eher abgedroschen. Lakonik soll hier den Witz antreiben, während der Gesindechor von Blauwesten andererseits aber die Tagesaktualität nur mit dem Zaunpfahl einschwenkt."

Das Stück sperre sich gegen einen übersichtlichen Klassenkampf, frage es doch danach, "warum die Untergebenen diese Form der Macht überhaupt stützen", schreibt Tobi Müller in der Zeit (26.4.2023). Eben diese Vielschichtigkeit vermisst der Kritiker offenbar an der Berliner Inszenierung. "Wenn man dereinst auf unsere Zeit zurückschauen und die Themen des heute zeitgenössischen Theaters benennen wird, wird man sagen können, Tscharyiski habe hinter jedes einen Haken gesetzt: Männer in der Krise, empowernder Feminismus, Ökologie. Als Bonusthema: Lieferdienstprekariat."



Kommentare  
Herr Puntila, Berlin: Kein Funkensprung
In ihrer ersten Arbeit auf der großen Bühne des BE (nach Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ und Brechts „Die Mutter“ im Neuen Haus) bemüht sich Christina Tscharyiski, das Stück des Gründungsvaters der Bühne, das acht Jahrzehnte auf dem Buckel hat, möglichst locker-flockig zu präsentieren, aber der Vorlage doch treu zu bleiben.

Die knapp 140 pausenlosen Minuten sind doch etwas lang geraten, da das Ensemble und die Regisseurin zwar versuchen, mit Slapstick und Überzeichnung die Komik von Brechts Klassenkampf-Parabel noch stärker zu betonen. Der Funke springt im Premierenpublikum aber nicht so recht über.

Zur Traditionspflege des Ahnherrn im Repertoire mag diese „Puntila“-Inszenierung geeignet sein. Zwischen Comedy und aktuellen Anspielungen auf Extinction Rebellion-Aktionen und „Klimaklebern“ hat sich die Hoffnung, einen überzeugenden, jungen, frischen Blick auf ein seltener gespieltes Brecht-Stück zu erleben, nicht erfüllt.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/04/22/herr-puntila-und-sein-knecht-matti-berliner-ensemble-kritik/
Puntila, Berlin: Widerspruch
Muss der Kritik vehement widersprechen:
Da war nix inszeniert.
Die Spielenden kommen nicht zusammen. Die Inszenierung verhandelt nix heutiges, da hilft auch keine Spielfreude von Puntila & Matti.

Leider verdiente Buhrufe fürs Regieteam.

Erster Kommentar aus’m Publikum: Brecht scheint aus der Zeit gefallen.
Herr Puntila, Berlin: Brei und Suppe
Auch ich bin traurig, was ich früher an der trockenen Textstrategie, mit wenigen Worten viel auszudrücken, verflucht habe, weil ich es nicht verstanden habe und mir viele Dinge erst später die Erleuchtung brachten, habe ich nun vermisst, zur Brechtinzenierung gehört eben nicht nur der Text, sondern auch die Inzenierung,
jede Person ist klar und deutlich beschrieben und wenn man daraus einen Brei
kocht, wird es eben nur eine Suppe und damit holt man das neue junge, gewollte Publikum nicht hinter dem Ofen hervor, die Alten sind sauer und die Jungen wissen gar nicht was man will ....
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