Wunsch nach Schwerelosigkeit im Wasser

von Georg Kasch

Nürnberg, 23. Januar 2009. Diese heile Welt, man merkt es schnell, wird nur errichtet, um schnellstmöglich zerstört zu werden: Unternehmer Gerd kommt von einer Geschäftsreise zurück. Seine wesentlich jüngere Gattin Monika erschreckt, neckt, reizt ihn. Sie berichtet von einem Erdbeben und dem Tod eines Bekannten aus ihrer Kommunenzeit. Aber warum lenkt sie immer wieder vom Thema ab, warum streut sie gelegentlich neue Details über den toten Olaf ein? Und warum weiß sie mit immer neuen Wendungen zu verhindern, dass Gerd das Zimmer des gemeinsamen Sohnes Alexander betritt?

Rätsel und Suspense-Fährten
In "Rückenschwimmer", dem zweiten Stück vom Leipziger Literaturinstitut-Absolventen Jan Decker, stehen sich zwei gegenüber wie Nora und Torvald Helmer oder Martha und George aus "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", allerdings ins noch Absurdere gedreht. Was ist wahr, was erdacht? Deckers Stück gibt Rätsel auf, legt falsche Suspense-Fährten und pappt einen metaphysischen Schluss an ("Ein Leben lang fragen uns die Toten"). Von dem sich Cordula Jungs Uraufführungsinszenierung im KaLi, der kleinsten der Ausweichspielstätten des Nürnberger Staatstheaters, nicht beirren lässt.

Kurzerhand streicht sie die Peinlichkeit, strafft auch den ohnehin überschaubaren Text so, dass die Charaktere geschlossener erscheinen und ernstzunehmen sind. Und stellt sie in einen goldenen, zum Winkel geklappten Rahmen, den ihr Ulli Remmert gebaut hat, zwischen Sofa, Hocker und Stehlampe.

In diesem Künstlichkeits-Tableau spielen Stefan Lorch als etwas selbstherrlicher, aber schnell bedröppelter Gerd und Julia Grafflage als auftrumpfendes, katzenhaftes und dann wieder atemflatterndes Weibchen über weite Strecken ausgestellt, eine Nuance zu laut, zu deutlich. So wie auch die Weingläser aus Kunststoff sind und die Zigaretten unentzündet geraucht werden.

Wie Nahkampf im Becken
Schnell wird klar: Ob Ernst, Wut, Trotz, ob Liebe oder Totschlag, es ist alles nur ein Spiel, und beide Charaktere wissen darum. Es handelt sich um ein größeres Spiel, als sich zunächst vermuten lässt, nämlich um das ausgedehnte Rollen-Vor-Spiel eines Paares, dass aus einer Laune oder einer Gewohnheit heraus die Triebe mit immer neuen Improvisationen anheizt. Die Nummer sechs wird als "Sex" ausgesprochen, wenn Monika Gerd als Looser beschimpft, kann der gar nicht genug bekommen. Immer wieder geht es darum, ob irgendjemand irgendwem den Schwanz in den Mund gesteckt habe und mal wieder richtig durchgefickt werden müsse.

Zur improvisierten Fiktion gehören auch die Fehler: Die Unterhosen, die Gerd in seinen Tüten hat, gehören zunächst ihm, später Olaf, beide können sich nicht auf Alexanders Geburtstag einigen, und für das Festmahl werden nur zwei Teller gedeckt. Anders als im Text öffnet Stefan Lorchs Gerd einmal tatsächlich die Tür zu Alexanders Zimmer – und steht auf Nürnbergs Frauentorgraben, man hört die Autos rauschen. Ein kraftvolles Bild für die Leere, die hinter der Albee’schen Fiktion eines gemeinsamen Kindes bleibt.

Und täglich grüßt das Murmeltier
Real sind nur die paar Requisiten auf der Bühne, die ebenso wiederholt eingesetzt werden, wie Decker um bestimmte Begriffe und Motive kreist, Weingläser, Popcorn, eine Wasserpistole. Mit der Pistole hatte Monika Gerd schon zu Beginn erschreckt, eine Szene, die sich zum Schluss mit leicht vertauschten Rollen wiederholt. Und täglich grüßt das Murmeltier...

Jan Deckers Stücktitel spielt übrigens auf eine im Stück geäußerte These an, derzufolge beim Rückenschwimmen die Unterschiede zwischen Mann und Frau verschwinden würden. Ein kurzer Text im Programmheft von Decker liest sich ähnlich verschwurbelt: "Rückenschwimmer" handele "von den verlorenen Hoffnungen der Erwachsenen, ihren nicht gelebten Träumen, ihrem Wunsch nach einer neuen Geburt", was Decker im Stück gerne "bis zu seinem äußersten Ende hochrechnen" wollte. Also "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" als Loop? Aber: Braucht man das? Im Programmheft zur Uraufführung steht ein Zitat Edward Albees: "Es wäre schön, wenn die Leute beim Verlassen des Theaters auf die Fahrbahn gerieten und ein Taxi würde sie überfahren." In Nürnberg hatte man den Eindruck, dass dem Publikum Jan Deckers Stück vollkommen reichte.


Rückenschwimmer (UA)
von Jan Decker
Regie: Cordula Jung, Bühne: Ulli Remmert, Kostüm: Mareike Porschka.
Mit: Stefan Lorch, Julia Grafflage.

www.staatstheater-nuernberg.de

 

Kritikenrundschau

Jan Deckers Ehedramolett "Rückenschwimmer", das am Staatstheater Nürnberg uraufgeführt wurde, setze ganz auf Irritation, meint Wolf Ebersberger in der Nürnberger Zeitung (26.1.2009). "Auf abrupte Stimmungswechsel, schockierende Ausbrüche, obskure Andeutungen aus der Vergangenheit." Eine "kurzweilige Stunde lang" verweigere das Stück konsequent die Antworten. "Wer Sicherheiten sucht, ist hier falsch." Deckers Hommage an Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" bleibe allerdings "eine Fingerübung – mit schwachem, psychologisch billigem Ende. Aber hier winkt einer: Ich habe Talent!" Dem Publikum werde von Regisseurin Cordula Jung und den beiden Akteuren "immerhin ein flotter Schlagabtausch vorgeführt, konzentriert und frisch gespielt, mit frechen Dialogen und sekundenschnell aufblitzender Drastik."

Szenen einer Ehe – das ist "kein schlechter Dramenstoff", findet Katharina Erlenwein in den Nürnberger Nachrichten (26.1.2009): "Ibsen und Strindberg haben daraus Meisterwerke geformt. Jan Decker versucht, die Ansammlung von Kleinigkeiten, die eine Beziehung zugrunde richten kann, postmodern nachzuzeichnen. Manches läuft ihm dabei aus dem Ruder." Schon wie seine beiden Figuren zusammengekommen seien, sei "wenig glaubhaft". Stefan Lorch und Julia Grafflage aber entlockten "den unscharfen Charakteren trotz allem griffige Züge".

 

Kommentar schreiben