Glückwunsch !

Berlin, 7. Juni 2007. Heute wird Claus Peymann 70 Jahre alt. "Nur noch mittelmäßig als Regisseur", sei er, hat sein langjähriger Protagonist Gert Voss ihm öffentlich mitgeteilt. Seine Triumphe seien "historische Taten" sekundierte umgehend die Süddeutsche Zeitung.
Das ist natürlich zutiefst ungerecht. Deshalb gratulieren wir dem alten Kämpen von Herzen. Mit einem Text, in dem Tomo Mirko Pavlović den Schatten ausmisst, den Claus I. noch nach einem Vierteljahrhundert wirft.

Poooliitiisch, verstehen Sie?

von Tomo Mirko Pavlović

Stuttgart, 7. Juni 2007. 632 Kilometer. 632 Kilometer liegen zwischen dem Berliner Schiffbauerdamm und dem Stuttgarter Eckensee. Und je weiter man sich vom Peymannschen Hofe entfernt, desto mächtiger gerät er: Sein Schatten, der so lang ist, dass eine ganze Stadt mit ihrem Theater darin verschwindet. Die strengen Verwalter dieser freiwilligen Selbstverdunklung nennen sich bis heute selbst zärtlich und liebestrunken Peymanns Kinder, und sie sagen es mit diesem Glanz im Blick, wie er hierzulande sonst nur in der Eurythmie-Stunde im Walddorfkindergarten oder beim samstäglichen Polieren der Mercedes-Haube aufscheint.

Ach, ihr Kinder Peymanns. ­Im dionysischen Berlin mag das schon ein wenig seltsam klingen, dort, wo man dem schnelllebigen pantheistischen Theaterolymp opfert, einem Wirrwarr von halben und ganzen Regie- und Intendantengöttern, die neuerdings gar mit schnöden Rentenproblemen seitens alter Weggefährten belästigt werden. Im beständigen schwäbischen Pietistenhimmel aber gibt es immer nur Platz für einen Chef, und da thront seit 1979, seit der allerletzten, legendären, weil mit mehrstündigen Ovationen belohnten Vorstellung Papa Peymann, kein anderer. Auch kein Palitzsch. Jürgen Bosse erst recht nicht. Von Schirmer ganz zu schweigen.

Fünf Jahre nur waren es, doch es sollten vergoldete, verklärte fünf Geburtsjahre dieser unnachgiebigen Peymannschen Brut werden, zu der sich sogar welterfahrene Menschen wie Harald Schmidt oder Sebastian Koch ohne Scham bekennen. Und wem die Ungnade der späten Geburt in dieser Schattenstadt zuteil wurde und wer sich obendrein im Foyer des Schauspielhauses oder in anderen Kulturvorhöfen der Stadt vor Theatergängern ab Mitte Vierzig mit einer Brezel im Mundwinkel unbedarft einbildet, über aktuelle Klassiker-Inszenierungen parlieren zu dürfen, wird augenblicklich wie ein Stiefkind ermahnt, berichtigt, mit blutunterlaufenen Augäpfeln zur Raison gebracht: Peymanns Käthchen! Peymanns Minetti! Peymanns Faust!

Wenn man allmählich verstummt und das trockene Gebäck mit einem großen Schluck Trollinger herunterzuspülen versucht, hört man noch Demütigendes, das in etwa so klingt: "Wissen Sie, junger Mann, das war damals politisches Theater. So richtig poooliitiisch, verstehen Sie? Peymann. Einfach unvergesslich. Und mit ihm der Voss. Der Kirchner. Und die wundervolle Kirsten Dene. Poooliitiisch. Aber das können Sie heute gar nicht verstehen. Sie sind ja eine ganz andere Generation."

Ganz ehrlich: Das geht nun schon seit Jahrzehnten so. An solchen Abenden und  besonders um seine runden Geburtstage herum würde man gerne sofort in gebückter Haltung den Raum verlassen, sich ins Auto setzen und ohne Pause 632 Kilometer weit fahren, dorthin, wo Peymanns Schatten auf eine angenehm luftige Lebensgröße schrumpft. Man könnte ihm dann auch gratulieren, einfach so, von Mensch zu Gott. Von Stiefkind zu Peymann.

 

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