Dämmernde Diskursgewächse

von Nikolaus Merck

Berlin, 31. Januar 2009. Man erfährt ja im Theater immer wieder Interessantes. Etwa dass Pornodarsteller ein Vielfaches der Helden des Fernsehens verdienen. Oder dass 29 Zentimeter eben doch mehr Lust machen als 14 Zentimeter. Das wenigstens behauptet Tom Donkey, der so heißt wegen seiner 29 Zentimeter, womit er zum rechten Superstar aufgestiegen ist, pornobusinessmäßig. Andererseits ist das mit den Wahrheiten im Theater auch immer so eine Sache.

In "Donna Davison" in den Kammerspielen des Deutschen Theaters trägt Mister 29 cm einen rosa Anzug und oben einen leicht fettigen Vokuhila. Während die Titelheldin im knallengkurzen Grausilbernen auf Wolkenkratzer-Absätzen erscheint. Will uns die Kostümbildnerin weismachen, so trüge sich das fleischerne Business outfitmäßig? Wir denken, das sind Klischees. Wiederum andererseits erweckt ein Theater, auf dem Sätze gesagt werden wie: "In der Pornographie verführt die Abwesenheit der Anwesenheit" natürlich unmittelbar Vertrauen. Diskursiv jedenfalls geht es hier state of the art zu.

Feminismus der neuen Körperlichkeit
Für die Sätze ist Thomas Jonigk verantwortlich. Der war mal eine große Junge-Autoren-Nummer in den Neunzigern. Damals gehörte er zum Umfeld des Theaters Affekt, einer freien Gruppe um den Regisseur Stefan Bachmann und den Dramaturgen Lars-Ole Walburg. Jonigk schrieb Die-Familie-ist-die-Hölle-auf-Erden-Stücke und auch dank seiner begann einst die Uraufführungssucht im deutschen Theaterwesen. Später ward's ein wenig ruhiger, der Mann machte Karriere, schrieb Romane, ein Opernlibretto, trat beim Bachmann-Preis im Jörg Haiderschen Klagenfurt auf. Jetzt kehrt er für ein Auftragswerk des Deutschen Theaters nach Berlin zurück: "Donna Davison".

In den Kammerspielen ist die Dame Davison nicht bloß Pornoaktrice und Trägerin des besagten Grausilbernen, sie vertritt auch einen neuen "körperlichen Feminismus", weshalb sie ihre lange blondierte Haarpracht eindrucksvoll femme fatale-mäßig einsetzt und außerdem Sachen sagt wie die von der "Anwesenheit der Abwesenheit". Die Wuchtbrumme Alwara Höfels spielt Donna Davison als ziemlich viel Frau. Zuviel Frau für Jan Friedberg, der zwar Tatort-Kommissar und Träger einschlägiger Film- und Fernsehpreise ist, aber leider nur 14 statt 29 Zentimeter aufweist und außerdem den Kardinalfehler begeht, sich in Donna zu verlieben.

Hätte er das Programmheft der Aufführung gelesen, hätte er gewusst: Bloß nicht. Pornodarsteller eignen sich nicht für Beziehungen mit Normalsterblichen. Weil letztere an der Seite von Profi-Sexlern eifersüchtig werden oder depressiv. Gut. Friedberg, den Thomas Huber sehr geradeaus und sehr geheimnisfrei vorstellt, weiß das nicht, weshalb er sich verliebt und unglücklich wird und depressiv.

Seidene Bettstatt vor Spiegelwand
Aber vielleicht spielt er das auch nur, Jonigk nämlich hat "Donna Davison" als Film im Film im Spiel geschrieben. Friedberg und Davison spielen in einem Film, der das Zusammentreffen eines Fernsehstars mit einem Pornostar bei gemeinsamer Filmarbeit zum Thema hat. Ho ho! Das ist raffiniert. Sehr gekonnt und verwirrend, aber leider will man am Ende der 80 Minuten gar nicht mehr wissen, ob Friedberg am Ende Davison umbringt oder nur spielt, dass er sie umbringt oder vielleicht bloß träumt, dass er spielt, dass er sie umbringt.

Zu diesem stetig sich steigernden Desinteresse trägt wesentlich die Regie von Hanna Rudolph bei, die die Figuren des Spiegelspiels allzu geradlinig inszeniert. Die Leutchen kommen und gehen, sprechen ihren Text und sind dabei komplett widerspruchsfrei. Derweil Videos zusätzliche Verwirrung über das Spiel im Spiel im Spiel stiften, legt das bedauernswert auf der Drehbühne kreiselnde Drei-Kammern-Häuslein mit Dusche, seidener Bettstatt vor Spiegelwand (Spiegel!) und Jalousiezimmer (beim Pornodreh flugs herunterzulassen) etwaigen Höhenflügen der Zuschauerfantasie genauso Fußeisen an wie die vor den Brandmauern dämmernden Fauteuils mit Grüngewächsen.

Katharina Schmalenberg als Regisseurin spielt statt der zu erwartenden Zuchtmeisterin einen Regie-Puck, eine Art zwangsweise an den Boden gehefteten Springteufel, und auch Michael Benthin mit seinen 29 Zentimetern und Sven Walser als Stichwortgeber und Agent der wirklichen Wirklichkeit können bei diesem Harmlosigkeitswahnsinn nichts retten.

Die "Anwesenheit der Abwesenheit" übrigens meint die Frau im Pornofilm, die als Idee der Frau anstelle der konkreten Frau agiert. Aber die Judith-Butler-Kundigen unter uns haben hinterher erklärt, dass der neue Feminismus auch darüber längst hinaus ist. So fehlte zum Diskursstück jonigkscherseits doch entscheidendes Diskursmaterial, zum interessant aufgedonnerten Regieunternehmen fehlte es Rudolphsch am Willen zur Verfremdung und Brechung des Vorgefundenen.


Donna Davison (UA)
von Thomas Jonigk
Regie: Hanna Rudolph, Bühne: Hansjörg Hartung, Kostüme: Geraldine Arnold, Musik: Bert Wrede, Video: Sebastian Pircher.
Mit: Alwara Höfels, Katharina Schmalenberg, Michael Benthin, Thomas Huber, Sven Walser.

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

Als "Schlaumeier-Stück über Pornografie" bezeichnet Andreas Schäfer im Tagesspiegel (2.2.2009) Thomas Jonigks neues Stück "Donna Davison". Mehr als von ernst zu nehmenden Figuren handele es von Klischees, zu deren Entlarvung das Stück mit Realitätsebenen jongliere. Doch das Stück sei "nicht nur ein Stereotypenkarussell und Diskurslabyrinth, sondern auch ein Angsthasen-Text. Mit seinen Verspiegelungen will er nicht nur entlarven, sondern gleichzeitig auch Jonigks Position verschleiern." Regisseurin Hanna Rudolph mache "aus diesem albernen Nichts das Beste: eine grelle Farce." Selten habe man "freilich Schauspieler beim Schlussapplaus so ernst gesehen, so peinlich berührt von dem, was sie da anderthalb Stunden über die Bühne rumpeln mussten."

"Donna Davison" sei "eine Art postmoderner Verwechslungskomödie, die sich des altbewährten Theatertricks vom Spiel im Spiel bedient, um die Uraltfrage des Theaters zu stellen: Muss ein Schauspieler wissen, wovon er spielt, um glaubwürdig zu sein?", schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (2.2.2009). Das Stück sei "zwar fein ausgedacht, aber kein bisschen mehr", es sei "ein anrisshaftes Konstrukt-Stück", in dem alles "haltungslos runtergehandelt" werde. Thomas Jonigk liefere "uns einen dramatischen Diskurs, der wie ein Kurzvortrag im Theaterwissenschaftsgrundkurs wirkt". Der jungen Regisseurin Hanna Rudolph bleibe nichts weiter übrig, "als diesen Text irgendwie unfallfrei über die Bühne zu bringen".

In einer Kurzkritik in der Berliner Morgenpost (2.2.2009) vermutet Peter Hans Göpfert, dass Jonigk "dem Zuschauer wohl mal zeigen" wolle, "dass der eine vorurteilslastige Sicht auf den Pornobetrieb hat". Dem Betrachter aber "schwanen die aufklärerischen Absichten des Autors rasch". Der Witz des Stücks erschöpfe sich schließlich in Filmtiteln wie "Anale Grande", "in puncto Humor könnte das Stück ein Rettungspaket gebrauchen."

"Dass er die Grenze zwischen Realitäts- und Drehbuchebene stets in der Schwebe" belasse, sei noch "die interessanteste Dimension von Jonigks Text, der daraus aber keine nennenswerte Neuerkenntnis" entwickle, meint Anne Peter in der Berlin-Ausgabe der tageszeitung (2.2.2009). Hanna Rudolphs Inszenierung nehme den Text "ganz von der ironischen Seite" und lasse Alwara Höfels als Donna "überdeutlich gegen alle Klischees an- und gleichzeitig ihren Sexappeal ausspielen". Doch leider "ist das alles eben doch kein Drama über eine sexuell befreite Frau, sondern lediglich eine Komödie über maskuline Neurosen, in der die hinlänglich bekannten Männerfantasien zwar weidlich auf die Schippe genommen, über spezifisch weibliche Lust jedoch kaum etwas erzählt wird."

Auch Jürgen Otten in der Frankfurter Rundschau (3.2.2009) interessiert sich für die Überlagerung der Ebenen in"Donna Davison": "Wann hört die Kunst auf? Wann fängt das Leben an? Ist Pornographie Kunst? Und ist Kunst schon Pornographie?" Allerdings verliere Thomas Jonigk sein Thema beim Versuch, es sprachlich auszuformen, "beinahe" aus den Augen. Richtig gefährlich werde es sogar, wenn sich die Komödie ins Stück hineindränge, und ausgerechnet auf diese Momente sattele die Regisseurin Hanna Rudolph auf: Sie sei "zu mutlos" und klebe "an der Trivialität des Textes" fest, "anstatt ihn gegen den Strich zu bürsten. Aber was soll sie machen? Zu massiv sind die Affirmationen Jonigks, zu effektgeladen ist seine Sprache, zu erwartbar, zu sehr Wirkung heischend. Das fast Paradoxe daran ist, dass man, je unzumutbarer dieser Text wird, umso mehr Freude am Zuschauen hat. Das Amüsement siegt über den Diskurs."

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