Heißhunger auf Cornflakes

von Erna Cuesta

Wien, 6. Februar 2009. Wir schreiben das Jahr 1967. Ein blutjunger Dustin Hoffman wird als Hauptdarsteller und dritte Wahl in Mike Nichols legendärer Verfilmung der gesellschaftskritischen Komödie "Die Reifeprüfung" über Nacht berühmt, gerade 27 Jahre alt. An seiner Seite: die atemberaubend schöne Anne Bancroft. Nicht nur die filmische Auflösung, auch die pointenreichen Dialoge und vor allem die scharfzüngige wie liebevolle Abrechnung mit der Prüderie der 60er Jahre in den USA haben dem Film damals Kultstatus eingebracht.

Dieser rebellische Charme ist inzwischen verblasst. Heute erzählt "Die Reifeprüfung" die ewige Geschichte des Heranwachsens, der Sinnkrise, des jugendlichen Übermuts, die uns eher schmunzeln lässt. Und wie macht sich diese Geschichte auf der Bühne? Der Schweizer Regisseur Felix Prader hat schon im Vorfeld seiner Adaption des Filmstoffs für das Wiener Volkstheater wissen lassen, dass es ihm nicht um Kritik an der amerikanischen Gesellschaft gehe: "Das können die Amerikaner besser. Ich will ganz einfach die komplizierte Geschichte der ersten Liebe, der Versuchung, des Verlangens erzählen".

Herrlich spätpubertäre Turbulenzen
Felix Prader hat gut daran getan, sich an dem Film zu orientieren, ihn aber keineswegs kopieren zu wollen. Dünne, trübe, verschiebbare weiße Wände, mit denen sein Bühnenbildner Werner Hütterli im Verlauf des Abends die unterschiedlichsten Räume baut, bilden den Hintergrund. Requisiten kommen spärlich zum Einsatz, doch ist stets relativ schnell erklärt, wo sich die Szenen jeweils abspielen. Und eigentlich kommt es ohnehin mehr auf das Innenleben der Figuren an.

Alles dreht sich um den 20jährigen Ben. Er kommt aus gutem Hause, hat sein College abgeschlossen und mit der Sinnsuche gerade erst angefangen. Claudius von Stolzmann spielt Ben, 27 Jahre alt und im vierten Studiengang der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Ein Glücksgriff!

Mit Innbrunst bläst er Trübsal, lässt sich kindlich-naiv von der frustrierten, einsamen Mrs. Robinson zu einer fatalen Affäre verführen, setzt später Berge in Bewegung, um deren Tochter Elaine zu gewinnen und von seiner wahren Liebe zu überzeugen. Man leidet herrlich bei all den spätpubertären emotionalen Turbulenzen mit, müpft mit Ben gegen die elterliche Enge und die soziale Borniertheit auf, fiebert dem Happy-End entgegen.

Das Flair einstiger Schönheit
Wieder einmal beweist sich: wenig kann so viel sein. Prader inszeniert in keiner Sekunde zu viel, verzichtet auf modische Regiegags und zeitgeistige Aussagen. Seine Schauspieler und die geradlinige Erzählung genügen vollkommen. Vor Sehnsucht nach Liebe vergehend steht Susa Meyer auf der Volkstheaterbühne: ein abgetakelter Vamp, umspielt vom Flair einstiger Schönheit. Ganz subtil nutzt sie den Knaben, um ihre zerrüttete Seele zu kitten, aus ihrem goldenen Ehekäfig auszubrechen. Vergebens.

Viel Feinarbeit hat Regisseur Prader investiert, seine Darsteller punktgenau in Stimmung und Schwingung zu bringen. Nur so kann die "Dreiecksbeziehung" aufgehen, wird das Gestirn stimmig. Besonders, wenn dann Katharina Strasser auf die Bühne fegt; ein "süßes Mädel" würde man in Wien sagen, eine "freche Göre" in Berlin. Strasser ist der Shooting Star des Volkstheaters und in der Rolle der Elaine wieder einmal glänzend.

Happy End mit Augenzwinkern
Sie bezirzt als verwöhntes Töchterchen, das mit ihrem Sturm und Drang noch nicht ganz klar kommt, berührt als tief getroffenes Mädchen, die mit dem Wissen um ihre Konkurrentin – die eigene Mutter – noch weniger umgehen kann, und erobert die Herzen der Zuschauer als wildes, liebesrisikobereites Kätzchen mit Heißhunger auf Cornflakes.

Zielsicher sind auch die spärlichen Nebenrollen inszeniert, Väter und Mütter, die alle eindeutig, aber nie klischeehaft ihre Figuren ausfüllen. Das große Geheimnis dieser Aufführung liegt wohl in ihrer Zurückhaltung: wer weiß denn schon alles über die Liebe? Wer ist schon krisenresistent?

In keiner Sekunde kehrt Regisseur Prader den Moralapostel heraus, drückt plakativ auf die Tränendrüse oder bemüht schenkelklopfenden Klamauk. Ganz dezent arbeitet er auf das Happy-End zu und selbst da gibt er, wenn sich Elaine und Ben endlich im Arm halten, seinem Publikum ein Augenzwinkern mit. Wer weiß schließlich, ob das jetzt wirklich die wahre Liebe ist? Ein erfreulicher, unterhaltsamer und kurzweiliger Abend, der vom Premierenpublikum mit reichlich Applaus bedacht wurde.

 

Die Reifeprüfung
von Terry Johnson nach dem Roman von Charles Webb
Regie: Felix Prader, Bühne: Werner Hütterli, Kostüme: Ingrid Erb.
Mit: Susa Meyer, Katharina Strasser, Claudius von Stolzmann, Beatrice Frey, Thomas Bauer, Erwin Ebenbauer, Johannes Seilern, Günther Wiederschwinger.

www.volkstheater.at

 

Kritikenrundschau

Felix Praders Inszenierung der "Reifeprüfung" bleibe "eine nette sachliche Nacherzählung", die in der zweiten Hälfte "schwer nachvollziehbar zusehends ins Klamaukhafte" kippe, so Margarete Affenzeller im Standard (9.2.2009). Sie lasse "lyrischen Tonfall des Films" hinter sich und setze stattdessen "auf eine mehr oder weniger rasante Familienkomödie", wobei "die Zwischenräume des Werks" außer Acht blieben. Claudius von Stolzmann statte seinen Benjamin "mit einer zur Hektik neigenden nervösen Grundbefindlichkeit aus". Susa Meyer verleihe der Mrs. Robinson den "nötigen abgründigen Touch", die Tochter verliere bei Katharina Strasser "einiges von ihrer Unschuld", und Beatrice Frey interpretiere die Mutter "außertourlich als Karikatur". Am Schluss löse sich das Ganze zu sehr "in eine x-beliebige, gar romantische Komödie auf" – "eine Idylle, die sämtliche Behauptungen schmälert, wenn nicht auslöscht."

Barbara Petsch von der Presse (9.2.2009) hingegen gefällt es, dass hier so liebevoll "die Sixties restauriert" würden. So dürften sich die "ehemaligen Revoluzzer" hier nun "ohne Angst vor einer Bruchlandung" "tief in ihre Jugendzeit fallen lassen". Denn Prader verschone das Publikum "mit Fisimatenten" und sorge "in unauffällig souveräner Weise für einen spannenden Ablauf". "Schlichtweg hinreißend" findet Petsch von Stolzmann: endlich mal ein "rundum authentischer junger Held mit Sixpack und echter Leidenschaft". Auch Frey ist für sie "grandios", Meyer "wunderbar melancholisch". Selbst Erwin Ebenbauer als selbstsüchtiger Gatte verstehe es, "Sentiment zu wecken". Straßer hingegen "entzückt, man möchte schon fast sagen, gewohnheitsmäßig, wenn sie auch anfangs ein wenig angestrengt wirkt". Die Produktion sei "im besten Sinne genau, nicht museal, sondern auf sympathische Weise gründlich ausbalanciert und durchdacht", die Aufführung atme, lebe, wirke "geschlossen, sinnlich, beleuchtet bis in die hintersten Ecken. Da stimmt einfach alles".

 

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