Bestechender Flow der Geschichte

von Anke Schaefer

Saarbrücken, 6. Februar 2009. "Die Geschichte darf nicht zu einem Mühlstein werden, der uns niemals aus der Vergangenheit entlässt", mahnt Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag am 10. Mai 1972. An diesem Tag hält er die Rede zur Ratifizierung der Ostverträge. Er wirbt dafür, mit den Staaten im Osten, mit Polen und der Sowjetunion, eine Partnerschaft aufzubauen, die diejenige mit den Staaten im Westen ergänzt. Es ist eine eindringliche Rede für den Frieden und daher eine Rede ganznach dem Geschmack der Performancegruppe "Die Redner".

Die hat sich in Saarbrücken 2007 zusammengetan, um zu erforschen, wieviel Musik in politischen Reden steckt. Und siehe da: jede Menge. 2007 haben "Die Redner" das mit ihrer ersten Produktion bereits klargemacht. Damals hatten sie eine Rede von John F. Kennedy zu einer Live-Performance verarbeitet und diese "jfk-show" wurde allenthalben sehr gefeiert. Ihre neue Produktion heißt nun "EuroVision: Brandt de Gaulle".

Gut notierbare musikalische Einheiten
De Gaulle hat das erste und das letzte Wort, weil er mit seinen Visionen zu einem friedlichen Europa so ein schönes Pendant abgibt. Aber Willy Brandt ist der Hauptredner des Abends. Und er hat ein eigenes Tempo. "Das Tempo 112 ist immer in seinen Reden versteckt, und es gibt notierbare musikalische und rhythmische Einheiten, bis hin zu Tonalitäten und Harmonien", sagt begeistert Saxophonist Claas Willeke, der das neue Stück gemeinsam mit Schlagzeuger Oliver Strauch komponiert hat.

Das heißt: es ist eigentlich schon alles da. "Die Redner" setzen sich intensiv mit ihren Protagonisten auseinander und übersetzen die Rede dann "einfach nur" in Musik. Gut, das Tempo 112 mag nun nicht jeder gleich erfassen. Was aber auffällt, ist die durchgehende Ästhetik, der bestechende Flow, der auch diese zweite Performance der "Redner" wieder kennzeichnet. Eine Präzision im Klang, ein Aufeinanderabgestimmtsein zwischen Willy Brandt und seinen Musikern. Das sind außer Willeke und Strauch auch Florian Penner (Bass) und Bernhard Wittmann (Keyboard).

Hinter dem Quartett laufen auf hohen Leinwandelementen Bilder (Film: Florian Penner). Einmal sehen wir da ein paar Schauspieler, die die Opposition mimen, die zaudert und gegen die Aussöhnung mit dem Osten ist. Dann wieder sehen wir eine alte Schreibmaschine, die Buchstaben tippt. Nur wenige historische Fotos, aber Brandts berühmter Kniefall von Warschau darf am Schluss natürlich nicht fehlen.

Die Geschichte gerät ins Fließen
Als Brandt aber seine stärksten Aussagen formuliert, da fahren wir an einem Wasser vorbei, da fließt die Musik, das Bild, und, ja, das passt. Denn da war alle Stagnation für einen Moment aufgehoben, da geriet die Geschichte ins Fließen. Viele Ebenen, gekonnt kombiniert, regen zum Nachdenken an. Vor allem natürlich über diese besonderen Augenblicke im Leben eines Politikers, der plötzlich, in einem begnadeten Moment, genau die Worte und die Überzeugungskraft findet, die ein ganzes Volk auf Frieden einschwören. Da könnte man auch eine Geschichtslektion daraus machen. Doch das ist dieser Abend nicht. Hier wird nicht doziert und nicht gelehrt. Hier spürt die Musik dem politischen Genius nach. Ganz leicht. Und klar. Ein eigenwilliges Konzert. Und eben als solches schlicht ein Genuss.

 

EuroVision: Brandt de Gaulle
eine Multimedia-Performance der Gruppe "Die Redner"
Komposition: Florian Penner, Oliver Strauch und Claas Willeke, Bühne: Georg Wickert, Film: Florian Penner.
Mit: Florian Penner (Bass), Oliver Strauch, Claas Willeke (Saxophon, Electronics), Bernhard Wittmann  (Keyboard, Akkordeon, Sound).

www.die-redner.de
www.saarlaendisches-staatstheater.de


Zuletzt haben wir im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken im Sommer 2008 das Festival für französische Gegenwartsdramatik Primeurs besucht.

Kritikenrundschau

Zwar sei der Brückenschlag von Willy Brandt zu Charles de Gaulle eine "etwas bemühte Konstruktion", schreibt Kerstin Krämer in der Saarbrücker Zeitung (9.2.2009), doch davon abgesehen sei der Gruppe "Die Redner" mit "EuroVision: Brandt de Gaulle" in Saarbrücken "wieder ein großer Wurf gelungen: Keine trockene Geschichtsstunde, sondern eine visuell wie musikalisch hochkarätige, komplexe und humorvolle Aufarbeitung, an deren Realisierung etliche Gäste beteiligt waren. Hochenergetischer Jazz, gelungene Bilder und charmanter Witz."

 

Kommentar schreiben