Künstler gegen Kämmerer

Jelenia Góra, Februar 2009. In der schlesischen Stadt tobt ein Kampf um das neue Theater und seinen Direktor Wojtek Klemm.

Von Magda Piekarska

Jelenia Góra, Februar 2009. Die schlesischen Theater nehmen in künstlerischer Hinsicht landesweit vordere Plätze ein. Das aktuelle Ranking des Wochenmagazins "Wprost" listet gleicht fünf schlesische Bühnen unter den ersten zehn. Führend sind die Theater aber auch, was Affären und Konflikte zwischen Intendanten und Lokalpolitikern betrifft. Nach gerichtlich ausgefochtetenen Streitigkeiten zwischen dem Intendanten des Modrzejewska-Theaters in Legnica, Jacek Głomb, und Stadtpolitikern tobt derzeit in Jelenia Góra ein Kampf um das Norwid-Theater und seinen Direktor Wojtek Klemm.

Die Kontrahenten, das Ensemble und der Stadtrat, haben sich in ihren Bastionen verschanzt und sagen wie mit einer Stimme: "Wir bleiben hart." Nur reden die einen von Kunst und die anderen von Geld. Die lokale Boulevardpresse heizt den Konflikt an und übernimmt gleichzeitig die Erzählerrolle.

Dieses Theater wollen wir nicht!

"Leider scheint für das Team um Herrn Klemm Kunst ohne Erbrochenes und Fäkalien, die sich Schauspieler ins Gesicht schmieren, nicht denkbar. Man muss inzwischen einen Bogen um das Theater machen, denn dort stinkt es nach… nun, man weiß wonach", hieß es vor gut drei Wochen im lokalen Boulevardblatt "Jelonka" in einer Rezension zu Paweł Demirskis "Kinderspiel" (Regie: Monika Strzępka). "Die Schauspieler haben vergessen, dass es sich nicht um den Privatbesitz ihres Gurus, sondern um eine öffentliche Institution handelt."

Die "Jelonka"-Redaktion ist dem Norwid-Theater eindeutig nicht wohlgesonnen, schreibt aber fast täglich darüber. Und ihre Standpunkte werden von einigen Stadträten übernommen: "Wenn ihr eine Kunst aus Erbrochenem, Fäkalien und Vulgarismen schaffen wollt, dann macht das bitte woanders und auf eigene Kosten", schrieb Jerzy Lenard, Vorsitzender der Stadtratsfraktion der Bürgerplattform (PO) in einem offenen Brief an das Ensemble.

Dem stehen die Schauspieler des Theaters in nichts nach. Sie werfen ebenfalls in einem offenen Brief den Abgeordneten des Stadtrats unter anderem Arroganz und Niedertracht vor. "Wir möchten nicht, dass Leute unser Theater als Privatbesitz betrachten, die an seiner Existenz keinerlei Interesse haben", heißt es dort.

Worum geht es? Wie fast immer in solchen Fällen um die Vorstellung von Theater und die Person des Intendanten, den die Schauspieler behalten und die Stadtpolitiker loswerden wollen.

Dieses Theater ist ehrlich!

Seit zwei Jahren leitet Wojtek Klemm das Norwid-Theater. Der 37-jährige Regisseur hat die Berliner Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst absolviert. Danach hat er in Deutschland und Österreich gearbeitet und war Castorf-Assistent an der Berliner Volksbühne. "Jelonka" stellt ihn so vor: "Klemm ist ein polnischer Jude, der seit zwanzig Jahren in Deutschland lebt."

Über diesen Satz hat sich Klemm sehr gewundert: "Meine ethnische Zugehörigkeit und mein Wohnsitz sind doch unwichtig. Ich glaube aber, dass meine Gegner mich zum Fremden machen wollen, weil sie denken, das es ihnen nützt."

Unter Klemm erlangte das Norwid-Theater immer größeres Ansehen bei den Kritikern. Inszenierungen wie "Elektra", "Der Tod des Eichhörnchenmenschen" oder "Gog und Magog" waren große überregionale Ereignisse. Gleichzeitig – das betont der Stadtrat – wandte sich das Publikum ab. Zumindest der Teil, dem die brutale Sprache der "Grausamen und Zartfühligen" (Regie: Remigius Brzyk), einer Bearbeitung von Sophokles' "Trachierinnen", oder der Einfall, die Handlung von Schillers "Kabale und Liebe" (Regie: Katarzyna Raduszyńska) in einen Bienenstock zu verlegen, zu weit gingen. Ganz zu schweigen von der Erbrechensszene in dieser Inszenierung.

Die inkriminierten Fäkalien in Paweł Demirskis "Kinderspiel" (Regie: Monika Strzępka) gab es allerdings nicht, wie Wojtek Klemm bestätigt: "In 'Kinderspiel' isst lediglich eine Figur Schokolade und beschmiert sich damit. Wir machen ehrliches Theater und präsentieren dem Publikum Künstler, die es früher mochte. Monika Strzępka und Paweł Demirski haben vor zwei Jahren den Zuschauerpreis des hiesigen Theatertreffens gewonnen, also habe ich sie zur Zusammenarbeit eingeladen. Ähnlich war es bei Natalia Korczakowska, der Regisseurin von 'Tod des Eichhörnchenmenschen'."

Besonderes Theater braucht besondere Behandlung

Die Stadträte rechnen dagegen vor: Der letztjährige Etat des Norwid-Theaters betrug 3 Millionen Złoty (ca. 800.000 Euro), wovon nur 130.000 Złoty aus Kartenverkäufen kamen. Vor zwei Jahren hatte das Theater 15.000 Zuschauer, 2008 nur noch 7.500. Die Chefdramaturgin des Theaters, Joanna Wichowska, hält den Rückgang der Zuschauerzahlen nach einem Wechsel der Leitung und der künstlerischen Ausrichtung für normal. Und verweist auf wieder steigende Zuschauerzahlen: "'Kabale und Liebe' war im Dezember zu 90 Prozent ausgelastet, 'Der Tod des Eichhörnchenmenschen' zu 75 Prozent."

Der Theaterhistoriker Janusz Degler merkt dazu an, unter solchen Bedingungen hätte etwa ein Theater wie das von Jerzy Grotowski nie entstehen können: "Ich habe in den 1960ern den "Standhaften Prinz" mit vier anderen Zuschauern gesehen, Grotowski mitgezählt. Aber in Breslau hat ihm das niemand vorgeworfen. Man wusste, es handelt sich um ein besonderes Theater, das eine besondere Behandlung verdient. Die Blüte des polnischen Theaters in den 1960er und 70er Jahren war auch die Frucht eines klugen Mäzenatentums und des Vertrauens in die Künstler, die nicht um Subventionen betteln mussten."

Manche Lokalpolitiker geben offen zu, dass sie dem Theater fernbleiben, weil sie es nicht mögen. Unter anderem, weil – wie Jerzy Lenard erklärt – "man in manchen Stücken eine Sprache zu hören bekommt, für die sich die Herren an den Bierbuden schämen würden."

Seine Ratskollegen Hubert Papaj und Cezary Wiklik schreiben in ihrer Reaktion auf den offenen Brief der Schauspieler: "Sie haben es geschafft, den Zuschauerraum leerzuspielen (...). Wir gratulieren zu den guten Rankings, den Festivaleinladungen und den euphorischen Kritiken (...). Wir freuen uns, dass das ihr Selbstbewusstsein stärkt (...), wenngleich uns auch weniger euphorische Stimmen zu Ohren kommen (...). Das Theater in Jelenia Góra sollte vor allem den Einwohnern dienen, die es finanzieren, und nicht den großen Festivals oder den sublimen Geschmäckern und Erwartungen von Rezensenten und Theaterwissenschaftlern."

Auch der Kritiker von "Jelonka" bekennt unumwunden: "Ich habe die Inszenierung nicht gesehen und habe es auch nicht vor. Ich gehe nicht in dieses Theater, weil es mir nicht gefällt. Wenn ein Herr Regisseur große Kunst machen will, dann soll er doch bitte selbst dafür aufkommen."

Managertheater oder Künstlertheater?

Der jüngste Akt des Dramas begann mit der Verabschiedung eines neuen Theaterstatus durch den Stadtrat. Schauspiel- und Puppenbühne wurden getrennt, und man änderte einen Passus, der den Einfluss des Stadtrats in der Programmdirektion des Theaters begrenzte. Es fehlt nun das Wort "zwei", das die Zahl der Vertreter des Stadtrats in diesem Gremium festlegte. Zudem wurde die Intendantenstelle zu Ende März neu ausgeschrieben.

Der Ausschreibungstext lässt Wojtek Klemm so gut wie keine Chance auf eine Vertragsverlängerung, formuliert er doch Anforderungen, die Klemm – wie viele wichtige polnische Regisseure, sei es Krystian Lupa oder Krysztof Warlikowski – durchweg nicht erfüllt: ein Universitätsdiplom sowie Management- und mindestens fünf Jahre Leitungserfahrung.

Man möchte einen Manager als alleinigen Direktor installieren, der künstlerische Leiter wäre ihm untergeordnet. Für Polen wäre das eine absolute Neuheit – die meisten Theater haben zwei gleichberechtigte Direktoren, von denen einer für die künstlerische Arbeit verantwortlich ist, oder aber (wie das Breslauer Teatr Współczesny oder das Modrzejewska-Theater in Legnica) einen Künstler als einzigen Leiter.

Krystian Lupa sagt zum Fall Jelenia Góra: "Das Theater gehört nicht den Künstlern, aber die Künstler sind auch nicht das Eigentum von Unternehmern. (...) Wenn man im Theater nur eine Leitungsposition schafft, für die man keinerlei künstlerische Qualifikation verlangt, dann ist das traurig, weil es die Kunst vernichtet und außerdem niemandem nützen wird."

Lupa ist einer von vielen polnischen Theaterkünstlern, die sich in offenen Briefen für das Norwid-Theater und Wojtek Klemm einsetzen. Zu den Unterzeichnern gehören, um nur einige Regisseure zu nennen, auch Jan Klata, Michał Zadara, Piotr Szulkin oder Anna Augustynowicz.

Spott und Happening

Die Theaterleute in Jelenia Góra könnten dabei durchaus von den Kollgen aus Legnica und Wrocław lernen. Jacek Głomb, unter dessen Leitung das Theater in Legnica zu einer der besten Bühnen Polens wurde, machte seinen Konflikt mit Tadeusz Krzakowski, dem Oberbürgermeister der Stadt, zum Happening. Spottverse auf Krzakowski und Plakate, die eine Premiere mit dem Titel "Der Gerichtsvollzieher" und dem Bürgermeister in der Hauptrolle ankündigen, ließen ihn schon vor der juristischen Klärung des Streits als Sieger dastehen.

Die öffentliche Meinung war eindeutig: Ein intelligenter, geistreicher Theaterdirektor wird von einem aufgeblasenen und völlig humorlosen Politiker schikaniert. Als ebenso effektiv erwies sich die pathetische Empörung, die Krzysztof Mieszkowski, der Direktor des Breslauer Teatr Polski, in der Auseinandersetzung mit dem Marschall der Woiwodschaft Niederschlesien an den Tag legte.

Anlass war Mieszkowskis verschwenderischer Umgang mit öffentlichen Mitteln, aber in der öffentlichen Wahrnehmung sah es aus, als würde große Kunst durch seelenlose Amtskämmerer zerstört. Damit stand das Ergebnis fest – die Kämmerer gaben nach.

Für den Theaterhistoriker ist das alles nicht neu: "Derlei Konflikte gibt es, seit das Theater zur öffentlichen Institution wurde", sagt Janusz Degler. "Sein Unterhalt erfordert Geld. Und die Verwaltungsbeamten behandeln es wie ein Unternehmen, das Gewinn bringen soll. Als Stanisław Wyspiański sich 1905 um den Direktorenposten des Krakauer Stadttheaters bewarb, präsentierte er dem Stadtrat einen großartigen Spielplan. Doch die Ratsherren fürchteten die absehbaren Kosten und gaben die Stelle Ludwig Solski. Der Warschauer Magistrat wiederum war 1926 so entsetzt von Leon Schillers Inszenierungen im Bogusławski-Theater, dass er es schließen ließ und ein Kino daraus machte. Hätte man den Künstlern eine Chance gegeben, wäre die Geschichte des polnischen Theaters anderes verlaufen. Hier siegte kleinkariertes Denken über die künstlerische Vision."

Ob in Jelenia Góra die Künstler oder die Kämmerer siegen, ist derzeit allerdings noch offen.

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann
 

Der Text erschien am 5. Februar in der "Gazeta Wyborcza – Wrocław". Magda Piekarska, geboren 1973, studierte Polonistik an der Universität Wrocław und ist Mitarbeiterin der "Gazeta Wyborcza".