12. August 2024. Der Regisseur Christof Nel ist tot. Das gibt die Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg bekannt, an der Nel von 2011 bis 2022 beschäftigt war.

Nel, Jahrgang 1944, studierte zunächst Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in München. Seine Theaterkarriere begann er als Schauspieler an Peter Steins Schaubühne am Halleschen Ufer. Ab 1974 inszenierte er selbst, ab den Achtzigerjahren auch an Opernhäusern.

Drei seiner Inszenierungen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen: "Rotter" von Thomas Brasch (Schauspiel Stuttgart, 1978); "Antigone" nach Friedrich Hölderlin und Sophokles (Schauspiel Frankfurt, 1979) und "Alte Meister" von Thomas Bernhard (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 1998).

Nel lehrte an mehreren Hochschulen, 2012 bis 2016 war er Studiengangsleiter für Theaterregie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg. Dessen Geschäftsführer schreibt auf der Website der AdK: "Seine Kunst, sein Diskurs, seine Art der Diskussion, der Auseinandersetzung und der Dialektik, des Aufbegehrens und Beharrens waren der Freiheit der Kunst und dem Respekt vor der Komplexität des Individuums verpflichtet. Das hat Maßstäbe gesetzt und hat die Lehre und die Ausbildung an der ADK bis heute geprägt."

Auf nachtkritik.de sind Kritiken zu Christof Nels Frankfurter Inszenierungen zu Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O'Neill (März 2008) und Hinkemann von Ernst Toller (März 2007) erschienen.

(AdK Baden-Württemberg / Berliner Festspiele / miwo)

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Kommentare  
Christof Nel: Wahrhaftigkeit
... ein verregneter Herbst 2013 ... "Falstaff" am NTM, Deine letzte Opernproduktion ... wir zwei Assistenten um 8 Uhr früh raus zur Probebühne Neckarau ... gemeinsam dispositionelle Parameter auf Kunstleder-Sofas durchkauen ... Doppelbesetzungen als Widerspruch zur persönlichen Prägung der Figur ... daneben stets an Deiner Seite: Deine Frau zur Szenischen Analyse, zur Einordnung der Gegebenheiten einer Fabrik wie Mannheim in Dein künstlerisches Verständnis ... stets vorsichtig bei den Proben, kein Wort zuviel ... mehr Verwunderung als Ärger über die Unwägbarkeiten des Betriebs ... in der Theater-Illusionsmaschinerie immer bestrebt nach Wahrhaftigkeit ... dass Du sie finden mögest!
RIP

Valentin Schwarz & Dorian Dreher
Christof Nel: Ein großer Vorsichtiger
Das Feuilleton ist entsetzlich ruhig angesichts dieses Todes.
Danke an Nachtkritik.de, dass zumindest ihr ihn nicht vergessen habt.

Christof war ein großer Vorsichtiger, einer, der erst lange (nach-)dachte bevor er handelte, der sich die Entscheidungen nicht leicht machte, mit ihnen haderte. Und dann doch wieder mutig voranschritt und sich entwaffnend offen, ja, neugierig, der Kritik stellte.
Gut, dass es dich gab. Danke, dass wir von dir lernen durften.
Christof Nel: Dankbarkeit
Christof Nel hat in der Spielzeit 2012/2013 "Der Prinz von Homburg" (Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann nach H. v. Kleist) am Staatstheater Mainz inszeniert. Ihm und dem gesamten Team (Hermann Bäumer, Michael Millard, Martina Jochem, Barbara Aigner, Roland Aeschlimann, Alexander Dölling, Julia Glass ...) ist eine bewegende, erschütternde Produktion dieses Werkes zu verdanken. Seine Arbeitsweise entsprach seinem Umgang mit Menschen - einschließlich mir, dem Dramaturgen damals: Von größter, menschenfreundlichster Offenheit geprägt dazu ermutigend, die existenziellen Fragen von Leben und Tod zu stellen, alle Fragen und die Suche(n) nach Antworten auf der Bühne ins Spiel und prägnant zur Aufführung zu bringen. Vida Mikneviciute (Natalie), Christian Miedl (Prinz), Ks. Hans-Otto Weiß (Kottwitz), Thorsten Büttner (Hohenzollern), Saem You, Ahra Cho, Christian Rathgeber, Richard Logiewa u. v. a. m. schufen damals gemeinsam mit Hermann Bäumer (Musikalische Leitung) und Christof Nel einen Abend voll schmerzlicher Ambivalenz, getragen von einer klaren Haltung angesichts des Grauenhaften, das Menschen in Geschichte und Gegenwart einander antun. Christof Nel war, ist und bleibt mit seiner ganzen Persönlichkeit eine existenzielle Ermutigung, Fragen zu stellen und sich diesen Fragen zu stellen. Mit ganzer Seele Dank.
Christof Nel: Dankbare Erinnerung
Christof Nel verbindet sich für mich auf immer mit seinem "Freischütz" in Frankfurt 1983. Er hat mir diese Oper Webers erschlossen: Kein biedermeierliches Gruseltheater (wie damals noch oft zu sehen), sondern existenzielle Aneignung der Geschichte von Weber und Kind. Keine szenischen Ausflüchte oder bemühte Zutaten, sondern hart am Werk. Die Texte Kinds habe ich nie mehr so atemberaubend spannend auf der Bühne gehört: Jedes Wort saß und traf. Die unheimlichen Augen als Präsenzzeichen Samiels im Bühnenbild Axel Mantheys. Walter Raffeiners verzweifelter Kampf um sich selbst als Max. Die Wolfsschlucht höchst artifiziell, weg von allem Geisterbahnambiente, symbolisch hochkonzentriert und damit herzzerpressend furchtbar. Beatrice Niehoffs Agathe im Strahl des reinen Lichts ("Und ob die Wolke ..."). Das existenzielle Grauen im "Freischütz" - hier schwebte es unfassbar, unheimlich, unentrinnbar im Raum. Danke dafür, Christof Nel, R.I.P.
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