2. September 2024. Karl Sibelius, von August 2015 bis November 2016 Generalintendant des Theaters Trier mit künstlerischer, kaufmännischer und personeller Gesamtverantwortung, muss sich seit heute vor dem Landgericht Trier wegen Untreue verantworten. Da berichten übereinstimmend verschiedene Medien, darunter der SWR

Sibelius, der 2015 aus Eggenfelden nach Trier gewechselt war, wird vorgeworfen, den Theateretat 2015 um 1,3 Millionen Euro und 2016 um 1,7 Millionen Euro überschritten zu haben. Um das Defizit zu decken musste die Stadt den Berichten zufolge seinerzeit einen Kredit in Höhe von einer Million Euro aufnehmen. 

Sibelius' Rechtsanwalt Andreas Ammer, erklärte den Berichten zufolge, die Vorwürfe aus der 53 Seiten langen Anklageschrift seien im Kern zutreffend. Allerdings würden daraus falsche Schlüsse gezogen. So sei kein Vorsatz ableitbar. Ab Ende 2015 sei kein Finanzcontroller mehr da gewesen und Sibelius sei kein Budget vorgegeben worden. "Es geht in diesem Prozess nicht darum, ob Karl Sibelius ein guter Intendant gewesen ist oder ob er den Laden gut geführt hat", zitiert der SWR Sibelius-Anwalt Ammer. "Der Punkt ist, ob er sich strafbar gemacht hat." Dabei sei klar, dass Sibelius sich "nicht einen einzigen Euro in die eigene Tasche gesteckt" habe. Er habe auch kein Geld zweckentfremdet, sondern "alles fürs Theater ausgegeben".

Sibelius' Start war damals durchaus spektakulär. Die Eröffnungsinszenierung seiner Intendanz stammte von Thorleifür Ör Aarnarson. Er führte eine flexibles Ticketsystem ein und brachte das Theater Trier auch überregional in den Fokus. Erst im Mai 2016 fiel auf: der Etat des Theaters wurde überzogen. Sibelius, dessen Vertrag eigentlich bis 2020 laufe sollte, wurde vorzeitig gekündigt. Die Stadt musste eine Abfindung in Höhe von 300.000 EUR zahlen. 

Etwa viereinhalb Jahre hätten die Ermittlungen gegen Karl Sibelius wegen des Verdachts der Untreue gedauert, so der SWR. Im Januar 2022 habe die Staatsanwaltschaft Trier Anklage gegen den ehemaligen Intendanten ehoben. Jetzt, acht Jahre nach dem Zeitraum, auf den sich die Vorwürfe beziehen, hat am Landgericht Trier der Prozess wegen Untreue begonnen.

Sibelius selbst habe nach seinem Weggang aus Trier einen Schlaganfall erlitten. Künstlerisch sei er inzwischen kaum noch tätig und arbeite inzwischen als Psychotherapeut in Linz in Österreich.

(Tagesschau.de / SWR / sle)

Update vom 3. September 2024. Das Verfahren wurde mit dem ersten Verhandlungstag eingestellt – "gegen eine Auflage von 10.000 Euro", wie der SWR meldet. "Die Kammer wolle "die Kirche im Dorf lassen" und schlug die Einstellung des Verfahrens wegen geringfügiger Schuld vor."

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Kommentare  
Prozess Trier: Verfahren eingestellt
Wäre schön, wenn Nachtkritik auch melden würde, dass das Verfahren gegen Sibelius heute direkt eingestellt wurde. Und im übrigen auf eine Anzeige der AfD zurückgeht. Wie lange die Eröffnung (und sofortige Einstellung) des Verfahrens gedauert hat, ist an sich schon ein Skandal - so vernichtet man einen Menschen, indem Ewigkeiten ein unbewiesener Vorwurf im Raum steht. Da sollte Nachtkritik dann schon umfassend und fair berichten - wenn man schon der Meinung ist, diese Sau noch einmal durchs Dorf treiben zu müssen.

(Anm. Redaktion. Wir haben die Meldung mit einem Update versehen. Dass das nicht vorher, über Nacht passieren konnte, hängt mit den Dienstzeiten der Redaktion zusammen.)
Prozess Trier: Linkhinweis
Das ist eine irreführende Meldung, denn der Prozess wurde am ersten Tag bereits eingestellt.

https://www.wort.lu/kultur/verfahren-gegen-trierer-ex-theaterintendanten-eingestellt/18944767.html
Prozess Trier: Die Savonarolas unserer Tage
Das ist schon ziemlich unheimlich. Da wird ein Verfahren "wegen geringfügiger Schuld" eingestellt, aber der Ruf des Beschuldigten ist nachhaltig beschädigt. Es hat den Anschein, dass solche Vorgänge zunehmend goutiert werden. Die Herstellung von Öffentlichkeit und die Aufdeckung von tatsächlichen Missständen ist eine demokratische Tugend. Aber man sollte äußerste Sorgfalt walten lassen, damit aus dem Einsatz für Wahrheit und Transparenz nicht Denunziation und Menschenverachtung wird. Es ist noch nicht Selbstzensur, wenn man abwartet, bis alle Zweifel beseitigt sind, statt mit einer vorschnellen Meldung nach Aufmerksamkeit zu fischen. Die Anstrengungen, den durch ungerechtfertigten Verdacht angerichteten Schaden wieder gutzumachen, sind jedenfalls meist deprimierend bescheiden. Wer fragt danach, wohin jene verschwunden sind, denen man - wie sich herausstellte: ungerechte - Vorwürfe gemacht hat? Und wo haben die De-Facto-Verleumder für ihren Eifer bezahlt? Die Savonarolas unserer Tage wähnen sich in ihrer Selbstüberschätzung als kleine Assanges und Snowdens und sind doch nur Pharisäer.
Prozess Trier: Lauter Chiffren
Lieber Thomas Rothschild,
vielen Dank für Ihren guten Kommentar. Eine breitere Debatte über dieses Thema wäre gerade in einem digitalen Medium, das wohl immer unter clickbait-Verdacht stehen wird, wichtig und angezeigt, um Glaubwürdigkeit zu bewahren.
Mein persönliches Unbehagen rührt aus der Erfahrung, dass eine große Anzahl sich progressiv Dünkender sehr schnell bei der Hand ist mit Argumenten wie "strukturelles" dies oder das und mit dieser Vorrede jede rechtsstaatliche Untersuchung unter den Generalverdacht stellen sowieso nur Unrecht fortzuführen und zu chronifizieren. Stattdessen werden shit-storm, Pranger und canceln als "legitime" Mittel ins Feld einer zu erarbeitenden, guten, neuen Welt ins Feld geführt. Für mich fühlt sich diese Praxis stark an wie "gerechter Volkszorn", "gesundes Volksempfinden" oder einfach nur "die Wahrheit" - lauter Chiffren einer standrechtlichen Weltordnung der happy few. Abwägung, Argument, multi-Perspektivität, distanziertes, institutionelles Versachlichen kommen bei soviel Selbstgewissheit/gerechtigkeit nicht mehr in Betracht. Das ist jetzt alles sehr zugespitzt, aber die Schäden an Psyche, Karriere etc. derjenigen, die bei diesen öffentlichen Vorverurteilungen "gerichtet" werden sind real und verdienen auch beachtet zu werden.
Prozess Trier: Dank
Sehr geehrter Herr Rothschild,

danke für Ihr Statement. Das trifft es auf den Punkt.
Prozess Trier: Danke
Recht hat Herr Rothschild. Danke auch an die Nachtkritik, dem noch mal hier ein Forum zu geben.
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