Aufruf: Jetzt! Stopp der FPÖ! - Künstler*innen der Produktion "Burgtheater" von Elfriede Jelinek wenden sich vor den Nationalratswahlen an die Öffentlichkeit
Milo Rau & Team gegen die FPÖ
3. September 2024. Im Mai 2025 wird Milo Rau am Wiener Burgtheater Elfriede Jelineks Skandalstück "Burgtheater" erstmals in Österreich aufführen. Jetzt meldet sich das Team der Produktion mit einem Aufruf zu Wort. Vor den Nationalratswahlen fordert es: Stopp der FPÖ!
Von Mavie Hörbiger, Elfriede Jelinek, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Claus Philipp & Milo Rau
3. September 2024. nachtkritik.de dokumentiert den Aufruf der Künstler*innen gegen die rechtsradikale FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), die schon mehrfach an der Bundesregierung beteiligt war und aktuell in allen Länderparlamenten vertreten ist, im kompletten Wortlaut.
Widerstand Jetzt! Stopp der FPÖ!
Gegen die Rückkehr zum Ständestaat – für echte Demokratie und wahre Freiheit!
"Diese Leute wollen also über uns bestimmen. Das kann unmöglich von uns angenommen werden." (Elfriede Jelinek bei der Ausrufung der Freien Republik Wien, Mai 2024)
Im Mai 2025, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wird Elfriede Jelineks 45 Jahre lang für Österreich gesperrte Stück "Burgtheater" endlich aufgeführt – im Burgtheater selbst! Regie führt Milo Rau, in den Hauptrollen sind Mavie Hörbiger, Birgit Minichmayr und Caroline Peters zu sehen. Das Stück der Nobelpreisträgerin, das 1985 bei seiner Uraufführung in Bonn zum größten Theaterskandal der Republik führte, beschreibt die beschämende Rolle, die die Kultur- und insbesondere Theaterszene in Nationalsozialismus und Faschismus – vor und nach dem Krieg – spielte, sei es aus Gleichgültigkeit oder Mitläufer:innentum. Nicht noch einmal, sagt das künstlerische Team von Burgtheater, und wendet sich heute, drei Wochen vor den österreichischen Nationalratswahlen an die Öffentlichkeit.
Von Ungarn bis in die Slowakei sitzen rechtsradikale Parteien in den Regierungen und schaffen die freiheitlichen Rechte, die Presse- und Kunstfreiheit nach und nach ab. Gerade erst wurde der Generaldirektor des Nationaltheaters der Slowakei abgesetzt – von einer Ministerin, die den "Genderwahn" durch eine "nationale Kultur" ersetzen will. Die Wiener Festwochen protestierten in einem Offenen Brief an den slowakischen Premierminister Fico, den bis heute Tausende europäische Bürger:innen unterschrieben haben.
Aber was diesen Sommer in der Slowakei geschieht, kann schon im Herbst zur Realität werden in Österreich, sollte die FPÖ an die Macht kommen. Die Freiheitliche Partei und ihr "Volkskanzler" fordern einen sofortigen Stopp der "staatlichen Zwangsabgaben" (sprich Subventionen) für "woke events" wie den European Song Contest und die Wiener Festwochen – nur ein besonders absurder Punkt in einem Wahlprogramm, das unter dem auf Joseph Goebbels' "Festung Europa" anspielendem Titel "Festung Österreich" die Umwandlung der Republik Österreich in eine Art Ständestaat 2.0 fordert mit autoritärer Regierung und radikal-nationalistischer "Österreich zuerst"-Ideologie.
Das auf kulturelle und ethnische Homogenität setzende Wahlprogramm lässt klassische Rechtsaußen-Parteien wie die deutsche AfD oder das französische Rassemblement National konservativ wirken. Denn was man bei ihren europäischen Partnerparteien in geheimen Chat-Protokollen suchen muss, erörtert die FPÖ offen auf über 100 Seiten: Die "zwei Geschlechter" sollen per Verfassung festgeschrieben werden, Mindestsicherung nur an Staatsbürger ausgezahlt werden, "Remigration" radikal durchgeführt und überhaupt eine Zweiklassengesellschaft hergestellt werden. Die FPÖ will sich im Falle eines Wahlsiegs "die volle Verfügungsgewalt über die drei wesentlichen Elemente – Regierung, Raum und Volk – verschaffen". Wir sagen: Demokratiefeindlicher und offen nationalsozialistischer kann eine Rhetorik nicht sein!
Doch warum auch die Absichten noch verschleiern? Bei den EU-Wahlen hat die FPÖ bereits die Mehrheit erreicht, für Ende September erwarten alle Voraussagen bei den österreichischen Nationalratswahlen das gleiche. Beunruhigend ist aber nicht nur diese Prognose, sondern die Gleichgültigkeit, mit der die Kunst- und Kulturszene dazu schweigt – als würde der Wahnsinn des Wahlprogramms im Fall eines Siegs am 29. September nicht umgesetzt, als würde eine bereits sturmreif geschossene EU, die unter unseren Augen zerbröckelt, auch diese Attacke noch überleben. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir uns mit falscher Vernunft und Überheblichkeit über die wahren Absichten der Rechten getäuscht haben.
Lassen wir nicht zu, dass aus Selbstgerechtigkeit und Gleichgültigkeit – noch einmal – Mitläufer:innentum wird! Denn wie bereits in der Slowakei und in Ungarn geschehen, wird die FPÖ in Österreich genau das tun, was sie ankündigen: Millionen Menschen zu Bürger:innen zweiter Klasse erklären, sie ausweisen, die republikanischen Institutionen zertrümmern, eine vielfältige Kunst und Kulturlandschaft "heimisch" gleichschalten. Kurz: die Demokratie und die freiheitliche Gesellschaft zum Verschwinden bringen.
Wir sagen: Bis hierher und nicht weiter! Keine einzige Stimme der FPÖ!
Das "Burgtheater"-Team
Mavie Hörbiger, Elfriede Jelinek, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Claus Philipp & Milo Rau
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Frage: Hatte sich Enzensberger auch auf Göbbels bezogen mit "Festung Europa" oder gesichert auf anderes?
Das Wahlprogramm der FPÖ scheint eine sehr gute Stückgrundlage abzugeben, ich muss mir das mal runterladen, vielleicht kann man volksraumgreifend was daraus machen, vielleicht antikisiert "Die Rhetoriker"...
Es gibt in Österreich derzeit (noch) fast überhaupt keinen öffentlich wirksamen Diskurs zum völkischen Programm der FPÖ - obwohl alles offen und unmissverständlich daliegt. Von einem antifaschistischen Konsens der demokratischen Parteien - Stichwort: Brandmauer - gar nicht zu sprechen. Eher scheint das in Österreich ein bisschen zur politischen Folkore zu gehören: Ach, die Blauen; ach, der Kickl!
Das Schweigen und Normalisieren hat eine lange österreichische Tradition und historische Vorbilder. Man kann das z.B. eindrucksvoll im jüngst im Salzburger Residenzverlag erschienenen Buch MASKERADEN von Alfred Pfoser, Béla Rásky und Hermann Schlösser nachlesen, das sich an einer episodischen Kulturgeschichte des Austrofaschismus (1933-1938) versucht und das den schleichenden Übergang bis zum Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich auch im Kunst- und Kultursektor nachzeichnet.
Umso wichtiger, dass jetzt darüber gesprochen wird - in der Hoffnung, dass der eine oder die andere Wähler*in doch nochmal über seine*ihre Stimme am 29. September nachdenkt.
Danke an die Verfasser*innen und an alle, die es ihnen gleichtun ... Jede Stimme, die spricht und gehört wird, zählt ...