Nathan der Weise - Staatsschauspiel Dresden
Fast erstickt in Parodie
8. September 2024. Hermann Schmidt-Rahmer spottet in Dresden über die Versöhnungsaussichten der Weltreligionen in Lessings Toleranzstück "Nathan der Weise". Und sucht mit Fremdtexten das Öl im Feuer gegenwärtiger Konflikte.
Von Michael Bartsch
8. September 2024. Lessings "Nathan" erlebt heute, ähnlich wie nach 1945 in der Reaktion auf die NS-Zeit, mit dem derzeitigen Aufflammen von Hass und Gewalt eine Renaissance. Die Hoffnung, das Theater könne vielleicht doch noch als eine moralische Instanz in Zeiten völliger Orientierungslosigkeit taugen, stirbt zuletzt. Eine Woche nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen erscheint eine Parabel auf die Toleranz, auf die Suche nach dem echten Ring, der verfeindete Lager verbinden könnte, dringender denn je.
In Dresden befindet man sich mit dem bekannten Stück und seiner bekannten Versöhnungsbotschaft im Fernwettkampf schon erlebter Titelrollenbesetzungen und Rollenentwürfe. Der neue weise Nathan wird von Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer fast zur Randfigur degradiert. Umso respektabler, wie sich Ahmad Mesgarha behauptet und das, was er ohne selbstironische Brechung sagen darf, auch mit Gewicht adressiert.
Groteskes Kriegsidyll
Es beginnt donnernd. Hermann Schmidt-Rahmer lässt eine Stimme aus dem Off apokalyptische Texte aus dem Mittelalter rezitieren, deren Herkunft das Publikum freilich nicht erfährt. Kein Stein werde auf dem anderen bleiben vor dem großen Strafgericht, aber nach dem großen Gemetzel winke so etwas wie Kants Ewiger Frieden.
Krieg naht heran, nach Heraklit der Vater aller Dinge. Und er ruft die Zeit der europäisch-christlichen Kreuzzüge auf. Ihre Konflikte liegen im Hintergrund der privaten Ebene: der Fürsorge des Juden Nathan für seine Adoptivtochter Recha und der Liebe des christlichen Tempelherrn zu ihr.
Man wäre ja gern erschrocken, aber jedwede Militanz entschärft sich durch eine in den leeren Bühnenraum hinein rollende rosafarbene Pseudo-Militärmaschinerie. An Panzer erinnernde Lafetten, auf denen Alltagsmöbel, bequeme Thronsessel oder ein kahler Baum mit einem seltsam lustig wirkenden Gehängten montiert sind.
Die überhaupt nicht uniformen Kostüme der anfangs nicht zuzuordnenden Krieger erinnern an die apokalypseverliebten Sci-Fi-Filmindustrie der USA und passen eher auf einen Fasching: martialische Masken, umher bammelndes Getroddel, anachronistische Schwerter.
Personen schälen sich im Wortsinn allmählich heraus. Wie sie kostümiert sind, trägt auch nicht dazu bei, sie ernster zu nehmen. Sultan Saladin stelzt in einer Art Reifrock umher, der von Recha erinnert eher an einen Petticoat der 1960-er. Dass das Staatsschauspiel Dresden die Euros für Ausstattung nicht zählen muss, illustriert auch der Hokuspokus des Patriarchenauftritts im Goldrausch.
Zweifel an Ernsthaftigkeit
Was darf, ja was sollte man hier überhaupt ernst nehmen? Die Regie demontiert den oft pathetisch überhöhten Lessing gründlich. Sultan Saladin ist weder ein kluger Typ noch ein Schlächter, sondern einfach nur ein Kasper. Gelangweilt treibt er Nathan an, endlich nach zwei steckengebliebenen Anläufen seine Show abzuliefern und die Ringparabel herunterzuhaspeln.
Selten so gut Monty Python auf der Bühne gesehen, zuckt es vor allem im ersten Teil durchs Gemüt. Das Finale, bei Lessing das Happy End einer möglichen Koexistenz verfeindeter Religionen, erstickt in Selbstparodie und Zynismus. Lasst uns in Ruhe mit solchem altmodischen Idealismus! Es findet übrigens statt in einer dem Gemälde "Winckelmann im Kreise der Gelehrten" (von 1874) nachgestalteten Bibliothek des Schlosses Nöthnitz oberhalb von Dresden. Was das Programmheft nicht verrät: Lessing ist darauf auch zu sehen.
Nicht totzukriegen
Die Kostümierten sind da alle gleichfalls vom 12. über das 23. ins 18. Jahrhundert gesprungen. Bis zum Schluss behält Ahmad Mesgarha nahezu als einziger seine Würde. Pflegetochter Recha alias Nihan Kirmanoglu kommt ihm nahe.
Nach der Pause kommt ihr großer Überfall, ballen sich Andeutungen über die Rolle der Juden und Araber in der Weltgeschichte und Klischees über sie. Minutenlang schreit Recha vehement gesammelte Texte heraus: "Will jemand uns den guten alten Holocaust stehlen?", heißt es verdächtig unkorrekt. "Wir sind das Werkzeug Gottes und keine Verlierer" wird mosaisch persifliert mit der Rechtfertigung eigener Gewalt, Säuberungen und Lager.
Angenehm erstaunte die Wahrnehmung, dass Lessings "dramatisches Gedicht", dessen Originaltext die Inszenierung weitgehend beibehielt, nicht mit den "Mätzchen" kollidierte. "Das Stück ist halt nicht totzukriegen", konstatierte eine theatererfahrene Bildungsbürgerin im Saal. Auch sie applaudierte wie die meisten am Schluss freundlich.
Nathan der Weise
von Gotthold Ephraim Lessing
Fassung des Staatsschauspiels Dresden
Regie: Hermann Schmidt-Rahmer, Bühne: Pia Maria Mackert, Kostüme: Regine Standfuss, Dramaturgie: Jörg Bochow.
Mit: Philipp Grimm, Fanny Staffa, Ahmad Mesgarha, Nihan Kirmanoglu, Gina Calinoiu, Paul Kutzner, Holger Hübner, Sven Hönig.
Premiere am 7. September 2024 im Schauspielhaus Dresden
Dauer: 2 Stunden 25 Minuten, eine Pause
www.staatsschauspiel-dresden.de
Kritikenrundschau
"Die Inszenierung streift die aktuellen Auseinandersetzungen um die angebliche kultur-imperialistische Dominanz des Westens", schreibt gg in der Dresdner Morgenpost (9.9. 2024). "Schmidt-Rahmer begegnet dem Ernst der tatsächlichen Dinge mit Parodistischem-manchmal originell, manchmal belanglos. Sein 'Nathan' ist durchaus ambitioniertes, jedoch nicht immer packendes Theater."
"Schade, dass das dröge Textaufsagen im ersten Teil sowohl die Spiellust der Nebenrollen als auch die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums einschränkt", schreibt Sebastian Thiele in der Sächsischen Zeitung (9.9.2024). "Ansonsten gelingt der Regie ein umjubelter Abend, der den Klassiker fantasievoll und glaubhaft verortet. Mit bildgewaltigem Bühnen- und Kostümspektakel und einer fanatischen Recha, die eindrücklich das unlösbare Religionsdilemma zeigt."
Wolfgang Schilling von MDR Kultur (9.9.2024) sah einen Nathan, der wenig Hoffnung mache. "Ein Theaterabend wie von Goya gemalt: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Erbarmungslos und bildgewaltig in Szene gesetzt von Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer. Pia Maria Mackert und Regine Standfuss konnten bei Bühnenbild und Kostümen offensichtlich aus dem Vollen schöpfen. Schauspielerisch eine überzeugende Ensembleleistung."
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