Der Sturm - Jark Pataki spielt Shakespeare mit Musik von Jean Sibelius
Alles für das Wohl der Insel
von Jürgen Reuß
Freiburg, 21. Februar 2009. Jarg Patakis Inszenierung von Shakespeares "Der Sturm" im Großen Haus des Theater Freiburg wartet durchaus mit drei spannenden Ideen auf: Prospero wird von einer Frau gespielt (Uta Krause), Caliban (Thomas Mehlhorn) kommt wie ein verlotterter Banker daher und Ariel ist ein vielgestaltiges Wesen aus zwei Darstellerinnen, diversen Puppen, Puppenträgerinnen und Projektionen. Daraus ließe sich eine interessante Auseinandersetzung mit Shakespeares Alterswerk ableiten.
Allein, es bleibt beim Konjunktiv. Denn Pataki hat ein ganz anderes Experiment im Sinn, für das die Aufsplitterung Ariels symptomatisch ist. Der Luftgeist multipliziert sich in eine sexy Spitzbübin im märchenhaft blauen Hautengen (Johanna Eiworth), eine etwas weniger hautenge Sängerin (Désirée Suzanne Arnet) und diverse Fantasiepuppen vom goldig leuchtenden Alienbaby, über einen fledermausigen Libelloid und wabbeligen Fischkopf bis zum Widderschädel mit teuflisch rotglühenden Funkelaugen. Kurz: Pataki versucht aus dem "Sturm" ein unterhaltsames Three-in-one-Paket aus Shakespeares Text, Sibelius' Musik und opulentem Augenschmaus zu machen.
Was macht eigentlich Shakespeare?
Letzteres gerät durch die Bühne von Penny Hes Yassour recht apart. Eine Art Tarnnetz zieht sich über die inselhafte Spielplattform für die Schauspieler, hebt sich dahinter in die Höhe und überspannt das dahinter sitzende Orchester als solides, beturnbares Spinnengewebe. Den Rückraum begrenzt eine "The Beach"-artig gezeichnete Leuchtfelswand. Eine angenehm magisch-märchenhafte Atmosphäre für Jean Sibelius' spätromantisch-folkloristischen Klangteppiche.
Das Programmheft attribuiert den finnischen Komponisten lieber als "originäre Synthese von Kosmopolitismus und Heimatverbundenheit". Passt ja auch besser zum neue Welten schaffenden Prospero, den es am Ende doch ins am schönsten ist es daheim Mailand zurückzieht. Diese hübsche Bühne deckt aber auch die Kernfrage der Inszenierung auf: Was macht eigentlich der gute, alte Shakespeare, wenn die Musike spielt?
Die Antwort ist einfach: Pause. Solange Lutz Rademacher seine Philharmoniker zu Gehör bringt, der Chor oder die Solistinnen singen, wird das Sprechtheater zur Dekoration und verhält sich möglichst ebenso gefällig wie die magische Bühne und die bunten Puppen. Solche Einschübe saugen Wortwitz, Deutungsvielfalt und Tempo des Textes natürlich Kraft ab. Vielleicht rückt Pataki deshalb die witzigen Nebenfiguren über Gebühr ins Zentrum.
Schniedelzeigender Urviechtrinker
Am stärksten in Erinnerung wird dem Zuschauer das drastische Gezänk zwischen dem "oops, he did it again" schniedelzeigenden Urviechtrinker Stephano (Martin Weigel) und dem von ihm verzückten Caliban bleiben. Ihre größten Lacher ernten die beiden aber nicht mit Shakespeare Text, sondern mit Angelina Jolie-Angela Merkel Vergleichen und dreckschleuderndem Turnen durch die Zuschauerreihen. "Alles für das Wohl der Insel", trösten sie eine besonders eingestaubte Zuschauerin.
Vielleicht sind solche Textabweichungen aber auch eine Gnade. Denn richtig shakespearigen Wortwitz weiß an diesem Abend eigentlich nur Ueli Schweizer in der Gonzalo-Nebenrolle zu intonieren. Andererseits haben weder das Prinzenpaar Miranda (Charlotte Müller) und Ferdinand (Andreas Helgi Schmid), noch die Intriganten Sebastian (Albert Friedl) und Antonio (Jens Bohnsack) groß Gelegenheit, sich zu präsentieren.
Erlaubt ist, was gefällt
Die einen werden, kaum dass sie erwachen, wieder in den Schlaf gezaubert. Die anderen rücken mangels inszenatorischen Interesses an politischen Verwicklungen ebenso aus dem Fokus, wie der alte König Alonso (Ullo von Peinen). Bevor sich aus dieser Ecke etwas entfaltet, kommt wieder Musik oder die Puppen.
Da drängt sich dann irgendwann die Frage auf, ob sich Shakespeare denn als reiner Deko-Text für ein sinnenfreudiges Familientheater überhaupt eignet. Aber diese Frage ist wahrscheinlich falsch gestellt. Sie müsste eher lauten, ob dieses Projekt für ähnlich hohe Zuschauerzahlen gut ist wie die in etwa gleich gestrickte "Peer Gynt"-Inszenierung der Vorsaison. Dann wäre erlaubt, was gefällt. Der üppige Schlussapplaus deutet an, dass es klappen könnte.
Der Sturm
Schauspiel von William Shakespeare mit Musik von Jean Sibelius
Inszenierung: Jarg Pataki, Musikalische Leitung: Lutz Rademacher, Bühnenbild: Penny Hes Yassour, Kostüme: Esther Dandani, Puppen:Andreas Becker, Puppenbau: Hagen Tilp.
Mit: Johanna Eiworth, Anna Wiesemeier, Vanessa Valk, Uta Krause, Thomas Mehlhorn, Andreas Helgi Schmid, Charlotte Müller, Martin Weigel, Albert Friedl, Ueli Schweizer, Ullo von Peinen, Jens Bohnsack, Désirée Suzanne Arnet, Manfred Plomer, Lydia Ackermann sowie dem Philharmonischen Orchester Freiburg und dem Opernchor des Theater Freiburg.
www.theater.freiburg.de
Mehr lesen? Im November 2008 inszenierte der 1962 geborene schweizer Regisseur Jarg Pataki am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Henrik Ibsens Ein Volksfeind. Im Zürcher Neumarkt Theater endete mit Patakis Roland-Barthes-Abend Fragmente einer Sprache der Liebe im Juni 2008 die Ära der Intendanz Wolfgang Reiter.
Kritikenrundschau
"Prospero ist eine Frau." So hebt Bettina Schultes Kritik in der Badischen Zeitung (23.2.2009) an. Eine Frau auch der "fast bestürzend hyperaktive, dabei sehr bodenständige, rotzfreche Ariel" der Johanna Eiworth. Bettina Schulte folgert: "Die Zukunft der Welt – einer utopischen Welt jenseits von Hass, Rache und Vergeltung - ist weiblich." Dem Regisseur gehe es aber zuletzt um "Thesentheater". Sein "Sturm" sei "ein sinnliches, opulentes, überraschend energiegeladenes Schaustück geworden". Dazu trügen das "phantastische Bühnenbild", ein "überdimensionales Spinnennetz" von Penny Hes Yassour, und die "verspätet spätromantische Musik" erheblich bei. Allerdings unterbreche sie den Fluss des "stark eingekürzten Fünfakters" so stark, dass "einen zuweilen das Gefühl beschleicht, in einem ziemlich altmodischen Shakespeare-Singspiel zu sitzen". Die Handlung laufe vor allem zum Ende hin "ins Leere". Wer diese "philosophisch ernste, hintergründige Komödie über die Macht und den Verzicht auf sie, die 'ideale' Liebe und das verzwickte Verhältnis von Kunst und Natur nicht kennt", dem werde sich "manches in dieser Inszenierung kaum erschließen". zudem gelinge es Thomas Mehlhorns "Inselmonster Caliban als abgehalfterter Banker im Armani-Anzug" im "schwulen Verein mit Martin Weigel" als Stephano "mühelos", das "Niveau der Veranstaltung drastisch" zu senken. Dem könnten auch die "aufwendig gestalteten Puppen" nicht entgegenwirken, die bis auf wenige Momente "dekoratives" Beiwerk blieben. An die Liebe zwischen Miranda und Ferdinand glaube die Inszenierung sowieso nicht und "lasse sie unterbelichtet".
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Alles in allem, gut gemeint - aber nicht rüber gekommen zum Zuschauer.
Kein Vergleich zur Peer Gynt-Inszenierung, deren Figuren lebendiger wirkten als diese viel zu glatt wirkenden Mischungen aus Allien und Elfenreigen.....