Das große Waswillich

von Ute Grundmann

Friesack, 26. Februar 2009. Ein Berufsberater kommt, im Nadelstreifenanzug und mit Aktenköfferchen, zu Schülern, die in einem Jahr über ihren "Beruf fürs Leben" entscheiden sollen. Broschüren hat er dabei und einen Witz über die Suche nach dem Traumjob auf den Lippen. Soweit nichts Ungewöhnliches für die Schüler einer 9. Klasse der Kooperationsschule von Friesack (Brandenburg). Doch nach dem Scherz über die Berufswahl kommt der Berater zum Ernst seines Lebens, erzählt von seinem Job, der ihn gefunden hat und der für ihn zum Alptraum wurde.

"Traumjobs. 1 Stück für 1 Mann und 1 Klassenzimmer" heißt das Werk des Dramatikers John von Düffel, das in einer Produktion des Theaters der Altmark Stendal uraufgeführt wurde. Das Theater fungiert als Landesbühne Sachsen-Anhalt Nord, bespielt aber Bühnen weit über diese Grenze hinaus. Und weil man seinen Partnern auch das Besondere einer Premiere bieten will, sind es 32 Schüler aus dem havelländischen Friesack, die die Uraufführung des Düffel-Werks erleben.

Onkel Umberto, der kein Onkel ist
Sie findet im "Sprachkabinett" der Schule statt, einem schmucklosen Raum, in dem die Fotos von Theodor Storm und Anna Seghers an der Wand hängen. Je drei Tischreihen rechts und links von einem schmalen Gang, Tisch und Stuhl für den Lehrer, dessen Position nun Carlo Destra (David Prosenc) einnimmt. Eigentlich soll er den Jungen und Mädchen die Welt der "Traumjobs" öffnen, stattdessen schildert er sein Leben als Handlanger der Camorra.

Der Vater Italiener, die Mutter Deutsche, lebt die Familie zunächst in Deutschland, kehrt dann aber in die Heimat des Vaters zurück, nach Neapel. Und was bisher Urlaubs-Sehnsuchts-Welt war, wird zur bedrückenden Realität: Der Vater hat Angst vor Onkel Umberto, der kein Onkel, sondern ein Mafioso ist. Und bald gehört auch der junge Carlo, angesichts von Armut und Arbeitslosigkeit ohne Alternative, zur "Bruderschaft".

John von Düffel, von 1991 bis 1993 Dramaturg am Theater Stendal, schildert den Weg vom Traumjob zum Alptraum in einem dichten, atemlosen Monolog, der fast wie ein Gedicht geschrieben ist. Seine Assoziationen zu Neapel reichen vom jüngsten Müllskandal bis zu "Neapel sehen und sterben", schnell variiert zu "heute sieht man, wie Neapel stirbt". Die Parallelen zwischen von Düffels Mezzogiorno – keine Hoffnung, keine Industrie, kein Mittelstand, hohe Arbeitslosigkeit – und dem Osten Deutschlands ist offensichtlich, ohne dass er sie ausspricht.

Die Angst, vergiftet zu werden
Stattdessen kreist seine Figur um die immer wiederkehrenden Fragen "Wo komme ich her und wo gehöre ich hin, was will ich und was kann ich". Fragen, die nicht nur der Berufsberater seinen jungen Klienten stellt. Die junge Regisseurin Eva Lange hat diesen Monolog, der in eine Schulstunde passen muss, atmosphärisch dicht und schnörkellos inszeniert. David Prosenc, der vor einem Jahr die Schauspielschule abgeschlossen hat, ist der vermeintliche Berufsberater Carlos Destra: Kein Kinoheld mit Knarre, sondern ein schmaler, leiser, nachdenklicher Mensch, der sein Leben mit und nach der Camorra, seine Zweifel, seine Mitschuld am Tod eines Menschen, Revue passieren lässt.

Mal spricht er einen der Schüler direkt an, setzt sich auf die Kante eines Schultisches, dann zieht er sich wieder hinter das Lehrerpult zurück. Zwei weiße Taschentücher präsentiert er mehr als dass er sie benutzt, wohl als Schutz vor Fingerabdrücken, und wie der Camorra-Boß trinkt er Kaffee aus der mitgebrachten Thermoskanne, aus Angst, vergiftet zu werden. David Prosenc, der im Sommer in Stendal Romeo sein wird, hält die Spannung auch dann, wenn der Text sich in allzuvielen Assoziationen (Neonazis müssen auch noch reinpassen) etwas verliert. Und er hält die Schüler, von denen die meisten noch nie im Theater waren, fast bis zum Schluss im Bann – die Lehrerin muss nur zweimal kurz um Ruhe flüstern.

 

Traumjobs. 1 Stück für 1 Mann und 1 Klassenzimmer (UA)
von John von Düffel
Regie: Eva Lange, Ausstattung: Marlis Knoblauch.
Mit: David Prosenc.

www.tda-stendal.de

 

Mehr lesen? Am Düsseldorfer Schauspielhaus inszenierte Wolfgang Engel im Februar 2009 John von Düffels Bühnenadaption von Thomas Manns Roman Joseph und seine Brüder.

 

Kommentare  
von Düffels Traumjobs: Fragen an die Kritikerin
Sehr geehrte Frau Grundmann, darf ich noch ein paar neugierige Fragen stellen? Wie muß man sich denn den Schlußapplaus vorstellen? Hat sich das Regieteam auch verbeugt? War der Autor da? Und außer den Schülern noch weitere Gäste – Lehrer, Journalisten, Theaterleute? Fanden die Schüler das komisch, daß Sie da mit drin saßen, hat man Sie vielleicht sogar angesprochen? Entschuldigen Sie die Neugier, aber ich finde das spannend.
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