Hysterischer Stillstand

von Eva Maria Klinger

Wien, 27. Februar 2009. Sagen wir's gleich. Diese "Drei Schwestern" fackeln nicht lange. Schöner Müßiggang? Sehnsucht? Melancholie? Ach was! Sie nehmen, was sie kriegen können und sei es noch so wenig. Das Leben in der russischen Provinz hat Drive. In zwei Stunden, inklusive Pause ist alles durch. Für Schwermut und Seelendiagnose bleibt keine Zeit. Die Figuren erzählen dem Publikum was Sache ist, die vielen semiphilosophischen Debatten, mit denen sich diese gelähmte Gesellschaft die Zeit vertreibt, werden durch hysterischen Stillstand ersetzt. Das fetzt zwischendurch wie Rock'n'Roll.

Eigentlich erzählt Anton Tschechow auch in diesem, seinem vorletzten Stück vom Scheitern aller Lebensträume. Man kann, man sollte, die "Drei Schwestern" als wehmütige Komödie des versäumten Lebens lesen. In der Provinz, wohin ihr verstorbener Vater versetzt wurde, verblühen drei Schwestern.

Zeitraffer statt Zeitlupe
Irina, die jüngste, träumt von einer Rückkehr nach Moskau, wo sie glaubt, Liebe und Erfüllung zu finden. Mascha hat einen ungeliebten, stumpfen Lehrer geheiratet und verliebt sich in den seinerseits verheirateten Oberst Werschinin, der nach fünf Jahren weiterzieht. Olga, die älteste, offenbar unattraktivste, denn ihr hat Tschechow keinen Verehrer zugedacht, ist Lehrerin und erschöpft von ihrem Beruf. Bruder Andrej, der einmal Universitätsprofessor in Moskau werden wollte, bleibt biederer Beamter und verspielt im Kasino das Elternhaus. Seine egoistische, von den Schwestern verachtete Frau Natascha betrügt ihn mit seinem Vorgesetzten. So liest man das 1901 uraufgeführte Drama.

Thomas Schulte-Michels, ein Regisseur von Rang, wie ihn sich das Wiener Volkstheater unter Schottenberg noch nie geleistet hat, hat es gelesen und gekürzt. Ohne Atempausen lässt er es im Tempo einer Harald Schmidt-Show absurren, Zeitraffer statt Zeitlupe.

Partystimmung am Namenstag
Lächelnd und forschen Schrittes tritt Olga (Claudia Sabitzer) vor den roten Vorhang und informiert das Publikum in Moderatorenmanier, dass die Familie Prosorow vor 11 Jahren von Moskau in die Provinz gezogen, der Vater vor einem Jahr gestorben ist. Sie ist ein tougher Single.

Bald kommt Partystimmung auf. Irina (Luisa Katharina Davids), die jüngste Schwester hat Namenstag, die Offiziere gratulieren, man lungert in einer über die Bühnenbreite ausgedehnten Sofalandschaft, man spricht oft mit dem Publikum, seltener mit dem Partner. Die Bühne hat der Regisseur selbst entworfen. Ein schönes zweites Bild, die gedeckte Tafel im Hintergund, verkündet Lebensfreude, aussagekräftig auch die Leere im vierten Akt.

Wenn Irinas Bräutigam im Duell gefallen ist und die Offiziere die Garnisonstadt verlassen haben, sitzen die drei Schwestern einsam, mit dem Rücken zum Publikum am hinteren Bühnenrand. Den ganzen Abend bleiben die Scheinwerferbatterien dunkel, das Licht kommt von der Rampe, das treibt dem Stück den Realismus aus.

Edel wehen die Kleidchen
Auch die Kostüme von Tanja Liebermann sind sichtbarer Teil der Dramaturgie. Edel wehen die Kleidchen der Damen, die Offiziere tragen weiße Uniformen und gelbe (Gummi?)Handschuhe. Bruder Andrej (Raphael von Bargen) ist ein Penner und Maschas Ehemann (Thomas Kamper) ein Spießer. Das sieht man gleich. Mascha (Heike Kretschmer) will noch was erleben, auch das sieht man gleich am transparenten Schwarz und den Lack-Stiefelchen. Irina ist im weißen Hängekleidchen fast ein Kind noch. Die Aufmachung von Schwägerin Natascha (Anna Franziska Srna) spiegelt die typische Provinzkarriere von geschmacklos über aufgetakelt bis matronenhaft ausgestopft. Eine schöne Schreckschraube.

Thomas Schulte-Michels wollte offenbar die Tradition der sehnsuchtsvollen Blicke und vieldeutigen Pausen brechen. Worin der Mehrwert besteht, dass diese "Drei Schwestern" ihre schwebenden Lebensträume stramm der realistischen Einsicht opfern, bleibt fragwürdig. Das Ensemble folgt jedenfalls einwandfrei dem Wunsch des Meisters. Grell, farcenhaft demonstrieren sie ihre Befindlichkeiten. Wenn Mascha ihren Schwestern ihre geheime Liebe zu Werschinin beichtet, klingt es wie ein Teeny-Talk, tief und tragisch ist diese Liebe nicht einmal im Abschied. Oberst Werschinin (Marcello de Nardo) ist nicht der verdammt charmante Herzensbrecher sondern ein etwas angespannter, ausgehöhlter Militarist.

Kein Geld, keine Zukunft, keine Liebe. Alles nicht so schlimm, meint der Regisseur. Natürlich, es hätte schlimmer kommen können.

 

Drei Schwestern
von Anton Tschechow
Deutsch von Alexander Nitzberg
Inszenierung und Bühne: Thomas Schulte-Michels, Kostüme: Tanja Liebermann.
Mit: Raphael von Bargen, Anna Franziska Srna, Claudia Sabitzer, Heike Kretschmer, Luisa Katharina Davids, Thomas Kamper, Marcello de Nardo, Thomas Meczele, Till Firit, Rainer Frieb, Simon Mantei, Florian Köhler, Heinz Petters, Elisabeth Krejcir.

www.volkstheater.at


Mehr lesen? Zum Beispiel wie Enrico Lübbe im Januar 2009 in Chemnitz mit Tschechows Drei Schwestern verfahren ist? Oder Altenburg-Geras künftige  Schauspieldirektorin Amina Gusner, die im Juni 2008 am Berliner Theater am Kurfürstendamm eine sehr freie Adaption des Dramas zeigte?

 

Kritikenrundschau

Thomas Schulte-Michels habe am Wiener Volkstheater Tschechows "Drei Schwestern" "kurz entschlossen in die Welt der Fernsehvorabendserie" gesetzt, schreibt Ronald Pohl im Standard (2.3.2009). "Der Beipackzettel dieser völlig geheimnislosen Inszenierung liest sich wie folgt: Einsamkeit kann Ihre Seele verwüsten! Meiden Sie tunlichst das Festsitzen in unproduktiven Weltgegenden! Indem die Figuren aber ihre kleinen Lebenskatastrophen als kompakte Informationspakete an das Publikum weiterreichen, ohne untereinander das Gespräch zu suchen, beraubt Schulte-Michels die Personen ihrer Würde." Die Fragen nach der Rechtfertigung des Lebens reduzierten sich "auf ehehygienische Detailprobleme", Tschechow werde "rücksichtslos zum Ahnherren der modernen Ratgeberliteratur erklärt." Dem Ensemble werde man "eine gewisse Hochachtung nicht versagen wollen: Jede Figur steht fest umrissen vor Augen. Nur weiß Schulte-Michels über Anmut und Armut der absurden Daseinsbewältigung nichts Weitergehendes zu erzählen."

"Radikal aufgeräumt" habe Thomas Schulte-Michels für seine Inszenierung der "Drei Schwestern", meint Norbert Mayer in der Presse (2.3.2009). "Ein Tschechow ohne typischen Tschechow-Zierrat" sei es geworden, "ohne Kunstpausen, ohne Denkspiele, aber mit bitterer, dichter Melancholie." Trotz der Verknappung sei das Spiel reizvoll: "Das Leid der drei Schwestern wird trotz aller Kürze deutlich." Olga, Mascha und Irina würde von von Claudia Sabitzer, Heike Kretschmer und Luisa Katharina Davids "überzeugend interpretiert".

 

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