Subjekte der Gewalt

von Andreas Schnell

Oldenburg, 27. Februar 2009. "Es geht unter anderem um Gewalt als Form von Kommunikation", sagt Autorin Katharina Schmitt über ihr Stück "Platz der Republik", das als Auftragsarbeit des Staatstheaters Oldenburg nun Uraufführung feierte. Dabei ist es natürlich nicht ganz unproblematisch, einem Akt der Gewalt den unschuldigen Charakter einer Mitteilung zu attestieren. Denn Gewalt verzichtet ja gerade auf den Diskurs, um ihr Interesse gegen einen fremden Willen durchzusetzen. Womit auch die Frage, wer warum Gewalt anwendet, aus dem Blick zu geraten droht.

So ganz verschwinden wollen die Bedingungen und Motive der Gewalt, die in "Platz der Republik" im Zentrum stehen, dann aber doch nicht. Ausgehend von den Aufständen in den Pariser Vorstädten 2005 erzählt Schmitt in lose assoziierten Szenen die Geschichte eines Attentats auf den Premierminister, der in Reaktion auf brennende Autos (stündlich werden es mehr), Schulen und Kindergärten mit der U-Bahn an die Orte des Geschehens fährt, um anschließend eine große Rede auf dem Platz der Republik zu halten, wo er einem Attentat zum Opfer fällt.

Ausführende Organe
Die Subjekte der Gewalt sind weniger Menschen aus Fleisch und Blut, keine Charaktere, sondern gleichsam ausführende Organe des mäandernden Textes. Und auch die Gewalt taucht vor allem in der sprachlichen Abstraktion auf – auf einem LED-Schriftband an der Hinterwand der Bühne, die fast ohne Requisiten auskommt. Ein Gummiboden, Wasserpfützen, ein gelbes Kleid, das von der Decke hängt. Drei Schauspieler und eine Schauspielerin, die auf der Bühne verstreut sind und sich nur manchmal auch körperlich aufeinander beziehen. So berührt der Masseur den Premierminister während der Massage kein einziges Mal.

In dieser Abstraktion befasst sich "Platz der Republik" in der Tat als allgemeines, aber nicht zeitloses Stück mit seinem Thema. Ort des Geschehens könnte wohl jede moderne Großstadt sein, aber eben nicht zu jeder Zeit: Die Regie lässt am Ende Bob Dylans "The Times They Are A-Changing", versetzt mit allerlei Klangfetzen mutmaßlicher 60er-Jahre-Songs, kakophonieren. Doch dieser Aufstand ist kein Ausdruck einer politischen Utopie mehr, wie sie die Hippies noch im Sinn hatten. Was aber dann?

Sie befasse sich nicht mit Utopien, sondern mit Konflikten, erklärte die Autorin vorab. Und die werden hier beinahe unvermittelt vorgeführt. Selbst in den Szenen, die so etwas wie Interaktion zeigen, wirken die Dialoge kaum als solche, stehen die Reden oft isoliert nebeneinander.

Im schlimmsten Fall noch gut aussehen
Alle vier Akteure sind zwar während der kompletten 70 Minuten auf der Bühne zu sehen, aber das, was sich in ihren Reden als Handeln äußert, findet nur in Ansätzen auch als Handlung statt. Nicht selten stehen die in eine Szene involvierten Personen weit voneinander entfernt. Die These wäre wohl: Perspektivlosigkeit und Vereinzelung ergeben einen explosiven Cocktail – nämlich einen Molotow-Cocktail. Aber der ist eben auch nur als Schriftzug zu sehen.

Kontrastiert wird das desolate Bild von Liebespsalmen. "Enteile mein Geliebter und tu es der Gazelle gleich oder dem jungen Hirsch auf den Balsambergen." Größer könnte die Distanz zum Geschehen kaum sein. Das andere Opfer, denn gewinnen tut hier niemand, der Premierminister, der zynisch über die Gewalt auf der Straße räsonniert – "Mir ist das gleich, das Feuer ist von Nutzen" – bietet gleichfalls wenig Grund zur Freude, erfüllt von eigener Bedeutsamkeit und Größe, wie er hier erscheint.

Seine Frau ist sein vollendetes Pendant, indem sie um ihre Funktion als Vorzeigeobjekt weiß, die noch im schlimmsten Falle gut aussehen will. Das gelbe Kleid lässt das Blut darauf im schlimmsten Fall hervorragend zur Geltung kommen. Und natürlich bekommen wir Frau und Kleid – aber kein Blut zu sehen.

Dramatisch anders
Eine ziemlich triste Angelegenheit also, diese Form der Kommunikation. Und das kleine Ensemble spielt diese Ansammlung ungemütlicher Positionen mit der adäquaten Distanz. Den Polizisten, der ja nur seine Pflicht tut – und zugleich behauptet, stets das Beste zu wollen. Die marodierenden Randaleure: "Sie haben die Macht, wir haben die Nacht". Den Mustermann aus der Siedlung, der bei seinem täglich Brot nicht satt wird und zum Kannibalen wird.

Kommunikation oder nicht: Die sperrige Form, in die Schmitt und nicht zuletzt die Oldenburger Regie ihre Geschichte bringen, ist so dramatisch anders als der gewohnte Umgang mit Gewalt in den vielbeschworenen Medien, dass "Platz der Republik" bei fast völliger Abwesenheit des Geschilderten beklemmend wirkt und eine Auseinandersetzung fordert, die sich nicht in emotionaler Betroffenheit erschöpft. Kein leichter Abend also.

 

Platz der Republik (UA)
von Katharina Schmitt
Regie: Susanne Kennedy, Bühne: Lena Müller, Kostüme: Anika Sedello, Sounddesign: Richard Janssen.
Mit: Patrizia Wapinska, Michael Pietsch, Vincent Doddema, Lutz Wessel.

www.staatstheater.de
www.katharinaschmitt.net

Mehr lesen? Im Oktober 2008 fand in Oldenburg das erste pazz-Festival statt, ein Internationales Performing Arts Festival, wo unter anderem das kanadische Theatre Replacement mit seiner MySpace-Performance Weetube zu sehen war, die User-Kommentare aus dem Internetportal auf die Bühne brachte. Im September 2008 zeigte das Oldenburgische Staatstheater im Kontext einer Auseinandersetzung mit dem Expressionismus K. D. Schmidts szenische Installationen Zerrissenes Herz nach Texten Georg Heyms.

Kritikenrundschau

In Katharina Schmitts "Platz der Republik" sprächen alle Figuren "die gleiche gewalthaltige Brandstifter-Sprache, und reden doch nah am Schriftdeutschen entlang", meint Stefan Grund in der Welt (2.3.). "Daher wirken sie alle wie biedere Nachrichtensprecher, die unter dem Schreibtisch mit einer Hand einen Molotow-Cocktail verstecken, während sie mit der anderen umblättern." Regisseurin Susanne Kennedy arbeite bei der Uraufführung in Oldenburg mit vier Schauspielern, "die jeweils mindestens zwei Figuren darstellten, jedoch keinesfalls verkörperten": Sie erhielten "die Aufgabe, den Text aufzusagen, und erledigten sie". Trotzdem versetze "dieser konzentrierte Abend uns letztlich doch noch ein wenig in innere Unruhen."

In der Nordwest-Zeitung (2.3.) schreibt Reinhard Rakow, Katharina Schmitt produziere "in bestechend klarer, fast lyrisch schöner Sprache bekannte Klischees: der Politiker machtgeil, die Gattin kalt, der Polizist Vorschriftenreiter, Jungen brutal, Mädchen Opfer. Auch wenn auf Ursachenforschung und auf Antworten verzichtet wird: Von der Radikalität etwa eines Beckett ist das ähnlich weit entfernt wie eine Soap von Brechts Erzähltheater." Die Schauspieler dürften "einige hübsche Regie-Ideen realisieren (…) und ansonsten lang und breit und ziemlich aktions- und emotionslos Texte voll und zu Gewalt deklamieren, als sei man auf einem Hölderlin-Wettbewerb". Nach einer Stunde aber werde es schlagartig anders: "An die Stelle der gepflegten abstrahierenden Distanz tritt übergroße Nähe. (…) Der kalte Täter und das wehrlose Opfer: in diesem Bild implodiert die Inszenierung so überraschend wie unverhältnismäßig."

 

 

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