Bekannte Fratzen, gemischte Diskurse

von Michael Laages

Hamburg, 28. Februar 2009. Anno 1996 bemüht sich der auf hintergründige, oft entlarvende Interviews spezialisierte Journalist André Müller um ein Gespräch mit der deutschen Oberfeministin Alice Schwarzer. Das heißt: Er hat dieses Interview dem Wochenblatt "Die Zeit" versprochen und trifft sich nun mit ihr, um mit ihr "ins Gespräch" zu kommen. Vier Stunden lang. Der Versuch misslingt, das Gespräch wird erfolglos abgebrochen.

Schwarzer ignoriert mit unbeirrbarer Beharrlichkeit Müllers schwerst penetrante Versuche, die in (damals) zwei Jahrzehnten "Emma"-Kampf ideologisch fest vermauerte Bastion ins Wanken zu bringen. Sie konterkariert das Bemühen des Befragers, dem wie auch immer verletzten Selbst der Streiterin Schwarzer auf die Spur und auf den Grund zu kommen; und so, mit dem Griff ins Private, das Politische zu entwerten. Die Absicht ist unübersehbar, und Schwarzer hält ihr stand.

Alpha-Mädchen oder die Frontlinien im Geschlechterkampf

Müller, der manchen als Genie, anderen eher als Nachtmahr des Interview-Journalismus in Deutschland gilt, steht gegen Ende eher als jammerlappiges Sensibelchen (also potenziell eher weiblich) da. Schwarzer hat in der Konsequenz des Streitens derart viel ursprünglich männlich kodierte Qualitäten (oder auch bloß Eigenschaften) angenommen, dass bei diesem Treffen eindeutig sie die Hosen anhat.

Das ist eine nette Geschichte, die in der "Zeit" übrigens nicht erschienen, auf Müllers Website aber immer noch einzusehen ist: eine Nicht-Gespräch, in dem – wie nun in Hamburg im Thalia in der Gaussstrasse zu sehen ist – Regisseurin Friederike Heller und ihr Dramaturg Benjamin von Blomberg offenbar meinten, Indizien für eine Ansammlung von Kern-Behauptungen im bis heute anhaltenden Streit um Schwarzers historischen Feminismus entdecken zu können.

Jüngere Frauen (die sich ebenfalls "Feministinnen" nennen) halten ja das Konzept des Kampfes gegen den Mann und seine Domänen in Wirtschaft, Politik und Sozialgefüge für lange überholt. Dieser Kampf ist ihnen nur noch Krampf – die Alpha-Mädchen (nicht mehr –männchen, wie sonst meist in der Biologie) halten im Gegenteil Schwarzers Beharren auf den alten Frontlinien für eher hinderlich; derlei strukturelle Stütze meinen sie nicht mehr zu brauchen.

Grob, sehr grob gestrichelt

Und so mischen sich nun, bei Heller auf der Bühne, Jana Hensel und Elisabeth Raether ins Rencontre zwischen Schwarzer und Müller. Später dann aber auch Eva Hermann, das neo-barocke Muttertier, und Charlotte Roche, die schrill-verkreischte Erotik-Muse aus den "Feuchtgebieten" der Privat-Glotze. Und schließlich gar die alle Welt versöhnende Kanzlerin, dazu eine Propagandistin der Kontrasexualität und der frauenverbrauchende Rapper Bushido.

Sie alle haben irgendwann irgendwelche Bücher geschrieben, oder sie kommen in Büchern anderer vor – nach Hellers Mischmasch allerdings unter dem mächtig aufgebrezelten Titel der "szenischen Installation" ist immerhin klar, dass all diese Bücher, alle!, in den Bücherschränken aufgeklärter Zeitgenossen von heute vernünftigerweise nichts (oder nichts mehr) zu suchen haben.

Auch die Regisseurin scheint übrigens dieser Ansicht zu sein. Denn alle Stimmen des Abends sind Karikatur, sind Fratze; grob, sehr grob gestrichelt – kein Gedanke in diesen zwei Stunden, der nicht durch irgendeine Form von szenisch-gestischer Überhöhung praktisch von vornherein denunziert wäre. Nur wenn schon die Macher das denken – warum dann die ganze Mühe?

Dass sich da gelegentlich die Geschlechter vertauscht zu haben scheinen, metro-sexuell sozusagen (um auch mal ein Mode-Wort zu benutzen!) ist ja inhaltlich auch nicht weiter der Rede wert. Derlei Männlein-Weiblein-wechsel-Dich Spielereien bieten bloß Futter für Darsteller. Immerhin. Sonst gibt's davon ja nicht eben viel.

Nicht für die Bühne geschrieben

Zunehmend fordert zudem das Theater sein Recht. Weder Interview, noch Reportage oder gar Pamphlet-Texte sind für die Bühne geschrieben. Einfach nur vorgetragen in einem mehr oder minder gut gemachten kleinen Rollenspiel verlieren sie durchweg an Kraft und Tiefe, die sie beim bloßen Lesen womöglich gerade noch behaupten könnten. Auf der Bühne ist das definitiv nicht der Fall. Und das liegt überhaupt nicht an den Thalia-Schauspielern, die sie sprechen. Es ist vertane Energie, auch für sie.

Wer eine ernsthafte Debatte über den Postfeminismus im Theater haben will, weil er oder sie das gerade für ein brennend wichtiges Thema hält, soll gefälligst eine möglichst hochklassig besetzte Podiumsdiskussion arrangieren. Und meinetwegen eine ganze Tagung noch dazu. So aber lässt das "Projekt" die ganze Debatte perfiderweise als das erscheinen, als was sie auch schon der Interviewer Müller gern sehen und gesehen hätte: als weit entfernter Nebenkriegsschauplatz auf der Landkarte aktueller Konflikte.

Doch selbst auf diesem Nebenkriegsschauplatz ist (um in der generell männerdominierten Sprache des Militärs zu bleiben) diese "szenische Installation" nichts als ein Rohrkrepierer.


Dann heul doch!
Eine szenische Installation zum Postfeminismus
von Friederike Heller
Regie: Friederike Heller, Bühne: Sabine Kohlstedt, Kostüme: Sabine Kohlstedt, Musik: Peter Thiessen, Video: Helena Ratka, Dramaturgie: Benjamin von Blomberg. Mit: Lisa Hagmeister, Andreas Köhler, Hans Löw, Vivien Mahler.

www.thalia-theater.de


Mehr lesen? Im März 2008 inszenierte Friederike Heller im Wiener Burgtheater ihre Thomas-Mann-Adaption Dr. Faustus – My Love is a Fever.

 

Kritikenrundschau

"Niemand entgeht seinem Schicksal, weder als Frau noch als Mann, noch überhaupt." So fasst Stefan Grund für die Welt (2.3.2009) die Quintessenz von Friederike Hellers szenischer Installation "Dann heul doch!" am Thalia Theater Hamburg zusammen. Was das bedeutet, führe uns "ein blendend aufgelegtes Schauspielquartett (…) gnadenlos Zweifel schürend, irritierend und zugleich urkomisch vor Augen". "Aus den ernsthaft vorgetragenen postfeministischen Thesen und Meinungen aller gegen die Positionen Alice Schwarzers, die uns in diesem Kontext als einzige vernünftig erscheinen, entwickelt sich ein immer abstruseres Spiel." Am Ende des Spiels ging der Rezensent "erfüllt, beseligt und berauscht wieder weg".

Beinahe wäre Friederike Hellers "Dann heul doch!" ein "trockenes Gender Studies-Seminar" geblieben, "hätten sich die Schauspieler nicht an jede kleinste Gelegenheit zu Parodie oder Situationskomik geklammert und sich in eine Art postfeministisches Kabarett mit leider zähen Pointen und unsäglichen Songs gerettet", urteilt Klaus Witzeling in einer Kurzkritik für das Hamburger Abendblatt (2.3.2009). Der "Schnellkursus in postfeministischen Positionen" wirke "reichlich konstruiert, unfertig und erntete nicht mehr als freundlichen Applaus".

 

Kommentar schreiben