Monologische Symphonie

von Irene Grüter

Berlin, 9. Juni 2007. Das derzeit beliebteste Requisit auf deutschsprachigen Bühnen versprüht, nebst beliebigen Flüssigkeiten, stets einen Hauch von modischem Trash-Charme: Die Pet-Flasche. Sie muss etwas Unwiderstehliches an sich haben, dass sie in jeder zweiten Inszenierung verwendet zu werden scheint, und zwar besonders gerne in solchen, die mit offenen Bühnensituationen arbeiten.

Auch in Jacob Wrens szenischer Annäherung an Wolfgang Koeppen treten die gerippten Plastikflaschen auf und stehen zwischen Tischen und Stühlen, die in rechtwinklig angeordneten Mustern die Bühne füllen. Einmal strömt aus ihnen das Wasser des Tibers, dann stützen sie einen angekippten Tisch – eines von vielen Bildern, die auf die fragile Konstruktion einer gesellschaftlichen Wirklichkeit deuten. Im Hintergrund bauen die Schauspieler an einer kunstvollen Pyramide aus Weingläsern und Bierdeckeln, einsturzgefährdet in jedem Moment, und die Bardame Laura stickt mit blutrotem Wollgarn ihren Namen auf ein Stück Brot.

Schuldverstrickungen 

Fragile Konstruktionen, falsche Fundamente. Davon erzählt Wolfgang Koeppen im dritten Teil seiner Nachkriegstrilogie, 1951 begonnen mit "Tauben im Gras", fortgesetzt mit "Das Treibhaus" und beendet 1954 mit "Der Tod in Rom". Seine bittere Analyse der bundesrepublikanischen Nachkriegsverhältnisse handelt von der Restauration im Denken, dem unbehaglichen Verharren in vertrauten Mechanismen. Keiner bleibt schuldfrei in dieser Verstrickung von Opfern, Tätern und Nachgeborenen.

Der ehemalige SS-General Gottlieb Judejahn, Emporkömmling im NS-Regime, entzieht sich in Rom der gerichtlichen Verfolgung und handelt als Waffenschieber für einen arabischen Staat, während seine Frau Eva um Großdeutschland trauert und im Hotelzimmer verblasst. Die Pfaffraths, frühere Parteigenossen, tauchen auf und wollen Judejahn zur Rückkehr nach Deutschland bewegen. Zufällig befinden sich auch die Söhne der beiden Familien in der Stadt, die sich dem elterlichen Einfluss durch ihre "undeutsche" Berufswahl entgegenstellen: Adolf Judejahn will Priester werden, der homosexuelle Siegfried Pfaffrath komponiert nach der Zwölfton-Technik. Seine Symphonie soll vom bekannten Dirigenten Kürenberg in Rom uraufgeführt werden.

Die Aufführung dieser Komposition, Höhepunkt des Romans, löst die Inszenierung verblüffend elegant: Ein mystisches Brummen steigt aus fünf hohen, mit Gas gefüllten Glasröhren, die mit einer Flamme entzündet und zum Klingen gebracht werden. "Pyrophon" nennt sich dieses Instrument, hier als Klanginstallation eingesetzt von Andreas Öldorp (Bühnenbild). Minutenlang hält die Inszenierung inne und horcht dem unheimlichen Ton nach – es ist der faszinierendste Moment dieses Abends, dem es ansonsten nicht recht gelingen will, Koeppens einst revolutionären Roman auf der Bühne zu beleben. Bis die komplexe Handlung einigermaßen verständlich wird, dauert es so lange, dass das Publikum beginnt, im Programmheft nachzulesen.

Probiere es!

Koeppen war als Erzähler fasziniert vom Joyce-Prinzip, wechselt manchmal mitten im Satz die Perspektive und taucht unvermittelt in den stream of consciousness seiner Figuren ein. Dieses Mittel greift die Regie auf, indem sie die Schauspieler manchmal in der dritten Person über sich erzählen lässt, bevor sie zum inneren Monolog übergehen. Meist sprechen sie frontal zum Publikum, mit hängenden Armen, nahezu bewegungslos. Über weite Strecken wirkt die zweistündige Inszenierung wie eine szenische Lesung; der formale Zugriff gelingt nicht, weil der Text, betont schnell und mit wenig Emphase gesprochen, oft kaum zu verstehen ist. Dialoge kommen auch dann nicht zustande, wenn etwa das Ehepaar Kürenberg mit Siegfried an einem Tisch sitzt und isst, was in der offenen Küche im Hintergrund gekocht wurde. "Menschen sind nicht zu ändern", sagt Siegried, und Adolf, merkwürdig privat gespielt vom kanadische Regisseur selbst, antwortet schlaff: "You have to try."

Eigentlich ist es ja schon fast sympathisch sperrig, im Jahr 2007 einen nahezu dialogfreien Roman mit 50er-Jahre-Patina für die Bühne zu bearbeiten. Doch vielleicht ist es ein wenig zuviel, was sich der englischsprachige Regisseur, der auch als Autor und Filmemacher arbeitet, hier vorgenommen hat. Er habe, steht in seiner Biografie, in den letzten Jahren an einer Reihe von Projekten gearbeitet, "bei denen er in einer Sprache Regie führt, die er weder spricht noch versteht". Das ist mutig, doch dass dabei der Effekt nicht eintritt, den er laut Programmheft mit der Inszenierung beabsichtigte – die Verdrängungsmechanismen offen zu legen, mit denen der moderne Mensch auf seine Ohnmacht reagiert – ist unter diesen Voraussetzungen nicht so erstaunlich.

Tod in Rom
nach Wolfgang Koeppen
Inszenierung: Jacob Wren, Bühne: Andreas Öldorp.
Mit: Matthias Breitenbach, Simon Brusis, Miriam Fiordeponti, Christoph Grothaus, Swantje Henke, Lajos Talamonti, Jacob Wren.

www.sophiensaele.com

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