Kaspar Häuser Meer - Felicia Zellers traurig-fideles Jugendamt in einer Inszenierung von Antje Thoms
Jugendsozialarbeiterinnensprachgewitter
von Anke Schaefer
Saarbrücken, 8. März 2009. "Oh, wie soll man hier in Ruhe?", sagen die drei Sozialarbeiterinnen verzweifelt im Chor, aber es gibt keine Ruhe in diesem Stück. Wenn man hier nach eineinviertel Stunden rauskommt, aus diesem theatralen Jugendamt, dann muss man erstmal tief durchatmen. Da arbeiten nämlich drei Frauen und die drehen absolut am Rad. Warum?
Weil sie versuchen zu helfen. Sie versuchen Kindesmissbrauch zu verhindern. Das ist aber von Amts wegen überhaupt nicht einfach. Zum ersten, weil der Kollege Björn plötzlich krank ist und weiter krank bleibt und aktenweise unerledigte Fälle zur Bearbeitung hinterlässt. Zum zweiten, weil man dieser Aufgabe unter diesen Rahmenbedingungen schlicht nicht gewachsen sein kann. Wie soll die überarbeitete Silvia (alias Saskia Petzold) z.B. einschätzen, ob sie die Wohnungstür, hinter der sie ein misshandeltes Kind vermutet, nun aufbrechen soll, oder nicht? Ob diese Mutter nun in der Lage ist, für ihr Kind zu sorgen oder nicht?
Stimmig, rasant, todernst
"Setzen wir das Problem doch mal auf einen Stuhl, um es von außen zu betrachten", wendet Silvia einen gestalttherapeutischen Trick an, der ihr zwar wenig hilft, das Publikum aber zum Lachen bringt. Es lacht und lacht. Und das ist vielleicht das Schönste an diesem Abend, dass es Autorin Felicia Zeller gelungen ist, ein stimmiges Stück über ein todernstes Thema zu schreiben und dabei trotzdem humorvoll zu bleiben.
"Kaspar Häuser Meer" war ein Auftragswerk für das Theater Freiburg. Im Januar letzten Jahres wurde es uraufgeführt. Bei den Mülheimer Theatertagen gewann das Stück den Publikumspreis. Ausgangspunkt für "Kaspar Häuser Meer" waren die vielen Fälle von verwahrlosten und misshandelten Kindern, die in der Öffentlichkeit verhandelt wurden. Felicia Zeller hat mit Jugendsozialarbeiterinnen gesprochen und aus ihrem Recherchematerial dann einen wirklich rasanten Text destilliert, in dem kaum eine von den drei Protagonistinnen je einen Satz zu Ende sprechen darf. So groß ist die Hektik, so groß die Überforderung.
Von Emotionen zu Aktenstapeln
Das hier sei aber bitte sehr kein "Sozialproblemstück", sagt Felicia Zeller, ihr Anliegen sei es vielmehr, diese Themen zu durchleuchten und diese Emotionen auf "normale Menschen" zu übertragen. "Durch Sprache. Ich bin ein Fan von Sprechtheater!", betont sie. Ja, das merkt man. Und in Saarbrücken hat Antje Thoms "Kaspar Häuser Meer" in der sparte4 des Saarländischen Staatstheaters inszeniert, und ihr muss es wohl genauso gehen.
Denn unter Thoms Regie lassen Saskia Petzold, Gabriela Krestan und Dorothea Lata ein wunderbar akzentuiertes Jugendsozialarbeiterinnensprachgewitter über uns niedergehen. Dass die Drei dabei Akten stapeln (Bühne: Mathieu Turken), Papier in die Luft fliegen lassen oder sich wie ferngesteuert bewegen, das passt auch. Am Ende entlassen sie uns heiter und nachdenklich zugleich in diese dunkle Welt, in der es noch viel zu tun gibt.
Kaspar Häuser Meer
von Felicia Zeller
Regie: Antje Thoms, Bühne: Mathieu Turken.
Mit: Saskia Petzold, Gabriela Krestan, Dorothea Lata.
www.sparte4.de
Mehr zu Kaspar Häuser Meer? Hier finden Sie eine Besprechung der Freiburger Uraufführungsinszenierung bei ihrem Mülheimer Gastspiel, hier die Kritik zur Aufführung der Münchner Kammerspiele und hier ein Porträt der Autorin Felicia Zeller.
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