Das Gartenfest - Václav Havels Komödie beendet eine Trilogie über Bürokratie
Hintertürchen und so weiter
von Andreas Schnell
Wilhelmshaven, 14. März 2009. Ein "Spiel", wie der Autor es nannte, uraufgeführt 1963 im Theater am Geländer in Prag, der Eiserne Vorhang zwischen ihm und uns – und mittlerweile natürlich auch das Ende des real existierenden Sozialismus. Rennt man damit heute noch Türen ein? Wohl kaum. Als letzter Teil einer Trilogie über die Bürokratie, inszeniert vom scheidenden Oberspielleiter der Landesbühne Nord, Christof Meckel, geriet Václav Havels "Gartenfest" dennoch zum Erfolg.
Das hat zwei Gründe. Der erste: Dieses Stück ist wirklich komisch. Zweitens: Zwar merkt man seinem Jargon gelegentlich an, auf welche politische Konstellationen es zur Zeit seiner Uraufführung traf, doch scheint das schon damals in all seiner Abstraktion nicht als Angriff auf den Sozialismus empfunden worden zu sein, sondern brachte dem Autor vielmehr den Durchbruch in der Tschechoslowakei.
Am Großgrün vor dem Lautraum
Vorab gab es aber noch ein anderes Spiel: Im Foyer des Stadttheaters Wilhelmshaven, liebevoll mit Liegestühlen, Luftballons, blau-weiß-rautierten Tischdecken und Primeln in den Ecken dekoriert, wurde der "Superbürokrat" gesucht. Drei Freiwillige mussten im Wettstreit erraten, was beispielsweise ein "Lautraum" sei (eine Diskothek) oder ein "raumübergreifendes Großgrün" (ein Baum). Interessanter Versprecher der Moderation: "Es geht um die Sprache der Demokraten... Verzeihung, der Bürokraten natürlich..." In beiden Begriffen steckte nunmal das griechische kratos, die Herrschaft.
Nach einer kurzen Einführung des Dramaturgen gab es dann Havels "Gartenfest": Der junge Hugo Pludek wird von seinen bekennenden Mittelstandseltern zu einem Schulfreund des alten Pludek geschickt, auf dass der ihm den Weg ins Berufsleben weise. Eher zufällig landet Hugo daraufhin auf einem Gartenfest des Amtes für Auflösung, wo er zwar den alten Freund des Vaters nicht trifft, dafür aber einen Schwung Beamter, deren Sprachfiguren er für seine Zwecke schnell zu nutzen weiß. Er spielt die Bediensteten des Amtes für Auflösung virtuos gegen die des Amtes für Eröffnung aus und ist alsbald mit der Aufgabe betraut, das Zentralkomitee für Auflösung und Eröffnung zu leiten. Ein schöner Erfolg, wie der alte Pludek findet, als er erfährt, was der Junge in so kurzer Zeit gewuppt hat. Nur ist dieser kaum wiederzuerkennen und seinen Eltern ein Fremder geworden.
Floskeln, Relativierungen, Tautologien
Der Witz des "Gartenfests" speist sich nun weniger aus dieser etwas banalen Pointe als aus der Sprache selbst, die virtuos auf der Klaviatur der Floskeln, Relativierungen, Tautologien, eingebauten Hintertürchen und so weiter spielt. Das ist für die Schauspieler eine Herausforderung, die das Ensemble der Landesbühne Niedersachsen überwiegend souverän, wenn nicht mit Bravour (vor allem Mathias Reiter als Hugo) bewältigte.
Was nun die Stoßrichtung des "Gartenfests" und damit des Schwindel erregenden Wortewirbels ist, erschließt sich schnell: In einer Gemengelage aus Misstrauen und Opportunismus bewegen sich Figuren, die den strategischen Umgang mit den ihnen aufgeherrschten Verhältnissen so verinnerlicht haben, dass er zur Charaktermaske geronnen ist. Vom stillen, Schach liebenden Jungen wird Hugo zu einem berechnend schwadronierenden Aufsteiger, der jedes Argument, das zieht, mit "Schach!" feiert, um die anderen am Ende überhaupt mattzusetzen.
Trotz einiger deutlicher Bezüge auf die rhetorischen Figuren des Marxismus-Leninismus ist "Das Gartenfest" keineswegs ostspezifisch, sondern persifliert – und der Versprecher am Anfang setzte Havel damit ohne Absicht zusätzlich ins Recht – jegliche hierarchischen Verhältnisse, in denen ein ehrliches Wort Karrieren und mehr vernichten kann. Ein unterhaltsamer Abend also. Die flotte und bewegungsreiche Inszenierung sparte nicht mit Situationskomik, das Ensemble zeigte Spielwitz – und Mathias Reiter tänzelte sich geradezu durch seine Partie.
Das Gartenfest
von Václav Havel, ins Deutsche übersetzt von August Scholtis
Regie: Christof Meckel. Bühne und Kostüme: Sven Hansen. Mit: Mathias Reiter, Stefan Ostertag, Heike Clauss, Claudia Friebel, Sebastian Stielke, Peter Lindhorst, Kathrin Ost, Thomas Hary, Oliver Schönfeld.
www.landesbuehne-nord.de
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Ich möchte mich auf diesem Wege bei allen Mitwirkenden noch einmal für diesen wirklich schönen Abend bedanken. Macht weiter so!
Liebe Grüße Christel Heuermann.