Hofreiters Kalter Krieg

von Andreas Wilink

Bochum, 19. März 2009. Vielleicht hätte Billy Wilder die Tragikomödie so inszeniert, zumindest die ersten drei Akte, wie sie Dieter Giesing im Bochumer Schauspielhaus in knapp 90 Minuten bis zur Pause fix und fertig erledigt hat. Was dann wohl ein Kompliment wäre – das man dieser sehr gerafften Aufführung von Schnitzlers "Das weite Land" im Ganzen nicht ohne weiteres machen kann. Oder höchstens von den beiden letzten Akten her betrachtet, von denen wiederum der Schluss auszunehmen wäre, wie Burkhart Klaußner als Friedrich Hofreiter ihn angeht – an verschlossenen Türen des Rundhorizonts rüttelnd und keinen Ausweg aus seinem Sommerhaus und seinem Leben findend, wozu eine Musik vollends das Melodram herbei ruft.

Allerhand Bedenklichkeiten also, und das schon in drei, vier Sätzen. Was ja auch etwas sagt über eine Inszenierung, der nur mit solch einem "so so" beizukommen ist. Die Komödie wird nicht unterschlagen, die Angelegenheit leicht und trocken genommen, sportiv, leger und mit einer gewissen Aufgeknöpftheit. Die Haltung, die die formale Existenz der vergangenen Jahrhundertwende stützt, ist aufgegeben, aufgelöst und fallen gelassen.

Elastische Beine, rabiate Tüchtigkeit
Fabrikant Hofreiter tänzelt bei Klaußner, als stünde eines seiner elastischen Beine noch in einer Posse von Feydeau, oder als habe er den Coca-Cola-King James Cagney aus Wilders "Eins, zwei, drei" in dessen praktischer und rabiater Tüchtigkeits-Routine studiert: wie er Herrscher- und Besitzerstolz in napoleonischem Sich-Brüsten auskostet, wie er die Hände in den Hosen vergräbt, sprintet und sich locker gibt, die Brutalität seiner "männlich" überlegenen Ansichten mit seiner energisch liebenswürdigen Siegernatur abmildert und noch die eigene Niederlage – die Affäre seiner Gattin Genia mit dem Fähnrich Otto (Martin Bretschneider), den er im Duell tot schießen wird – quasi als ein Triumphator dem Freund Mauer mitteilt.

Aber dann nach der Bergtour-Amour mit dem Fräulein Erna (Elisabeth Hart) und seiner Rückkehr nach Hause verhärtet er sich – eine drohende Gespanntheit überzieht ihn, bis er kantig und fremd in der Welt steht und seine Jugend suggerierende Geschmeidigkeit den Zweikampf mit der wirklichen Jugend gewinnt – und doch verloren geht.

Mit dem Rücken an der himbeerfarbenen Verandawand
Elmar Goerdens Theater hat alle Kräfte aufgeboten für die, wenn man so will, repräsentativste Inszenierung der letzten Jahre an dem Bochumer Haus. Zumal ein Schnitzer mit Schnitzler wieder gut zu machen war, das Desaster, das vor zwei Jahren Armin Holz auf dem "Einsamen Weg" mit seiner veredelten Mumifizierungs-Methode angerichtet hatte.

Nun das Gegenmodell zu dem outrierten Artefakt: Giesing durchlüftet die Schwüle und Morbidität des Fin de siècle. "Das weite Land" der Seele ist – vordergründig – verengt auf eine ziemlich scheußliche, billig wirkende Moderne mit himbeerfarbener Verandawand, Schiebetür, Liegestühlen und einigen falschen Corbusier-Sesseln (Bühne: Thomas Dreißigacker). Wer soll sich darin behaupten und nicht adrett gewöhnlich aussehen wie die Gegenwartsgesichter aus den Society-Spalten von Bunte oder Gala? Mit Markus Boysen als Dr. Mauer schlendert etwas von der Melancholie einer früheren Epoche herüber, seiner gelassenen Gleichgültigkeit steht der scharf geschnittene Charakter des Bankier Natter (Johann von Bülow) entgegen.

Sportliche Sommergäste und ihre Geschlechterspiele
Wo Männer den Gefühls-Betrug sportlich nehmen und ihrem Jagdinstinkt nachgeben, ist es an den Frauen, großzügig zu sein. Wie Ulli Maier Ottos Mutter, Anna Meinhold-Aigner, als großherzig Wissende mit sich selbst vernachlässigender, wegwerfender Geste zeigt, hat sie der Genia (Catrin Striebeck) in ihren zwei kurzen Auftritten den Rang abgelaufen. Das Tennismatch scheint hier, mehr noch als bei Schnitzler selbst, dessen Wiener Sommergäste dem Freizeitvergnügen nachgehen, Metapher zu sein für eine dürftige Fitness- und Leistungs-Gesellschaft.

Giesing will dabei wohl gar nicht Bescheidwisser sein, ihm genügt der Beobachterposten. Skepsis gegenüber den Ergebnissen der Erkenntnis zu hegen, mag richtig sein. Darin ähnlich dem Heinrich Berman, der zu Georg von Wergenthin in Schnitzlers Roman "Der Weg ins Freie" sagt: "Das Verstehen ist ein Sport wie ein anderer. Ein sehr vornehmer Sport und ein sehr kostspieliger. Man kann seine ganze Seele darauf verschwenden und als ein armer Teufel dastehen. Aber mit unsern Gefühlen hat das Verstehen nicht das allergeringste zu tun – beinahe so wenig wie mit unsern Handlungen.... Das Verstehen bedeutet immer ein Ende."


Das weite Land
von Arthur Schnitzler

Regie: Dieter Giesing, Bühne: Thomas Dreißigacker, Kostüme: Kathrin Aschendorf, Musik: Jörg Gollasch.
Mit: Manuela Alphons, Claude De Demo, Elisabeth Hart, Ulli Maier, Anna Staab, Catrin Striebeck, Johan von Bülow, Markus Boysen, Martin Bretschneider, Martin Horn, Burghart Klaußner, Arne Nobel, Christoph Pütthoff, Alexander Maria Schmidt, Felix Vörtler, Klaus Weiss.

www.schauspielhausbochum.de

Mehr lesen zu Arthur Schnitzler? In Berlin gab am Deutschen Theater der Filmregisseur Christian Petzold mit Schnitzlers Der einsame Weg im März 2009 sein Theaterdebüt.

 

Kritikenrundschau

"Schnitzler light" hat Andreas Roßmann von der Frankfurter Allgemeinen (21.3.) in Bochum bei Dieter Gisings Inszenierung von "Das weite Land" gesehen. Das Stück werde "aus dem Wiener Fin de Siècle gelöst und in Richtung Gegenwart verschoben, ohne ganz in ihr anzukommen. Dabei geht der feste Rahmen, auf den die Bühne demonstrativ verzichtet, auch den Figuren verloren. An Konventionen und gesellschaftliche Rollen nicht mehr so stark gebunden, büßen sie auch ihre soziale Repräsentanz und jene Form ein, die ihnen Halt gibt und Widerstand bietet." Giesings Aufführung hole so "das Schauspiel näher heran, aber nahebringen kann er es deshalb nicht". In den letzten beiden Akten immerhin werde "die Aufführung dichter, indem sie das Gesellschaftspanorama auf die Tragikomödie des Friedrich Hofreiter" zuspitze. "Darstellerisch durchwachsen", sei "Das weite Land" trotzdem "eine der besseren Inszenierungen dieser Spielzeit in Bochum".

Zwar gelinge Burghart Klaußner "eine eigenwillige Version des erotischen Hasardeurs Hofreiter", meint Werner Streletz in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (21.3.), Dieter Giesings Inszenierung indessen mangele es an Stringenz. Je mehr sich das Thementableau erweitere, "desto stärker wattiert der Regisseur die Inszenierung mit den wohlfeilen Mitteln des Edelboulevards". Das sei "vergnüglich anzusehen, zumal dabei manches Kabinettstückchen gelingt, doch die zunächst hellsichtige Diagnose eines fatal über alle Misshelligkeiten hinwegplaudernden Personenensembles löst sich allzu neckisch auf". Giesing bleibe "auf halbem Weg stehen: an der Stelle, wo der strenge Blick durch eine gewisse Harmlosigkeit vertändelt wird." Zwar bröckele der diskrete Charme der Bourgeoisie bei Giesing unübersehbar, "doch zur radikalen Entschiedenheit eines Luis Buñuel hat's leider nicht gereicht."

In den Ruhr Nachrichten (21.3.) stimmt Ronny von Wangenheim ein Lob der Schauspieler an: Burghart Klaußner spiele seinen Hofreiter "als Fabrikanten mit Expansionsehrgeiz, der tänzelnd seine Jugend behauptet". Catrin Striebeck begegne "ihm als Genia nicht als Hausmütterchen, sondern auf Augenhöhe". Und auch die anderen Rollen seien "bis hin zu den kleinen Auftritten ... glänzend besetzt". Alle zusammen machten den Abend "zu einem atmosphärisch dichten und kurzweiligen Erlebnis".

 

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