Schweineabstechfachsimpeleien zu Balkan-Beats

von Jürgen Reuß

Freiburg, 21. März 2009. Aleksandar (Konrad Singer) ist das Kind einer Patchwork-Familie. Nicht im Sinne von geschieden, wieder verheiratet, Stiefgeschwister, sondern im jugoslawischen Sinn. Die Mutter ist Bosniakin, der Vater Serbe. Die Familie lebt in Višegrad an der Drina, einem Schnittpunkt zwischen Morgen- und Abendland. Später wird sie in Deutschland zwischen verlorener Heimat und Neuanfang leben, zwischen Dagebliebenen, Zurückgekehrten und gelegentlichen Besuchern.

Saša Stanišic, 1978 im bosnischen Višegrad geboren und 1992 mit seinen Eltern nach Heidelberg emigriert, hat 2006 in seinen semiautobiografischen Roman, der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, dieses Leben patchworkartig aus verschiedenen literarischen Stilmitteln zusammengepuzzelt. Patchwork ist auch die Grundidee der Bühnenadaption dieses Textes, die am Samstag im Kleinen Haus des Theater Freiburg unter der Regie von Tanja Krone Premiere hatte.

Der Chefgenosse für das Immerweitergehen

Auf dem Boden sind die vielen neuen Grenzlinien des zerfallenen Vielvölkerstaats wie die Umrisslinien an einem Tatort nachgezeichnet (Bühne und Kostüm Margret Burneleit). Im Hintergrund hängt am staatstragenden Vorhang Porträt des Marschalls Tito, der auch leibhaftig (Julius Vollmer) im vollen militärischen Ornat der Gerontokratie von einst davor paradiert. Seine einzige Gesellschaft ist ein altes Grammofon.

Wenn die Akteure gelegentlich zum Mikro greifen, sich als Enkel des großen Vorsitzenden des noch nicht Zerfallenen gerieren und wie Aleksandar der Welt ihr "Ich bin der Chefgenosse für das Immerweitergehen und unterstütze das Undsoweiter!" verkünden, scheppert es wie aus der verblichenen Ferne vermeintlich heiler Radiodiktaturen. Der Bauklotzbühne ist es egal, wie die Umstände gerade sind.

Schnell sind die einzelnen Elemente zur jeweiligen Notwendigkeit zusammengeschoben, egal ob Festtafel, Brücke, oder zerschossenes Städtchen. Selbst die Charaktere sind ein Flickenteppich von Figuren: Aleks Mutter (Melanie Lüninghöner) ist auch sein Uropa, der Vater (Frank Albrecht) seine Oma, Lehrer, Soldat oder Polizist, die Tante (Bettina Grahs) Uroma oder kraftmeiernder Sportheld usw. Bei den Einzelpersonen geht es daher auch weniger um psychologische Einfühlung als um burleske Zuspitzung.

Großserbische Ehre in Bosnien

Vor dem Zerfall ist alles Sippe. Ob der Onkel Ostjeansanzug mit Schnauzer und flammendes Totenkopf-T-Shirt (Elisabeth Hoppe) oder Polyester-Jogginganzug inklusive komplette Partisanenbehaarung (André Benndorff) trägt, die Familie hält zusammen. Bis der Krieg plötzlich die Risse sichtbar macht, der unter der Tünche des titoistischen Volksfrontzwangs schon immer klafften.

Ebenso plötzlich kippt das klischeehafte Festgelage zu Balkan-Beats, mit Trichtersaufen, Schweinabstechfachsimpeleien und auf dem Tisch tanzen. Einer der Saufköppe ist auf einmal serbischer Nationalist, ballert in der Gegend rum, hetzt gegen Zigeunermusik und fordert großserbische Ehre für den Onkel, der in den Krieg ziehen will. Noch kann sich die großmütterliche Autorität durchsetzen, doch von Ferne wummern schon die Geschütze. Das Licht verlischt, die Bühnenelemente kegeln durcheinander, Nebel wabert, Mund und Mikro schnalzen zum Beatboxgefecht.

Scherbenhaufen mit Untoten

Dann wird Deutschland in den Flickenteppich gewoben. Viele gehen, manche bleiben, viele sind verschwunden, einige kehren zurück. Während die Bühne geräumt und gefegt wird, rezitieren die Schauspieler die Handlung weiter aus Briefen. Aleksander fährt noch einmal zurück in das, was einmal sein Heimatland war, findet aber nur noch teilnahmslose Zombies vor. Was für Aleksandar mit dem Tod des Großvaters begann, endet nun in einem Scherbenhaufen der Untoten mit ihren irgendwo in der Welt kreisenden Trabanten. Und es muss schließlich die Kunst bemüht werden, ihnen ein Zurück zu erschreiben.

Das alles hätte einen spannenden Theaterabend ergeben können. Doch der war dann über weite Strecken geprägt von einem seltsamen Mangel an Intensität und Genauigkeit, was am Ende auch im verhaltenen Schlussapplaus spürbar wurde. Vielleicht erzeugen manche Übertreibungen, die beim Lesen gut funktionieren, auf der Bühne doch zu viel Vorführeffekt.

 

Wie der Soldat das Grammofon repariert
Schauspiel nach dem Roman von Saša Stanišic
Regie: Tanja Krone, Bühne und Kostüme: Margret Burneleit, Musik: Sebastian Kunas, Marko Siegmeier.
Mit: Frank Albrecht, André Benndorff, Bettina Grahs, Elisabeth Hoppe, Melanie Lüninghöner, Konrad Singer, Julius Vollmer.

www.theater.freiburg.de


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Kritikenrundschau

Die naive Perspektive eines zwölf, dreizehn Jahre alten Jungen einzunehmen, sei in dem Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" der Kunstgriff des Autors Saša Stanišic, den Leser "möglichst unmittelbar am gewaltsamen Auseinanderbrechen einer Nation teilnehmen zu lassen", schreibt Bettina Schulte in der Badischen Zeiung (23.3.). In Tanja Krones Bühnenadaption am Theater Freiburg würden aber "aus dem poetischen, sehr abgründig harm- und ahnungslosen Erzählton (…) plumpe, platte Kalauer: nicht immer und überall, das nicht. Aber vor allem in der ersten Hälfte des (…) Abends" überwiege "der grobe Spaß". Später solle man sich "hineingruseln in den Bruderkrieg, doch Schock und Schrecken bleiben überschaubar." Schauspielerisch immerhin lasse der "sich beliebig im Episodischen" verlierende Abend "wenig zu wünschen übrig".

 

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