Kuchen ist alle – gebt Brot!

von Christian Rakow

Berlin, 26. März 2009. Die Kaczyński-Brüder machen es einem ja wirklich nicht leicht. Und über die Debatte um Vertriebenenbundpräsidentin Steinbach hätte man es letzthin beinah völlig vergessen. Aber natürlich: Auch unsere östlichen Nachbarn kennen Humor und Selbstironie, wenn es um die nationale Identität geht!

Zum Beweis hat die Schaubühne in Koproduktion mit dem TR Waszawa eine namhafte Zeugin eingeladen: Dorota Masłowska ist so etwas wie das Wunderkind der polnischen Gegenwartsliteratur. Im zarten Alter von 18 Jahren gab sie mit "Schneeweiß und Russenrot" ihr Romandebüt – ein slangfestes, vor Drogeneskapaden strotzendes Subkulturenporträt, das von der deutschen Kritik als postkommunistisches Pendant zu "Trainspotting" gefeiert wurde.

22-jährig erhielt sie den NIKE-Preis, die bedeutendste literarische Auszeichnung Polens. Nun, mit 25, legt sie in ihrem zweiten größeren Theaterstück "Wir kommen gut klar mit uns" den Bericht zur Lage der Nation vor. Und der fällt erwartungsgemäß betrüblich aus. In einer Unterschichten-Hochhauswohnung begegnen uns drei Generationen Frauen: Oma (Danuta Szaflarska) im Rollstuhl zehrt ganz von ihren Weltkriegserinnerungen. Mutter (Magdalena Kuta) kocht tagein, tagaus Letscho und schmökert in Frauenjournalen, die sie aus der Altpapiertonne zieht. Und die Girlie-Tochter (Aleksandra Popławska) ist von Oma leicht angenervt: "Ich finde, sie kupfert ein bisschen ab bei den Vier Panzerfahrer mit Hund und bei Allo Allo, aber geschenkt. Schließlich haben wir Postmodernismus."

Furiose Selbstentwürdigungen

Postmodernismus hat selbstredend auch Masłowska. Und deshalb wird hier munter populärer Textmüll gesampelt und Diskursparodie betrieben: Die Frauen lesen sich Modetipps aus der "Nicht für Dich" vor, die ganz auf die reale Schäbig-Klamotte abgestellt sind. Kochrezepte werden auf Ekel getrimmt. Gelegentlich reist man nach Kalau, wenn ein (natürlich) geschichtsvergessener Deutscher "Herr Arzheimer" heißt. Gelegentlich geht's weiter, ins Groteske. Mit furioser Selbstentwürdigung tritt dann die Bożena (Maria Maj) auf: "Ich bin fett wie ein Schwein und sollte anderen Leuten nicht so frech durchs Blickfeld lungern."

Regisseur Grzegorz Jarzyna geht das Szenario adäquat im Stile einer Fernsehcomedy wie Fawlty Towers an und scheut sich nicht vor Überzeichnungen. Oma und Enkelin (auf Rollschuhen) sind platinblond mit Zöpfen, Mutter eher das graue Heimchen. Lange wirkt das Spiel wie ein auf Abendlänge gebrachter Insider-Joke, in dem die Einblicke in die Lower-Class-Konsumwelt wenig überraschen und die Feinheiten des auf Polnisch uraufgeführten Textes im Tempo der Übersetzung verloren zu gehen scheinen (der polnische Teil des Publikums amüsierte sich jedenfalls köstlich).

Dann aber schaltet das Stück einen Gang höher, und wir geraten unversehens in eine wendungsreiche Kunstsatire. Man hätte es ja ahnen können: Die stylische, nahezu leere Bühne (von Magdalena Maciejewska) ist andeutungsreich umstellt von drei Videowänden, auf denen gelegentlich Trickzeichnungen das Wohnungsinterieur skizzieren. Und tatsächlich gibt sich das Szenario ab dem zweiten Akt als Produkt eines Filmregisseurs (Adam Woronowicz) zu erkennen, der in verschiedenen Variationen auf einen großen neorealistischen Schinken abzielt: mit Armut, Erblindung und Leukämie – sprich: allen Ingredienzien hart gesottener Milieudramatik.

Abschied vom Popuniversum

Was folgt, ist eine veritable Dekonstruktion des Realismus. Fast schon im Stile eines Thomas Pynchon driftet Masłowska verwegen ab: Ein latent schwulenfeindlicher Jungschauspieler (Rafał Maćkowiak) darf sich vor einer Talkshowmoderatorin (Agnieszka Podsiadlik) produzieren, ehe er sie bei einem Glas Wein mit langwierigen Geschichten über die Weinproduktion in China verführt. Eine Cineastin mit Hornbrille (Roma Gąsiorowska) zeigt sich vom Film ergriffen und dankbar, "dass es andere noch schlechter haben." Später breitet eine vollbusige, Russ-Meyer-lässt-grüßen-Aktrice (Katarzyna Warnke) ihr Schminkköfferchen nebst Verachtung für die Polen vor uns aus.

Die Regie geleitet sanft durch dieses Klischee- und Zitatenkabinett. Bis Stück und Inszenierung die Angst vor der eigenen Courage packt. In einem Anfall von gesellschaftspolitischem Furor kippt die Komödie in eine pathetische Geste nationaler Identitätssuche. Eine letzte Filmvariante spielt den Tod der Großmutter im zweiten Weltkrieg durch. Flieger erscheinen im Video; Häuser stehen in Trümmern. Und die Enkelin realisiert: Ohne das Überleben der Oma wäre sie ja nun nicht, was sie ist, – bzw. sie wäre überhaupt nicht.

Wir sehen die Erweckung eines Geschichtsbewusstseins, das genau dort angelangt, wo man es, von Deutschland aus betrachtet, immer schon vermutet hat: In der Gewissheit einer Opferidentität anno 1939 ff. "Brot!" schreit die Enkelin, sich auf dem Boden windend. Brot, als wolle sie sich an einen möglichst einfachen Realismus der kernigen Worte anschließen. Brot, zur Verpflichtung auf die Tradition des Agrarstaats? Vom Popuniversum hat man sich da jedenfalls verabschiedet. Das schlechte oder, al gusto, gute Gewissen hat die Diskurskomödiantin eingeholt.

Wir kommen gut klar mit uns (UA)
von Dorota Masłowska, Deutsch von Olaf Kühl
in polnischer Sprache mit deutschen Übertitel
Regie: Grzegorz Jarzyna, Bühne: Magdalena Maciejewska, Kostüme: Magdalena Musiał, Video: Cókierek, Pani K. Mit: Roma Gąsiorowska, Magdalena Kuta, Łech Lotocki, Rafał Maćkowiak, Maria Maj, Agnieszka Podsiadlik, Aleksandra Popławska, Danuta Szaflarska, Katarzyna Warnke, Adam Woronowicz.

www.schaubuehne.de
www.trwarszawa.pl

 

Mehr zu Dorota Masłowska: Im März 2009 inszenierte Hanna Rudolph Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen in Oberhausen. Im Juni 2008 hat Armin Petras diesen Erstling von Masłowska bei den Wiener Festwochen erstaufgeführt.

 

Kritikenrundschau

Höchst beeindruckt zeigt sich Andreas Schäfer im Berliner Tagesspiegel (28.3.) vom Stück der "begnadeten Stimmenimitatorin" Dorota Masłowska, in dem sie  "ein polnisches Gesellschaftspanorama" entfalte, das so "plastisch wie trostlos ist und in seiner Überspitzung die Schichten einer kollektiven Kaputtheit beleuchtet, dass einem das Lachen im Halse stecken" bleibe. Regisseur Grzegorz Jarzyna spiele in seiner Inszenierung mit dem Element des Unwirklichen. Anfangs träten die Schauspieler "wie Scherenschnitte" vor die drei weißen Wände, die gleichzeitig Projektionsflächen seien, wo im Folgenden die grotesken Szenen "mit lakonischer Ruhe" eher unter- als überspielt würden. Aber auch sonst begeistert den Kritiker die schlichte Wucht, mit der Text und Inszenierung das Thema polnische Identität und Geschichte im Blick von drei Generationen auf den Punkt bringen.

Nicht ganz so beglückt zeigt sich Christiane Kühl in der Berliner tageszeitung (28.3.). Zwar gelingt es Stück und Inszenierung aus ihrer Sicht, "das Publikum wie rückwärts den Treppenwitz der Geschichte hinauf in die Psyche einer ausgebrannten Nation zu führen", die seit der Bombardierung Warschaus anscheinend "wie Zombies durch Europa" stolpert. Maslowska beschreibe die Situation mit entsprechend engagiertem Zynismus: "Aus der aktuellen Stagnation helfe nur eine Ganzkörpertransplantation bis in die vierte Generation, inkl. Änderung des Geburtsorts." Dennoch kommt das Stück für Kühls Geschmack doch ein wenig atemlos, "bisweilen arg kalauernd" und "anhaltend Klischee-reproduzierend" daher. Zwar habe Regisseur Grzegorz Jarzyna es "auf sehr angenehme Weise ent-turboisiert". Dennoch klingt Vieles für das Kritikerinnenohr schlicht nach Radio Eriwan.

Dirk Pilz
wiederum hat in der Berliner Zeitung (28.3.) seine Freude an diesem "kunstvoll angerührte Irrsinn". Denn aus seiner Sicht hat es "nicht nur viel Witz, sondern auch Methode", wie Dorota Masłowska in ihrem Stück vorgibt, "ein Bild des Gegenwarts-Polen zu zeichnen" und zwar im Zustand eines "real existierenden Absurdismus." Auch Grzegorz Jarzynas Uraufführung überzeugt den Kritriker. Der Regisseur habe "dem Text gleichsam in die Seele gefasst und seinen surrealen Kern hervorgeholt". Jarzyna nehme das Stück nicht nur von der witzigen Seite, sondern lasse es auch als traurigkomische Irrealkomödie funkeln."

Als "satirisches Schlachtfest, bei dem Maslowska wieder ein düsteres Blick des gegenwärtigen Polens zeichnet", beschreibt Matthias Heine in der Tageszeitung Die Welt (28.3.) das Drama, mit dem ihm die junge Autorin außerdem beweisen konnte, dass sie "auch noch ganz andere Töne drauf hat als nur den Jugend- und Internetslang" ihrer Romane. Zwar gibt Heine angesichts der Aufführung mitunter eine gewisse Ratlosigkeit zu Protokoll, räumt aber ein, das könne daran liegen, dass der deutsche Betrachter bei diesem Gastspiel aus Warschau nicht alle Anspielungen versteht. Trotzdem ist die "zaubernde Inszenierung" von Grzegorz Jarzyna, die dem Text Heine zufolge eine zusätzliche "romantische Dimension" gegeben hat, bei ihn nicht ohne Eindruck geblieben.

Kommentare  
Wir kommen gut klar mit uns: die Wahrhaftigkeit der Pose
Dziękuję! Stücktext und Inszenierung zeigen auf den Umgang mit Geschichte(n). Wo der Bühnen-Realismus längst von Fernsehen und Internet vereinnahmt worden ist, muss sich das Theater auf seine eigenen Mittel besinnen oder: in der Pose steckt Wahrhaftigkeit. Zunächst wird die Klischeehaftigkeit des Lebensalltags dreier polnischer Frauengenerationen, welche im gegenwärtigen Geschichts- bzw. Bühnenraum eingeschlossen sind, lustvoll dekonstruiert. Dabei sprechen die Frauen für sich selbst und miteinander, inklusive parodistischen Unvernehmens. Es folgt die Prostitution dieses Lebensalltags an einen männlichen Drehbuchschreiber/Regisseur, welcher über "das polnische Elend" berichten will, wobei der Zuschauer natürlich nicht ohne Hoffnung gelassen werden soll. Hier besteht offenbar noch so eine komische Vorstellung von Menschlichkeit.. Die Inszenierung driftet immer mehr in eine surreale Künstlichkeit ab, historische bzw. mediale Realitätskonstruktionen überlagern sich. In diesem Kontext ist das letzte Bild nur konsequent. Wo die Grenze zwischen Schein und Sein zunehmend verschwimmt, wo die Sprache nicht die eigene ist bzw. das Selbst nur fragmenthaft repräsentieren kann, hilft nur noch der Schrei der Schauspielerin des Kleinen Metall-Mädchens. Dem kann man sich als Zuschauer nicht entziehen, es wird mit vollem Effekt peinlich. Vielleicht, weil die ungehemmte Ausstellung fremden Leids den eigenen voyeuristischen Blick zurückwirft. Der Schrei breitet sich im Bühnen- und Zuschauerraum aus, er stammt von einem realen Körper auf der Bühne und nicht aus dem Lautsprecher des Fernsehers. Welche Stimmen werden gehört, wenn von "geschichtliche Identität" die Rede ist? Wer bzw. über wen wird Geschichte konstruiert? Kann sich jede Stimme auf der (Welt-)Bühne selbst Gehör verschaffen? Ist das Theater ein Opferverein? Kleines Metall-Mädchen: "Ist das fein, ständig jemandem sein Leben zu stibitzen und es in Geschichten, die einem im Schlaf das Wasser auf den Kissen zusammenlaufen lassen, als das eigene wieder zu erzählen!"
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