Ein echtes Roadmovie braucht auch Pausen

von Sarah Heppekausen

Oberhausen, 26. März 2009. Basslastige Musik dröhnt aus dem Nebenzimmer und die Zuschauer quetschen sich im Malersaal des Theaters Oberhausen auf die roten Plastikstühle, die auf der Bühne stehen und längst nicht für alle reichen. Noch weiß keiner, dass nach der ersten Szene der Vorhang zum Zuschauerraum zu Boden fallen wird und man dann man regulär Platz nehmen darf. Vorerst sind alle mittendrin im schrillen Partyspaß – als Statisten auf Parchas und Dschinas Drogentrip.

Die beiden vollgedröhnten Helden aus Dorota Masłowskas Theaterdebüt "Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen" sind per Anhalter unterwegs. Erst geben sie sich noch als Mann und Frau aus, später erzählt Parcha von dieser Mottoparty, wegen der er so heruntergekommen aussehe, und dass er eigentlich Schauspieler sei und für eine Arzt-Serie dringend nach Warschau müsse. Dschina täuscht ihre Schwangerschaft nur vor, ihr echtes Kind hat sie im Kindergarten zurückgelassen.

Jeder ist auch das Klischee des anderen

In Hanna Rudolphs Inszenierung ist der Maskenball noch lange nicht zu Ende. Die Reise der beiden entpuppt sich als gelebter Albtraum, in dem nicht nur Parcha und Dschina vorgeben, jemand anderer zu sein, sondern in dem auch die Menschen, auf die sie treffen, in gespenstisch-skurrilen Masken auftreten. Klaus Zwick beispielsweise spielt nicht nur den überdrehten, sich ständig Schweiß von der Stirn tupfenden Fahrer. Er gibt auch die Garderobenfrau, die in Rock und Bluse Kartoffeln wegschnitzelnd in der Bar sitzt. Mit Marek Jera als Bardame und Martin Hohner als Wiesiek in Stöckelschuhen (Kostüme: Sara Schwartz) wird diese Szene glatt zur Slapstick-Nummer.

In diesen Nebenfiguren (genauso bei Susanne Burkhard, die als betrunkene Autofahrerin mit dem Alkohol auch grellen Wahnsinn eingesogen hat) reizt die Regisseurin alle offensichtlichen Ostklischees aus. Hier wird mit polnischem Akzent gesprochen, Kopftuch und Kittel getragen, ein Polizist mit Geld und Wertsachen bestochen. Komödiantische Leichtigkeit bleibt da nicht aus. Vielleicht formt die Regisseurin die Bedrohlichkeit, die sich bei Masłowska in der ironisch-bösen Sprache äußert, deshalb des Öfteren zu körperlichen Angriffen um. Damit sie nicht gänzlich verloren geht.

Artiges Wedeln mit der polnischen Flagge

Denn Rudolph nimmt die Doppelbödigkeit der derb-düsteren Geschichte um Gewinner und vor allem Verlierer des osteuropäischen Turbokapitalismus durchaus ernst. Besonders den beiden Protagonisten lässt die Regisseurin auch Zeit und Raum für Traurigkeit. Denn beim langsamen Runterkommen von den Drogen werden sie sich einer erbarmungslosen Realität bewusst. Ein echtes Roadmovie braucht auch seine Pausen. Und ein Trip hat seine bunten Höhen und tristen Tiefen. Diese Mischung aus exzessivem Rauschgetue und melancholischen Momenten gelingt gut.

So pendelt Caspar Kaeser als Parcha glaubwürdig zwischen aggressivem Machogehabe mit dem schnellen Griff zur Waffe und den ihn überkommenden Lebenszweifeln. Manja Kuhls Dschina zündet sich mit einer Pistole die Zigaretten an und tänzelt lasziv um Stangen und Stühle (Bühne: Maike Storf). Sie ist eine Getriebene – nur dass sich ihre Bewegungen durchs Klebstoff-Schnüffeln erheblich verlangsamt haben. Zum Ende hin verändert sich ihr Sprachmodus, er wird klarer, gefasster, mehr "coming down". Sie könne nicht zu ihrer Mutter zurück: "Die bringt mich um." Dann erschießt sich Dschina selbst. Und Parcha trauert.

Aber hier droht keine Sozialkitschgefahr. Die Nebenfiguren wedeln artig mit der polnischen Flagge. Für den bösen Witz der Autorin findet die Inszenierung starke, aber nicht überladene Bilder, die sich auch nicht allzu ernst nehmen. Da verzeiht man die Unruhe durch den anfänglichen Umzug in den Zuschauerraum gerne. Die Inszenierung glättet die Unebenheiten des Stücks nicht, sie hat ihre eigenen – wie die Straße in einem Roadmovie.

 

Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen
von Dorota Masłowska
Deutsch von Olaf Kühl
Regie: Hanna Rudolph, Bühne: Maike Storf, Kostüme: Sara Schwartz, Musik: Kriton Klingler-Ioannides. Mit: Susanne Burkhard, Manja Kuhl, Martin Hohner, Marek Jera, Caspar Kaeser, Klaus Zwick.

www.theater-oberhausen.de

 

Mehr zu Dorota Masłowska: Die Erstaufführung von Zwei Polnisch sprechende Rumänen brachte Armin Petras im Juni 2008 bei den Wiener Festwochen heraus. Im März 2009 gastierte an der Berliner Schaubühne die Warschauer Uraufführungsinszenierung von Masłowskas zweitem großen Stück Wir kommen gut klar mit uns.

 

Kritikenrundschau

Zufrieden zeigt sich Monika Idems in der Neuen Ruhrzeitung (28.3.), besonders mit dem "unheimlich guten Ensemble" und der atmosphärischen Musik von Kriton Klingler, mit der Hanna Rudolph ihre Inszenierung unterlegt hat. Auch das Stück macht Eindruck als "Illustration der Folgen der früheren Systeme Osteuropas lesen oder als Auswirkung der jetzt herrschenden " auf die Kritikerin, selbst wenn es keine Geschichte erzähle, sondern eine Zustandsbeschreibung sei. Der Blick der Inszenierung auf dieses "Horror-Panoptikum" bleibe immer unbehaglich, manchmal sei er auch unheimlich. Mitunter allerdings wirkt die Inszenierung ein bißchen unentschlossen und gebremst auf die Kritikerin.

Als "hochkomische Odyssee quer durch alle nur denkbaren Osteuropa-Klischees" beschreibt Arnold Hohmann in der Westfälische Rundschau (28.3.) diesen Abend. Doch achte die Regisseurin Hanna Rudolph penibel darauf, dass "dieses Roadmoviel eine Buckelpiste der Gefühle" bleibe. "Was gerade noch wie Slapstick wirkte, weicht im nächsten Moment tiefer Melancholie." Der Zuschauer merke, dass "er bei allem Lachen am Ende doch einem Alptraum" beiwohne.

 

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