Nur noch ein Party-Gerücht

von Eva Maria Klinger

Wien, 2. April 2009. Kleinbürger-Party im Wohnblock. Drei Paare versuchen Konversation zu machen, schlagen Zeit tot, grillen Mitgebrachtes. Ihre Sätze sind unvollständig, ihre Worte banal. Ewald Palmetshofer, der 30jährige, gehypte Dramatiker aus Oberösterreich trifft mit seinem Mosaik aus Floskeln den Ton des Mittelmaßes.

Das Fragmentarische, das Unvollkommene dieser Kunstsprache verweist auf die Degeneration des Geistes. In den besten Momenten gelingt es ihm, die Defizite gleißend bloßzustellen. Da darf dann auch gelacht werden. Dass ausgerechnet "Faust" ins Spiel gebracht wird, ist eine reizvolle Paradoxie.

Schauerdrama im comedy-Format

Worüber würden diese Durchschnittsbürger schon reden, wenn es nicht das unglückliche Schicksal einer Freundin zu beschreiben gäbe? Sie hat sich auf einer dieser Partys in einen Schweigsamen verliebt, der sie schwängert und verschwindet. Das Baby verscharrt sie im Wald, sucht selbst dort den Tod. Das Schauerdrama hat den Autor mehr interessiert als die Tragödie des ewig Suchenden. Goethes Faust liefert nur Versatzstücke für eine TV-Comedy. Die Worte "Kern", "Wette", "Verweile doch", "Wie hast du's?" tauchen auf und wirkungslos wieder ab. Ein Spaß nur.

Herr Faust ist ein Außenseiter auf dieser Spießer-Party. Ansatzweise spricht er von der Unmöglichkeit, Glück, Wahrheit oder Liebe zu finden. Leere überall. Nicht so geschliffen klug wie von Elfriede Jelinek sind diese Ein-Satz-Ungetüme, die sich zu Monologen bauschen und nicht so abgründig witzig wie von Werner Schwab sind diese Wortschöpfungen. Aber Palmetshofer, schon Jelineks Kronprinz genannt, findet in der Komposition von Halbsätzen und Mäandersätzen einen originellen, eigenständigen Ausdruck.

Die Titelfiguren kommen nicht vor. Man erzählt von ihnen. Für die wenigen Faust-Szenen fällt einer der drei Schauspieler aus der Rolle, rauft sich die Haare und stülpt ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift Heinrich über, was ein witziger Einfall der Regisseurin Felicitas Brucker ist. Ebenso wie das Grete-Röckchen, das die Damen abwechselnd überziehen. Das bringt Übersicht in das Spiel mit Rollen und wechselnder Realität. Überhaupt findet die Regisseurin für die munteren Stilbrüche eine schlüssige ästhetische Form.

In der Verneinung zieht es noch hinan

Diese neuen Texte, denen sich das Schauspielhaus so enthusiastisch verschreibt, benötigen Interpreten, die dem Abstrakten und Vertrackten Glanz, Reiz, ja Charme verleihen. Die sechs SchauspielerInnen, die das Jahr über so gut wie alles spielen, können nicht hoch genug geschätzt werden. Nicola Kirsch, Katja Jung, Bettina Kerl, Max Mayer, Steffen Höld, Vincent Glander sind mit Intelligenz, spielerischer Freude und sprachlicher Präzision die wahren Stützen dieser risikoreichen Unternehmungen.

Hamlet und Faust, zwei große Stoffe hat sich Ewald Palmetshofer also schon vorgeknöpft. "hamlet ist tot. keine schwerkraft", diese gewalttätige Seifenoper, schrill und herzlos, hat vor zwei Jahren dem neuen Leiter des Schauspielhauses, Andreas Beck, einen Eröffnungs-Erfolg beschert. Hamlets zerrüttete Familiengeschichte wurde auf Boulevard-Standard getrimmt, ein unerschrockener Zugang zu Shakespeares Vermächtnis, der in Elogen gerühmt wurde. Zwar sind die Vorbilder übermächtig und selbstverständlich unerreichbar. Aber sie verleihen dem allzu Irdischen eine Sehnsucht nach Höherem. Wenn nur noch Materialismus gilt, so schwingt die Metaphysik zumindest in der Verneinung mit.

 

faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete (UA)
von Ewald Palmetshofer
Regie: Felicitas Brucker, Bühne: Steffi Wurster, Kostüme: Irene Ip, Video/Musik: Samuel Schaab, Dramaturgie: Brigitte Auer. Mit: Katja Jung, Bettina Kerl, Nicola Kirsch, Vincent Glander, Steffen Höld, Max Mayer.

www.schauspielhaus.at

 

 

Mehr zu Ewald Palmetshofer: ein Autorenporträt von Andreas Klaeui, die nachtkritiken von hamlet ist tot. keine schwerkraft in Wien, Luzern und Mannheim, von wohnen. unter glas in Graz und München und von Helden in Mülheim an der Ruhr.

 

Kritikenrundschau

Palmetshofer legt seinen sehr "freien Faust-Remix als radikale Außenseiter-Studie an", so Karin Cerny in der Süddeutschen Zeitung (16.4.2009). Die Hausgemeinschaft versuche in einer Art "Aktenzeichen XY"-Rückblende die Geschichte von zwei Menschen zu rekonstruieren, "die nicht so recht ins Bionade-Biedermeier passen mögen". Mit den zwei höchst unterschiedlichen Seelen, die im Dramatiker Palmetshofer wohnen, müsse eine Regie erst einmal zu Rande kommen, so Cerny. Vor zwei Jahren gelang es Felicitas Brucker den sperrigen "hamlet ist tot" als "aufgekratztes Volksstück im Stil von Thomas Jonigk zu erden." In "faust hat hunger" stößt Bruckers "ironischer Tonfalls allerdings auch an Grenzen: Ans Herz gehen einem diese harmlosen Karikaturen kaum. Zu cool wird über Existentielles hinweg gewitzelt, zu lose sind die vielen Anspielungen an den Faust-Stoff, die eher skizzenhaft im Raum herumschwirren." Der Abend unterhalte über lange Strecken gut, und auch das energetische Schauspieler-Ensemble sei in Höchstform, "aber der Stoff wirkt auf der Bühne braver, kleiner und biederer, als er eigentlich sein müsste".

Ewald Palmetshofer werde bereits häufig mit "seinen dramatischen Vätern und Müttern" verglichen, beobachtet Barbara Villiger Heilig von der Neuen Zürcher Zeitung (6.4.2009): mit "Thomas Bernhard, Werner Schwab, Elfriede Jelinek, Marlene Streeruwitz … Das Erbe solcher Vorfahren echot unüberhörbar durch seine formal virtuosen Texte (…) Was die Inhalte oder eher den Inhalt angeht, reicht Palmetshofer aber kaum an diese Schwergewichte heran." Und so biete auch Palmetshofers postmodernes "Faust"-Remake "faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete" inhaltlich nur "dürftige Nahrung", der "postulierte Ideologieverlust wirkt wie ein penetrantes Feigenblatt." Palmetshofers "theatralische Kritik an der voyeuristischen Verkommenheit – der Menschen insgesamt? oder seiner Altersgenossen? –" sei "reichlich abgestanden". Der Autor habe sie "jedoch gewieft verpackt. Sprachlich stehen dem begabten Jungdramatiker viele Mittel zur Verfügung". Und die Palmetshofer'schen Versatzstücke würden von den sechs "hochmotivierten" Schauspielern des Wiener Schauspielhauses, "gebremst vom Schock, getrieben von Skandallüsternheit, nach und nach wie Apérohäppchen" serviert, "die uns manchmal im Hals stecken bleiben".

Als "Kultautor" wird Palmetshofer von Barbara Petsch in der Presse (4.4.2009) bezeichnet, und "faust hat hunger" sei denn auch "herrlich subversive Poesie im Gewand einer Soap". Palmetshofers These laute: "Wenn Gott tot ist, der Materialismus in Form eines Güterstroms durch Leiber zieht, deren Schluckmechanismus ausgeschaltet ist, bleibt als Erlösung nur die Liebe. Doch sie findet keinen Halt mehr in inwendig gekachelten Körpern." Auch wenn das kein Spaß sei, müsse man trotzdem oft lachen. Die Schauspieler seien "neuerlich hinreißend. Sie lassen diesen schwierigen Text, der gelesen eher wirr wirkt, dermaßen mit jugendlichem Temperament springlebendig werden, dass es einen vom Sitz reißt."

Als "schmerzliches Downgrading" empfand Ronald Pohl im der Wiener Tageszeitung Der Standard (4.4.2009) Ewald Palmetshofers "reizvoll zersplittertes" Fauststück. Palmetshofer, den er halbironisch den Mühlviertler "boy wonder" der Gegenwartsdramatik nennt, beschrifte seine Textschnitzel mit sämtlichen gängigen Reizwörtern, wobei manches Reizwort dem Kritiker gegen den Strich zu gehen scheint. So räsoniere die Figur "Fritz" allen Ernstes über eine "Menschen-Wert-Schöpfung". Aus Pohls Sicht geht die dramatische Rechnung Palmetshofers nicht immer auf, da sich "die alten metaphysischen Zentralbegriffe - Seele, Liebe, Innerlichkeit" mit dem Jargon der neuen Ökonomie nicht in jedem Fall nicht gewinnbringend zusammenschrauben lassen würden. In Felicitas Bruckers Uraufführungsinszenierung hat er dann vor allem "viele turnerische Details und ein prächtig aufgelegtes Ensemble" bestaunt. Die beiden Protagonisten aber bleiben aus seiner Sicht Leerstellen: "durch das Überstreifen von Namens-T-Shirts lässig herbeizitiert". Palmetshofers Stück sei eine einzige Verlustanzeige: "Wir haben nicht nur unsere Sinnquellen zum Versiegen gebracht, wir amüsieren uns auch nicht mehr prächtig." Diese "heftig akklamierte Ausstellung eines betrüblichen Befundes" fand Pohl allerdings insgesamt "mit zahlreichen Längen und Redundanzen eigentlich doch recht schmerzlich erkauft".

 

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