Presseschau vom 7. April 2009 – Das Volk will Spuren hinterlassen
Demokratisierung der Bühne?
"Die Realität ist eben doch das beste Theater", schreibt Adrienne Braun in der Süddeutschen Zeitung (7.4.2009) und bleibt in ihrem Artikel, in dem sie Rimini Protokolls Idee, die Daimler Benz-Hauptversammlung am morgigen Mittwoch in Berlin als Reality-Inszenierung für Zuschauer zugänglich zu machen, zusammenbindet mit Volker Löschs Chor-Theater, jedes weitere Argument für diese schon etwas abgegriffene These schuldig.
Adrienne Braun sieht in der Teilnahme an der Daimler-Show einen "neuen Trend", der sich in Poetryslams und Bürgerfernsehen ausdrücke und nach dem Internet, dem Fernsehen, "längst auch das Theater erfasst" habe: "Das Volk redet mit, beansprucht Sichtbarkeit im öffentlichen Diskurs… Das "Individuum will ein 'Tattoo', eine Spur in der Öffentlichkeit hinterlassen". Weiter spricht Braun von der "Demokratisierung der Bühne", bei der "die autoritäre Stimme des Autors durch Vielstimmigkeit ersetzt" werde. Der Regisseur Volker Lösch sei "Vorreiter dieses neuen Bürgertheaters", bei dem Amateure "sogar (Hervorhebung jnm) die etablierten Bühnen des Landes bespielen" dürften. Auch Christoph Schlingensief sei ein Vertreter dieser Tendenz, schließlich habe er im Hamlet 2001 in Zürich echte "aussteigewillige Nazis" auf die Bühne geholt.
Lösch hole auch deshalb Leute von der Straße, "weil er das 'Abspielen von Theatertexten' für überholt" ansieht. Lösch O-Ton: "Es reicht nicht mehr, Leute schön zu kostümieren und im Sinne der Erhaltung des Werks zu inszenieren". So, wie User ihr Wissen in Wikipedia einspeisen, liefere "die anonyme Masse Material und Wissen", wie etwa die Dresdner Bürger, die für Löschs "Woyzeck"-Inszenierung umfangreiche Fragebögen beantworteten, und deren Antworten danach in den Text der Aufführung eingingen.
Aus dem Jugendtheater sei "die Recherche an der Basis überhaupt nicht mehr wegzudenken". Explosionsartig seien "Spielclubs" entstanden und wurden "Projekte an sozialen Brennpunkten gestartet - weil sich die Dauer-User des Mitmach-Webs am besten mit Mitmachtheater ködern lassen".
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herr lösch setzt auf diese weise nur seine eigenen vorurteile in szene. mit bürgermeinungen hat das kaum etwas zu tun. der chor besteht aus der selben klientel rampengeiler narzisten die sich auch in diversen talkshows und bei big brother dauer-outen.
- "Angeblich neue Theaterformen, die nicht neu sind"?
- "Eigene Übersättigung an der Arbeit"?
- "angeblich unterstützte Bevölkerungsschichten"?
- "Gutes tun"?
- "Aussagen treffen"?
- "eigene Langeweile befriedigen"?
Du sonderst hier Allgemeinplätze im großen Stil ab, verzichtest auf jede Argumentation oder Sachkenntnis und außerdem gelingt es dir nicht syntaktisch korrekte Sätze zu bilden (Zeile 6-11 wirr). ...
A) hip fühlende regisseure, das sind menschen, die die siebzigerjahre-politisches. performance, realo theater als von ihnen neu geschaffenen kunstformen verkaufen wie kaisers neue kleider
das sind regisseure, die mit ihrem linken auge auf ihre karriere schielen statt auf die auf der bühne agierenden schauspieler, die sich alle mühe geben, neue formen zu finden, was diese regisseure aber nicht interessiert, da es nicht so spektakulär ist, die kunst und den text z hinterfragen, sondern es ist zeitungs- und kritikkompatibler, zu daimler zu gehen...
b) diese regisseure sind oft müde, gut bezahlt, machen ihre experimente niemals idealistisch und unbezahlt, sondern immer im großen stil, damit es ja neue schlagzeilen gibt, eben so, wie ich jetzt schreibe...reißerisch-provokativ...eigentlich langweilig..
c) diese art des theaters ist nicht neu und nicht eigen, sondern sie suchen neue anregungen auf der straße statt in sich selbst oder in ihren schauspielern oder sogar im text..ja, das ist oft wirr und ohne unterboden..
Zu a): Lösch, Pollesch und Rimini Protokoll sollten grundsätzlich nicht miteinander verglichen werden. Gleichwohl suchen alle drei nach Formen, die sich auf die gelebten Leben einzelner Subjekte im 21. Jahrhundert beziehen und nicht auf eine in den 70ern des 20. Jahrhunderts vorherrschende universelle politische Ideologie - wobei Lösch der Form des Agitprop schon sehr nahe kommt. Sie persönlich scheinen ja ohnehin mehr von Andersens Märchen "Des Kaisers neue Kleider" fasziniert zu sein. Beziehen Sie sich damit auf Castorfs "Meine Schneekönigin" oder auf Rimini Protokolls "Karl Marx - Das Kapital, Erster Band"? Oder sehen Sie sich vielmehr selbst gern in der Rolle des unschuldigen kleinen Kindes, welches am Ende ausruft: "Aber er hat ja nichts an!" Entspricht dieser von Ihnen geforderte Entlarvungsgestus nicht genau der von Ihnen kritisierten obsoleten Praxis des Theaters der 70er? Und was genau meinen Sie mit "die Kunst und den Text hinterfragen"? Möglicherweise widersprechen Sie sich hier selbst. Erst sprechen Sie davon, dass die Schauspieler eigenständig zu einer Form finden sollten, dann geht es Ihnen doch wieder nur um allgemeine Kategorien wie "Kunst" und "Text". Ein Text/Kunst entsteht doch allererst aus einer verschärften Beobachtungsgabe bzw. einer Hinterfragung und Bearbeitung des eigenen Lebens heraus. In diesem Sinne verweisen vor allem Pollesch und Rimini Protokoll auf den Konstruktionscharakter der Realität als Text, welcher immer wieder umgeschrieben bzw. neu wahr-genommen und mit anderen Bedeutungen versehen werden kann. Betrachtet man, wie bei Rimini Protokoll, eine Aktionärsversammlung von Daimler als theatrale Inszenierung, kann das also durchaus eine Irritation der Realitätswahrnehmung nach sich ziehen. Nicht ohne Grund wird die aktuelle Finanzkrise mit dem Begriff einer "Blase" belegt. Die globalen Finanztransaktionen sind - wie auch das Theater - ein virtuelles und scheinhaftes Phänomen, welchem die realwirtschaftliche Grundlage fehlt. Der Begriff der Theatralität meint in diesem Zusammenhang die Theatralisierung des alltäglichen Lebens unter den Aspekten von Bewegung, Sprache und Wahrnehmung. Folglich geht es nicht mehr allein um Theater im abgeschlossenen Bühnenraum. Parallel dazu entwickeln sich andere Formen. Beides hat mit den subjektiven, gesellschaftlichen und globalen Lebensformen zu tun. Ändern sich diese, muss sich auch das Theater in je spezifischer Weise dazu verhalten. Die von Ihnen beschworene "Zeitungs- und Kritikkompatibilität" ist dagegen wohl eher nachgängig.
Zu b) Woher wissen Sie eigentlich so genau, wie diese Regisseure sich fühlen? Ist es denn so wichtig, wie sich einer fühlt? Meinetwegen können die alle müde, gut bezahlt und ohne Idealismus sein, das ist immer noch kein Argument für oder gegen gute Arbeit. Bei Pollesch wird das alles über seine Texte mitreflektiert: "Mich interessiert die Zauberformel, mit der ich all das wieder in eine gerechte Form von Ungerechtigkeit verwandeln kann. Ja, was wollen die denn? Was soll ich denn machen? Soll ich jetzt auch Elend darstellen? Aber das hab ich doch gar nicht, das Copyright am Elend. Das ist doch nur ein kulturelles Almosen." Schließlich werden sogenannte Schlagzeilen nur von einem vereinnahmenden und oberflächlichen Journalismus produziert, es gibt aber durchaus reflektierte Journalisten, welche sich nicht an den Klatsch und Tratsch aus dem Privatleben der Künstler halten, sondern an deren künstlerischen Prozessen interessiert sind.
Zu c): Wo sollten die genannten Regisseure ihre Anregungen denn sonst suchen, ausser auf der Straße? Das beste Beispiel dafür bietet doch Brechts Straßenszene. Dagegen ist das Geniekonzept des allein aus sich selbst heraus schaffenden Künstlers seit Beginn der Moderne um 1900 passé. Natürlich könnte man auch die Körper der Schauspieler auf den OP-Tisch der Anatomie legen und diese sezieren, um so an ihr Innerstes zu gelangen. Ich glaube aber, dass Kommunikation immer noch das am Häufigsten praktizierte Verfahren ist.
nicht vom verkauf der seelen
SIE reden von körper, den meine ich auch, aber nur mit inhalt sich auf der straße inspririeren lassen ist schon okay, aber man muß dann etwas eigenes schaffen, das sehe ich auf den bühnen, der oben miteinander "verglichenen" (nur als hausnummer angeführten) "regietalente" nicht woher ich weiß, wie sie sich fühlen? (das bleibt mein geheimnis :-)..) außerdem kann man aus einer theatervostellung sehr wohl "herausfiltern", wie sich der regisseur "fühlt" oder was für eine weltsicht er hat
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eine daimlerversammlung als theater darzustellen war schon im vergangenen zwanzigsten jahrhundert mode und ist somit im 21.jhdt altmodisch, es ist ein verzweifelter rückgriff auf eben agitprop, die performances der achtziger, auf die neunziger mit schlingensief, den frühen kusej, vielleicht sogar noch stemann..es ist langweilig und NICHTS neues...
brecht brachte mich schon immer zum GÄHNEN, weil er genauso halsabschneiderisch-propangandistisch wirkliches arbeiterleben angepriesen hat, dabei war er reich mit fünfzig gleichen anzügen im schrank und hat noch nie gebettelt, sondern seine frauen als sekretärinnen und ideengeberinnen benutzt, ein sozialer heuchler, der nur auf den ruhm achtet..dies kann man seinen stücke bis heute "anfühlen"...man bleibt nach deren "konsum" irgendwie "leer" zurück..reine unterhaltung und nicht das, was sie vorgeben zu sein: ein soziales reflektieren und politisches anprangern..im gegensatz zu hauptmann und auch horvath, vielleicht sogar marie-luise fleißer..dort wird etwas in einem "berührt", vielleicht, weil die autoren "ehrlicher" und ernsthafter bemüht waren und nicht auf erfolg und ruhm und besonderheit aus..und genau dieses ehrgeizig-schale gefühl bleibt bei lösch und rimini-protokoll..weniger oft bei pollesch,der durchaus ernstgemeinte-ehrliche ansätze hat, das kann ich "spüren", oder es kommt mir jedenfalls so vor...
Ich freue mich, dass auch Sie bei Pollesch was "spüren" können, das geht mir genauso, wenn ich seine Texte lese und/oder höre.
Und dass Brecht gegenüber seinen tatsächlich nervig belehrenden und platt moralisierenden Stücken (ausser seinen frühen Stücken wie "Baal" oder "Trommeln in der Nacht" und seinen Lehrstücken) privat sowie im Umgang mit seinen MitarbeiterInnen wohl mehr einem die Produktionsverhältnisse steuernden und überwachenden Fabrikbesitzer gleichkam als einem sich solidarisierenden Ko-Produzenten, kann durchaus sein. Ich kenne Brecht jedoch nicht persönlich. Es ging mir hier wirklich nur um die Straßenszene, also um den Prozess, über welchen Theater entsteht. Da passiert ein Unfall, jemand beobachtet den und spielt den Unfallhergang sodann den Umstehenden bzw. der Polizei vor. Alles Theater, oder?!