Hart – Burg – Mann

von Stefan Bläske

Wien, 22. April 2009. Auf einmal steht Matthias Hartmann nur noch im Hemd da. Sein Sakko (und das daran montierte Mikrophon) hält er der kaufmännischen Geschäftsführerin hin. Die soll übernehmen, denn die Frage ging ums Geld, und Hartmann möchte nur über Kunst sprechen.

In den Werkstätten ART for ART präsentiert der designierte Direktor vor dauerklickenden Photographen den Schriftblock "Welt – Burg – Dorf". Das neue Team wollte kein Logo, kein Corporate Design in Firmenlogik, sondern ein Spiel mit Worten. Mindestens drei sollen künftig für jede Inszenierungen werben, eines davon immer, logisch: "Burg". Das Theater als Scharnier zwischen Welt und Dorf, dem Großen und Kleinen.

Eine Trilogie der Sommerfrische, erläutern Hartmann und seine Dramaturgen Plinio Bachmann und Klaus Missbach im lichtdurchfluteten Malersaal ihr Programm: Ein bunter Frühlingsstrauß aus zeitgenössischen Autoren (Berg, Loher, Schimmelpfennig) und Klassikern (Shakespeare, Kleist, Goethe). Mit Altbewährtem, mit Faust, Voss und Moretti, wird Hartmann die Spielzeit eröffnen. Neues hingegen versprechen die freien Gruppen, das Nature TheatreJan Lauwers of Oklahoma aus den USA und – als Artists in Residence – Jan Lauwers & Needcompany aus Belgien. Hartmann weiß um die Probleme, wenn Performance-Kollektive in die Produktionsmühlen großer Häuser geraten, und verspricht eine "vorsichtige Vermischung". Darin wohl wird das interessanteste Experiment der kommenden Direktion liegen: Wie kreativ und frei sind und bleiben die "Freien" in der Burg?

In der "Jungen Burg", einem Programm für Kinder und Jugendliche, sollen künftig theaterpädagogisch die Knappen herangezogen werden. Als altgediente Regie-Ritter treten Breth und Bondy auf. Bachmann, Bösch und Bosse, Pollesch und Pucher, Gosch und, hoffentlich, Schlingensief werden inszenieren. Alvis Hermanis beschäftigt "eine Familie", und Thomas Vinterberg führt seinen "Fest"-Film als Theater-"Begräbnis" fort.

Hauptregisseur und eigentlicher Artist in Residence aber ist Hartmann selbst: Fünf eigene Inszenierungen bringt er aus Bochum und Zürich mit, zwei neue sollen pro Spielzeit folgen. Das im Scherz präsentierte Wortspiel "Hart – Burg – Mann" ist so lustig also nicht. Das Verdienst der neuen Leitung liegt in der Offenheit für die Künstler, die mit neuen, anderen Theaterformen experimentieren. Diese wohl sollte man im Blick haben, wenn Hartmann verkündet: "Sie haben das Beste gewollt, und Sie kriegen es."

Hier geht's zum neuen Ensemble und dem Spielplan der Burg in 2009/2010.

 

Kommentare  
Lauter Neustarts: the same procedure as everywhere
das wird spannend! pollesch und schimmelpfennig arbeiten an der burg, auch in frankfurt bringen beide ein neues stück heraus. am dt soll die zusammenarbeit mit schimmelpfenning fortgeführt werden, pollesch arbeitet leider schon drei straßen weiter. auch in münchen und stuttgart soll die knallharte kritik am repräsentationstheater nicht aufhören. was aber macht stuttgart ohne die feinsinnige poesie des luftigen schimmelpfennings? gibt es nicht vielleicht doch noch ein paar briefe, die volker lösch brüllen lassen könnte?
Neustart Hartmann: der Wille zur Markenbildung
Vorrangig an der Präsentation finde ich, dass sichtlich wieder der Wille zur Corporate Identity vorherrscht, zur Markenbildung, zur Möglichkeit einer Identifikation. Der immer an Bachler kritisierte „Gemischtwarenladen“ nimmt doch wieder Form an.

Der Hausherr als dominierenden Hausregisseur (in der 1. Saison mit minimiertem Risiko durch Übernahmen) ist seit Peymann bestens bewährt. Die Möglichkeit einer vertrauten Handschrift, die dann Neues und Unbekanntes näher bringt, halte ich persönlich für richtig und wichtig. Dieses Unbekannte hat es ja bei uns in Wien immer ein wenig schwer, ein öffentlicher Verfechter und Wegbereiter – ein Vorkämpfer - ist daher immer von Nöten.

Auch Breth/Bondy/Voss etc. als Elitelabel sind hervorragend eingeführt und versprechen mit etwas Mut größere Möglichkeiten als in der letzten Dekade! Bachmann/Pucher als Hausregisseure wiederum erscheinen mir als Nabelschnur zum Deutschen Regietheater, daher ist sichtlich für die Burg keine allzu große Abkapselung vom gesamtdeutschen Geschehen in Sicht, auch das halte ich für wichtig und richtig. Die neuen Schienen Kindertheater und Diskurs schielen sichtlich nach „unausgegorenen Geistern“, die ins große Flaggschiff Theater zu holen sind.

Es klingt zumindest animierender und lebhafter als in den Bachler-Tagen. (Bei meiner Einschätzung beziehe ich mich auf die in Wien kolportierten Ankündigungen).
Neustart Hartmann: mehr Gemischtwarenladen
Corporate Identity? Interessant - und dabei hat Hartmann doch betont, genau das nicht zu wollen!
Wo Sie den Unterschied zum "Gemischtwarenladen" Bachlers sehen wollen, kann ich nicht erkennen, im Gegenteil: Wo bei Bachler (ohne seine Intendanz jetzt all zu sehr zu loben, ich hatte da auch meine Kritikpunkte) die Bindungen Regisseure - Autoren zu einer starken Identität geführt hat (Stemann-Jelinek, Pohle-Jonke, Breth-Klassiker, Kusej-österreichische Klassiker), kann ich das jetzt gar nicht mehr erkennen. Nun ist es wirklich nur mehr ein Programm, das auf Regie-Shopping-Tour gegangen ist und bei den Werken bunt zusammenwürfelt, was Hartmann eben gefällt.
Das muss nichts Schlechtes sein (Das Burgtheater muss zwangsläufig viel Programm, also viel Unterschiedliches bieten), aber "Gemischtwarenladen" ist es jetzt tausend Mal mehr als unter Bachler!
Und so "unanimiert" und "unlebhaft" kann es unter Bachler nicht gewesen sein, sonst hätte Hartmann nicht die Hälfte seines Regieteams engagiert ...
Schade auch, dass Hartmann seinen Ruf bestätigt, von Autoren keine Ahnung zu haben. Die wichtigen österreichischen Gegenwartsautoren finden ihre Uraufführungen im Ausland, das ist schon schade (Jelinek!). Dafür kommt Jon Fosse - nicht schlecht, aber eben sehr gediegen. Das sagt schon viel ...
Und dass es das Neue in Wien so schwer hätte, halte ich auch für einen Mythos. Sowohl in Burg, als auch bei den Festwochen werden Theaterhandschriften gut angenommen, die sicher nicht als "konventionell" bezeichnet werden können. Da sollte man dem mythos nicht aufsitzen, sondern sich ruhig mehr trauen. Bei den Festwochen funktioniert ein extrem mutiges Programm ja auch.
Neustart Hartmann: Pflichtübung für Bildungsbürger
Nachdem ihre Antwort sehr professionell klingt, verwundert mich doch stark die Paarung Stemann/Jelinek (wie jetzt in Köln) und nicht die in Wien wahrscheinlich viel intensiver wahrgenommene Paarung Schlingensief/Jelinek, die nach den Jahren der eher wortgetreuen Jelinek-Stücke unter Peymanns Direktion einen im Publikumsbewusstsein ganz neuen und nicht mehr wortgetreuen Weg ging.

Wenn ihr Satz so "unanimiert" und "unlebhaft" k a n n e s n i c h t g e w e s e n s e i n, darauf schließen lässt, dass Sie doch nur von der Ferne urteilen, haben Sie das versäumt was ich als "normale Theaterbesucherin" meine: Bachler verbreite gelangweilt als Markenzeichen "gesellschaftliche Pflichtübung für Bildungsbürger" und das hoffe ich ändert sich unter Hartmann.
Neustart Hartmann: Theater der gepflegten Hochkultur
Stemann-Jelinek war (meiner Meinung nach) weit Stilbildender als Jelinek-Schlingensief. Sowohl "Das Werk" als auch "Babel" - aber eben auch das Burg-Gastspiel von "Ulrike Maria Stuart" - haben einen ganz neuen Zugang zum Werk Jelineks auch in Wien eröffnet. Ich finde - und so habe ich es auch in Wien erlebt (Also kein Kommentar aus der Ferne) - Schlingensief hat zwar großartige Arbeiten gezeigt und die Jelinek-Texte waren sicher wichtige Inspiration. Aber dem Jelinekschen Werk näher gekommen bin ich bei Stemann.

Beim letzten Punkt sind wir leider wirklich unterschiedlicher Meinung. Ich finde, "gesellschaftliche Pflichtübung für Bildungsbürger" beschreibt eher Hartmanns Programm und ästhetischen Zugriff. Vor allem in seinen eigenen Regiearbeiten werden ja noch die komplexesten Texte brav und boulevardesk aufbereitet, damit man als Zuseher dann auch sagen kann: Und wieder was erledigt ...
Zumindest in Zürich war sein Theater dann ja auch eines der gepflegten Hochkultur, keines der Auseinandersetzung ...
Neustart Hartmann: lokal getrübte Wahrnehmung
woher sie die information haben das hartmann von autoren keine ahnung hat ist rätselhaft.unter seiner intendanz wurden in bochum reihenweise tolle zeitgenössische autoren gespielt unter anderrem sybille berg und christian kracht die auch jetzt bei ihm auf dem spielplan stehen.er hat damals auch mit einer ganzen serie von erstaufführungen den nicht ganz unbedeutenden autor neil la bute durchgesetzt.ihre wahrnehmung scheint etwas lokal getrübt,östereich ist aber glücklicherweise nicht der nabel der welt.sonst würde die welt wohl bald ersticken.der austrophilismus in der deutschen theaterlandschaft wird hoffentlich irgendann von etwas mehr weltoffenheit abgelöst.das tausendste ewiggleiche jelinekgegeifere will doch wirklich niemand mehr hören.
Neustart Hartmann: welche jungen Autoren?
Na dann erzählen Sie mal von den tollen, jungen Autoren, die Hartmann entdeckt oder gefördert hat? Offensichtlich ist ihm hier zu seiner Wiener Direktionszeit noch nichts eingefallen (und auch aus Zürich hat man nicht wirklich spannendes Neues gehört, wie ich finde). Es spricht wohl Bände, dass Hartmann so ein Naheverhältnis zu Turrini hat. In der ersten Burg-Spielzeit gibt es also: Einen Schimmelpfennig (wie landauf, landab - aber soll sein), eine Sybille Berg, eine Reza und einen Franzobel (neben einigen "Projekten"). Alles Autoren, die am Burgtheater längst gespielt wurden/werden. Dazu noch ein Pollesch, der hier ebenfalls gut bekannt ist. Tut mir leid, aber ich finde das nicht nur mickrig, sondern auch wenig spannend. Ich halte nichts von dauernder "Jungdramatikerförderung", bei der es mehr um die Menge, als um die Qualität geht, aber bei Bachler wurden eine ganze Reihe DramatikerInnen neu entdeckt und interpretiert: Gert Jonke (auch durch die Regie Pohles), Jelinek (durch Stemann), Handke (durch Friederike Heller), um nur einige zu nennen. Ich finde, da wäre Hartmann durchaus ein wenig unter Zugzwang gestanden. Und wenn er schon keine österreichischen Autoren will (ein wenig seltsam in Wien, aber gut), wo sind denn etwa die nicht-deutschsprachigen Autoren? Da scheint es gar kein Interesse zu geben. Nur darauf habe ich hingewiesen. Und der "austrophilismus in der DEUTSCHEN theaterlandschaft" ist mir schlicht egal - schließlich übernimmt Hartmann ja ein Wiener Theater, oder nicht?
Neustart Hartmann: ausgelutschte Namen & Nachwuchsmausis
Es ist Hartmanns erste Spielzeit - da kann ja noch eine Menge kommen. Aber traurig ist schon das Muster, das sich bei den neuen Spielplänen wieder herausschält. Uraufführungen - ein paar Nachwuchsmausis, sonst die immer selben, ausgelutschten Namen. Keine Stücke bleiben übrig, auch nicht die, die bereits Substanz und Publikumsinteresse bewiesen haben. Gestern hat die Düsseldorfer Intendantin stolz verkündet, sie habe den Münchner Kammerspielen eine Erstaufführung "weggeschnappt". Nach solchen Kriterien entstehen Spielpläne - was für ein Zynismus, was für eine Verachtung des Publikums!
Neustart Hartmann: ohne Vision
hartmann ist sehr supekt. das ist doch ein völlig beliebiger spielplan, ohne vision, ohne haltung. enttäuschend.
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