Der liebe Christoph lächelt

von Esther Slevogt

Berlin, 1. Mai 2009. Die Besucher schreiten gemessen unter einem Baldachin. Umher blühen die Kastanien, und Orgelmusik tönt. Aufdringliche Kameraleute zoomen einzelne Gesichter aus der Menge heran, wobei das Auswahlkriterium entweder besondere Prominenz oder ein besonders betretener Blick zu sein scheint. Man schaut schnell zu Boden, wenn man nicht gefilmt werden will. Und schreitet weiter Richtung Theater, das heute eine Kirche ist.

"Liebe Theatergemeinde", hatte die Künstlerische Direktorin der Bundeskulturstiftung Hortensia Völckers in ihrer Rede zuvor die Gäste der Eröffnungsveranstaltung des Theatertreffens in der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele begrüßt. Und hätte gar nicht darauf hinweisen müssen, dass damit nun nicht mehr die etwas muffige, bildungsbürgerliche Besucherorganisation gemeint ist, sondern eine neue Gemeinde von Theatergängern, die hier nun sozusagen die höheren Weihen der Sinn- und Kunstsuche erfahren können.

"Hier und Jetzt" lautet in deutlicher Verkünderpose auch das Motto des Theatertreffens, inspiriert von Roland Schimmelpfennigs gleichnamigem Stück, dessen Zürcher Uraufführung durch Jürgen Gosch, dem anderen öffentlichen Theaterpatienten, ebenfalls eingeladen ist: eine Feier des Lebens, als Hochzeitsfest getarnt. Mag allenthalben die Finanzkrise die öffentliche Debatte beherrschen, die Sinnkrise hat das Theatertreffen in diesem Jahr zu seinen Gunsten entschieden.

Schauen Sie, hören Sie!

Nach Jahren der Ekel- und Regietheaterdebatten meint das Theater offenbar, endlich wieder einen Punkt gefunden zu haben, wo es um mehr als bloße Ästhetik und Oberfläche geht. Womit es wieder Tritt in gesellschaftlichen Relevanzzonen fassen kann, in denen es in den vergangenen Jahren schon ziemlich abgeschrieben war. "Lassen Sie sich vom Theatertreffen treffen", stilblütelt die Marketingabteilung im Auftrag der Festivalleitung. Und meint wahrscheinlich: mitten ins Herz. Dabei hätte das Gehirn, das von Betroffenheit allein nicht satt werden kann, auch ganz gerne mitgemacht.

Und bald tritt er dann auch persönlich in Erscheinung, der heilige St. Christoph des Feuilletons und des Boulevards. Geherzt von Nike Wagner und anderer Prominenz, von Hortensia Völckers vom Podium herab als "lieber Christoph" adressiert und gemeinsam mit seiner Gefährtin, der Kostümbildnerin Aino Laberenz, von den Kameras gierig umlagert. Seit Schlingensief sie zu seiner Florence Nightingale stilisierte, ist auch sie öffentliches Eigentum geworden. Und der liebe Christoph lächelt.

"Schauen Sie, hören Sie!" hat Schlingensief in seinem Krebstagebuch geschrieben, das, gerade erschienen, bereits ein Beststeller ist. "Und wenn die Leute das nicht wollen, wenn sie sagen, ich sei ein Terrorist, der ihnen zu nahe tritt, dann ist das eben so. Dann ist das auch eine Reaktion."

Happening, Hochamt und Freakshow

Später, im Theater, nimmt man dann auf Kirchenbänken Platz. Und bald überrollen Bilder und ein gurgelnder Sound das Kirchenschiff, das in die Seitenbühne des Bornemann-Theaters eingebaut wurde: eine Mischung aus Happening, Hochamt, Freakshow und Musiktheater, wo man in krisseligen Filmbildern Zellen sich teilen, Embryos wachsen, oder eine schrille alte Frau mit Karton um den Oberkörper durch verfallende Industrielandschaften streifen sieht.

Wer in den Karton hineingreift, kann offensichtlich ihre Brüste berühren – ein degeneriertes Mutterbild. Zwei Opernsängerinnen singen, ein pompös kostümierter Gospelchor tritt auf, Messdiener und Mädchen in Pfandfinderuniformen. Das Klangcluster reicht von Wagner über Peter Kennedy bis zum bedrohlichen Ticken eines Metronoms. Schauspielerinnen lesen Texte aus Schlingensiefs Krebstagebuch, Angela Winkler bebend, manchmal fast heischend, Margit Carstensen scharf artikuliert, gelegentlich vom Gestus der Weltanklage grundiert und Mira Partecke distanzvoll naiv. Einmal hört man Schlingensief über Tonbandeinspielung verzweifelt schreien.

Anachronistische Avantgarde-Ikonographie

"Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt. Wer sie verbirgt wird nicht geheilt", steht über der Theaterkirche in weißer Pinselschrift geschrieben. Ein Zitat von Joseph Beuys, der das Fluxus-Format, das Schlingensief hier nun zur Technicolor-Breitwandversion ausgebaut hat, erfand. Beuys, der einst in einer berühmten Aktion einem toten Hasen die Kunst erklärte, während das Publikum sich drei Stunden lang nur an einem kleinen Fenster drängeln durfte.

Nun darf das Publikum herein, aber ob es von der Kunst mehr versteht als im November 1965 die Ausgesperrten, ist eine Frage, die der Abend offen lässt, an dem speziell der Einsatz von einer fast anachronistisch wirkenden Avantgarde-Ikonografie zu Erzeugung von Zuschaueremotionen überrascht. Eine Ikonografie, die etwa zu dem Zeitpunkt entstand, als Vater Schlingensief seinen Sohn gefilmt hat, Bilder, die ebenfalls in die Aufführung eingeflossen sind.

Der Abend ist von der Kritik hinlänglich beschrieben und wird nun in Berlin noch mal als Kunstgottesdienst im Kontext des "Hochleistungstheaters" gezeigt, in den Hortensia Völckers die spektakuläre Aufführung in ihrer Begrüßungsrede stellte. "Am Ende klatschen wir, weil wir im Theater sind", sagte sie auch. Aber am Ende von Christoph Schlingensiefs Fluxus-Oratorium ist es still. Niemand klatscht. Erst als die Schauspieler zum Applaus erscheinen, beginnen manche, ihre Hände zu behutsamem Beifall zu regen.

 

Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir
Fluxus Oratorium von Christoph Schlingensief
Konzept, Regie, Ausstattung: Christoph Schlingensief, Bühne: Thomas Goerge, Thekla von Mülheim, Kostüme: Aino Laberenz, Licht: Voxi Bärenklau. Mit: Margit Carstensen, Angela Winkler, Mira Partecke, Komi Mizraijm Togbonou, Stefan Kolosko, Karin Witt, Horst Gelonnek, Kerstin Grassmann, Norbert Müler, Achim von Paczensky, Klaus Beyer. Sängerinnen: Friederike Harmsen, Ulrike Eidinger. Korrepetitor/Orgelspieler: Dominik Blum. Gospelchor Angels Voices, Kinderchor des Aalto-Theaters.

www.kirche-der-angst.de
www.berlinerfestspiele.de


Mehr lesen? Die Uraufführung fand im September 2008 im Rahmen der Ruhrtriennale statt. Christoph Schlingensiefs Der Zwischenstand der Dinge war im November 2008 im Berliner Maxim Gorki Theater zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Im Frühjahr 2009 folgte Mea Culpa am Wiener Burgtheater.

Kommentare  
tt09-Eröffnung: Marthaler wäre auch durchgefallen
na ja, da ist schlingensiefs meilenstein wohl durchgefallen beim berliner publikum. häme kann ich nicht verbergen...tja herr berger und kollegen. bin mal gespannt ob das jetzt auf das blasierte berliner publikum geschoben wird. waldhotel wäre auch durchgefallen ohne das gute essen..
und bei inszenierungen aus der provinz wird dann gesagt, es sind zu schwache schauspieler...
Schlingensief beim tt09: Wir sind Schlingensief
Die Mythifizierung Schlingensiefs hat längst eingesetzt. Da will jetzt kein Rezensent mehr nachstehen. Wir sind Schlingensief! Das geht jetzt ganz einfach, wo er doch gleich auch noch den Krebs für uns austrägt. Nur ein aktuelles Beispiel: Auf Spiegel Online berichtet ein Herr Becker davon, dass es nahezu keinen Applaus gegeben hat nach der tt-Eröffnung und wertet das - klar! - als Zeichen dafür, wie herzergreifend nahe das Stück allen gegangen sei. Ein Erfolg. Zeitgleich meldet dpa "riesigen Jubel und Bravo-Rufe". Was denn nun? Beides, ist hier wohl die Antwort, solange sich jeder seinen Schlingensief, jahrelang verpönt und teilweise noch nicht mal ernstgenommen, selig schreiben kann. Nie war er so selbstdarstellerisch wie jetzt, aber von einem Selbstdarsteller spricht jetzt keiner mehr. Jetzt ist er unser aller Krebsdarsteller, so als sei er der Erste, der über diese beschissene Krankheit zu berichten wüsste, der Tagebücher veröffentlichen würde. Alles sehr seltsam und am Ende wohl leider nur eins: eine riesige PR-Maschine, an der sich Theater, Zeitungen und ein Verlag gutmenschlich beteiligen. Was steckt dahinter? Vor allem die totale Willfährigkeit von Journalisten (Höbel, Schaper, das ist doch nur noch lächerlich, was solche Leute sich da zurechtkleistern!!!). Aber warum tut sich einer wie Schlingensief das an? Ich finde Frau Slevogts Kommentar in Großteilen (leider) sehr wahr. Und als jemand, der Schlingensiefs Anfänge in Berlin gesehen hat, finde ich das Jetzt doppelt bedauerlich.
Schlingensief beim tt09: der Abend verebbt
War gestern drin und enttäuscht, wie wohl ziemlich alle. Der Abend mag für Kritiker damals berührend gewesen sein, die Schlingensief persönlich kannten. Gestern blieb nicht übrig als eine öde Material- und Zitatenschlacht - Chöre, Videos, Wagner, Beuys -, ein "Ich will nicht sterben"-Sampling aus -zig Krebsfilmen, -Büchern, -Interviews, die der Zuschauerl, ob er will oder nicht, sowieso im Kopf hat - der Abend fügte dem nichts hinzu. Und warum wurde so zögernd geklatscht? Nicht aus Rührung, sondern weil die Inszenierung mit Videoflimmern und Metronom-Ticken verebbte und keiner wusste: War's das jetzt? Die Wahrheit ist manchmal schrecklich banal.
tt09-Eröffnung: was soll Theaterpatient heißen?
Hallo.
Gosch als "Theaterpatient" finde ich geschmacklos. Es ist davon auszugehen, dass Frau Slevogt damit wohl auf seine schwere Erkrankung Bezug nimmt. Für mich definiert sich der Mann aber nicht durch sein Dasein als "Patient" und ist demnach erst recht nicht deshalb prominent.
Was soll überhaupt "Theaterpatient" heißen? Ist der ein Patient des Theaters? Ein theatraler Patient? Ein Patient im Warteraum des Theaters? Hää?
tt09-Auswahl: die anderen Stücke in der Diskussion
In den Berichten zu der ersten Pressekonferenz zum Theatertreffen war die rede davon, daß man dies Jahr insgesamt 20 Stücke hätte einladen wollen, weil sie so gut waren. Warum erfährt man aber nirgendwo, welche anderen Stücke dies sind? Das würde mich sehr interessieren und freuen, wenn jemand hier das beantworten könnte? Vielleicht auch die Journalisten von nachtkritik online! Vielen Dank.

Liebe Clara,
im Theatertreffen-Magazin sind die Inszenierungen, die in der Diskussion waren, aufgeführt. Alle mag ich hier nicht aufzählen, aber es finden sich darunter:

"Der zerbrochne Krug", Regie Peter Stein, Berliner Ensemble;

"Das Pulverfass", Regie: Gotscheff, DT Berlin;

"Anna Karenina", Regie: Jan Bosse, Maxim Gorki Theater Berlin;

"Kean", Regie: Castorf, Volksbühne Berlin;

"Jagden und Formen", Choreographie: Sasha Waltz;

"I hired a contract killer", Regie: Jorinde Dröse, Bochum;

"Glaube Liebe Hoffnung", Regie: Michael Gruner, Dortmund;

"Der Fremde", Regie: Sebastian Baumgarten, Frankfurt;

"Das Goldene Vlies", Regie: Karin Beier, Köln;

"Kölner Affäre", Regie: Alvis Hermanis, Köln;

"I went to the house and did not enter", Regie: Heiner Goebbels, Lausanne;

"Don Juan", Regie: Jürgen Kruse, Leipzig;

"Eine Familie", Regie: Burkhard C. Kosminski, Mannheim;

"Hiob", Regie: Johan Simons, München;

"Rechnitz (Ein Würgeengel)", Regie Jossie Wieler,
München;

"Tartuffe", Regie: Herbert Fritsch, Oberhausen;

"Verbrechen und Strafe", Regie: Breth, Salzburger Festspiele;

"Manderlay", Regie: Volker Lösch, Stuttgart.

Gruß
die Redaktion
tt09-Auswahl: eine Inszenierung mehr wäre gegangen
Das ist doch ein Witz! Die Jury hätte am liebsten 20 eingeladen?
Zumindest EINE Inszenierung mehr hätte man in Berlin ja zeigen können, wenn man sich nicht die nicht nach Berlin zu verpflanzende "Waldhaus"-Einladung, von der jedem Jury-Mitglied von vornherein klar sein musste, dass sie nicht realisiert werden konnte, geleistet hätte.

P.S.: Das Magazin ist übrigens nicht kostenlos, sondern erhältlich für 3 Euro.
Schlingensief beim tt09: Krebs an den Hals
Berlin ist bekannt für seine Arroganz, sagt der Heilige Christoph in der dritten Vorstellung des Theatertreffens, aber die Arroganten, meint er, werden auch noch Krebs kriegen. Es reicht ihm nicht, daß alle Kritiker sich angesichts seiner Krankheit kaum zu kritisieren wagen, daß ihm B.Burkhard im heutigen Nachgespräch nur (...) unterwürfige Fragen stellt ("wie geht es dir jetzt?"), nein, allen, die es jetzt noch wagen, des Meisters neue Totenkleider zu kritisieren, wünscht er Krebs an den Hals.
Ich hab vielleicht von diesem "Theaterabend" Krebs bekommen. Das Theater haßt sich selbst, daß sie alle so einer langweiligen Krebsgeschichte hinterher rennen müssen. Die Geschichte schon tausend Mal besser erzählt und gedanklich tiefer. Und klar findet der liebe Armin vom Maxim Gorki, wo ja so eine tolle Atmosphäre herrscht (frag mal die Nichtpromis, die da Strückverträge haben!), den Abend ganz toll und auch der René Pollesch war da, weil es war ja angeblich nur für Freunde,von denen Christoph so viele hat (wieviele wären es noch ohne sein Promidasein?).
Der arme Christoph Schlingensief hat jetzt, wie er sagt, keine Metastasen mehr. Wir hoffen auf ein Ende der Selbstbeweihräucherung.
Schlingensief beim tt 09: Mittelmaß?
"Die Arroganten werden auch Krebs kriegen". Na wer sagt das?! Gesund oder ungesund, der Mann ist und war immer nur Großmauliger schickimicky Mittelmass. In der Tat, der Kaisers neue Kleider.

Lieber Michael Hill,
es war nicht ganz so.
Schlingensief sprach gestern von denen, die glauben, der Krebs könne sie nicht erwischen, also von so ziemlich allen Gesunden. Er gab zu Protokoll, dass die es noch erleben würden, im Sinne von: es kann jeden treffen. Die Arroganten waren sozusagen nur eine Untergruppe, die da adressiert wurde. Das nur zur Klarstellung dessen, was gestern gesagt wurde.
Mit Grüßen
nikolaus merck
Schlingensief beim tt09: kein Schreiben über Aufführung
Ein bisschen kann man Schlingensief schon verstehen. Man kann seine Inszenierungen ja kritisieren bzw. keinen Zugang zu seinen Bühnenwerken finden (oder diese einfach schlecht finden). Das alles geht ja im Theater. Aber aus vielen Kommentaren und Postings spricht eine Art professioneller Zynismus und eine Menschenverachtung, die ich schockierend finde. Allein die Wortwahl etwa bei "auweh" finde ich bedenklich. (Und die Aussagen Schlingensiefs dann so verfälscht wiederzugeben, spricht ohnehin Bände).
Es ist dann nur zusätzlich lächerlich, wenn gerade jene, die beklagen, man könne Schlingensief nicht kritisieren, (er würde sich dagegen immunisieren), dass gerade jene dann keinen einzigen interessanten Satz zur Aufführung selbst (und nicht zur Person, zur Mediendebatte...) schreiben können.
Schlingensief beim tt09: ernstnehmen u. ernsthaft bewerten
Natürlich muss und kann auch die öffentliche Auseinandersetzung mit der eigenen Krankheit kritisiert werden. Aber hier heisst es wie beim Künstler: entweder oder. Die verzweifelten Versuche, NICHT zu bewerten, oder gar einen künstlerisch nicht gelungenen Abend schön zu schreiben, sind unangebracht und machen das Werk zu einer Mitleidsveranstaltung. Wer den Abend ernst nimmt, muss ihn auch ernshaft bewerten oder lieber schweigen. Der Abend ist an seinem Anspruch gescheitert, und das ist auch gut so. Der Lebenswille und die chaotische Kraft von Schlingensief ist ein wichtiger Bestandteil des gegenwärtigen Theaters, wer es sieht, sollte unbedingt die Augen offen halten, denn das er verdient!
Schlingensief beim tt 09: sprach von den Arroganten
Nee, nee Herr Merck, ich war auch da gestern, Schlingensief hat da von den "Arroganten, für die Berlin ja bekannt ist" gesprochen, dass diese Arroganten die Aufführung kritisieren werden, aber eines Tages werden sie vielleicht auch Krebs bekommen. Genau so und nicht anders. Die Kungelei von Kritikern wie Merck und Leuten wie Schlingensief macht das ganze Nichts von Theater auch noch zu einem verlogenen Nichts.

Herzens KR,
was regen Sie sich so auf? Welche Kungelei? Ich habe das zu Protokoll gegeben, was ich mitgekriegt habe. O.k.? Ich rede hier nicht autoritativ oder autoritär, sondern nur nach bestem Wissen und Gewissen. Ich verteidige den Schlingensief auch nicht, ich habe das anders gehört. Wenn ich falsch gehört habe, bitte, mein Fehler. Aber ich bitt' schön, regen Sie sich nicht so auf. Das hat doch keinen Sinn.
Grüße
nikolaus merck
Schlingensief beim tt09: Besser gleich den Mund aufmachen
So unterwürfig, dass ich Christoph Schlingensief geduzt hätte, war ich jedenfalls nicht. Und ich frage mich, warum auweh, da er offenbar anwesend und wütend war, beim Nachgespräch nicht an Ort und Stelle den Mund aufgemacht hat? Dafür ist es nämlich da, das Publikumsgespräch.
Schlingensief beim tt09: Chapeau fürs Antworten
liebe frau burckhardt (sind sie es wirklich?), lieber herr merck, das ehrt sie sehr dass sie auf solche blöden vorwürfe anworten. find ich echt sympathisch. und sie haben ja recht: lieber mund aufmachen bei öffentlicher gelegenheit, als hier so anonym und mies zu posten. chapeau!!!

Ja, es handelt sich bei Frau Burckhardt um die wirkliche Frau Burckhardt.
die Redaktion
Schlingensief beim tt09: kein Dazwischenkommen
Mir ist beim Nachgespräch nach 20 Minuten gegenseitiger Beweihräucherung und Selbstbeweihräucherung fad geworden und ich habs nicht mehr ausgehalten, bin gegangen. Alle ziehen den chapeau voreinander, nachdem man fast zwei Stunden weinerlichen FLUXUS gesehen hat. Jedenfalls kein Theater, eine "Aktion", die wahrscheinlich direkt aufs Unterbewußtsein wirken soll, also nicht diskutierbar ist. Und in diesen feierlichen Diskurs, in dem die Großkritiker wie Frau Burckhart samt Jury stecken, da ist nicht dazwischen zu kommen, auf so einer Großdiskussion. Der Kreis ist geschlossen. Das "Theater" und seine Großvertreter brauchen sich nur noch selbst. Gespräch unmöglich.
Schlingensief beim tt09: gegen Voodoo-Ängste
naja, stimmt doch, auch die Arroganten werden eines Tages Krebs bekommen. sollten sie das vergessen haben, dann hat schlingensief sie eben daran erinnert. jetzt mal bloß keine falschen voodoo-Ängste KR!
Schlingensief beim tt09: es war fluxus-schlingensief-theater
keine ahnung was auweh etc. erwarteten. mir war klar was da am abend abgehen würde. und es war fluxus und schlingensief und theater. man darf sich und auch seine krankheit mal wichtig und als anlass nehmen. mich hat das ganze berührt.
Schlingensief beim tt 09: mehr als sinnvoller Streit
... und ihr (auweh u.ä.) meint, bei all dem gerede hier (ziemlich sinnentleert leider) und diverser art und weise andernorts UND in der gesellschaft, schlingensief hätte mit seinem buch und seinem öffentlichmachen nichts bewegt?? meint ihr nicht auch, dass ein sich bewegen, diskutieren, streiten usw. zum thema "krebs, tod, was ist das leben, was kann es sein usw. usw." mehr als sinnvoll ist? wers nicht hören will und davon nichts hat, dem ists freigestellt, wegzuhören/-zusehen!
Schlingensief beim tt 09: man muss fragen dürfen ...
...schöne teufelsschlinge, an der sie sich da aufhängen, liebe/r w.a.! wenn alle die, die eine meinung nicht teilen, "weghören/wegsehen", wie soll dann diskussion entstehen? ich finde viele herzzerreißende belobigungen der "kirche der angst" nicht weniger sinnentleert als manche negative kritik darüber. das muß schon möglich sein, daß man sich damit kritisch auseinandersetzt. ich meine auch festzustellen, siehe die "berliner zeitung" von gestern, daß man das auch differenziert tun kann. man muß schlingensief nicht in verteufeln, nur weil alle ihn gerade mögen. man muß aber fragen dürfen, ob die lobhudelei wirklich noch was mit der qualität seiner arbeit zu hat oder ob sich künstler und kritik da nicht ins beiboot einer diskussion setzen, die sowieso geführt wird.
Schlingensief beim tt 09: wie Käfer auf dem Rücken
Interessant an Schlingensief ist ja, wie geschickt er sich der Kritik entzieht. Man kann nur an ihn glauben oder nicht. Man kann zum Kind werden oder bleibt gelangweilt. Man kann nicht mit Hamlet über dramaturgische Probleme des Stückes Hamlet reden und ihn schon gar nicht dafür kritisieren, daß er sein schweres Schicksal ausbreitet. Er entzieht sich sehr klug dem kritischen Diskurs und das merken die Kritiker irgendwie und finden es toll, auch wenn er über das "Stücke-Theater" ablästert, das, wie er sagt, viel weniger könne. Toll wie größenwahnsinnig, rufen dann alle
So weit, so Schlingensief, aber mich machen diese Kritiker wütend, die sich vor Schlingensief wie die Käfer auf den Rücken legen, siehe Barbara Burckhart, die ihn immerhin nicht duzt, das ist ein großes Verdienst, auf das sie zurecht hinweist!, aber reicht das für ein Gespräch?
Natürlich kann man auch sagen, soll er doch seine Spielchen spielen im Theatertreffen, sollen sie doch infantil werden, die Kritiker und Juroren, aber es könnte ja sein, dass das Theatertreffen doch noch irgend was bedeutet.
Schlingensief beim tt 09: verlogen weinerlich humorfreier Himmel
ihr seid alle sünder und werdet ins höllenfeuer kommen.
also zeigt auf irgendeine wunde weint ein bisschen und alles wird wieder gut. es ist bemerkenswert auf wie hohem niveau die diskussion über krebs, sterben und die möglichkeit eines sinnvollen lebens stattfindet.
das ist natürlich ein blasphemisches vergehen am heiligen st.christophorus, aber ich bin ganz froh, dass ich diesen verlogen weinerlich humorfreien himmel gegen eine saftig zynische hölle tauschen kann.
Schlingensief beim tt 09: sag: was du machst, ist gut
viele waren berührt, haben etwas empfinden können und die Tiefe der Auseinandersetzung mit der dunklen Seite in uns erfahren können. Schlingensief macht bei den Sprechtagebüchern nicht Schluss, er denkt weiter, vertieft alles und das immer aus einer anderen Perspektive, die das Leben mit sich bringt. Das tut denjenigen gut, die denkend leben wollen. Trostlos ist das alles nicht, was Schlingensief macht, es steckt so viel Kraft dahinter. Die Kritiker, vergeistigte oder nichtssagende (auweh) Welttänzer sollten weiter auf diesem Vulkan feiern, sich gesund und schön fühlen, doch die wenigen Eintrittkarten denjenigen überlassen, die sie gern gehabt hätten.
Ich saß um 10 Uhr am 25. 4. vorm Computer, kam nach 10 Minuten durch und hatte Glück zwei von noch vier vorhandenen Karten zu kaufen. Beim nächsten Versuch gab es nichts mehr. Diese Nachfrage erübrigt jedes dumme Gequatsche! Schaut einfach hin, versteht oder versteht nicht, aber haltet bitte den Mund dann, wenn ihr nichts zu sagen habt. Das war übrigens auch eine kleine Aussage des Abends, die von Beuys stammt: "Man soll allen sagen, was du machst, ist gut... Immer positiv reden, nicht urteilen. Manchmal muss man natürlich ein paar harte Worte sagen, aber nach Möglichkeit sollte man sich davor hüten."
Sagen wir das doch bitte einmal all diesen "Möchtegernrednern" und "Hab auch eine Meinung Sagern!" Macht es besser, macht etwas eigenes und kritisiert euch selbst.
Dank an Schlingensief, dass er das alles gemacht hat. Das finde ich mutig! Das ist ein Werk, dass man in den verschiedenn Lebensstufen in die Hand nehmen und lesend lernen kann, das ist Weltkunst, die bleibt!
DANKE!!!
Schlingensief beim tt 09: regressiver Impuls überträgt sich
Olaf, das mußt du aber schon ertragen, daß andere als die Schlingensief-Fans sich das ansehen und ihre Meinung sagen. Wenn du wie Beuys allen sagen willst: Was du machst ist gut, dann müßtest du das doch auch den hiesigen Kritikern sagen? Wozu ihnen die freie Meinung verbieten? Weil sie nicht deine ist?
Es geht in dieser Diskussion genau um diese Haltung, die sagt, man darf nicht kritisieren.
Der bewusst regressive Impuls von Schlingensiefs Kunst überträgt sich offenbar nicht nur auf Kritiker wie die Burckhart, sondern macht sich nun auch hier breit.
Schlingensief beim tt 09: Glaube als radikaler Zweifel
@ Olaf: besten Dank für das Beuys-Zitat. Ich sehe das ähnlich. Es geht Schlingensief sicher nicht um die moralische Aufteilung und Bewertung der Welt in auf der einen Seite die Sünder und auf der anderen Seite die für diese Sünder stellvertretend Leidenden. In dieser kategorischen Hierarchisierung von Begriffsoppositionen denkt wohl tatsächlich nur der Papst (20.). Schlingensief steht eben nicht auf der Kanzel, um seinen vermeintlich minderbemittelten Schäfchen die vermeintlich einzige Wahrheit über den Sinn ihres Lebens bzw. die Art ihrer Lebensführung zu predigen. Im Gegenteil, die kirchliche Autorität dogmatischer Lehrsätze ist hier offenbar das Prinzip, an dem sich Schlingensief obsessiv abarbeitet. Wer die abgründige Komik der Rockkonzert-Liturgie nicht mitbekommen hat, der muss wohl taub sein. In Schlingensiefs Kirche der Angst wird jedem einzelnen Zuschauer die Möglichkeit eröffnet, das Unverständliche ästhetisch wahrzunehmen, wo es rational nicht (mehr) fassbar ist. Wir werden alle sterben. Gegen die Kirche als gebietende und verbietende Institution steht hier der Glauben im Sinne eines radikalen Zweifels. Das heisst, das Leben muss bedingungslos bejaht werden, auch wenn es sinnlos erscheint. Fluxus! Lasst es fließen! Bleibt nicht in euren eigenen Verhärtungen und Verkrustungen stecken! Überwindet eure kleinlichen Vorurteile! "Wer nicht denken will, fliegt raus (sich selbst)." (Beuys)
Schlingensief beim tt 09: affirmative Selbstdestruktion
Ich glaube, daß die meisten, die in Berlin "Kirche der Angst" gesehen hatten, wegen der großen Presse-Resonanz und dem ganzen Krebs-Thema eine Rühr-Show erwartet hatten und dann damit nicht umgehen konnten, daß sie da doch Kunst geboten bekamen, und zwar in einer sehr komplexen Ikonografie. Neben mir saß auch eine Frau, die mich danach enttäuscht fragte, ob mich das berührt hätte und daß sie gar nicht gerührt war. Die habe ich ausgelacht.

Wie hier in der Nachtkritik das Thema behandelt wird, finde ich sehr gut und differenziert. Denn diese ganze Öffentlichmachung des Krebsthemas hat ja auch etwas Zweischneidiges. Schlingensief ist jetzt ein Beststellerautor. Aber ich finde es tragisch, daß die versammelte Republik ihn jetzt nur als Kranken und nicht als Künstler kennt. Wäre ich Künstler, würde mich das nicht mehr schlafen lassen. Als ich dann den Bericht von Esther Slevogt über die Eröffnung und den dazugehörigen Blog las, da tat mir das in der Seele weh, diese Bilder, die für mich da entstanden sind: in den Filmbildern das zugerichtete Kind und beim Theatertreffen der zugerichtete Künstler in der Öffentlichkeit, der immer noch alles mitmacht, immer noch der liebe Christoph ist, der denkt, er rebelliert, aber eben bloß in seinem fürchterlichen Käfig tobt. Affirmative Selbstdestruktion. Zum Heulen. Zum Verzweifeln, daß Schlingensief das nicht merkt!
Schlingensief beim tt 09: tut unbeackertes Feld auf, ha ha!
Toll! Da haben Kunst und Theater ja wirklich mal ein ganz, ganz unbeackertes Feld aufgetan: Krebs! Daran können sich Kunst- und Schlingensief-Sekte ja jetzt erst mal abarbeiten - dass sie tatsächlich einem Thema den Weg in die Öffentlichkeit gezeigt haben, das sonst niemanden betrifft und auch niemanden interessiert...... Den Krebs in meiner Familie interessiert keinen, der Krebs von Herrn Schlingensief wird jetzt gefeiert, als hätte er Amerika entdeckt. Dann kauft mal schön sein Buch (so wie den "Bohlen-Weg"), das heilt! Leute "auszulachen", die mit dieser Art der Verarbeitung nichts anfangen können, zeigt mir nur, wie krank der Umgang mit dieser Schlingensief-Vermarktung in kürzester Zeit geworden ist. Hauptsache, er wird daran "gesund".
Schlingensief beim tt 09: nennen Sie sich nicht aha
Sie sollten sich nicht "aha" nennen, wenn Sie nichts verstehen. Ich habe die Frau gerade deshalb ausgelacht, weil sie nur ein Krebs-Rührstück sehen wollte und keine Theateraufführung (denn darum handelt es sich bei der Kirche der Angst nun mal), und deshalb frustriert von der Veranstaltung war.
Schlingensief beim tt 09: enttäuscht
herr Merck schrieb:
"Schlingensief sprach gestern von denen, die glauben, der Krebs könne sie nicht erwischen, also von so ziemlich allen Gesunden. Er gab zu Protokoll, dass die es noch erleben würden, im Sinne von: es kann jeden treffen."

mich enttäuscht, dass es der eigenen betroffenheit der krankheit bedarf um zu der erkenntnis zu kommen. oder: das jetzt zu explizieren ist der worte zuviel.
schade.

nichtsdestotrotz besserungswünsche. physisch und auf dem theater.
Schlingensief beim tt 09: Krebs kein Thema?
mich würde interessieren,ob Sie es falsch finden krebs als thema zu behandeln?oder ist es ,das ein autor oder regisseur durch seine krankheit berühmter wird oder stört es Sie das man einen krebskranken nicht kritisieren darf?ich denke oft darüber nach, dass im theater oft menschen auf der bühne sterben aber es fast nie geschafft wird sterben als prozess zu zeigen.
Ist sterben in unserer gesellschaft privatsache oder sogar ein tabu?
Schlingensief beim tt 09: Theatertreffen-Schelte
das theatertreffen verkommt mehr und mehr zur farce. abgesehen vom proporz der jedes jahr der selbe ist, und dem gros der regisseure, die ebenfals jedes jahr die selben sind, dient diese veranstaltung nur mehr der repräsentation weniger. man kann ja schon froh sein das man nicht mehr mit den verstaubten ästhetiken von stein, zadek und peymann gelangweilt wird.

warum dieses festival noch stattfindet - ich sehe keinen grund mehr.
dem ganzen trauerspiel setzt natürlich jetzt die befindlichkeitsdebatte des herrn s. die krone auf. früher radikal, ja mit anspruch zur avantgarde; langweilt uns das geliebte schwarze schaf des feullitons nun mit seinem privat-krempel.

und was macht die geschätzte kritiker-fraktion?

sie läd diesen privatistischen dünnschiss auch noch zum tt09 ein.
was passiert als nächstes? wird im foyer der festspiel im nächsten jahr der fleckige stuhlgang des herrn p. aus berlin ausgestellt? - der war ja auch mal "radikal" und ist heute "der stachel im regierungsviertel".
Schlingensief beim tt 09: Beklagenswerter Argumente-Mangel
Foren wie diese verkommen ja immer zu Beschimpfungsmöglichkeiten für Menschen, die irgendwelche Komplexe zu haben scheinen. Aber bevor Sie hier weiter unbegründet vor sich hin mäkeln wäre es schon spannend, einen interessanten Gedanken zum Theaterabend von ihnen zu erfahren. Man kann ja auch Kritik und Ablehnung begründen - und zwar ohne unter die Gürtellinie zu langen. Obwohl ich den Eindruck habe, sie können genau das nicht - und greifen deshalb zum Holzhammer. Alle hier loben entweder (kritiklos) oder beschimpfen (ebenso kritiklos - denn das hieße ja: Mit Argumenten). Das ist einfach nur traurig, diese komplette Abwesenheit von Argumenten, Diskurs, Ideen ...
Schlingensief beim tt 09: einmal den Mund halten
Danke Lehrer Freidenker! Auf diese Antwort habe ich gewartet und gerade darum meine ich, solche Typen sollten einmal, auch nur einmal den Mund halten. Gerade weil sie nichts geleistet haben. Sie haben nichts verstanden. Vielleicht ist das aber auch gut so.
Enttäuscht darf man sein, Erwartungen dürfen sich auch mal nicht erfüllen. Nur liegt es dann, an wen?
Schlingensief beim tt 09: was das Nachdenken lohnt
Danke Jeanne d'Arc,
endlich ein wirklich ernst zu nehmender Beitrag auf diesen Seiten, über den es sich lohnt nachzudenken!!!
Schlingensief beim tt 09: Wieso Bestsellerautor?
Was heißt hier "Schlingensief ist jetzt ein Beststellerautor"? Wenn der drei Wochen neben Kuttner oder diese Feucht...gebiete steht, dann glaube ich wieder an den wahren Leser. Das wird nie kommen. Man redet über Schlingensief und er ist erstaunlich bekannt, unglaublich, wer diesen Namen alles kennt. Aber wer liest ihn?
Schlingensief beim tt 09: anderswo wertgeschätzt
Roland Hübsch, sie merken gar nicht, wen Sie alles beschimpfen, aber seien Sie gewiss, ihren fleckigen Stuhlgang will auf gar keinen Fall jemand sehen, dann schon eher den von Herrn Peymann! Da steckt zumindest ein künstlerisches Ansinnen dahinter.
Es leben die Künstler, die in anderen Nationen gewertschätzt werden. Hier bildet sich sowieso jeder ein, mitreden zu können. Vergesst das!
Schlingensief beim tt 09: Applaus-Verfälschung
Man muss aber doch gewisse Dinge feststellen dürfen. Dazu gehört, dass mehrere Medien zunächst berichteten, Schlingensiefs Fluxus-Oratorium habe großen Beifall bekommen, während hier schon früh zu lesen war, dass dem nicht so war. Nachdem die Mär vom großen Applaus offenbar nicht mehr zu halten war, wurde der mäßige Beifall einfach als Folge des großen Eindrucks, den die Aufführung hinterlassen habe, interpretiert (u. a. in der Sendung "Foyer", die zugegebenermaßen ohnehin nichts taugt, aber das ist ein anderes Thema). Da muss sich niemand wundern, wenn der Eindruck entsteht, dass die Medien (und in diesem Fall ist die Verallgemeinerung erlaubt, weil sich kaum ein Medium der Schlingensief-Begeisterung entzog) es einfach ignorieren, wenn das Publikum nicht nach ihren Wünschen handelt. Dringt dann doch durch, dass der Beifall höchst mäßig war, wird das Ganze einfach uminterpretiert, nach dem Motto "was nicht passt, wird passend gemacht". Erfreulicherweise machte ausgerechnet die SZ-Kritikerin, deren Schlingensief-Besoffenheit einem vor kurzem noch die Haare zu Berge stehen ließ, diesmal nicht mit. Vielleicht hat sie mittlerweile selbst gemerkt wie peinlich das war.
Schlingensief beim tt 09: Liebhabe-Sekte
das hat echt was von sekte dieses esoterische ihr macht alle was schönes danke das zu uns gekommen bist.tritt in den kreis und erzähle uns deine gefühle.aber sag ja nichts kritisches sonst wirst du exkommuniziert und bist nicht mehr unser freund.nachts kriegst du dann drohanrufe...wie lieb und positiv.aach lasst euch umarmen.
Schlingensief beim tt 09: für allgemeine Kritik-Lizenz
woher bitteschön weisst du das deine kritiker nichts geleistet haben.wer dich kritisiert hat nichts geleistet und sollte deshalb den mund halten.bisschen totalitär nöch?
Schlingensief beim tt 09: Performance statt Privatissimum
nochmal danke, Olaf. Ich frage mich inzwischen, warum sich hier fast alle Kommentare an der privaten Person Schlingensief festbeissen. Ich persönlich habe "Die Kirche der Angst..." allein von Schlingensiefs Performance her betrachtet. Wer sich ein wenig bei Beuys auskennt, dem muss ich jetzt nichts vom "erweiterten Kunstbegriff" erzählen. Auch Schlingensiefs Ausgangspunkt ist meines Erachtens nicht der enggefasste Kunstbegriff als Rezeption eines abgeschlossenen Kunstwerks. Stattdessen geht es um den Prozess der Aufführung, um Lebenskunst bzw. Kunstleben. Demnach wird die Kunst in Alltag und Leben im Theaterraum neu kontextualisiert bzw. vollzogen, basierend auf der Wahrnehmung im Hier und Jetzt. Somit kann das Fließen und Ausdehnen der Raum-Zeit, das Dahinfließen von Augenblicken, wahrgenommen werden. Das konnte man HÖREN, zum Beispiel über das Takten der Metronome, und SEHEN, zum Beispiel über das Bild des "Zurückdrehens der Zeit", als die Akteure möglichst schnell den Rückwärtsgangs vom Altar zurück in den Kirchenraum einlegten. Genau diese kindlich-komische Trivialität macht den Alltag aus: Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, die Zeit zurückdrehen zu können? Schlingensief macht über seine eigene und ganz persönliche Aktion deutlich, dass im Grunde jede/r als Künstler aktiv werden kann, und zwar im Sinne einer bewussten Gestaltung des eigenen Lebens. Über das Mittel der Grenzüberschreitung, auch zwischen den Künsten (Musik, Theater, Film), können fixierte Denk- und Ordnungsschemata aufgebrochen werden. Dimensionen des Tabus, des Unantastbaren, des Metaphysischen werden an die Oberfläche geschwemmt. All das muss/kann eigenständig erfahren werden, es gibt keine eindeutige "Botschaft" oder "Aussage", hier fährt Schlingensief ganz auf der Schiene von Beuys, welcher lieber "dem toten Hasen die Bilder" erklärte als "den menschlichen Wesen mit ihrem sturen Rationalismus". Gegen die Marktwirtschaft und die damit zusammenhängende perfekte Selbst-Vermarktung setzt Schlingensief auf die Fähigkeitswirtschaft, indem er Nichtprofessionelle, Behinderte, Kinder und Menschen mit besonderer Begabung in seine Performance miteinbezieht. Darüber wird (hier nicht zum ersten Mal) das Prinzip des "Scheiterns als Chance" demonstriert, welches geltende Wertmaßstäbe verkehrt und die erhabene Schönheit des Imperfekten/des Fehlers zum Vorschein kommen lässt.
Schlingensief beim tt09: diese bescheuerten Preußen
Lieber Horst,
woher haben Sie diese Nachrichten. Ich war wirklich da, am zweiten Abend der Voraufführung. Irm Hermann und Ulrich Matthes saßen in der 6. und 7. Reihe neben uns. Es gab wirklich diese Betroffenheit, dann ein Aufruf zur Neuaufzeichnung. Die meisten blieben. Am Ende dann tosender Beifall. Wenn diese bescheuerten Preußen das alles schon nicht verstehen, zumindest an der Ruhr und in Wien ist man witer. Das hätte ich nie gedacht. Aber vielleicht tut dieser intelektuelle Pseudorummel diser Stadt Berlin nicht gut. Ich merke es immer wieder an der Schaubühne. Dieses beschissene Publikum kotzt mich an. Übersättigt und vrfressen sitzen sie da, zu nichts in der Lage, dieses zur Schau gestelle. Es nervt. Wie froh bin ich dann, wenn ich die begeisterungsfähigen Menschen an der Volksbühne oder im Gorki erlebe. Da werden Schauspieler, Regisseure und Künstler noch gefeiert. In diesem Charlottenburg empfindet man sich gar nicht mehr selbst, da jeder der selbsternannte Despot ist. Schade für all die guten Leute, die dort hervorragende Arbeit leisten, Perlen vor die Säue. Ich sah die großartige Räuberinszenierung an der Schaubühne. Ich klatschte und rief "Bravo", was man dort wohl ncht machen sollte. Neben mir saß eine alte Frau, schaute mich an und sagte: "Ich danke Ihnen für ihre Begeisterung. Uns beiden gefiel der Abend bestimmt, aber ich traue mich hier gar nicht mehr, meine Begeisterung zu zeigen." Soweit ist es gekommen! Schade. Ihr dummes Volk, setzt euch vor die Glotze und lasst uns, die sich noch begeistern lassen mit eurer "Wortwichse" in Ruhe!!!! DANKE!!!!!!!!
Schlingensief beim tt 09: it's Dialektik, stupid
Demokratie ist gut, Totalitarismus ist aber noch besser!
Was ist es denn sonst, wenn jeder kleine Totalitarismuswichser seine Meinung äußern darf. Das ist Demokratie, oder! DIALEKTIK
Denk mal darüber nach, Herr namenlos!
Schlingensief beim tt 09: der Rest ist Mummschantz
Jeder kann ja mit seiner Meinung und seinen Leistungen pransen. Das Recht hat er, er muss aber dann auch seine Meinung begründen und in den Spiegl der eigenen Leistung stellen. Der Rest ist Mummschantz und gehört auf den Müll, da gebe ich Olaf durchaus recht.
Schlingensief beim tt09: sooo viele Einträge
Liebe Jeanne d'Arc
das, was Sie schreiben ist Inhalt, ist Empfindung. Ich saß an diesem Abend in diesem Raum und fühlte mich konfrontiert mit dem Text, den ich zuvor gelsen hatte. der war verständlich, ich konnte die angst vor dem fremden nachempfinden, diese Wut, diese Frage nach dem Warum. Eine Frage die sich jeder stellt, aber nicht mutig genug íst, dies ganz laut zu tun.
Dann der Abend voller Überraschungen. Wie funktioniert diser Text auf der Bühne im fiktiven Kirchenraum. zunächst der eindringliche Schrei "Nicht berühren!" Wer da nichts spürt... Dann die ganzen Umwandlungen, das wirklich kindlich naive Herangehen, das hat mich gepackt, gerührt und überzeugt. Ich will all diejenigen, die das nich gespürt haben, ja nicht angreifen. Doch jeder muss, soll sich fragen, was er vom Leben hält und welche Zugeständnisse der Wahrnehmung und der Preisgabe dieser Gefühle er dem anderen zugesteht. Wenn Schlingensief das zum Thema macht und gekonnt und klug auf Beuys oder Müller verweist und sich selbst inszeniert und damit eine Diskussion beschwört, ist das gut. Welche andere Inszenierung hatte hier schon über 40 Einträge. Ist das nicht Bewegung?
Schlingensief beim tt 09: Trend zum tieferen Gefühl
Vielleicht könnte man Schlingensief ja mal kontextualisieren. Denn die ganz persönliche Innensicht, von der aus er beginnt, gibt es ja auch wo anders. Sicher im Theater - etwa bei Gosch und seiner Hinwendung zur Innenanalyse seiner Figuren - aber auch in der Musik. Scott Matthew, Anthony - da werden doch auch gerade Künstler gefeiert, die ganz bei sich beginnen, bei einer leisen Innenschau, ihren Seelenschmerzen, wenn man so will. Und doch gehen alle darüber hinaus - aus dem Eigenen ins Allgemeine, ins Große. Jetzt kann man das als Zufall abtun, dass dieser Zugang gerade in verschiedensten Künsten zu finden ist - oder es ist doch Ausdruck eines tieferen Gefühls.
Schlingensief beim tt 09: verwundert über Betroffenheitskult
@PS
Ich habe das Schlingensief-Stück nur im Fernsehen gesehen und kann mich zum Beifall nicht äußern. Mich verwundert nur dieser Betroffenheitskult. Kein Mensch möchte permanent Krankheitsgeschichten hören. In meiner Verwandtschaft starben auch Leute an Krebs und niemals würde ich öffentlich über meinen Nierenschaden Bericht erstatten.
Was die Schaubühne anbelangt: Gestern gab es bei "Endstation Sehnsucht" frenetischen Beifall, die Leute standen teilweise auf. Das geschah unter anderem bei "Trauer muss Elektra tragen" oder bei den "Drei Schwestern". Und den Kommentar über die angeblich beschissenen Preußen braucht man nicht weiter zu kommentieren, er steht für sich selbst. Preußen wurde 1600 gegründet und besteht seit Gründung der Bundesrepublik nicht mehr.
Schlingensief beim tt09: Kugel in den warmen, weichen Körper
@ Flohbär: Das Problem besteht meines Erachtens im Begriff der "Betroffenheit". Das klingt zunächst eklig pathetisch und Mitleid erheischend. Aber was heisst es eigentlich genau? Bildlich gesprochen heisst es doch, dass eine Aufführung den Zuschauer treffen kann. Wie der Schuss aus der Pistole, wie die Kugel, die in den weichen und warmen Körper eindringt. Geht es nicht in jeder Aufführung genau darum, um die Wahrnehmung des eigenen Schmerzes, trotz oder gerade aufgrund der Tatsache, dass da oben einer sein eigenes Leben bearbeitet? Schlingensief lag sicher nichts daran, eine falsche Betroffenheit erzeugen zu wollen. Die gibt es immer. Ich persönlich war hin- und hergerissen zwischen der Frage, ob ich hier nicht nur der Voyeur einer ganz persönlichen Krankengeschichte bin, der Trauer und Wut darüber, dass offenbar niemand Schlingensief vor sich selbst schützen kann und der Bezugnahme auf mein eigenes Leben. Eine Aufführung wird unterschiedlich wahrgenommen. Und das ist gut so. Von daher empfinde ich es auch als nicht zulässig, wenn Sie jemandem sein emotionales Empfinden absprechen wollen. Sie persönlich wollen keine Krankheitsgeschichten hören, und das wird auch respektiert. (Vielleicht sagt das aber auch einiges über Sie selbst aus, aber ich möchte Ihnen hier nicht zu nahe treten). Ich jedenfalls konnte spüren, wie da einer angesichts seiner Krankheit schwach und auch ungerecht gegenüber seinen Mitmenschen wird, wie da einer kämpft und wütet gegen dieses Los, welches tatsächlich jeden treffen kann. Und wie einer mit seiner Krankheit umgeht, das bleibt doch jedem selbst überlassen. Ob er das nach aussen trägt und zu Kunst macht, weil er gar nicht anders kann. Oder ob er sich zurückzieht ins Private.
Schließlich entsteht bei mir der Eindruck, dass es sowohl PS als auch Ihnen letztlich leider gar nicht so sehr um Schlingensiefs Performance geht, sondern vielmehr um Ihr wechselseitiges Konkurrzenverhalten. Entschuldigen Sie meinen Zynismus, aber vielleicht muss man ja erst Krebs bekommen, um sich zu fragen, was das Leben eigentlich ausmacht. Beuys sprach von der "sozialen Plastik" und meinte damit die Gestaltung einer Gemeinschaft im Sinne eines Miteinanders, im Sinne eines Wärme- und Energieaustauschs. Davon beobachte ich hier kaum etwas. Schöne Utopie.
Schlingensief beim tt09: immerhin keine Resektion der Gefühle
Frau d'Arc, diese fortwährende Betroffenheit ist zum Beispiel ein Vorwurf, den Martin Walser gegen Böll vorgebracht hat. Bei Schlingensief habe ich den Eindruck, dass er ein bisschen heftig an das Mitgefühl appelliert. Aber es ist letztlich seine Sache, wie er mit seiner Krankheit umgeht - wer das perhorresziert, braucht sich das nicht anzusehen. Laiendarsteller sind sicherlich interessant, da entstehen Imponderabilien, die neben Quisquilien Interessantes zutage fördern. Immerhin war bei diesem Stück ein Vollprofi wie Angela Winkler dabei.
Immerhin muss man bei Schlingensief anerkennen, dass die Exstirpation eines Organs keine Resektion seiner Gefühle zur Folge hatte.
Bei der Beuys-Ausstellung in Berlin hing übrigens eine Art Fett-Jacke an der Wand. Beim Anblick dieses Kunstwerks kam es zu einem Wärmeaustausch eines Liebespaares. Vielleicht ist es das, was Sie sich wünschen.
Aber ich möchte mich auf diese Diskussion nicht weiter einlassen, ich bin nur eine einfache Natur.
Schlingensief beim tt09: Beuys war ein Anthroposophenguru
Beuys war doch ein Kryptofaschist und Anthroposophenguru, dem es nur um seine eigenen Produkte ging. Das Gemeinsame war allein Trademark wie die peinliche Anglerjacke. Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn seine 72er Dokumenta Aktion "Organisation für mehr Direkte Demokratie durch Volksabstimmung" realisiert worden wäre. Die Masse wählt gerne die radikalsten Lösungen, soviele Todesstrafen, Abschiebungen und Lager könnten sie gar nicht zählen. Dieses ganze Anthroposophengeseiere und Waldorfesoterik macht einen wirklich schon mürbe, die gleichen Forderungen stellen inzwischen doch in ganz Europa die neuen Rechten. Beuys Epigone Schlingensief ist inzwischen auch in diesem reaktionären Mief gelandet, eine Mischung aus Steiner und Ratzinger. Oh Gott.
Schlingensief beim tt09: wie wird aus Krankeit Kunst?
die frage ist doch ob es sich hier um kunst handelt oder um eine höhere form von klatsch.jeder boulevardjournalist leckt sich die finger nach bekenntnissen im angesicht einer lebensbedrohlichen krankheit.wodurch wird es zur kunst??
das ist eine ernstgemeinte frage bitte nicht als angriff oder polemik missverstehen.
Schlingensief beim tt09: prollen Sie lieber rum!
@ Flohbär: Könnten Sie bitte vom Fachchinesisch wieder in die Alltagssprache wechseln? Das klingt ja grauenhaft! Sind Sie wirklich eine einfache Natur? Wunderbar, dann prollen Sie lieber rum. Von pseudoakademischen Sprach-Hohlräumen halte ich nämlich gar nichts.
@ never trust a guru: Das ist für mich trotzdem noch kein Argument. Heidegger war auch Nazi. Und trotzdem war sein philosophischer Ansatz wegweisend für nachfolgende Denker, zum Beispiel Foucault oder Derrrida. Ich eigne mir immer nur das an, was ich im aktuellen Kontext weiterhin oder wieder gebrauchen kann. Der Anthroposophenguru Beuys interessiert mich nicht. Eso ist nicht mein Ding. Auch Krebs lässt sich schließlich nicht mit Homöopathie heilen. Und angesichts von Fettjacken regt sich bei mir gar nichts. Das ist Museum.
Schlingensief bei tt09: Exstirpation und Resektion
Beste d'Arc, ich kann auch im Bildzeitungsjargon schreiben. Aber bitte lassen Sie bei mir, wenn Sie von akademischer Sprache reden, das "pseudo" weg. Die Ausdrücke Exstirpation und Resektion, die übrigens auch von Nietzsche benutzt wurden, sind medizinische Begriffe. Ich hätte auch die "Entfernung eines kranken Organs" schreiben können. Zum Glück wurden bei Schlingensief nicht die Gefühle entfernt. Emotionen hat er noch und kann sie immer noch hervorrufen.
Schlingensief beim tt09: Krankheit, Kunst, Klatsch?
anstatt bosheiten auszutauschen, finde ich die frage des beitrags bild sehr interessant.wann wird ein thema kunst und wann bleibt es klatsch?Frau Jeanne D`Arc? Herr Flohbär? Herr Olaf?
Schlingensief beim tt09: Kunst am Bau
Wenn ich mich mal aus der Schwarzwaldklinik zu Wort melden dürfte. Aus meiner und der Kollegen Sicht ist Krankheit ein deutlicher Fall von Kunst am Bau. MfG
Schlingensief beim tt09: @Brinckmann
Sehr geehrter Professor! Mit Verwunderung nehme ich zur Kenntnis, daß sie Ihren Namen haben ändern lassen. Der Professor, den ich kennen und schätzen gelernt habe, schreibt sich mit "k".
Mit der Bitte um baldige Aufklärung verbleibe ich herzlichst, Ihr alter Kumpel Heribert!
Schlingensief beim tt09: wovon das C kommt
Das C kommt davon, weil ich jetzt im Himmel bin. Da kriegt jeder ein C in seinen Namen. Sicher ahnen Sie, warum. Man kann sich aussuchen wo. Aus Ihnen könnte zum Beispiel ein Cheribert werden. Gruß von der Wolke, Ihr Brinckmann.
Schlingensief beim tt09: erfassen, was Sterben bedeutet
@ Flohbär: Den medizinischen Jargon müssen Sie mir nicht erklären. Ich bin gleichsam damit aufgewachsen, aber das können Sie ja nicht wissen. Ich frage mich bloß, was solch abstrakte Begriffe und Kategorisierungen eigentlich verbergen. Nach Foucault wird die Grenze zwischen "Krankheit" und "Gesundheit" erst über den medizinischen Diskurs fixiert. Und das thematisiert doch auch Schlingensief. Die Trennung zwischen Körper und Geist. Der medizischen Diagnose nach ist der Körper krank, aber der Geist ist noch nicht bereit, zu sterben! Das ist das Unverständnis, wofür letztlich keine Sprache gefunden werden kann. Natürlich, Nietzsche sprach von der "Wissenschaft vom Leib" - das war die Abkehr vom Idealismus und damit auch von einer absoluten sinnstiftenden Instanz wie einem allmächtigen Gott, welcher das Schicksal der Menschen bestimmte und welchem diese sich unterwarfen. Zu Beginn der Moderne löst sich das Subjekt von der Suche nach letzten Bedeutungen und sucht die grundlegende Erfahrung über den Körper bzw. über alle fünf Sinne. Ich kann bei Schlingensief spüren, es aber nicht rational erfassen, was Sterben und/oder Tod bedeuten könnten. Alles fließt, es geht um die Vergänglichkeit alles Seienden. Das macht Angst. Und dieser Angst über die Kunst zu begegnen, das heisst vielleicht Leben. Klatsch wird von aussen an eine Person herangetragen. Kunst entsteht aus der Perspektive des - ja - Betroffenen.
Schlingensief beim tt09: wodurch entsteht Kunst?
@jeanne.ich finde deine erklärung nicht ganz stimmig.es gibt doch in jeder bildzeitung betroffene die sich dem klatsch andienen.es wird also nicht zwingend von aussen mit einem gemacht.es gibt promis die virtuos diese klatschmaschine bedienen bei denen aber kein mensch von kunst sprechen würde.wie und wodurch entsteht aus betroffensein kunst?ich dachte es hat auch was mit gestaltung zu tun?vielleicht dabei auch mit sich fremdmachen von seinem eigene betroffensein lösen um zu etwas allgemeinerem zu kommen...etwas in der richtung?bin immer noch ratlos.
Schlingensief beim tt09: Subjektkonstruktion in der Kunst
@ bild: Vielleicht habe ich das unklar formuliert. Kunst entsteht natürlich nicht nur aus der Perspektive des Betroffenen, sondern unzweifelhaft aus dessen Gestaltung. Eben das ist der Hauptaspekt des Konzepts der Lebens-Kunst nach Schahadat, einen reflexiven Abstand zu sich selbst zu gewinnen. Über diese exzentrische Position, welche den Menschen vom Tier unterscheidet, kann das eigene Leben in einer neuen Form bearbeitet werden. Wie sagte es Kriegenburg vorhin so schön im Publikumsgespräch zum "Prozess"?: "Wir tun als ob wir traurig sind, und darunter sind wir es wirklich. Aber die Form schützt uns." Ausserdem hat die Lebens-Kunst eine ästhetische Ausrichtung, was man vom Boulevardjournalismus wohl eher nicht behaupten kann. Schließlich vollzieht sich die Welt- und Subjektkonstruktion bei Schlingensief offenbar immer schon über die Kunst. Der kann gar nicht anders, als sich selbst zu thematisieren / zu performen. Aber auch bei den Künstlern, welche nicht von ihren Tagebuchnotizen ausgehen, verhält es sich sicher nicht anders. Irgendwie hat das, was ein Regisseur / ein Team macht, doch immer auch etwas mit dem eigenen und ganz persönlichen Blick auf das Leben zu tun. Ansonsten wäre es wirklich nur noch reines, vom Konsumenten ausgehendes Marktdenken. Das wäre dann tatsächlich die Image-Kultur als Selbstzweck, sich selbst zum Produkt für die Massen zu machen. Kunst heisst dagegen, sich nicht an den herrschenden Trend anpassen zu müssen. Kriegenburgs poetische Schlagkraft der Bilder hat das mehr als bewiesen. ICH bin jetzt noch sprachlos. Und dann war ES gut, sehr gut, einfach wunderbar. Gigantic, a big big love to this form of theatre.
Schlingensief beim tt 09: Nietzsche, Wagner und Revolver
Gestatten Frau d'Arc, ihre Bemerkung, dass alles fließt, bezieht sich wohl auf Heraklit. Das bedeutet, dass sich stets alles verändert, auch bei Schlingensief, so wie es Goethe in einem Gedicht beschrieben hat: "Ach! und in demselben Flusse schwimmst du nicht zum zweitenmal." Das bereitet mir keine Angst.
Was mich an Schlingensief wundert, ist die Hinwendung zur Kirche. Wagner ist ja bekanntlich mit seinem Parsifal "zu Kreuze gekrochen", wie Nietzsche es ausdrückte, und Schlingensief hat jetzt einen ähnlichen Hang zum Oratorium. Bei Schlingensief ist einiges in Fluss, ähnlich wie damals bei Wagner. Anfang der 1870er Jahre setzte er noch Nietzsche darauf an, den Kirchenonkel David Strauss in der Ersten Unzeitgemäßen Betrachtung zu attackieren. Darin steht auch der Satz: "Die Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des 'deutschen Reiches'". Das richtete sich gegen den Nationalismuswahn nach der Reichsgründung von 1871. Da gibt es Parallelen zu heute, die geistige Tätigkeit wird nur noch gering eingestuft. Bei Schlingensief kann man sagen, dass er etwas zu Wagner gekrochen ist. Ich persönlich betrete eine Kirche nur mit vorgehaltenem Revolver. Aber Schlingensiefs Kirchentendenz ist seine künstlerische Angelegenheit. Er ist trotzdem ein Guter.
Schlingensief beim tt09: wo Alles Eins ist
@ Flohbär: Heraklit passt natürlich auch, ich bezog mich aber ganz direkt und naheliegend auf den Begriff des "Fluxus". Und dass Schlingensief sich zur Kirche hinwendet, das glaube ich schlichtweg nicht. Bei Schlingensief ging es doch immer schon um eine Abarbeitung und Reibung an der katholischen Lehre. Möglicherweise ein unumgängliches Thema ehemaliger Ministranten. Auch nach dem Tod Gottes nach Nietzsche geht das unendliche Streben nach dem Eins und Alles doch weiter. Diesbezüglich kann ich hier nur noch einmal auf Hölderlins "Hyperion" bzw. einen Auszug daraus auf dem Programmzettel zu "Atta Atta" zitieren; übrigens mit der vielsagenden Überschrift "Star Trek 1795" versehen: "Die seelige Einigkeit, das Sein, im einzigen Sinne des Worts, ist für uns verloren und wir mußten es verlieren, wenn wir es erstreben, erringen sollten. [...] Aber weder unser Wissen noch unser Handeln gelangt in irgendeiner Periode des Daseins dahin, wo aller Widerstand aufhört, wo Alles Eins ist; [...]" Die Heilung dieser stets offenen Wunde liegt nach Hölderlin im Ästhetischen: "[...] wenn nicht dennoch jene unendliche Vereinigung, jenes Sein im einzigen Sinne des Wortes vorhanden wäre. Es ist vorhanden - als SCHÖNHEIT."
Schlingensief beim tt09: carpe noctem
Sagt mal, welcher Club der toten Hegemännchen hat sich denn hier versammelt? Carpe Noctem! Euer Höppi
Schlingensief beim tt09: das hegemannianische Prinzip
das hegemannianische ist die schönheit im rückspiegel, die wunde immer
Schlingensief beim tt09: eine Art Kunst-Erlöser
@Höperion
Wer sich mit Schlingensiefs Werken beschäftigt, muss sich auch mit Wagner auseinandersetzen.
Hölderlins Hyperion sehnt sich nach dem Scheitern der Liebe zu Diotima nach der Verschmelzung, dem Einssein mit der Natur. Die Rettung kann auch das Ästhetische sein. Nietzsche hat in seinem Frühwerk, in seinem Buch über die vorsokratische Tragödie gesagt, dass die Welt nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt sei. Und dass die Tragödie einen metaphysischen Trost gewähre. Damals hat Nietzsche Wagner noch als eine Art Kunst-Erlöser gefeiert, später allerdings nicht mehr. Hölderlin hat übrigens solche Künstler wie Markus Lüpertz zu großen Werken inspiriert.
Trotzdem viele Grüße an den Höperion- bzw. Höppi-Club.
Schlingensief beim tt09: Anbiederung an das System?
oh Gott, Markus Lüpertz, der "Staatskünstler" par excellence - u.a. Bundesadler und Bundeskanzleramt ("Philosophin"). In den Kontext passen dann wohl auch die "göttlichen" Verfehlungen von Immendorf - Stichwort: Koksnutten. Viel wichtiger aber: Geht es da eigentlich noch um Kunst oder ist das bereits die Anbiederung an das System? Schlingensief ist zum Glück bzw. hoffentlich (noch) nicht soweit.
Schlingensief beim t09: Lüpertz, Hölderlin & die Riesensumme
Wie berichtet wurde, hatte Schlingensief kürzlich ein Gespräch mit dem Bundesaußenminister. Ob das Anbiederung war oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen.
Mit Lüpertz hatte ich mal ein Gespräch über Hölderlin, das weit über das hinausreicht, was Sie hier zum Besten geben. Vielleicht stört Sie ja auch die Riesensumme, die für Lüpertz' Kunstwerk vor dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe ausgegeben wurde. Kennen Sie sein Werk überhaupt? Dann bleiben Sie besser bei Schlingensief.
Schlingensief beim tt09: hundert mal lieber
@ Flohbär: Oh ja, ich bleibe hundertmal lieber bei Schlingensief als bei dem selbstherrlichen, egozentrischen und sexistischen Malerfürsten Markus Lüpertz, welcher zu allem übelkeitserregenden Überfluss auch noch mit Bernd Koberling in Kontakt steht. Zudem stehe ich der ungebrochenen deutschen Blut- und Bodenromantik im Stile Lüpertz' skeptisch gegenüber.
Schlingensief beim tt09: Was er versäumt hat
Ja, Frau Jeanne d'Arc, gehen Sie besser mit Schlingensief in eine Kirche. Ein Oratorium wird Ihrem Gemüt sicherlich guttun.
In Lüpertz' Werk ist wirklich gar nichts sexistisch. Das, was sie als Blut- und Bodenromantik bezeichnen, sind die sogenannten "deutschen Motive" Anfang der 70er Jahre. Das war aber kein Zelebrieren des Nationalismus, sondern eine Einbindung der Geschichte in ein Kunstwerk. Wenn Milan Peschel in "Nord" in der Volksbühne den semifaschistischen Céline spielt, bedeutet das nicht, dass er im Privatleben so ist.
Was Schlingensief in seinem Kirchen-Projekt versäumt hat, ist das Integrieren großer Kunst.
Schlingensief beim tt09: vollintegrierter Staatskünstler
vielleicht nicht sexistisch, aber chauvinistisch - im persönlichen Auftritt. Und diese "deutschen Motive", darin liegt für mich die Gefahr der Instrumentalisierung für politisch-ideologische Zwecke: "Der Widerstand des Werkes ist nicht die Rettung der Politik duch die Kunst. Er ist nicht die Imitation oder Antizipation der Politik durch die Kunst. Er ist genau ihre Einheit. Die Kunst IST die Politik." (Jacques Rancière) Auch Wagners Musik hatte diese gefährliche Totalität "großer Kunst", womit sie sich tragischerweise selbst in die Hände der Nazis gespielt hat. Und was die Demontage der "guten" Ideen angeht, den Mut, sich unheimlichen und gefährlichen Verhaltensformen und Wünschen zu nähern, da würde ich eindeutig Einar Schleef vorziehen. Und zwar, weil er eben nicht pseudo-politisch agierte, Stichwort: "vollintegrierter Staatskünstler".
Schlingensief beim tt09: schon wieder der Flohbär
Verehrte Jeanne d'Arc, was Sie hier schreiben, ist Unfug. Die Lüpertz' Bilderserie über das "mykenische Lächeln" könnte irgendein Kasper auch als Anlehnung an die Basisdemokratie verstehen. Vielleicht wird noch die Grabrede vom Historiker Thukydides über Perikles als politische Äüßerung von Lüpertz gewertet. Seine Kunst ist weitgehend unpolitisch. Wahrscheinlich stört es Sie nur, dass er mit Gerhard Schröder in Abständen diniert. Deshalb ist er noch lange nicht ein Staatskünstler.
Ein antiker Chor hätte das Stück von Schlingensief etwas aufgewertet. Zum Glück hat Angela Winkler die Inszenierung noch gerettet.
Schlingensief beim tt09: ihr lebenden Toten!
@ Flohbär: ach so, und das, was Sie schreiben, ist dann wohl die Wahrheit? Umso schlimmer, wenn Lüpertz' Kunst weitgehend unpolitisch ist. L'art pour l'art ist vollendeter Nihilismus. Das Denken der Etablierten und Satten. Kunst als Konsumprodukt und Statussymbol. Das muss profaniert werden! Gebraucht die Kunst, um euer eigenes Leben zu bearbeiten! Zitat Agamben: "Wenn heute die Verbraucher in der Massengesellschaft unglücklich sind, dann nicht nur, weil sie Gegenstände konsumieren, die ihre Nichteignung zum Gebrauch in sich einverleiben, sondern auch und vor allem, weil sie glauben, über diese ihr Eigentumsrecht auszuüben, weil sie unfähig geworden sind, diese Gegenstände zu profanieren." Ich persönlich fand den Pfadfinderchor der Kinder ganz große Klasse! Die singen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Raus damit! Die schiefen Töne, die manch hörigen Kirchgänger stören würden, sagen meines Erachtens viel über das Leben aus. Gerade im Nicht-Perfekten liegt eine verstörende Schönheit, das Lächerliche im Erhabenen. Gegen die Gefahr des "totalitär abschließenden" Klangs bei Wagner setzt Schlingensief auf das Dissonante. Gegen das Nur-Gute bricht aus Angela Winkler plötzlich ein teuflisches Lachen heraus. Wunderbar. Das meint Leben, ihr lebenden Toten!
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