Eröffnung des Berliner Theatertreffens mit Christoph Schlingensiefs Kirche der Angst
Der liebe Christoph lächelt
von Esther Slevogt
Berlin, 1. Mai 2009. Die Besucher schreiten gemessen unter einem Baldachin. Umher blühen die Kastanien, und Orgelmusik tönt. Aufdringliche Kameraleute zoomen einzelne Gesichter aus der Menge heran, wobei das Auswahlkriterium entweder besondere Prominenz oder ein besonders betretener Blick zu sein scheint. Man schaut schnell zu Boden, wenn man nicht gefilmt werden will. Und schreitet weiter Richtung Theater, das heute eine Kirche ist.
"Liebe Theatergemeinde", hatte die Künstlerische Direktorin der Bundeskulturstiftung Hortensia Völckers in ihrer Rede zuvor die Gäste der Eröffnungsveranstaltung des Theatertreffens in der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele begrüßt. Und hätte gar nicht darauf hinweisen müssen, dass damit nun nicht mehr die etwas muffige, bildungsbürgerliche Besucherorganisation gemeint ist, sondern eine neue Gemeinde von Theatergängern, die hier nun sozusagen die höheren Weihen der Sinn- und Kunstsuche erfahren können.
"Hier und Jetzt" lautet in deutlicher Verkünderpose auch das Motto des Theatertreffens, inspiriert von Roland Schimmelpfennigs gleichnamigem Stück, dessen Zürcher Uraufführung durch Jürgen Gosch, dem anderen öffentlichen Theaterpatienten, ebenfalls eingeladen ist: eine Feier des Lebens, als Hochzeitsfest getarnt. Mag allenthalben die Finanzkrise die öffentliche Debatte beherrschen, die Sinnkrise hat das Theatertreffen in diesem Jahr zu seinen Gunsten entschieden.
Schauen Sie, hören Sie!
Nach Jahren der Ekel- und Regietheaterdebatten meint das Theater offenbar, endlich wieder einen Punkt gefunden zu haben, wo es um mehr als bloße Ästhetik und Oberfläche geht. Womit es wieder Tritt in gesellschaftlichen Relevanzzonen fassen kann, in denen es in den vergangenen Jahren schon ziemlich abgeschrieben war. "Lassen Sie sich vom Theatertreffen treffen", stilblütelt die Marketingabteilung im Auftrag der Festivalleitung. Und meint wahrscheinlich: mitten ins Herz. Dabei hätte das Gehirn, das von Betroffenheit allein nicht satt werden kann, auch ganz gerne mitgemacht.
Und bald tritt er dann auch persönlich in Erscheinung, der heilige St. Christoph des Feuilletons und des Boulevards. Geherzt von Nike Wagner und anderer Prominenz, von Hortensia Völckers vom Podium herab als "lieber Christoph" adressiert und gemeinsam mit seiner Gefährtin, der Kostümbildnerin Aino Laberenz, von den Kameras gierig umlagert. Seit Schlingensief sie zu seiner Florence Nightingale stilisierte, ist auch sie öffentliches Eigentum geworden. Und der liebe Christoph lächelt.
"Schauen Sie, hören Sie!" hat Schlingensief in seinem Krebstagebuch geschrieben, das, gerade erschienen, bereits ein Beststeller ist. "Und wenn die Leute das nicht wollen, wenn sie sagen, ich sei ein Terrorist, der ihnen zu nahe tritt, dann ist das eben so. Dann ist das auch eine Reaktion."
Happening, Hochamt und Freakshow
Später, im Theater, nimmt man dann auf Kirchenbänken Platz. Und bald überrollen Bilder und ein gurgelnder Sound das Kirchenschiff, das in die Seitenbühne des Bornemann-Theaters eingebaut wurde: eine Mischung aus Happening, Hochamt, Freakshow und Musiktheater, wo man in krisseligen Filmbildern Zellen sich teilen, Embryos wachsen, oder eine schrille alte Frau mit Karton um den Oberkörper durch verfallende Industrielandschaften streifen sieht.
Wer in den Karton hineingreift, kann offensichtlich ihre Brüste berühren – ein degeneriertes Mutterbild. Zwei Opernsängerinnen singen, ein pompös kostümierter Gospelchor tritt auf, Messdiener und Mädchen in Pfandfinderuniformen. Das Klangcluster reicht von Wagner über Peter Kennedy bis zum bedrohlichen Ticken eines Metronoms. Schauspielerinnen lesen Texte aus Schlingensiefs Krebstagebuch, Angela Winkler bebend, manchmal fast heischend, Margit Carstensen scharf artikuliert, gelegentlich vom Gestus der Weltanklage grundiert und Mira Partecke distanzvoll naiv. Einmal hört man Schlingensief über Tonbandeinspielung verzweifelt schreien.
Anachronistische Avantgarde-Ikonographie
"Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt. Wer sie verbirgt wird nicht geheilt", steht über der Theaterkirche in weißer Pinselschrift geschrieben. Ein Zitat von Joseph Beuys, der das Fluxus-Format, das Schlingensief hier nun zur Technicolor-Breitwandversion ausgebaut hat, erfand. Beuys, der einst in einer berühmten Aktion einem toten Hasen die Kunst erklärte, während das Publikum sich drei Stunden lang nur an einem kleinen Fenster drängeln durfte.
Nun darf das Publikum herein, aber ob es von der Kunst mehr versteht als im November 1965 die Ausgesperrten, ist eine Frage, die der Abend offen lässt, an dem speziell der Einsatz von einer fast anachronistisch wirkenden Avantgarde-Ikonografie zu Erzeugung von Zuschaueremotionen überrascht. Eine Ikonografie, die etwa zu dem Zeitpunkt entstand, als Vater Schlingensief seinen Sohn gefilmt hat, Bilder, die ebenfalls in die Aufführung eingeflossen sind.
Der Abend ist von der Kritik hinlänglich beschrieben und wird nun in Berlin noch mal als Kunstgottesdienst im Kontext des "Hochleistungstheaters" gezeigt, in den Hortensia Völckers die spektakuläre Aufführung in ihrer Begrüßungsrede stellte. "Am Ende klatschen wir, weil wir im Theater sind", sagte sie auch. Aber am Ende von Christoph Schlingensiefs Fluxus-Oratorium ist es still. Niemand klatscht. Erst als die Schauspieler zum Applaus erscheinen, beginnen manche, ihre Hände zu behutsamem Beifall zu regen.
Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir
Fluxus Oratorium von Christoph Schlingensief
Konzept, Regie, Ausstattung: Christoph Schlingensief, Bühne: Thomas Goerge, Thekla von Mülheim, Kostüme: Aino Laberenz, Licht: Voxi Bärenklau. Mit: Margit Carstensen, Angela Winkler, Mira Partecke, Komi Mizraijm Togbonou, Stefan Kolosko, Karin Witt, Horst Gelonnek, Kerstin Grassmann, Norbert Müler, Achim von Paczensky, Klaus Beyer. Sängerinnen: Friederike Harmsen, Ulrike Eidinger. Korrepetitor/Orgelspieler: Dominik Blum. Gospelchor Angels Voices, Kinderchor des Aalto-Theaters.
www.kirche-der-angst.de
www.berlinerfestspiele.de
Mehr lesen? Die Uraufführung fand im September 2008 im Rahmen der Ruhrtriennale statt. Christoph Schlingensiefs Der Zwischenstand der Dinge war im November 2008 im Berliner Maxim Gorki Theater zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Im Frühjahr 2009 folgte Mea Culpa am Wiener Burgtheater.
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und bei inszenierungen aus der provinz wird dann gesagt, es sind zu schwache schauspieler...
Gosch als "Theaterpatient" finde ich geschmacklos. Es ist davon auszugehen, dass Frau Slevogt damit wohl auf seine schwere Erkrankung Bezug nimmt. Für mich definiert sich der Mann aber nicht durch sein Dasein als "Patient" und ist demnach erst recht nicht deshalb prominent.
Was soll überhaupt "Theaterpatient" heißen? Ist der ein Patient des Theaters? Ein theatraler Patient? Ein Patient im Warteraum des Theaters? Hää?
Liebe Clara,
im Theatertreffen-Magazin sind die Inszenierungen, die in der Diskussion waren, aufgeführt. Alle mag ich hier nicht aufzählen, aber es finden sich darunter:
"Der zerbrochne Krug", Regie Peter Stein, Berliner Ensemble;
"Das Pulverfass", Regie: Gotscheff, DT Berlin;
"Anna Karenina", Regie: Jan Bosse, Maxim Gorki Theater Berlin;
"Kean", Regie: Castorf, Volksbühne Berlin;
"Jagden und Formen", Choreographie: Sasha Waltz;
"I hired a contract killer", Regie: Jorinde Dröse, Bochum;
"Glaube Liebe Hoffnung", Regie: Michael Gruner, Dortmund;
"Der Fremde", Regie: Sebastian Baumgarten, Frankfurt;
"Das Goldene Vlies", Regie: Karin Beier, Köln;
"Kölner Affäre", Regie: Alvis Hermanis, Köln;
"I went to the house and did not enter", Regie: Heiner Goebbels, Lausanne;
"Don Juan", Regie: Jürgen Kruse, Leipzig;
"Eine Familie", Regie: Burkhard C. Kosminski, Mannheim;
"Hiob", Regie: Johan Simons, München;
"Rechnitz (Ein Würgeengel)", Regie Jossie Wieler,
München;
"Tartuffe", Regie: Herbert Fritsch, Oberhausen;
"Verbrechen und Strafe", Regie: Breth, Salzburger Festspiele;
"Manderlay", Regie: Volker Lösch, Stuttgart.
Gruß
die Redaktion
Zumindest EINE Inszenierung mehr hätte man in Berlin ja zeigen können, wenn man sich nicht die nicht nach Berlin zu verpflanzende "Waldhaus"-Einladung, von der jedem Jury-Mitglied von vornherein klar sein musste, dass sie nicht realisiert werden konnte, geleistet hätte.
P.S.: Das Magazin ist übrigens nicht kostenlos, sondern erhältlich für 3 Euro.
Ich hab vielleicht von diesem "Theaterabend" Krebs bekommen. Das Theater haßt sich selbst, daß sie alle so einer langweiligen Krebsgeschichte hinterher rennen müssen. Die Geschichte schon tausend Mal besser erzählt und gedanklich tiefer. Und klar findet der liebe Armin vom Maxim Gorki, wo ja so eine tolle Atmosphäre herrscht (frag mal die Nichtpromis, die da Strückverträge haben!), den Abend ganz toll und auch der René Pollesch war da, weil es war ja angeblich nur für Freunde,von denen Christoph so viele hat (wieviele wären es noch ohne sein Promidasein?).
Der arme Christoph Schlingensief hat jetzt, wie er sagt, keine Metastasen mehr. Wir hoffen auf ein Ende der Selbstbeweihräucherung.
Lieber Michael Hill,
es war nicht ganz so.
Schlingensief sprach gestern von denen, die glauben, der Krebs könne sie nicht erwischen, also von so ziemlich allen Gesunden. Er gab zu Protokoll, dass die es noch erleben würden, im Sinne von: es kann jeden treffen. Die Arroganten waren sozusagen nur eine Untergruppe, die da adressiert wurde. Das nur zur Klarstellung dessen, was gestern gesagt wurde.
Mit Grüßen
nikolaus merck
Es ist dann nur zusätzlich lächerlich, wenn gerade jene, die beklagen, man könne Schlingensief nicht kritisieren, (er würde sich dagegen immunisieren), dass gerade jene dann keinen einzigen interessanten Satz zur Aufführung selbst (und nicht zur Person, zur Mediendebatte...) schreiben können.
Herzens KR,
was regen Sie sich so auf? Welche Kungelei? Ich habe das zu Protokoll gegeben, was ich mitgekriegt habe. O.k.? Ich rede hier nicht autoritativ oder autoritär, sondern nur nach bestem Wissen und Gewissen. Ich verteidige den Schlingensief auch nicht, ich habe das anders gehört. Wenn ich falsch gehört habe, bitte, mein Fehler. Aber ich bitt' schön, regen Sie sich nicht so auf. Das hat doch keinen Sinn.
Grüße
nikolaus merck
Ja, es handelt sich bei Frau Burckhardt um die wirkliche Frau Burckhardt.
die Redaktion
So weit, so Schlingensief, aber mich machen diese Kritiker wütend, die sich vor Schlingensief wie die Käfer auf den Rücken legen, siehe Barbara Burckhart, die ihn immerhin nicht duzt, das ist ein großes Verdienst, auf das sie zurecht hinweist!, aber reicht das für ein Gespräch?
Natürlich kann man auch sagen, soll er doch seine Spielchen spielen im Theatertreffen, sollen sie doch infantil werden, die Kritiker und Juroren, aber es könnte ja sein, dass das Theatertreffen doch noch irgend was bedeutet.
also zeigt auf irgendeine wunde weint ein bisschen und alles wird wieder gut. es ist bemerkenswert auf wie hohem niveau die diskussion über krebs, sterben und die möglichkeit eines sinnvollen lebens stattfindet.
das ist natürlich ein blasphemisches vergehen am heiligen st.christophorus, aber ich bin ganz froh, dass ich diesen verlogen weinerlich humorfreien himmel gegen eine saftig zynische hölle tauschen kann.
Ich saß um 10 Uhr am 25. 4. vorm Computer, kam nach 10 Minuten durch und hatte Glück zwei von noch vier vorhandenen Karten zu kaufen. Beim nächsten Versuch gab es nichts mehr. Diese Nachfrage erübrigt jedes dumme Gequatsche! Schaut einfach hin, versteht oder versteht nicht, aber haltet bitte den Mund dann, wenn ihr nichts zu sagen habt. Das war übrigens auch eine kleine Aussage des Abends, die von Beuys stammt: "Man soll allen sagen, was du machst, ist gut... Immer positiv reden, nicht urteilen. Manchmal muss man natürlich ein paar harte Worte sagen, aber nach Möglichkeit sollte man sich davor hüten."
Sagen wir das doch bitte einmal all diesen "Möchtegernrednern" und "Hab auch eine Meinung Sagern!" Macht es besser, macht etwas eigenes und kritisiert euch selbst.
Dank an Schlingensief, dass er das alles gemacht hat. Das finde ich mutig! Das ist ein Werk, dass man in den verschiedenn Lebensstufen in die Hand nehmen und lesend lernen kann, das ist Weltkunst, die bleibt!
DANKE!!!
Es geht in dieser Diskussion genau um diese Haltung, die sagt, man darf nicht kritisieren.
Der bewusst regressive Impuls von Schlingensiefs Kunst überträgt sich offenbar nicht nur auf Kritiker wie die Burckhart, sondern macht sich nun auch hier breit.
Wie hier in der Nachtkritik das Thema behandelt wird, finde ich sehr gut und differenziert. Denn diese ganze Öffentlichmachung des Krebsthemas hat ja auch etwas Zweischneidiges. Schlingensief ist jetzt ein Beststellerautor. Aber ich finde es tragisch, daß die versammelte Republik ihn jetzt nur als Kranken und nicht als Künstler kennt. Wäre ich Künstler, würde mich das nicht mehr schlafen lassen. Als ich dann den Bericht von Esther Slevogt über die Eröffnung und den dazugehörigen Blog las, da tat mir das in der Seele weh, diese Bilder, die für mich da entstanden sind: in den Filmbildern das zugerichtete Kind und beim Theatertreffen der zugerichtete Künstler in der Öffentlichkeit, der immer noch alles mitmacht, immer noch der liebe Christoph ist, der denkt, er rebelliert, aber eben bloß in seinem fürchterlichen Käfig tobt. Affirmative Selbstdestruktion. Zum Heulen. Zum Verzweifeln, daß Schlingensief das nicht merkt!
"Schlingensief sprach gestern von denen, die glauben, der Krebs könne sie nicht erwischen, also von so ziemlich allen Gesunden. Er gab zu Protokoll, dass die es noch erleben würden, im Sinne von: es kann jeden treffen."
mich enttäuscht, dass es der eigenen betroffenheit der krankheit bedarf um zu der erkenntnis zu kommen. oder: das jetzt zu explizieren ist der worte zuviel.
schade.
nichtsdestotrotz besserungswünsche. physisch und auf dem theater.
Ist sterben in unserer gesellschaft privatsache oder sogar ein tabu?
warum dieses festival noch stattfindet - ich sehe keinen grund mehr.
dem ganzen trauerspiel setzt natürlich jetzt die befindlichkeitsdebatte des herrn s. die krone auf. früher radikal, ja mit anspruch zur avantgarde; langweilt uns das geliebte schwarze schaf des feullitons nun mit seinem privat-krempel.
und was macht die geschätzte kritiker-fraktion?
sie läd diesen privatistischen dünnschiss auch noch zum tt09 ein.
was passiert als nächstes? wird im foyer der festspiel im nächsten jahr der fleckige stuhlgang des herrn p. aus berlin ausgestellt? - der war ja auch mal "radikal" und ist heute "der stachel im regierungsviertel".
Enttäuscht darf man sein, Erwartungen dürfen sich auch mal nicht erfüllen. Nur liegt es dann, an wen?
endlich ein wirklich ernst zu nehmender Beitrag auf diesen Seiten, über den es sich lohnt nachzudenken!!!
Es leben die Künstler, die in anderen Nationen gewertschätzt werden. Hier bildet sich sowieso jeder ein, mitreden zu können. Vergesst das!
woher haben Sie diese Nachrichten. Ich war wirklich da, am zweiten Abend der Voraufführung. Irm Hermann und Ulrich Matthes saßen in der 6. und 7. Reihe neben uns. Es gab wirklich diese Betroffenheit, dann ein Aufruf zur Neuaufzeichnung. Die meisten blieben. Am Ende dann tosender Beifall. Wenn diese bescheuerten Preußen das alles schon nicht verstehen, zumindest an der Ruhr und in Wien ist man witer. Das hätte ich nie gedacht. Aber vielleicht tut dieser intelektuelle Pseudorummel diser Stadt Berlin nicht gut. Ich merke es immer wieder an der Schaubühne. Dieses beschissene Publikum kotzt mich an. Übersättigt und vrfressen sitzen sie da, zu nichts in der Lage, dieses zur Schau gestelle. Es nervt. Wie froh bin ich dann, wenn ich die begeisterungsfähigen Menschen an der Volksbühne oder im Gorki erlebe. Da werden Schauspieler, Regisseure und Künstler noch gefeiert. In diesem Charlottenburg empfindet man sich gar nicht mehr selbst, da jeder der selbsternannte Despot ist. Schade für all die guten Leute, die dort hervorragende Arbeit leisten, Perlen vor die Säue. Ich sah die großartige Räuberinszenierung an der Schaubühne. Ich klatschte und rief "Bravo", was man dort wohl ncht machen sollte. Neben mir saß eine alte Frau, schaute mich an und sagte: "Ich danke Ihnen für ihre Begeisterung. Uns beiden gefiel der Abend bestimmt, aber ich traue mich hier gar nicht mehr, meine Begeisterung zu zeigen." Soweit ist es gekommen! Schade. Ihr dummes Volk, setzt euch vor die Glotze und lasst uns, die sich noch begeistern lassen mit eurer "Wortwichse" in Ruhe!!!! DANKE!!!!!!!!
Was ist es denn sonst, wenn jeder kleine Totalitarismuswichser seine Meinung äußern darf. Das ist Demokratie, oder! DIALEKTIK
Denk mal darüber nach, Herr namenlos!
das, was Sie schreiben ist Inhalt, ist Empfindung. Ich saß an diesem Abend in diesem Raum und fühlte mich konfrontiert mit dem Text, den ich zuvor gelsen hatte. der war verständlich, ich konnte die angst vor dem fremden nachempfinden, diese Wut, diese Frage nach dem Warum. Eine Frage die sich jeder stellt, aber nicht mutig genug íst, dies ganz laut zu tun.
Dann der Abend voller Überraschungen. Wie funktioniert diser Text auf der Bühne im fiktiven Kirchenraum. zunächst der eindringliche Schrei "Nicht berühren!" Wer da nichts spürt... Dann die ganzen Umwandlungen, das wirklich kindlich naive Herangehen, das hat mich gepackt, gerührt und überzeugt. Ich will all diejenigen, die das nich gespürt haben, ja nicht angreifen. Doch jeder muss, soll sich fragen, was er vom Leben hält und welche Zugeständnisse der Wahrnehmung und der Preisgabe dieser Gefühle er dem anderen zugesteht. Wenn Schlingensief das zum Thema macht und gekonnt und klug auf Beuys oder Müller verweist und sich selbst inszeniert und damit eine Diskussion beschwört, ist das gut. Welche andere Inszenierung hatte hier schon über 40 Einträge. Ist das nicht Bewegung?
Ich habe das Schlingensief-Stück nur im Fernsehen gesehen und kann mich zum Beifall nicht äußern. Mich verwundert nur dieser Betroffenheitskult. Kein Mensch möchte permanent Krankheitsgeschichten hören. In meiner Verwandtschaft starben auch Leute an Krebs und niemals würde ich öffentlich über meinen Nierenschaden Bericht erstatten.
Was die Schaubühne anbelangt: Gestern gab es bei "Endstation Sehnsucht" frenetischen Beifall, die Leute standen teilweise auf. Das geschah unter anderem bei "Trauer muss Elektra tragen" oder bei den "Drei Schwestern". Und den Kommentar über die angeblich beschissenen Preußen braucht man nicht weiter zu kommentieren, er steht für sich selbst. Preußen wurde 1600 gegründet und besteht seit Gründung der Bundesrepublik nicht mehr.
Schließlich entsteht bei mir der Eindruck, dass es sowohl PS als auch Ihnen letztlich leider gar nicht so sehr um Schlingensiefs Performance geht, sondern vielmehr um Ihr wechselseitiges Konkurrzenverhalten. Entschuldigen Sie meinen Zynismus, aber vielleicht muss man ja erst Krebs bekommen, um sich zu fragen, was das Leben eigentlich ausmacht. Beuys sprach von der "sozialen Plastik" und meinte damit die Gestaltung einer Gemeinschaft im Sinne eines Miteinanders, im Sinne eines Wärme- und Energieaustauschs. Davon beobachte ich hier kaum etwas. Schöne Utopie.
Immerhin muss man bei Schlingensief anerkennen, dass die Exstirpation eines Organs keine Resektion seiner Gefühle zur Folge hatte.
Bei der Beuys-Ausstellung in Berlin hing übrigens eine Art Fett-Jacke an der Wand. Beim Anblick dieses Kunstwerks kam es zu einem Wärmeaustausch eines Liebespaares. Vielleicht ist es das, was Sie sich wünschen.
Aber ich möchte mich auf diese Diskussion nicht weiter einlassen, ich bin nur eine einfache Natur.
das ist eine ernstgemeinte frage bitte nicht als angriff oder polemik missverstehen.
@ never trust a guru: Das ist für mich trotzdem noch kein Argument. Heidegger war auch Nazi. Und trotzdem war sein philosophischer Ansatz wegweisend für nachfolgende Denker, zum Beispiel Foucault oder Derrrida. Ich eigne mir immer nur das an, was ich im aktuellen Kontext weiterhin oder wieder gebrauchen kann. Der Anthroposophenguru Beuys interessiert mich nicht. Eso ist nicht mein Ding. Auch Krebs lässt sich schließlich nicht mit Homöopathie heilen. Und angesichts von Fettjacken regt sich bei mir gar nichts. Das ist Museum.
Mit der Bitte um baldige Aufklärung verbleibe ich herzlichst, Ihr alter Kumpel Heribert!
Was mich an Schlingensief wundert, ist die Hinwendung zur Kirche. Wagner ist ja bekanntlich mit seinem Parsifal "zu Kreuze gekrochen", wie Nietzsche es ausdrückte, und Schlingensief hat jetzt einen ähnlichen Hang zum Oratorium. Bei Schlingensief ist einiges in Fluss, ähnlich wie damals bei Wagner. Anfang der 1870er Jahre setzte er noch Nietzsche darauf an, den Kirchenonkel David Strauss in der Ersten Unzeitgemäßen Betrachtung zu attackieren. Darin steht auch der Satz: "Die Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des 'deutschen Reiches'". Das richtete sich gegen den Nationalismuswahn nach der Reichsgründung von 1871. Da gibt es Parallelen zu heute, die geistige Tätigkeit wird nur noch gering eingestuft. Bei Schlingensief kann man sagen, dass er etwas zu Wagner gekrochen ist. Ich persönlich betrete eine Kirche nur mit vorgehaltenem Revolver. Aber Schlingensiefs Kirchentendenz ist seine künstlerische Angelegenheit. Er ist trotzdem ein Guter.
Wer sich mit Schlingensiefs Werken beschäftigt, muss sich auch mit Wagner auseinandersetzen.
Hölderlins Hyperion sehnt sich nach dem Scheitern der Liebe zu Diotima nach der Verschmelzung, dem Einssein mit der Natur. Die Rettung kann auch das Ästhetische sein. Nietzsche hat in seinem Frühwerk, in seinem Buch über die vorsokratische Tragödie gesagt, dass die Welt nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt sei. Und dass die Tragödie einen metaphysischen Trost gewähre. Damals hat Nietzsche Wagner noch als eine Art Kunst-Erlöser gefeiert, später allerdings nicht mehr. Hölderlin hat übrigens solche Künstler wie Markus Lüpertz zu großen Werken inspiriert.
Trotzdem viele Grüße an den Höperion- bzw. Höppi-Club.
Mit Lüpertz hatte ich mal ein Gespräch über Hölderlin, das weit über das hinausreicht, was Sie hier zum Besten geben. Vielleicht stört Sie ja auch die Riesensumme, die für Lüpertz' Kunstwerk vor dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe ausgegeben wurde. Kennen Sie sein Werk überhaupt? Dann bleiben Sie besser bei Schlingensief.
In Lüpertz' Werk ist wirklich gar nichts sexistisch. Das, was sie als Blut- und Bodenromantik bezeichnen, sind die sogenannten "deutschen Motive" Anfang der 70er Jahre. Das war aber kein Zelebrieren des Nationalismus, sondern eine Einbindung der Geschichte in ein Kunstwerk. Wenn Milan Peschel in "Nord" in der Volksbühne den semifaschistischen Céline spielt, bedeutet das nicht, dass er im Privatleben so ist.
Was Schlingensief in seinem Kirchen-Projekt versäumt hat, ist das Integrieren großer Kunst.
Ein antiker Chor hätte das Stück von Schlingensief etwas aufgewertet. Zum Glück hat Angela Winkler die Inszenierung noch gerettet.