Presseschau vom 6. Mai 2009 – Peter Stein spricht mit der Neuen Zürcher Zeitung

Vielleicht bin ich überhaupt kein Regisseur

Zu Beginn des Gespräches wird kurz der Zürcher Zeit von Stein vor 40 Jahren gedacht, die mit Skandal und Rauswurf endete. Nein, da gibt es gar keine schlechten Gefühle oder Erinnerungen, sagt der Theaterheroe heute. War alles eine "hochinteressante Erfahrung", die Leute demonstrierten für ihn, Max Frisch sprach für ihn und die Schaubühne in Berlin war dann "gewissermaßen das Resultat", ja. Und toll, dass er heute den Preis bekomme, er könne damit eine defizitäre Produktion der "Dämonen" finanzieren, er müsse das ja jetzt bei sich zu Hause machen …  Und, schwupps, ist Stein schon angekommen bei der miserablen Behandlung, die er in Deutschland erfährt, der Arme. "Will ich in Deutschland arbeiten, muss ich mich selber finanzieren. Einzige Ausnahme ist 'Der zerbrochne Krug', den ich am Berliner Ensemble gemacht habe – mit offiziellem Geld."

Charaker, Kannibalismus, Kunst

In Zürich haben wir uns "mit einer bestimmten künstlerischen, gestalterischen und auch politischen Absicht gegen die bestehenden Verhältnisse gewandt. Wir haben versucht, eine andere Art der Arbeit zu machen, einen anderen Gegenstand der Arbeit vorzuschlagen."

Stein spricht über den Schweizer Charakter, den Kannibalismus in der Kunst und die Funktion der Kunst – "die Kunst – das Theater – ist da, um über Dinge zu sprechen, die wahr sind und nicht einfach mit rationalen Mitteilungen zu beschreiben sind" –, über ihre "kathartische Wirkung beim Publikum". Er taucht das Mitbestimmungsmodell der alten Schaubühne ein wenig in goldenen Abendschein der harmonisierenden Rückschau, redet über die Stars Bruno Ganz und Edith Clever und die treue Jutta Lampe und den namenlosen schauspielerischen "Mittelstand", der vielleicht niemals so gut gespielt habe wie in seinen letzten großen Aufführungen, ja.

Heute macht er das ja anders, jetzt "lade ich die Schauspieler zu mir ein, aufs Land, wo ich die Möglichkeit habe, bis zu fünfzig Leute unterzubringen und zu ernähren. Ich kann mit ihnen arbeiten und dann alles dorthin verpflanzen, wo es bestellt wurde." Und natürlich bleibt er seiner Art, Geschmacklosigkeiten zu verbreiten, treu. Er nennt die Proben in seinem Haus "eine Art von Konzentrationslager", das positive Wirkung haben könne oder negative.

Geld, Theaterkonvention, die Jungen

Dann spricht Peter Stein der Theaterunternehmer, der Fundraiser – "Was das Geld betrifft, habe ich eine relativ glückliche Hand" –, sagt ein paar wahre Dinge über den Sinn von Theatersubventionen, und kommt wieder auf sein deutsches Unglück zu sprechen: "In Deutschland interessiert mein Theater nicht. Es wird heute als konventionell bezeichnet. Das ist natürlich eine Lüge. Denn das Unkonventionelle ist heute Konvention geworden". Die jungen Leute – und jetzt endlich nähern sich Stein und sein ungenannt bleibender Gesprächspartner, hinter dessen Anonymität man wohl mit Fug und Recht Barabara Villiger Heilig vermuten darf – die jungen Leuite also, sagt Stein, die nicht konventionell sein wollen, "denken sich verzweifelt irgendetwas Idiotisches oder Spektakuläres aus". Das ist natürlich keine Theaterkunst, weil Theaterkunst ist, wenn "feste Ensembles das Repertoire analysieren und darstellen". Wenn aber "selbsternannte Autoren-Regisseure" die Klassiker nur noch als Steinbruch benützen und ihre Obsessionen präsentieren, dann "leidet die Schauspielkunst, weil man verlernt, wie man spricht, wie man ein Werk darstellt, wie man etwas analysiert, wie man eine Geschichte erzählt. Es geht verloren. Eine Katastrophe." Was gegenwärtig gemacht werde, sei zum Teil eine "richtiggehende Rebellion gegen jede Art von Handwerklichkeit."

Dabei ist auch der große Peter Stein dafür, dass "provokatorische Events am Theater stattfinden", nur: "Soll man das noch Goethe nennen? Man kann ja ein Stück verfassen, falls man etwas auf dem Herzen hat."

Auf die Frage wie man Regie lernen kann, kokettiert der Gute wieder ein bisschen. "Vielleicht bin ich überhaupt kein Regisseur. Ich habe von 1956 bis 1965 studiert, habe versucht, mir etwas ins Hirn zu pusten. Ich habe meine innere Bibliothek geschaffen, indem ich Bücher las. Ich habe mir Kunstwerke angeschaut, Musik gehört. Filme angesehen. Neun Jahre lang – um zu kapieren, was ich überhaupt machen möchte."
(jnm)

 

Das gesamte Gespräch in der Neuen Zürcher Zeitung können Sie hier lesen.

 

 

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