Aus dem Beipackzettel von "Computer Love"

von Georg Petermichl

 

Wien, 7. Mai 2009. In der Liebe ziehen sich Gegensätze bekanntlich an. In Daniel Glattauers E-mail-Roman und Bestseller "Gut gegen Nordwind" (2006) können sie daher buchstäblich durch Wände gehen: Ausschließlich per E-mail schaffen sich Leo und Emmi eine energiegeladene Beziehungsblase, die sie zu einem der "zauberhaftesten und klügsten Liebesdialoge der Gegenwartsliteratur" aufblähen, wie der "Spiegel" einst befand.

Leo Leike ist Uni-Assistent für Sprachpsychologie, ein charmanter Junggeselle, der die eigene unterkühlte Art mit seiner Beziehungsunfähigkeit zu seiner Exfreundin Marlene rechtfertigt. Emmi Rothner, Webdesignerin, gebärdet sich als resolute Kampfmutti und ist die Ehefrau von Bernhard. Und aus dem brisanten Gegenspiel der Lebenslagen entstehen große Ähnlichkeiten. Mit Sprachgewandtheit analysieren sie sich gegenseitig, testen sich permanent auf Hinterlist und Schlüpfrigkeiten ab und verbeißen sich dabei immer mehr ineinander. In "Gut gegen Nordwind" ist man also Zaungast bei lustgesteuerten Hobbypsychologen.

Ein Inselchen aus E-mails
In den Kammerspielen des Wiener Theaters in der Josefstadt hat Bühnenbauer Hugo Gretler für Leo und Emmi zwei unterschiedliche Seiten aus dem Ikea-Katalog nachgezimmert und durch eine Wand getrennt. Leo (Alexander Pschill) lebt in einem virilen Wohnbüro: Metallmöbel, Sandsack und Jalousien ergänzen das blaugraue Ambiente. Emmi (Ruth Brauer-Kvam) hingegen hat ihre Computer-Kemenate mit Vorhängen, Holzmöbel und rotem Teint ausgestattet.

In diesen Räumlichkeiten beginnt ihr Zusammenspiel mit einem Tippfehler in einer E-mail-Adresse: Emmi möchte das "Like"-Magazin abbestellen und landet unverhofft bei Leo Leike. Ein zunächst herablassendes mail-Geplänkel führt dank seiner Schlagkraft zu einem frivol angehauchten Alltagsentertainment. – Der Wunsch, jemanden auf Basis von Schriftstücken kennen zu können, stoppt bald vor dem typischen Grundproblem des mail-Verkehrs: Leo und Emmi wollen sich in Fleisch und Blut gegenüberstehen, und haben doch Angst mit ihrem Treffen die Eckpfeiler ihrer offenherzigen Beziehung zu gefährden: "Für Sie ist es so eine Art 'Marlene-Verarbeitungstherapie', mit mir zu plaudern. Für mich eine Art 'Familienauszeit'. Ja, es ist ein kleines Inselchen außerhalb meiner Alltagserlebniswelt," meint Emmi.

Die beiden sind recht erfinderisch, um auf dieser Insel möglichst nahe aneinander vorbeizuzielen: Sie halten sich unerkannt gemeinsam in einem Café auf, oder sprechen sich zum Stimmabgleich gegenseitig auf den Anrufbeantworter. Für Persönlicheres fehlt allerdings der Mumm, und so landen die Hobbypsychologen in einem Wechselbad der Gefühle: Zwischen Liebesbekundungen und Abstandsneurosen, zwischen Romantik und Sachbearbeiter-Floskeln. Würde sich nicht Bernhard, der Ehemann, mit einem flehentlichen Distanzierungsgesuch bei Leo melden, wäre letztlich ein heißes Tete-a-tete vorprogrammiert gewesen.

Reaktionsschnelle Charaktere unter Zuckerglasur
In der Regie von Michael Kreihsl wird der E-mail-Austausch von Leo und Emmi zu einem aberwitzigen, temporeichen und reaktionsschnellen Dialog. – Vorweg genommen ist das zwar unterhaltsam, verquert aber die Realitätsnähe der Figuren zu einem simplen, etwas altbackenen Lustspiel.

Pschill hat seinem Leo einige Stellen für eine romantische, einfühlsame Ader gelassen; im Allgemeinen hält er ihn aber aufbrausend und nervös. Brauer-Kvam hat als Emmi die Rolle des energischen geschäftstüchtigen Vamps übernommen: Natürlich ist sie kokett. Natürlich scheinen ihre Emotionen kaum unter Kontrolle. Natürlich lässt sie ihre Hüllen fallen. Letztlich erzeugen die beiden damit jene Unruhe, die einen direkten Zugriff auf den Stoff erschwert, und die Tiefe der Charaktere verflacht: "Schreiben Sie mir, Emmi. Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen," meint Leo, mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, während sich Emmi wie durchgeknallt am Sofa rekelt. Pschill und Brauer-Kvam haben die Charaktere mit einer dicken Zuckerglasur versehen. Dem Publikum hat gerade das am Premierenabend gefallen.

Übrigens hat Glattauer dem vergleichsweise verkühlten Ende von "Gut gegen Nordwind" gerade mit "Alle sieben Wellen" eine Fortsetzung verpasst, die im deutschsprachigen Raum bereits die Bestseller-Listen ziert. Für die Fans der "Einserkastln", der Alltagsglossen am Titelblatt der Wiener Tageszeitung "Der Standard", verheißt dieser Erfolg eine längere Wartezeit. "dag" hat sich nämlich für die Promotiontour Karenz vom Redakteurdienst genommen.

 

Gut gegen Nordwind
von Daniel Glattauer
Regie: Michael Kreihsl, Bühnenbild und Kostüme: Hugo Gretler.
Mit: Ruth Brauer-Kvam und Alexander Pschill.

www.josefstadt.org

 

Mehr aus der Wiener Josefstadt: Philip Tiedemanns Aufführung von Ingmar Bergmanns Aus dem Leben der Marionetten besprachen wir im März, Heribert Sasses leicht verunglückte Uraufführung von Bertolt Brechts nachgelassener Judith von Shimoda stand bei uns im letzten Herbst zur Diskussion.

Kritikenrundschau

In der liberalen Wiener Zeitung Der Standard (9.5.2009) schreibt Margarete Affenzeller leicht erstaunt: "Der Liebesdialog wirkt. Selbst in einer konventionellen Inszenierung". Glattauers Roman lebe von "der gepflegten Annahme", keine reale Liebe könne die bloße Vorstellung derselben überflügeln. Der E-Mail-Roman, vom Autor gemeinsam mit Dramaturgin Ulrike Zemme für das Theater neu gefasst, beweise von Anfang an seine Bühnentauglichkeit. Die Künstlichkeit des auf der Bühne getrennt miteinander Kommunizierens gebe Michael Kreihsls "konventioneller Inszenierung" sogar Auftrieb und verschaffe dem Kammerspiel "die nötige Luftigkeit". Konventionell sei, dass die beiden Wohnwaben der schriftlich Verliebten durch eine dicke Wand voneinander getrennt sind, Emmi und Leo darüber hinweg und "absichtsvoll" den anderen nicht erblickten. Wo, stoßseufzt Affenzeller, würden solche Theaterillusionen heute allen Ernstes noch aufrechterhalten? Nun, in der Josefstadt offensichtlich. Ruth Brauer-Kvam und Alexander Pschill hielten "gut den Grat von Nähe und Distanz. Große Begeisterung beim Publikum."

Im Wiener Boulevardblatt Der Kurier (9.5.2009) schreibt ein ziemlich begeisterter Peter Jarolin: Mit dieser Produktion seien die Kammerspiele nun dort angekommen, wohin Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger diese Spielstätte immer führen wollte. "Zu einem heutigen, modernen, geistreichen, witzigen Boulevard mit Tiefgang, der auch berührt und zum Denken anregt. Ganz ohne Schenkelklopfer- Gelächter." Das Rezept: "Man nehme einen erfolgreichen Roman, lasse diesen vom Autor selbst behutsam für die Bühne adaptieren, vertraue auf einen Regisseur, der nicht an Selbstverwirklichung denkt, und engagiere Schauspieler, die völlig uneitel echte Charaktere aus Fleisch und Blut kreieren können und wollen." Regisseur Kreihsl gelinge es perfekt, "ein lebendiges Theaterstück zu erschaffen". Klug sei der "gut dosierte Einsatz eines Dia-Projektors, noch besser die feinsinnige Personenführung". Alexander Pschill als Leo und Ruth Brauer-Kvam als Emmi lieferten sich "das Duell ihres bisherigen Schauspielerlebens". Von "hart bis zart, von trotzig bis hingebungsvoll, von schnoddrig bis verzweifelt, von unfassbar komisch bis unendlich traurig" – keine Gefühlslage bleibe da ausgespart und "die Balance zwischen Lachen und Weinen zieht in den Bann."

In der konservativen Wiener Zeitung Die Presse (9.5.2009) schreibt bp nur sehr knapp, vielleicht weil Autor Daniel Glattauer bei der Konkurrenz vom Standard arbeitet: Michael Kreihsl habe so "ansprechend, modisch und glatt inszeniert, wie die Geschichte ist". Dem Text merke man an, dass er von jemandem formuliert sei "der gewohnt ist, viele Worte zu machen. Mal wirkt er pointiert, dann plappert er bloß". Ruth Brauer-Kvam und Alexander Pschill seien "zwei sympathische Großstadtneurotiker, die sich nicht trauen, einander zu treffen".

 

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