Als stochere man nach Dämonen

 von Simone Kaempf

Berlin, 14. Mai 2009. Iphigenie hockt im Gras und hat ihr Kleid tief über die Knie zum Boden gezogen. Der Stoff umhüllt sie wie ein Schutzwall. Und tatsächlich gilt es nicht nur die schönen Worte abzuwehren, mit denen Thoas sie umgarnt. Blitzschnell berührt seine Hand kurz ihr Haar, streift er einen Schritt zu dicht an ihr vorbei. Umkreist er sie mit einer Anspannung, jederzeit dazu bereit, körperlich zuzupacken.

Was ein Brautwerben sein soll, ähnelt bei ihm einer perfiden Form des Machtmissbrauchs. Thoas, der Herrscher jener Insel Tauris, auf die Iphigenie wundersam vor dem Tod gerettet wurde, hat ihr Schutz und Gastrecht gewährt, aber nun pocht er auf "Vertrauen, das der Wirt für seine Treue wohl erwarten darf". Er sieht in ihr die Tochter wie die Braut, gönnerhaft wohlmeinend will er sie dabei überreden, sich endlich dem Trieb hinzugeben.

Obszöne Intimität, erzähltes Grauen
Bald sitzt Iphigenie tatsächlich wie ein schutzsuchendes Kind auf seinen Knien. Er wiederum gräbt sein Gesicht tief atmend in ihren Schoß, während sie ihr bestgehütetes Geheimnis preis gibt: Die Geschichte ihrer Herkunft, angefangen bei dem Mord, durch den Pelops seine schöne Frau Hippodamia gewann, bis zu ihrer eigenen Opferung, die dem Vater Agamemnon den Kriegszug gegen Troja ermöglicht. Obszöne Intimität und erzähltes Grauen kitzeln sich in dieser Szene gegenseitig heraus.

Mit gespannter Aufmerksamkeit führt einen Regisseur Jossi Wieler an der Schaubühne in das Drama eines Mädchens ein, das erkennt, wie eng gebunden das Glück ist, von dem sie bisher kaum kosten konnte. Gebunden an die Männer: den langersehnten Bruder Orest, der sich schuldig gemacht hat, seinen Begleiter Pylades, an den Diener Arkas, der sie zum Pragmatismus überreden will, und an Thoas, der ihr am Ende die Freiheit schenkt. Gebunden aber auch an hohe Begriffe wie Fluch, Schuld und Familie, von denen hier soviel die Rede ist. Und nicht zuletzt an die riesige grüne Rasenfläche, deren Überdimension etwas Mahnmalhaftes in sich trägt.

Zeitloses Sprechen
Es ist aber kein Ausbruch, der da stattfindet, und auch keine therapeutische Aussprache, für die Goethes Verse zu gemeißelt sind – und für die Jossi Wieler auch ein viel zu subtiler Regisseur ist. Aus welcher Zeit die Figuren eigentlich sprechen und an welchem Ort sie sich befinden, ist so ungewiss wie die innere Verfasstheit dieser Iphigenie, geheimnisvoll und eigensinnig gespielt von Judith Engel.

Alles scheint in diesen ersten Szenen möglich zwischen dem Herrscher Thoas (Burghart Klaußner), der seine Gewalt so subtil ausspielt, und der jungen Frau, die der Mythos zur Priesterin auserkor und die doch mehr weiß, als sie suggeriert, wenn sie mädchenhaft auf der grünen Wiese sitzt. Zu diesem Zeitpunkt schafft es der Abend, eine Vorstellung davon aufzubauen, wie die Aufarbeitung von Gewalt wieder in eine Form von Gewalt mündet – zumal, wenn man noch unter dem Eindruck von Jossi Wielers Münchner Inszenierung von Elfriede Jelineks "Rechnitz" steht, das man zwei Tage zuvor als Gastspiel in Berlin sehen konnte.

Ein Ort ohne Erlösung
Aber Goethe ist nicht Jelinek. Wo in "Rechnitz" das erbarmungslose Zuzwinkern, Lächeln und Heitersein der fünf Schauspieler den boshaften Witz verstärkte und ständig suggerierte, dass man als Zuschauer gemeint ist, trägt Wielers "Iphigenie" schwer an der Last des Tragödientons. Im Moment größten Schreckens ist man nie um ein wohlgesetztes Wort verlegen, die Intensität der kammerspielartigen Intimität verliert sich jedoch im Pathos des Textes, gegen den die Mittel der Inszenierung zum Ende hin kaum noch ankommen.

Fast schüchtern die Szene, in der Judith Engel mit dem Rücken im Gras liegt und ferner Flugzeuglärm über sie hinwegbraust, ein Inbegriff ihrer träumerischen Sehnsucht, diesen Ort zu verlassen. Eine große Grasböschung ist die Spielfläche, eingerahmt von zwei Aufgängen aus schwarzem Stein wie bei einem Mahnmal. Trotz der Weite ein beklemmender, und trotz der Graswiese ein unnatürlicher Ort.

Eine Seelenlandschaft und ihr Gegenzauber
Auf dem Gras weicht Orest (Ernst Stötzner) zurück, als er, der Todessehnsüchtige, erkennt, dass er seine Schwester wiedergefunden hat. Mal fährt ein Messer in die Erdballen, als stochere man nach den Dämonen unter der Oberfläche. Von dem Blumenstrauß, den Thoas mitbringt, bleiben einige giftrote Rosenköpfe mahnend auf dem Grün liegen.

Die idealisierte Seelenlandschaft, in die Goethe den Mythos harmonisch verpackte, bleibt an diesem Abend eine graue Atmosphäre des Schreckens. Dieser Gegenzauber nutzt sich aber ab: Das Ende ist eine Flucht, aber keine Vergebung. Orest darf leben, und Burghart Klaußners Thoas rennt von den Bühne durch den Zuschauereingang nach draußen. Mit lautem Türenknallen, aber ohne echten Schlusspunkt.

 

Iphigenie auf Tauris
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Jossi Wieler, Bühne: Jens Kilian, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Biber Gullatz.
Mit: Judith Engel, Burghart Klaußner, Ernst Stötzner, Urs Jucker, Thomas Bading.

www.schaubuehne.de


Mehr lesen? Im November 2008 inszenierte Jossi Wieler an den Münchner Kammerspielen die Uraufführung von Elfriede Jelineks Stück über einen Massenmord als Partyvergnügen Rechnitz (Der Würgeengel), das 2009 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert ist. Mehr auf nachtkritik-stuecke09.de.

 

Kritikenrundschau

Dieser Regisseur sieht groß aus, wenn er einem Text von Jelinek oder Händl Klaus gegenübersteht, aber im Angesicht eines Riesen wie Goethe schrumpft er zusammen, schreibt Matthias Heine in der Berliner Tageszeitung Die Welt (16.5.). Denn für Heine ist von "den Idealen der Selbstüberwindung, der Zivilisation, des Rechts und der ansteckenden Güte", die Goethes Stück so bedeutend machen, nur ein gepflegt langweilig dahinsäuselndes "Küchenpsychodrama" übriggeblieben. So können die Figuren den Kritiker ebenso wenig überzeugen, wie der Umgang mit dem Stück selbst, wo Heine einerseits zwar der Goethe-Text "unangetastet präsentiert wie eine Kostbarkeit im Silbergefäß" empfand, und trotzdem die Figuren aufs normale Banalmaß des Theateralltags reduziert sah, mitunter an der Grenze zur unfreiwilligen Komik.

"Monochrom, irgendwie verkapselt und enigmatisch" findet Jürgen Otten von der Frankfurter Rundschau (16.5.) diesen Abend, von dem er dennoch gelegentlich berührende Momente zu Protokoll gibt. Auch findet er Jossi Wielers Versuch, "das Goethegerüst" Minute für Minute zunächst behutsam hinunter zuschrauben, "bis es auf dem Boden der Realität angekommen ist", grundsätzlich interessant. Das Ergebnis ist für ihn dennoch nicht zufriedenstellend: "Wo aber das Pathos gleichsam verdurstet, wo das göttliche Prinzip suspendiert ist, verliert auch das Spannungsverhältnis zwischen den Ebenen an Reiz." Der Abend plaudert und plätschert vor sich hin, immer müder und matter wird er. Und doch zeitigt er zartleise Entwicklungen."

Jossi Wieler mache Goethe nicht lebendig, er mache ihm den Prozess, schreibt Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung (16.5.). Denn für "diesen Spezialisten der bürgerlichen Psychopathologien" sei Goethes Sprachkunst selbst ein "Dokument höchstentwickelter Virtuosität im Verdrängen, jede feine Sentenz ein rhetorischer Schutzbunker". Wieler zeige dies, "indem er die Selbstbeherrschung der Figuren körpersprachlich konterkariert." Doch das Konzept, den Text einer "psychoanalytischen Dekonstruktion" zu unterziehen kann dem Kritiker zwar erklären, "warum Iphigenies kleiner Bruder Orest mit Ernst Stötzner rund 30 Jahre zu alt besetzt ist", der für ihn "als Muttermörder die Generation der 68er" verkörpert, "die mit ihren Nazi-Eltern abgerechnet haben, nun aber traumatisiert sind bis zur Lähmung". Trotzdem: so klug Jossi Wieler aus Schmidts Sicht  im Stück historische Doppelbödigkeiten entdeckt, die immer unheilvoll mitschwingen, so aufgesetzt findet er ist sein Zugriff. "Indem er alle Gegensätze aushebelt und die Figuren zu Fingerpuppen der auf den "Iphigenie"-Stoff projizierten Mentalitätsgeschichte macht, wirken die Schuldzuweisungen der Aufführung so monoton wie das Brummen ferner Bombergeschwader, das über der Szene liegt."

Ratlos hat Andreas Schäfer vom Berliner Tagesspiegel (16.5.) die Inszenierung verlassen, der sich außerdem an "viel Äußerlichkeitsgetue" dieses Abends stört. Die Schauspieler akzentuierten zwar ihre Macken, aber "nicht die Konflikte und Metamorphosen" des Goethe-Stücks. Es gebe "einige geschmackvoll hingetupfte und mit Bedeutung aufgeladene Bilder", gleichzeitig jedoch liege eine "unschlüssige Scheu vor dem Pathos über allen Szenen, die die Wendepunkte, auf die alles hinausläuft" aus Sicht des Kritikers nivellieren.

Was Jossi Wieler mit dem Stück macht, ist "angemessen", schreibt dagegen Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (16.5.): "Er zeigt, dass Sterbliche vor solchem Schicksalsgehämmer nur kapitulieren können. Judith Engel als Iphigenie lässt meist die Arme von den schiefen Schultern hängen und leiert mit gekonnter Resignation die Sätze aneinander. Ernst Stötzner als Orest trägt Kapuzenkutte und ist ohnehin schon fertig mit der Welt." Pylades sei  "zunehmend genervt von den komplizierten, unberechenbaren Geschwistern", und Thoas laboriere an einer Lebenskrise herum, "die mit den widerstrebenden Kräften von Lendentrieb und Hüftsteifheit zu tun hat". "Am Schluss zuckt Orest mit den Schultern, nimmt seine Schwester an die Hand und das Licht geht aus. Das Publikum hatte da aber zu großen Teilen auch schon kapituliert, wie der mäßige Beifall verriet."

Kommentare  
Wielers Iphigenie in Berlin: weggewischt, weitergeschlafen
nun war ich doch wieder in der schaubühne.
das sollte man sich endlich abgewöhnen. ein tiefschlag unterbietet den vorigen.auch gestern abend wieder: entsetzliche langeweile.
die bühne ließ zu beginn noch hoffen: der hain der göttin - entrückt, in seiner weite bedrückend, zugleich saftig grün. gefängnis? zuflucht?
dann platscht judith engel herein. infantil, beinahe debil, wirkt diese iphigenie. rythmisch stottert sie ihren text vor sich hin, schien mir gar nicht rein zu finden. egal was sie sagt, alles bleibt äußerlich. genau wie ihre bewegungen. zwischen ihr und burghart klaußner entsteht keinerlei spannung. nichts von etwas wie bedrohlichkeit, zärtlichkeit, abstoßung, was auch immer.. willkürlich, einzelne überzeichnete gesten, albern ausgestellt.

einziger, wenn auch sehr kleiner lichtblick, ist hin und wieder orest. seine "begegnung" mit den toten. hier blitzt kurz etwas von dem auf, was man von ernst stötzner kennt und bewundert. die stimme ist präsent, direkt, kein pathos oben drauf gelegt. die ahnen betreten tatsächlich die bühne. das ungläubige staunen über ihre eintracht. die sehnsucht nach der aussöhnung, das bange hoffen um vergebung. man wünscht ihm fast den erlösenden tod, zweifelt, leidet mit ihm.
aber dieser intensive moment ist kurz und gleich wieder übermalt. die tränen schnell weggewischt und weitergeschlafen.

warum bin ich nicht wenigstens in der pause gegangen?
Wielers Iphigenie: Gefangensein in der Sprache
Lieber Unbelehrbarer, meinen Sie denn, es geht hier um Belehrung? Auch mich hat das Zuhören angestrengt, doch hat es mich nicht vom Denken abgehalten. Und Langeweile sagt ja immer auch etwas über den Sich-Langweilenden aus. Wird die Zeit lang, eröffnet sich der Ab-Grund des Seins. Der unendliche Fluss der Notwendigkeit kann nicht aufgehalten werden. Gleichwohl kann die innere Haltung dazu verändert und darüber die potentielle Veränderbarkeit der Verhältnisse mobilisiert werden.
Der Bühnenraum erscheint als ein schwarzgekacheltes Gefängnis - ein Sinnbild für das Gefangensein in der Sprache, auf welche die Subjekte zugleich angewiesen sind, um sich selbst in ein Verhältnis zum Eigenen und Fremden/zur Welt setzen zu können. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Akteure sich die Sprache gleichsam vom Leib halten, denn die Sprache eröffnet immer auch eine Diskursmacht, welche sich die Erscheinungen über die hierarchische Zuschreibung von Bedeutungen aneignet.
In diesen Bühnenraum ist eine nach vorn schräg zulaufende Rasenfläche gebaut - ein Sinnbild für die bis an die Ränder akurat und penibel gepflegte Natur als Kultur. Dennoch, es zieht die Akteure unausweichlich hinab, und es kostet sie selbsttätige Anstrengung, um wieder hinauf zu gelangen. Und womöglich liegt unter der Rasenfläche die unkultivierte Natur verborgen. Durch die Art, wie Thoas (Burkhart Klaußner) den Rasen ganz zu Beginn und ganz zu Ende betritt, entsteht eine Differenz. Zu Beginn wagt er sich mit seinen schwarz glänzenden Lackschuhen kaum auf den Rasen, bis er ihn mit einem Sprung erobert. Dort oben angelangt, tritt er Iphigenie gegenüber, welche er un-heimlich verklemmt ebenso erobert, indem er sie auf seine Knie zwingt. Das verweist auf den totalen Rationalismus, auf die totale Selbstkontrolle des Souveräns, welcher seine eigene innere Natur komplett unterdrückt hält.
Orest dagegen bildet den Gegenpart: Hier wird nicht verdrängt, sondern über ein allesverschlingendes Gefühl ausgelebt, bis hin zum drohenden Wahnsinn. Und wie Orest (Ernst Stötzner) spricht, darin zeigt sich nicht der rationalisierende Sinn einer vermeintlichen Sprache der Vernunft, sondern die Materialität und Stimmlichkeit der Sprache. Da geht es nicht um Rhetorik, sondern um Sinnlichkeit, Ästhetik und Körperlichkeit. Im Gegensatz zu Thoas kann Orest Iphigenie verführen (jenseits von gut und böse), weil er seinen Körper die Bewegungen leiten lässt.
Iphigenie steht für mich gleichsam zwischen den Prinzipien der Vernunft (Thoas) und des Gefühls/der sinnlichen Wahrnehmung (Orest). Über die Begegnung mit ihrem Bruder wandelt sie sich vom passiven zum aktiven Part. Wo sie zu Beginn tatsächlich noch das naive, infantile und dem patriarchalen Gesetz hörige "Prinzesschen" war, begegnet sie Orest und Pylades (Urs Jucker) bereits aus eigener Entscheidungsfreiheit heraus. Über den Vollzug der Tat der Befreiung der Gefangenen befreit sie auch sich selbst. Sie hält sich nicht mehr an die Befolgung eines ihr äusserlichen Urteils/Schuldspruchs, sondern befreit sich davon über die innere Selbstwahl. Durch diesen Prozess der entschiedenen Anerkennung einer grundsätzlichen Gleichheit aller Subjekte noch vor der Setzung hierarchischer Machtstrukturen kann sie auch Orest aus dem Ab-Grund seines Wahnsinns befreien. Dessen Rück-Blick auf den Trümmerhaufen der Vergangenheit bzw. auf eine unendliche Abfolge von Grausamkeiten kann nur durch die neu konstruierende Vernunft Iphigenies bearbeitet werden.
Schließlich zeigt sich im letzten Bild die oben bereits angedeutete Selbstdekonstruktion des Souveräns, welcher eben auch nur seine banalen Wurststullen kaut. Iphigenies rückhaltloses Vertrauen konfrontiert Thoas mit dem eigenen Selbstwiderspruch. Denn auch in ihm verbirgt sich die über die reine Vernunft ausgeschlossene Natur, welche er am Ende barfuß und mit vorsichtigen Schritten auf dem Rasen ertastet. Ich denke, also bin ich? Tja, so funktioniert das wohl nicht.
Wielers Iphigenie: linguistische Wiederaufbereitungsanlage
Vierzig Jahre kulturwissenschaftliche Wende haben ihre Spuren hinterlassen. Die Universitäten spucken ein Heer von Soziologen, Germanisten, Literatur - und Theaterwissenschaftlern aus und jetzt haben wir den Salat. Wer füttert diese ganzen Leute durch? Wer soll das bezahlen? Jeder noch so große Mist wird durch die linguistische Wiederaufbereitungsanlage zum Ereignis hochgefaselt. Der Hochmut der Amateure. Draußen kackt ein Hund auf den Rasen: die "selbsttätige Anstrengung" dieses "Akteurs" hinterläßt somit ein "Sinnbild" auf der "Rasenfläche der unkultivierten Natur"?
Gut, oder?
Hoffentlich wird Bayern Meister!
Wielers Iphighenie: och, Heribert
och Heribert, schreiben Sie doch lieber selbst was zur Aufführung, anstatt immer nur die Kommentare der Anderen zu kritisieren. Haben Sie denn an keiner Uni gelernt, dass man Zitate nicht gewaltsam aus dem Kontext reißen soll? "Da euch das Ewig-Weibliche nie hinanziehn wird, so zieht ihr es zu euch hinab." (Friedrich Nietzsche)
Wielers Iphigenie: die Enge spießiger Kunst
das stück ist unglaublich, die aufführung brutal langweilig. natürlich wollen wir alle die milde und das verzeihen und die befreiung vom ewigen zwang zur rache, zur gewalt, aber der weg dorthin führt über die vergegenwärtigung der schrecken. die traumata der geschichte müssen so lange wieder und wieder erzählt und beschrieben, erinnert werden, bis ihr echo die wende ins gute (scheinbar zwangsläufig) herbeiführt, der umschlag von schrecken in heil durch trauer aber erlöst nicht vom leidenden erinnern. die teilweise sehr beeindruckenden schauspieler kommen aus der enge spießiger kunst in die sie gestellt sind (auch wenn das bühnenbild so üppig daherwuchtet) leider nicht heraus. es gibt keinerlei spannung zwischen vergangenheit und gegenwart, trauer und freude, friede und unheimlichkeit, schrecken und glauben.
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