Idioten - Martin Laberenz flieht mit Lars von Trier in eine Theaterdiskurs-Komödie
Kein Sex mit den Figuren
von Ralph Gambihler
Leipzig, 15. Mai 2009. Sieben Theaterleute machen sich auf die Suche nach "etwas unverstellt Realem". Nach einem "Stoff, der weder Fiktion noch Fakt ist". Was das sein könnte, dieses große welthaltige Irgendwas, davon haben sie zwar eher wolkige Vorstellungen. Die Wahrheit sitzt nun mal nicht mit einem Schild um den Hals auf dem Produktionssofa, sobald die Regie in die Hände klatscht. Begrifflich sind sie immerhin soweit, ihre glühende Ratlosigkeit "Projekt" zu nennen. Schließlich sind wir im Theater, wo alles Projekt heißt, was mit mehr als einem Fragezeichen zu tun hat.
Kurz gesagt: Es ist nicht ganz einfach, diesen absurd-komischen Reißer des Nachwuchsregisseurs Martin Laberenz auf den Punkt zu bringen. Denn dieser Abend umwabert sich gewissermaßen selber, mit viel Gedränge und viel Geschrei, mit hohen Posen und heruntergelassenen Hosen, mit verzerrten Visagen und sabbernden Mündern. Im Innersten bleibt er aber stets ungreifbar wie eine Diva, die jeden Moment gewahr ist, sich mit einer Drehbewegung aus der Affäre zu ziehen.
Wo Dramaturgenhirne qualmen
Im Grunde ist diese theatrale Suche nach der verborgenen Wirklichkeit eine mehrfache Flucht. Das beginnt damit, dass sie schon aus der Ankündigung fliehen. Wer den Programmtext vor der Premiere gelesen hat, musste glauben, er würde eine wie auch immer gefärbte Bühnenversion von "Idioten" erleben, jenem frühen Dogma-Film, in dem der Regieexzentriker Lars von Trier 1998 eine Gruppe junger Kommunarden so tun ließ, als seien sie geistig behindert. Zu erleben ist nun aber ein Derivat. Eine Eigenschöpfung, die lediglich mit Versatzstücken aus dem Film spielt, derweil sie sich auf der Metaebene der Kunstproduktion tummelt. Dort, wo Dramaturgenhirne qualmen und Regisseure verzweifeln.
Die zweite Flucht ist die aus der Tradition. Das Dogma der Postdramatik geistert merklich durch die mit Sonnenschirmen und Liegestühlen ausstaffierte Kulisse von Susanne Münzner. Mit einer Story, einer Pointe, einem dramatischen Knoten und ähnlichem Schmock aus seligen Stadttheaterzeiten wollen sie sich nicht ihr Theaterexperiment versauen. Und überhaupt nervt das Textbuch! "Ach was. Dieser Text interessiert mich nicht. Damit mache ich mich nicht zum Idioten.", motzt David Simon, der mollige Spielverderber vom Dienst.
Wobei man sich in der Frage des Zugriffs auch herzlich uneinig ist. Das namenlose Großmaul zum Beispiel, das Sebastian Grunewald spielt, anfangs mit Schleefschem Stottern, später mit den springteufelhaften Performerqualitäten des noch nicht erkrankten Christoph Schlingensief, findet es eben doch unklug, ganz auf dramatische Würze zu verzichten: "Nach ungefähr zwei Dritteln des Weges, also irgendwo da vorne bei ihnen, da brauchen wir ein Drama. Unbedingt ein Drama. So ist das nämlich: wenn das Publikum daran denkt, raus zu gehen, ziemlich genau nach zwei Dritteln, muss ein wenig Drama rein."
Phrasendreschmaschine auf Hochtouren
Vollends fluchtgefährdet ist außerdem der verblichene Bühnenstar Helen Sinclair, den Sarah Sandeh als hochgradig allürenhafte Theaterdame gibt: "Ich spiele keine Behinderte in einem Projekt! Ich spiele Medea oder Ophelia! Die sind verrückt!, schnauzt sie und will einen ganz klassischen Teller Garnelen. Mit anderen Worten: Verhedderungen und Verknotungen überall, Selbstblockaden der Kunstschaffenden, verbrannte Theatererde.
Wo Lars von Trier die Maske der Abnormität als experimentelle Absage an die Konventionen einer Gesellschaft durchexerzierte, hecheln und irren sie nun in Leipzig durch den Wald verbrauchter Bühnenkonventionen. Die Phrasendreschmaschine einschlägiger Begriffswelten läuft dabei auf ziemlich hohen Touren. Etwa so: "Ein handwerklich gut gemachter Vollidiot wird doch nicht realer Dank einer ideologischen Rechtfertigung, die über die Verhältnisse hinausweisen will. Ich brauche keine ideologische Rechtfertigung, sondern stehe im Verhältnis zu traditionellen Verrückten."
Ein Theater, das sich selber bespiegelt, erschöpft sich leicht im rasenden Nichts. Das hätte durchaus zum Scheitern des Abends führen können, insofern der Text, der offenbar gemeinschaftlich bei den Proben erarbeitet wurde (ein Autor wird nicht genannt), arg insiderhaft vor sich hin rotiert. Die Regie hat's aber trotzdem gepackt. Sie flieht – noch eine Flucht! – mit der warmen Luft in eine saftige Theaterdiskurs-Komödie, vergnügt und sehr spielerisch, heftig brausend und stets bereit zur komischen Idiotie auf eigene Kosten.
Tendenz zu nackten Tatsachen
Die augefälligste formale Anleihe beim Dogma-Filmer Lars von Trier ist die wackelige Videokamera, mit der die Szenerie über weite Strecken eingefangen und auf Gaze übertragen wird. Vor der Linse tobt der nackte Wahnsinn eines Theater-Kollektivs, das sich gemeinsam verliert: in stimmlichen Tumulten, in intellektuellem Gerangel, in heftigem Schweigen. Grotesk überhöht rauscht dieses halbe Happening über die Bühne, musikalisch irrlichternd zwischen Wagner und Waits. Natürlich fallen nach und nach die Hüllen. Die umgehende Gier nach der letzten, der einzig wahren Authentizität beschleunigt die Tendenz zu nackten Tatsachen.
Der "Sex mit den Figuren" fällt zwar aus, dafür triumphiert gegen Ende, nach einem haarsträubend absurden Piss-Wettbewerb zwischen Maximilian Brauer und Manolo Bertling, der Porno als Gipfel aller Wahrhaftigkeit. Man ahnte das schon, der Abend kokettiert immerhin mit dem Stempel "freigegeben ab 18 Jahren". Und wenn die zwei eigens engagierten Pornodarsteller Jessy Key und Maik Franeck dann wirklich aus den Klamotten steigen und ihren finalen Fick hinlegen (oder simulieren, man sieht da nicht wirklich etwas), hat sich die ganze Malaise sehr schnell in Wohlgefallen aufgelöst.
Idioten
von Lars von Trier (freigegeben ab 18 Jahren)
Regie: Martin Laberenz, Bühne: Susanne Münzner, Kostüme: Adriana Braga Peretzki. Mit: Manolo Bertling, Anna Blomeier, Maximilian Brauer, Maik Franeck, Sebastian Grünewald, Jessy Key, Sarah Sandeh, David Simon, Birgit Unterweger.
www.centraltheater.de
Mehr lesen? Im Februar 2009 inszenierte Martin Laberenz am Leipziger Centraltheater einen Abend nach Dietmar Daths Essay Maschinenwinter.
Kritikenrundschau
"Eine Schauspieltruppe auf der Suche nach einem "Stoff zwischen Fakt und Fiktion" beschmiert sich mit Torte und mimt reihum die Diva aus Woody Allens Komödie 'Bullets over Broadway' ". So beschreibt Nina May in der Leipziger Volkszeitung (18.5.) das inszenatorische Grundgerüst von "Idioten" in der Skala. Die Videokamera sei "unerlässlich", weil die Aufführung auf den Film von Lars von Trier anspielt und dessen Dogma-Regeln. Auf die Filmhandlung werde in der Inszenierung nur angespielt. Für Film-Unkundige dürfte es aber schwierig sein, der Inszenierung zu folgen. Die sieben "durchweg überzeugenden Schauspieler" nähmen in ihren Debatten die Kritik am eigenen Theaterverständnis vorweg, das erinere ein wenig an René Pollesch, doch wo dieser "mit wahnwitzigem Wortwitz und gesellschaftlichen Spitzen für Unterhaltung" sorgt, nervten die "Wiederholungen und der theoretische Schlagabtausch" in der Skala irgendwann. Ein Theaterexperiment wie in der Gottschedstraße kann zwar das Experiment thematisieren, sollte sich aber nicht in dieser Suche erschöpfen. Der Einbruch der echten Pornodarsteller habe "eine gewisse Konsequenz", wenn man von Triers "Pussy Power Manifesto" hinzuziehe, ein "Keuschheitsgelübde" für einen handlungsintensiven Porno, der vor allem Frauen ansprechen soll. In der Skala werde der gesamte Abend zum "Pussy Power Film" gemacht. In dem am Ende ausgerechnet die professionellen "Gäste" Jessy Key und Maik Franeck irgendwie unschuldig wirkten - und ein bisschen ausgenutzt.
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am donnerstag abend, soweit ich weiß die zweite aufführung, ist mir vielmehr klar geworden, dass es gar nicht darum gehen braucht, aus schauspielern etwas "hervorlocken" zu müssen, um als regisseur gewicht zu haben. Ich hatte das gefühl, das genau das, das hervorlocken oder wie auch immer man das nennen mag, das eitelste an regisseuren ist. was soll ich sagen, ich arbeite selbst im theater und bin erstaunt über ein junges ensemble, das so agiert. damit meine ich schauspieler und regisseur, denn für mich war am donnerstag sichtbar, dass darüber absolut einigkeit herrscht auf der bühne. und insofern steht idioten meiner meinung nach in der tradition von pollesch aber dazu kann die skala wirklich beglückwünschen. erst recht nach der langen zeit tiefster finsternis, in der eigentlich ständig aus irgendjemand irgendetwas hervorgelockt wurde und das einzig zu dem zweck der eigenen daseinsberechtigung.
was den "diskurs" angeht: hier ist das vorbild am stärksten spürbar, natürlich, vor allem in den manchmal sprachlich ungelenken momenten. gut, aber eins ist doch nicht vom tisch zu weisen: da sind eine handvoll junger menschen, die die notwendigkeit, ständig neues produzieren zu müssen, thematisieren und das im bezug auf einen film, der gerade das zur grundlage hatte, nämlich die eigene originalität zu sichern. sie gehen das risiko ein, die nähe zu einer wirkich starken und vor allem gegenwärtigen "regiehandschrift" zu suchen um sich eines werkzeugs zu bedienen, mit dem sie sich gehör verschaffen können... ganz ehrlich, lieber verwirrter: das ist ein abend, der sich in meinen augen dem nun wirklich unangenehmen gleichschritt der regieabsolventen entzieht und etwas versucht, was ich immer seltener gesehen habe im theater: selbstständig denken. und das unabhänig von regieeitelkeiten, die den auftrag aussenden, aus schauspielern etwas hervorzulocken und immer originell zu sein.
wie dem auch sei, der abend ist sicher nicht vollends ausgereift oder der ganz große wurf, aber das ich durch zufall am donnerstag in leipzig war und die inszenierung sehen könnte hat sich für mich als glücksfall erwiesen. und mit bedauern nehme ich jetzt so kleingeistige kommentare zur kenntnis, die wohl nur ein ziel verfolgen: der eigenen eitelkeit luft und raum zu verschaffen.
mit freundlichen grüssen an den verwirrten oder die verwirrte.
diese auseinandersetzung hat mir großen spaß bereitet, letzten donnerstag, und mit mir einem erstaunlich vollzähligen publikum. denn nicht zuletzt hatte ich bis dahin nur vernommen, in leipzig wäre das publikum vergrault worden... mein eindruck war, dass dort momentan eine absolut rege auseinandersetzung über theater stattfindet. und einen wesentlichen anteil scheinen eben diese jungen leute in der skala daran zu haben.
aber nochmal zurück zu polleschvergleichen. die art der verspieltheit und das verfolgen einer narration, was beides für mich trotz aller theorie wesentliche bestandteile des abends waren, sind doch ein entschiedener schritt weg von besagtem regisseur. die auseundandersetzung vor allem mit den figuren kristoffer und karen und die damit in direktem zusammenhang stehenden diskurse über innovation und authetizität weisen ebenso über die den genannten in eine andere richtung. wie geagt, ausgereift ist das sicher noch nicht, aber ich glaube, dass hier etwas sein könnte, eine, wenn sie so wollen, heraufziehende eigenheit und das eben in der jüngeren tradition einer nichtrepräsentativen theatersicht. lassen sie uns doch die nächste arbeit abwarten um dann hier weiter zu diskutieren.
mit freundlichsten grüssen.
ps. ich hatte übrigens am aller wenigsten das gefühle auch nur einer der spieler würde aufbegehren wollen, wegen was oder wem auch immer. vor allem sind das doch sämtlichst mündige menschen, nicht wahr, die haben auch sicher schon mal was von pollesch gehört und werden auch den mund aufgemacht haben in den proben, oder? meinen sie nicht?
Ich kann dem, was Sie zu dem "Idioten-Abend" geschrieben haben, nur zustimmen ! Ich sah in der
vergangenen Woche die drei "Skala-Produktionen"
"Hunger" , "Im Pelz" und "Idioten". Das sind aus den von Ihnen gut beschriebenen Gründen sehr spielerische
und lustvolle "kleine Abende"; sie sind nicht eitel, eher
charmant und gehen von Pollesch-Abenden ein ganzes
Stück weit ab und sind ganz gewiß auch nicht ganz so formvollendet wie in etwa "Im Tal der fliegenden Messer", sind nicht so kraftstrotzend-kühl, tendieren zu einem wirklichen Schauspielertheater, die dem Begriff der Improvisation als "Nichtbeliebigkeit" nur gut
tun. Der Kontrast der Schauspielernacktheit zu derjenigen der Pornodarsteller am Ende, auf den es sich hin zuspitzt: das ist wirklich der Laberenz-Abend
an der Skala und eben nicht epigonal im wesentlichen: ich glaube, Laberenz wäre uneitel genug, auch zuzustimmen, daß dieser Abend Rene Pollesch einiges zu verdanken hat: warum sollte zudem Leipzig denn dergleichen nicht ein wenig später als von Pollesch umgesetzt auf verwandte Weise auch erleben dürfen...,
wird mir auch nicht klar bei den erklärten Gegnern des
Abends. Ich möchte mich zudem noch bei den Schauspielern und Schauspielerinnen bedanken, welche
das Ansteckschildchen "Wuppertal braucht Schauspiel"
in den Abend einzubauen wußten !!
Ne Ulrike, bei diesem "Kontrast" geht es keineswegs um
"Sex sells", geht auch beim Rudelbumsen in der Film-
vorlage Lars von Triers nicht darum im übrigen, haben
Sie den Nachtkritiker dazu gelesen ?? Da war nix zu sehen, Richtung: Authentischfick !! Für den Kontrast reichte schon der geküßte Busen der "Pornodarstellerin",
die ganz andere Herangehensweise des "Profipaares",
daneben nackte Männer und recht züchtig gekleidete
Frauen, die 7 SchauspielerInnen. Bleibe dabei, die drei Abende lohnen; und auch "Im Pelz" ist alles Andere als
"Sex sells", das Fenster "Sadomasochismus" wird ganz behutsam, mit einem feinakzentuierten, auch lesenswerten Text geradezu in "Zauberbergatmosphäre"
geöffnet und nach Zweidritteln wird ein wenig die nötige Fremdheit der ganzen Unternehmung von in der Regel "Zwei Personen mit weder ein- noch ausgeschlossenem Dritten" geschaffen: Ich möchte ein Eisbär sein ... , aber Spaß beiseite, ein wenig wird gezielt "Drama" gemacht dann, in etwa so, wie es in "Idioten" angedeutet wird , Fenster zu ! Gelungene Konzepte dieser STUDIO-ABENDE !!
"Die umgehende Gier nach der letzten, der einzig wahren Authentizität beschleunigt die Tendenz zu nackten Tatsachen. Der 'Sex mit den Figuren' fällt zwar aus, dafür triumphiert gegen Ende, nach einem haarsträubend absurden Piss-Wettbewerb zwischen Maximilian Brauer und Manolo Bertling, der Porno als Gipfel aller Wahrhaftigkeit. Man ahnte das schon, der Abend kokettiert immerhin mit dem Stempel 'freigegeben ab 18 Jahren'."
Na, wenn das mal nicht nach Foucaults "Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I" klingt. Das heisst, das Verbot bzw. die Altersbeschränkung kann hier ebenso gut aus rein marketingtechnischen Gründen platziert und eben gerade nicht tatsächlich begründet sein. In diesem Sinne wirkt ein Verbot als Anreiz, diese vermeintlich tabubehaftete Inszenierung zu besuchen. Erst das Verbot setzt die Überschreitungsmechanismen in Gang.
Dagegen gebe ich Ihnen in dem Punkt Recht, dass es Lars von Trier mit Sicherheit nicht um "sex sells" geht. Stattdessen experimentiert er mit der Dialektik der sexuellen "Befreiung". Er zeigt auf, dass es auch in dieser "Idioten"-Kommune nicht vollkommen frei zugeht, sondern dass zum Beispiel auch und gerade dieses von Ihnen sogenannte "Rudelbumsen" eher einem Befehl gleicht bzw. einen unbewussten Machteffekt impliziert. Nämlich den, dass derjenige, welcher nicht mitmacht, die Gruppe verlassen muss. Und am Ende tun das so einige. Die Gruppe zerfällt, soweit ich mich erinnere.
Zudem ist der Film natürlich ein anderes Medium als das Theater. Und diese Vorrichtung der Pornografie ist nochmal etwas anderes. Die Nacktheit im Theater eröffnet immer den Widerspruch, dass damit etwas "bedeutet" werden soll, der Schauspieler aber zugleich ganz real und quasi wie ein Pornodarsteller blank ziehen muss. Und das kann eben auch als rein provokativer Selbstzweck einkalkuliert sein. Pollesch hat dazu mal gesagt: "Ich möchte vermeiden, dass im Publikum ein Wichser sitzt und sich einen runterholt, weil er eine nackte Frau gesehen hat." Ja. genau. Man kann mit dem imaginären Begehren, mit dieser imaginären Verführung auf dem Theater auch spielen, ohne dass sich jemand gleich ganz ausziehen oder auch noch irgendwie authentisch rumpinkeln muss. Das hat Pollesch im "Tal der fliegenden Messer" meines Erachtens messerscharf analysiert und überzeugend umgesetzt. Dafür musste sich aber niemand komplett ausziehen. Das Theater soll ja eben gerade nicht die reine Gegenwart des konsumistischen Spektakels, diese permanente Reality Show und Big Brother-Mentalität bedienen und reproduzieren, sondern zum Denken anregen. Geist ist geil!
Das ändert nichts daran, daß der entscheidende Absatz
in Herrn Gambihlers Kritik genau derjenige vor "Tendenz zu nackten Tatsachen" ist. Der Dogma-Diskurs wird sehr vergnüglich gebrochen, indem die Inszenierung schlichtweg als Leitfaden jenes "Pussy-Power-Manifesto" benutzt: insofern ziehen sich auch lediglich die Männer des Abends aus ! Also, offen gestanden, zum Wichsen war mir wirklich nicht, der Kontrast eröffnete an dieser Stelle -vergleichbar zu "Im Pelz"- das Nachspüren bezüglich dessen, was so "Sinnlichkeit", "Leidenschaft", "Rückhaltlosigkeit" heißt:
der Porno wurde aus einer einseitigen Fixierung auf
das, was bei Ihnen nur Wichsen sein kann, geradezu
befreit ...; und in einiger Entfernung dazu war im übrigen auch noch der Umstand -meineserachtens-
mitangestoßen, daß Trier vor 12 Jahren diesen Film drehte und seitdem zahlreiche, auch reichlich bühnenadaptierte weitere: Namentlich im "Antichrist" durchaus die Pornodarsteller, ... da sieht "man" dann in der Tat mehr: und schon wieder nichts zum Wichsen, Ulrike, das sind recht spröde Vorurteilchen, die Sie da bedienen, denke ich.
@@ Verwirrter in post scriptum von §8
Die sowohl in "Im Pelz" als auch in "Idioten" ausgezeichnet spielende Anna Blomeier hat ja sogar
mit Pollesch zusammen gearbeitet, um nur ein Beispiel
zu nennen. In "Im Pelz" erinnerte sie mich auch wirklich sehr an den "weiblichen" Weiningerdoppelgänger aus der filmbewährten Wiener Aufführung unter der Regie von Paulus Manker: nicht die übelste Adresse !!
"Wenn ich auf der Bühne bin, ein Skript in der Hand, und z.B. einer Frau oder einem Mann begegne, die oder den ich liebe, und es kommt real nicht zu dieser Liebe, aber innerhalb des Stückes geben wir uns einen Kuss, dann würde eine authentische Ziege sagen: Der Kuss ist nicht wirklich, der passiert nur im Skript. Aber der Kuss passiert wirklich. Das heißt, es gibt auch die Perspektive, wo man sein Leben verlässt und das Leben eines anderen führt. Man macht in dem fremden Leben Erfahrungen, die man nicht machen würde, wenn man auf dem authentischen Selbst beharrte, weil man sein Buch in der Hand hat."
Meines Erachtens thematisiert Pollesch aber den Widerspruch, dass wir alle immer nur die Liebe wollen und nicht das Geld. Auch die konventionelle Paarbeziehung wird ja immer auch über das Geld reguliert, wobei wir da in unserer Vorstellung natürlich gern diese Meta-Ebene der Romantik drüberstülpen. Das heisst, im Grunde könnte sich jeder die Liebe kaufen. Arbeit dagegen kann man sich nicht kaufen. Aber vielleicht ist diese käufliche Liebe ja andererseits irgendwie auch nicht so toll, weil da eben allein das Geld die Beziehung reguliert. Und nichts darüberhinaus.
Ausserdem würde ich sagen, dass die Pollesch-Schauspielerinnen im "Tal der fliegenden Messer" einen enormen Spaß daran haben, eventuelle Wichser im Publikum vorzuführen. Ja. Genau. Denn wir sind alle "Wichser", wir bezahlen für den Konsum von Sex und Gefühlen, auch und gerade auf dem Theater. Wir benutzen diese attraktiven Schauspielerinnen vielleicht nur als Hilfsmittel, damit wir uns selbst lieben können, als Hilfsmittel für unser eigenes Begehren, welches am Liebsten zwischen dem Objekt des Begehrens und dem Begehren selbst hin- und herpendelt. Und weiter bei Slavoj Zizek: "Im eindeutigen Gegensatz hierzu ist die JOUISSANCE (bzw. die Libido bzw. der Trieb) per definitionem 'schmutzig' und/oder häßlich und immer 'zu nah': Begehren ist Absenz, Libido/Trieb Präsenz."
Klar kann man dann nach der "Vorstellung" (im doppelten Sinne) mit einer der Schauspielerinnen nach Hause gehen, aber das ist dann eben kein Theater mehr. Sondern vielleicht Porno. Aber Porno, ohne dass man sich von dieser Vorrichtung einfangen lässt. Und deswegen frag ich mich: Warum benutzt Martin Laberenz hier "echte" Pornodarsteller auf der Bühne? Weil die suggerieren sollen, dass hier jetzt ein "echter" Pornofilm stattfindet, was dann aber nicht eingelöst wird? Gehts hier also um den Leerlauf dieses konventionellen Porno-Schemas für den solitären Gebrauch des "echten" Wichsers?
@ Vio: Was soll das denn heissen? Kannst du bitte mal paar Argumente dafür finden, warum ich mich hier angeblich "degradiere"?
@ Arkadij Horbowsky: Komisch, aber auch wenn Sie mir hier was vom "Pussy Power Manifesto" erzählen wollen, dann werd ich trotzdem den Eindruck nicht los, dass Sie sich hier eigentlich daran aufgeilen, dass das hier angeblich ein "politisch korrekter" Porno für Frauen sein soll. Ja. Genau. Und Sie müssen sich ja unbedingt von irgendwas rückhaltlos befreien, stimmts?
da ändern auch gute schauspieler nichts an dem möchte-gern-intellektuell-infantilen wir-sind-ja-so-innovativ-gehabe.
Du hast ja anscheinend viel von Pollesch gesehen, aber hast du auch Idioten gesehen? Oder mal was anderes vom Laberenz?
@ Ein Fan
Anna Blomeier und die anderen Darsteller!
(für mich persönlich...)
Wer "anonym" so einen hinterwäldlerischen Bockmist hier postet, sollte doch lieber gleich ganz in der Anonymität verharren. Auch vor sich selbst. Zum Eigenschutz. Es klingt eher wie der Neid und die Sorge darüber, dass andere schon weiter sein könnten. Vielleicht fühlen Sie sich durch den Stücktitel auch einfach zu sehr persönlich angesprochen. Hinter "anonym" kann man sich gut verbergen, man steht aber nackt für Spekulationen zur Verfügung.
Neuester Name? "Ulrike" statt "L-S-D" ??
Ist mir eigentlich auch ziemlich schnurzpiepe:
Nehmen Sie doch einfach an, ich sei der "Wichser",
für den Sie sich, wie schrieben Sie es noch, komischerweise entschlossen haben mich zu halten,
bleibt Ihnen frei, Freier zu produzieren, wo immer Sie
lustig sind, zumindestens hier im Internet, na, dann war das doch immerhin ganz mutig von mir, mich dem schwer entlarvenden Spiel in der Kastanienallee an drei Tagen einer Oktoberwoche ausgesetzt zu haben, so
in der ersten Reihe.
Aber was wollten Sie mir eigentlich andeuten, daß ich
beinahe fremdgehe, wenn ich jetzt auch drei Skalaabende wahrnehme, wo ich als Freier mit der "Selbstkonfrontation" doch schon einmal weiter
war?? Wissen Sie, Ulrike, wenn der nächste "Spiegel-
autor" mal wieder vor Langeweile nicht weiß wohin, so
kann er sich zu einem guten Teil bei Ihnen sein Futter holen, wenn es denn heißt: Gesunkenes Kulturgut, kein übles Bordell!! Alle drei 8Skalaabende sind ganz etwas Anderes, sind konstruktives Schauspielertheater, gut gemacht; ich habe mit keiner Silbe behauptet, daß
"Im Tal der fliegenden Messer", mein Pollesch-Favorit,
für mich weniger wäre, ganz im Gegenteil ..., dennoch gehe ich auch da nicht wegen "Sex sells" hin (...)
@20
Genau, bereue es auch nicht, mit "Wuppertal braucht
Schauspiel" das Textbuch erstanden zu haben, weiß allerdings noch nicht ganz, warum Frau Blomeier sagte,
Sie könne das nicht tragen ..., ob sie jetzt wirklich wollte, daß ich das noch näher erläutere oder damit das ganze wieder "als Idiotin" brach, ins Spiel zurück...;
Frau Sandeh, dafür bin ich sehr dankbar, trug den Button dann sehr exponiert: Ja, die Ausgabe hat sich gelohnt, ja, sogar, daß die Frauen sich nicht enthüllten, wenn man jetzt ein wenig spitzfindig ein
wenig Dummtüch hinzufügen möchte. Skala-Team: gute
Arbeit!!
Gut, Redaktion, kann man streichen, macht nichts,
könnte tatsächlich auch jeder kommen, können Sie nicht nachprüfen, ist so irgendwie sogar reizvoller als es der unverhüllte Text war, dafür muß ich doch beinahe danken.
Jetzt allerdings braucht es auch garnicht mehr der
anderen Maßnahme, lediglich "A" da stehen zu
haben; die Gründe dafür haben Sie doch getilgt.
Ich schreibe jetzt unter "B" wie Bandido, vielleicht wird ja noch aus A und B zweimal Arkadij Horbowsky, schließlich sollen die beiden angeposteten wissen,
daß ich Ihnen schrieb; und unverwechselbar möchte ich meine Zeilen hier nicht nennen !
@ A: Sehr amüsant, wie Sie sich hier mit der Projektion des "Wichsers", "Freiers" und "Sex sells"-Süchtigen identifizieren. Das lässt tief in die Mechanismen von möglicher eigener schuldhafter Verstrickung blicken. Ich jedenfalls habe nichts davon geschrieben, dass Sie hier der "Wichser" seien.
Zum besseren Verständnis meiner Fragen bezüglich dieser Inszenierung zitiere ich Ihnen die folgende Passage aus Agambens "Profanierungen":
"Jede Vorrichtung der Macht ist immer doppelt. Sie entsteht einerseits aus einem individuellem Verhalten der Subjektivierung und andererseits aus dessen Verhaftung in einer abgesonderten Sphäre. Das individuelle Verhalten hat in sich häufig nichts Tadelnswertes und kann sogar Ausdruck einer Befreiungsabsicht sein; tadelnswert ist eventuell - wenn es nicht von den Umständen oder mit Gewalt gezwungen wurde - nur, daß es sich von der Vorrichtung hat einfangen lassen. Weder die freche Gebärde des Pornostars noch das unerschütterliche Gesicht des Models sind als solche zu tadeln: schändlich sind dagegen - politisch und moralisch betrachtet - die Vorrichtung der Pornographie und die Vorrichtung der Modenschau, die jene Gebärde und jenes Gesicht von einem möglichen Gebrauch weggewendet haben."
Also, gehts Ihnen jetzt um den verzweifelten solitären Konsum des pornographische Bildes? Oder gehts Ihnen um einen neuen Gebrauch, das heisst, eröffnet die quasi pornographische Verführung auf der Theaterbühne für Sie neue Denkräume und damit neue Einsatzräume des Politischen?
Ich finde, die Kommunikation zwischen zwei Menschen die sich über "Qualität und Wirkung" einer Inszenierung austauschen wollen, beginnt damit, das BEIDE diese Inszenierung gesehen haben.
Also, auf bald in Leipzig!
P.S.: Was Martin Laberenz damit wollte, weiß ich leider nicht genau. Ich kenne ihn nicht und konnte ihn deswegen noch nicht fragen...
@ Zuschauer: Ja. Genau. Glotz nicht so romantisch! Wenn Sie dieses vermeintlich "Authentische" wollen, dann gehen Sie doch lieber gleich ins Bordell, zu Beate Uhse und/oder in die Pornoabteilung des nächsten Videoladens. Allerdings wird Ihnen da auch keiner "Authentizität" garantieren können. Ist es nicht vielmehr so, dass auch die Pornodiva Ihnen was vorspielt, sich für Sie inszeniert, weil Sie als Kunde dafür zahlen? Also, kommt immer drauf an, wer das rahmt und durch wen das autorisiert ist. Es gibt auch Zwangsprostitution.
Im Theaterkontext ist jedenfalls klar: Es ist immer "nur" Spiel. Einerseits kann man über das Spiel Erfahrungen machen, die man im "realen Leben" vielleicht nie machen kann/darf/will. Andererseits trennt uns das Manuskript von unseren alltäglichen Leben, welche ausserhalb des Theaterraums stattfinden.
Und worum geht es denn da jetzt, wenn Sie nach dem Besuch dieser Inszenierung wieder nur "das pornographische Bild" reproduzieren? Ich zitiere Sie: "Der Mann küsst die Brust der Frau und dann deuten sie Oralverkehr an, ohhhhhhhhhh, ganz schön eklig für nen Theaterabend." Wow, eine irre Ekenntnis. Voll politisch. Das eröffnet mir ja jetzt plötzlich ganz neue Perspektiven auf mein Leben. Porno ist ja gar nicht eklig, ach so. Hab mich jetzt voll befreit von "der Macht", weil ich die Grenze des guten Geschmacks überschritten hab. Bürgerlichkeit ist immer nur spießig. Mm. Gähn. Dagegen ist Lars von Triers Film ein Feuerwerk der analytischen Durchdringung, eine Denkanregung de luxe.
Dass sich die männlichen Schauspieler ihrer Klamotten entledigt haben, bevor das Pornopärchen aufgetreten ist, war ein doch schlauer Regie-Schachzug. Deshalb behaupte ich, dass es bei dem Auftritt des Pärchens gar nicht um eine Provokation ging, sondern nur um eine andere Wirklichkeit. Die Sehnsucht nach dieser Wirklichkeit wurde zuvor von den Schauspielern,allen voran von Max Brauer und Sarah Sandeh, thematisiert. Ob das gefällt ist Geschmackssache, aber das es so ist, darüber lässt sich nicht streiten.
Das heisst, ob "der Porno" nun tatsächlich für alle der Gipfel aller Sehnsüchte ist, das müsste meines Erachtens eine offene Frage bleiben. Denn Porno ist zunächst mal reines Geschäft. Wahrscheinlich auch deswegen, weil manche Schauspieler eben nicht soweit gehen wollen (wie zum Beispiel Daniel Dafoe und Charlotte Gainsbourg in "Antichrist"). Auf der Bühne kann mit dieser Absonderung des Pornos gespielt werden. Das heisst, dass man diese Begriffskonstruktion des Pornos zum Beispiel auch gebrauchen kann, um "das Pornohafte" einer Ehe- und Hausfrau zu befragen. Und ob es da dann wirklich nur um Sex als Dienstleistung für das Tauschmittel des Geldes geht, oder ob da nicht doch noch mehr ist. Also das Phantasma, diese imaginäre (romantische) Stütze der Realität, in welcher wir uns begegnen.
Lars von Trier hat diese Widersprüche und Brüche mitthematisiert. Dem Film vorangestellt wird die folgende Aussage des "Gruppenführers" Stoffer: "Worin liegt der Sinn einer Gesellschaft, die immer reicher wird, aber niemanden glücklicher macht?" Das ist die Utopie des Aufbruchs, aber hinter jeder Ideologie lauern immer auch die (Selbst-)Widersprüche.
In Lars von Triers "Idioten" machen es die Schauspieler auch nicht selber. Es ist ein geschickter Fake. Es sind ebenfalls Pornodarsteller!
1. Ich identifiziere mich keineswegs mit den besagten "Rollen" und habe das auch nicht getan.
- Was ich wirklich getan habe, ist, mir die diversen Abende, welche ich in der Kastanienallee erleben durfte, wachzurufen, wobei ich den "Wichser" als Denkmöglichkeit zuließ und als Folie des Nachsinnens nutzte.
- Wer wirklich die Zuschreibung verwendet? Sie!
Frei nach dem Motto: "Pollesch will keine "Wichser", aber qua "weiße Hete-Motto" sind es ja welche, also opfern wir uns, damit zu spielen, wirkliche "Wichser" (für wen auch immer) enttarnend ??, will die also nicht im Publikum; Sie aber, Ulrike, bleiben striktemang dabei, Ihr gutes Recht sehr wohl, daß wir ja alle "Wichser" seien, vor allem kaufen das und erst
recht im Theater -insofern war doch der Spiegel-Artikeler von mir nicht weit hergeholt. Nur, das kam von Ihnen, nicht von mir.
2. Sie fanden jene angebliche Identifikation meinerseits amüsant und offenbar nahezu beredt.
- Klingt wiederum schräg, Ulrike, ich weiß nicht, wie ein Mensch denken und fühlen muß, um es im etwaigen Falle amüsant zu finden, wenn jemand, so einer wie ich, möglicherweise hier geradezu schuldhaft in gewisse Mechanismen verstrickt sein könnte, wäre.
- Insofern sehe ich mich dann doch wieder eher zu der Lesart hingezogen, die, nicht zu unrecht würde das geschehen, aber hier aus internen Gründen aus Ihrem "Argument" heraus, das mit der Identifikation nicht ganz so eng sehen kann; denn ich kann ja nicht recht glauben, daß Ihnen so ein Verwicklungsstoff wirklich amüsant anmutet.
3. Die Frage, warum die Schauspieler das nicht selbst spielen, trifft meineserachtens sogar ein wichtiges
spielerisches Moment des Abends, und dazu ist das
Softe und Undeutliche und dennoch irgendwie nicht
Schauspielerinnenhafte des Pärchens, das dann doch irgendwie spielt hier!, tatsächlich soetwas wie ein
geschickter Schachzug, der starke Kontrast bei so
dezenten Mitteln, chapeau !
Der Abend behauptet auch keineswegs, das Manifest umgesetzt zu haben, denke ich; Herr Gambihler schrieb nicht zu unrecht von Wohlgefallen am Ende. Man könnte den Abend noch einmal rekapitulieren und ihm eben eine Logik abgewinnen, gar einschreiben hin zu dieser letzten Szene, wie es hier im Thread ja auch ausgiebig passiert ist, ... der Abend läuft aber garnicht so deutlich auf dieses Ende zu, wie es späterhin eingeholt wird, eine Stärke des Abends aber, das zu evozieren, denke ich, der ich nichts von diesen Pornodarstellern wußte und denke auch nicht geahnt haben hätte müssen!!
4. Es geht in diesem Abend für mich aber wesentlich um die Möglichkeit dessen, was in der Theatergeschichte gerne als "Schauspielertheater" bezeichnet wurde. Der Stückeentwickler ist quasi der kleine Idiot dieser 7er-Gruppe.
Allerdings, wie SIE sich hier winden und mit Ausdruck Eindruck schinden, das erscheint mir weniger spielerisch als vielmehr selbstentlarvend. Passen Sie auf Ihr Rückgrat auf!
Und wer hat Ihnen gesagt, daß es mit dem Porno-Darstellerpaar, den SchauspielerInnen und Schauspielern des Skalaabends in puncto Bewußtsein
davon, was sie da tun, sonderlich anders steht als
bei den sogenannten Pollesch-Spielerinnen, wenn man
Pollesch ernst nimmt, ein "hölzernes Eisen" ("Pollesch-Spieler"), das an jene Kluge-Zitate erinnert (... und schon im dritten Satz wieder nur der Eine, Faßbinder, ja, ja im dritten Satz Agamben, Zizek, Foucault, ... bei LSD und Ihnen Pollesch, wohl auch Richter) im übrigen, und freilich nehme ich Herrn Pollesch ernst, was immer absolute Ironie sein mag, absoluter Ernst (siehe Agamben), nehme ihn auch nicht etwa ironischerweise ernst.
Zumal Frau Blomeier auch eine Pollesch-Spielerin war,
was ich oben bereits erwähnte.
Nun winden sich immerhin bei Ihnen sowohl die Pollesch-Spielerinnen als auch ich; da fühle ich mich in guter Gesellschaft - Erläuterung wäre nett, und das mit dem Ausdruck-Eindruck-Schinden geht mir nun auch nicht schlaglichtartig auf.
Die Frage ist freilich auch irgendwie, ob in einer Zeit des durchaus ebenso profanen wie dennoch "religiös" mindestens unterfütterten Körperlichkeitskultes es wirklich vielversprechend ist, die Heiligen Huren zu profanieren; ebenso ist die Frage berechtigt, denke ich, ob es Sinn macht, recht beredt zu sagen "Aber mein Körper, der bedeutet doch auch was": Ja, ja, das nehmen die Drängler, Schneider, Imwegsteher draußen doch gerne an, daß sie da quasi auf der Höhe der Zeit ganz und gar bedeutsam drängeln, schneiden, im Weg stehen ...; obgleich die Leute im Prater sich für gewöhnlich gar nicht übel verhalten, ... aber klar, das hätte ich jetzt for the cool sake of the argument nicht sagen dürfen, ist wieder mein arttypisches Winden.
Und "Heilige Huren" gibt es ja auch nicht so ganz eben gerade erst neu mit alt- , ordo- oder neoliberalem Vorzeichen ..., da dürfte es auch schwierig sein, einfach vom Marktmechanismus her in irgendeine politisch gewollte oder dem Empfinden nach wünschenswertere, jedenfalls näherliegende und sogar sinnlichere Verhaltenswirklichkeit einzuschwenken: ich bin da ganz offen skeptisch.
Und wo der Porno immer nur den falschen Schein der Zugänglichkeit eröffnet, kann das Theater die wesentliche Unzugänglichkeit des Begehrens des Anderen zur Erfahrung machen. Zudem wird das Pornographische bei Pollesch meines Erachtens parodiert, egal ob "echte" Stripperinnen nun stoisch auftreten oder nicht. Denn die Parodie fokussiert den Bereich zwischen Wirklichkeit und Fiktion.
@ Arkadij Horbowsky: Meine Frage bezog sich auf die Vorlage von Lars von Triers "Idioten". Thematisch hat dieser Film nichts mit der Vorrichtung der Pornographie zu tun.
Und warum sollte es keinen Sinn machen zu sagen: "Aber mein Körper, der bedeutet doch auch was." Sie dürfen das nur nicht zu wörtlich nehmen. Das bezieht sich doch auch auf diese klassische Theatersituation, welche auf einen "verborgenen Sinn" hinter den Figuren abzielt. Aber auch der Schauspielerkörper mobilisiert ja schon eine Bedeutungszuschreibung, und zwar über die Bewegung im Raum.
Schließlich, Profanierung der "heiligen Nutten" nach Agamben heisst, die Machtvorrichtungen zu entkräften, wonach Menschen bloß als Mittel zum Zweck (der Luststeigerung Anderer) gesehen werden. Zitat Agamben: "Wenn wir, wie schon vorgeschlagen wurde, die äußerste Phase des Kapitalismus, in der wir jetzt leben, die spektakuläre nennen wollen, wo alles von sich selbst abgesondert zur Schau gestellt wird, dann sind das Spektakuläre und der Konsum die beiden Seiten einer einzigen Unmöglichkeit des Gebrauchs. Was nicht benützt werden kann, wird als solches dem Konsum und der Zurschaustellung überantwortet." Wenn also alles nur noch Show ist, dann setzt das Denken aus. Und das kann natürlich auch einem "Tal der fliegenden Messer"-Zuschauer passieren, insofern er sich von der glitzernden Bordell-Show täuschen lässt und dabei nicht mehr auf den Text hört. Denn da wird ja auch gesprochen. Bloß, das, was gesprochen wird, das muss nicht zwangsläufig mit den Körpern zusammengehen, da kann es auch einen Bruch geben, das kann sich auch widersprechen. Und erst da wirds interessant.
Das irritiert mich bei Pollesch auch schon seit langem: dieser manische Authentizitäts-Diskurs. "Ich kann dich nicht lieben, weil ich nicht weiß, wer du wirklich bist." Diese Innen/Außen-Masche. In den 60er Jahren hieß das bei Adorno mal "Eigentlichkeit" und die Sucht nach "Eigentlichkeit" wurde in die rechte Ecke gestellt. Wieso kommt das jetzt wieder? Immer noch nicht kapiert, dass es die "reine Vernunft" nicht gibt?
Man kann auch im Irrgarten der Projektionen ganz gut leben, ohne ständig über Orientierungs- und Identitätsverlust zu jammern. Nur hat man dann natürlich kein Mittel mehr, anderen seine Maßstäbe aufzuzwingen.
Liebe Inga, wie definiert der Feminismus eine "echte" Nutte?
Das Bordell als Heterotopie? Ist das nicht auch nur Eskapismus (siehe zum Beispiel den Film "Shortbus")?
In den "Idioten" von Lars von Trier geht es meines Erachtens gar nicht um das Thema "Bordell". Vielmehr geht es um die Frage des Respekts gegenüber dem vermeintlich "nicht Normalen". In ihrem Gestus erinnern die "Idioten" vielleicht auch nicht ganz ohne Grund an sogenannte "Behinderte". Zudem: Im Bordell zahlt man, in der Kommune I zahlte man nicht. Das ist ein Unterschied. Allerdings hat sich die sogenannte "sexuelle Befreiung" heute in meinen Augen längst in ihr Gegenteil verkehrt. Auch in diesem Lebensbereich sind die Beziehungen zwischen Menschen längst durchökonomisiert, sprich: es geht auch da oftmals nur noch um Äußerlichkeiten, um den schnellen, egoistischen Konsum gegenüber inneren Werten wie Gemeinschaft, Liebe und Vertrauen.
Warum Martin Laberenz (ist der eigentlich verwandt mit Aino Laberenz?) hier nun unbedingt "echten, pornographischen Sex" auf der Bühne will, wird mir auch nicht ganz klar. Zumal es in einer typischen Hippiekommune ja zunächst mal gerade NICHT um sexuelle Ausbeutung ging. Man nannte das damals "sexuelle Befreiung". Aber auch die, auch und gerade die sogenannte "Befreiung der Frau", ist vielleicht längst in ihr Gegenteil umgeschlagen: die Frau als Fastfood-Ware. Liebe ist das nicht. Kunst auch nicht.
der mann als fastfood-ware vielleicht nicht?
jedenfalls bei manchen frauen
liebe sollte es sein
was noch?
liebeskunst
und eben das alltäglich
@ 52.: Mit schönen Grüßen an Schlingensief auf der Wolke:
"Gott bewahre, dass ich dir eins in die Fresse schlage. Du glaubst wohl, dass du mir mit alldem einen Weg beschreibst. Du beschreibst mir einen Weg, das ist schon klar, aber der Weg hätte ruhig anders verlaufen können, etwas heiliger und berufener, so wie ich mir das in meiner Kitschnudelfabrik vorgestellt habe, weil ich die Kacke so gelernt habe. Ich glaube, dein größtes Versäumnis ist dein Vertriebsnetz. Du hast nicht versagt bei meiner Krankheit oder bei anderen Krankheiten, oder bei all den Missständen auf der Welt, du hast versagt in dem Vertrieb deiner Ideen. Da hast du die letzten Deppen rangelassen, die allerletzten Oberfressen, die Möchtegerns und Schwätzer und was weiß ich wen. Alte Gesellen, die nicht ficken dürfen. Pädophile Kappen, die den Afrikanern verbieten, Präser zu benutzen. Das ist dein Vertriebssystem."
Schließlich, ein echter Sexualakt zwischen Schauspielern, so what, wenn die das können und wollen. Aber die Pornodarstellerin verweist hier ja im Grunde schon darauf, dass die meisten Schauspieler das wohl eher nicht können und/oder wollen.
Zitat Slavoj Zizek: "Und ist nicht dies die ethische Pflicht des heutigen Künstlers - uns mit dem Frosch (=junger Mann) zu konfrontieren, der eine Bierflasche (= junge Frau) umarmt, während wir davon träumen unsere Geliebte zu umarmen? Mit anderen Worten, Phantasien in Szene zu setzen, die radikal entsubjektiviert sind, die das Subjekt niemals annehmen kann?"
(aus: "Liebe deinen Nächsten? Nein danke!")
die männlichen Darsteller an der Rampe (1 Meter von der ersten Reihe
entfernt)blank zogen, in Gläser urinierten, die dann dem Publikum angeboten wurden.Auf diesen brisanten, aktuellen und hochpolitischen Vorgang kann ich ebenso verzichten wie auf weitere Einstudierungen
von Laberenz.
was hast Du gegen Martin Laberenz. Auch wenn Iditioten etwas speziell war, so sind seine letzten Inszenierungen "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch", "Zerschossene Träume" und vor allem "Schuld und Sühne" großartig.
Im Sinne des Pornos, nicht des Liebesversprechens...
Was verstehen Sie genau, genauer unter Liebesversprechen?
Versprechen Sie jedes Mal die große Liebe?
Die wird bekanntlich nur einmal versprochen.
Also wechselnde Liebesverhältnisse. Bei Ihnen doch auch.
Ich würde eher sagen, dass ich mit Mitte/Ende 20 auch noch gesucht habe. Aber irgendwann hört's einfach mal auf mit dem lustigen "fuck around" mit unreifen Jungs. Vor allem, wenn sie "im Auftrag" agieren, was ja durchaus mal vorkommen soll. Nicht wahr, Edward II.?
Was ist daran politisch, wenn man anderen Leuten Frischgepißtes anbietet? Um Ihre Worte zugebrauchen: Es ist nichts weiter als eine brisante und aktuelle Ferkelei. Küßchen.
Was soll das heißen?
Besser gesagt, die Mitverantwortlichen. Wir sind ein Gespräch, eine Idee, eine Tat usw. Es geht nicht um moralische Fragen wie Unrechtsbewusstsein oder sowas, sondern um die größeren Zusammenhänge. Wie können wir das Große ändern, und uns dabei zugleich im Kleinen, im menschlichen Nahbereich, wechselseitig in unseren Bedürfnissen achten?
Laberenz hat sich doch auch schonmal mit Dietmar Dath beschäftigt, oder? Und dieser hat einen Satz geprägt, welcher in meinem Verständnis auf den Unterschied zwischen dem Sehen und der Imagination hinausläuft. Es geht um den Wolf Dmitri:
"Er fand: Man muß nicht alles sehen, was man verstehen kann (aber alles verstehen, was man sehen kann - Freiheit den gefesselten Fähigkeiten)."
So. Und jetzt frage ich mich folgendes. Sehen, okay. Aber Selbermachen, muss nicht sein. Nein, Edward! DU verstehst nicht, was Liebe heisst. Oder bist du vielleicht einer dieser Idiotenchristen, welcher andere für irgendetwas bestrafen will? Die spinnen doch. Echt.
Ich verstehe Sie nicht. Kein Wort mehr.