Hotel zur Scheinheiligkeit

von Kerstin Edinger

Moers, 16. Mai 2009. Ein Innenhof mit Kopfsteinpflaster, Stacheldraht auf den Mauern, doppelt vergitterte Fenster – das ehemalige Abschiebegefängnis von Moers liegt nur einige Meter vom Theater entfernt. Intendant und Regisseur Ulrich Greb, der sich gerne in den Stadtraum vorwagt, hat sich diesen ungemütlichen Ort für eine theatrale Installation ausgesucht, die den ironischen Titel "Hotel Europa" trägt. Ein fragmentarisches Stück über Migration, Einwanderung und Flucht, ein Stück über Ländergrenzen und die Festung Europa, die nur einigen Auserwählten Zutritt gewährt.

"Das Betreten des Gebäudes geschieht auf eigene Gefahr." "Bitte schalten Sie ihre Mobiltelefone ein, damit wir sie im Notfall orten können" – mit dieser freundlichen, auf das übersteigerte Sicherheitsbedürfnis der Zuschauer anspielenden Äußerung einer Wärterin betreten die etwa hundert Premierengäste das Gefängnis, das seit 2005 geschlossen ist, aber im Originalzustand belassen wurde.

Die Wände machen Eindruck
Mit einem Gebäudeplan und einer persönlichen Identifikationsnummer versehen, bleibt der Zuschauer zunächst sich selbst überlassen, kann in den Zellen stöbern, das Gebäude für sich erforschen. Nur eine Zelle ist als Musterzelle noch komplett ausgestattet, die anderen dienen als Installationsfläche. Den Charakter eines Hotels ironisch nachahmend, findet sich der Zuschauer in einer sogenannten Bar (-Zelle), einem Fitnessraum oder einer angedeuteten Kinderspielecke wieder. Bühnenbildnerin Birgit Angele hat echten Rasen ausgelegt und eine Zelle sogar mit einer Kinderschaukel ausgestattet. So entfalten die beklemmenden Räume eine poetische, oft auch tragikomische Wirkung, wenn etwa in einer Bibliothek ein Reiseführer "Abenteuerurlaub in Deutschland" ausliegt.

Im Grunde aber sind es die Wandkritzeleien, die vielen Gedichte und krakeligen Inschriften, die aus allen Sprachen aufwändig übersetzt, von der großen Verzweiflung der hier Inhaftierten zeugen. Malereien von nackten Frauen oder deutschen Schäferhunden, Inschriften wie "Fuck you Knast", "Am schwersten ist es ohne Geliebte" oder "Alle sind verletzbar" – die Gefängniswände machen mehr Eindruck als jeder in Szene gesetzte Gegenstand.

Und genau darin liegt die Schwäche dieses vermeintlich dokumentarischen Theaterabends. Ulrich Greb und sein Team nutzen zwar die gelebten Spuren des Ortes, verlassen sich aber nicht auf sie. Greb setzt dokumentarisches Material wie Interviews und Briefe von Insassen und Wärtern in Verbindung mit literarischen Texten mehrerer Epochen, die er wiederholen, sich überlappen oder gleichzeitig sprechen lässt. Die Fülle des Materials ist erdrückend. So werden Franz Kafka, Immanuel Kant oder Michel Foucault zitiert –  die versammelten literarischen Zeugnisse zeigen zwar die Allgemeingültigkeit und Überzeitlichkeit des Themas, doch der Zuschauer fühlt sich immer wieder herausgerissen aus den weitaus interessanteren Tatsachenberichten, denen man hier nachgegangen ist.

Chinesen mit Edding beschriftet
So erzählt etwa ein Wärter die Geschichte eines Insassen, der sich in Zelle 23 das Leben genommen hat, doch schon wird man als Zuschauer zu einer Besichtigung der Duschräume im Keller gerufen. Dabei sind die Geschichten der Wärter und Insassen so spannend, dass sich der Zuschauer immer wieder ertappt, wie er bei den Wärtern konkret nach dem Fortgang der Geschichten nachfragt. Doch dann wird er abgeblockt und muss schnell feststellen, dass er nur einem Spiel beiwohnt und auf  keine Antwort hoffen kann.

Immer dann, wenn sich die Inszenierung verdichtet, länger auf einer Episode verweilt, wenn sie sich letztendlich entscheidet, was sie ist, dann ist sie packend und gut. Eine Wärterin beschwert sich über die Unzulänglichkeit deutscher Karteikarten, die es unmöglich machen, die schwierigen ausländischen Namen zu registrieren. Wenn sie dann erzählt, wie sie die chinesischen Insassen durchnummeriert und mit Edding beschriftet hat und uns ein verzweifeltes "Was sollten wir denn machen?" hinwirft, das braucht keine Steigerung und Einordnung mehr. Leider vergehen diese Momente zu schnell, sind zu flüchtig, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Am Ende finden sich alle im Gefängnishof wieder. Die Schauspieler postieren sich auf dem Wärterhäuschen, beschwören noch einmal die Weltoffenheit Europas. Ein feierlicher Augenblick, der durch Schreie im Gefängnistrakt gestört wird  – das so vermeintlich gastfreundliche "Hotel Europa" hat längst sein makelloses Bild verloren.

 

Hotel Europa – Eine theatrale Grenzüberschreitung
Inszenierung: Ulrich Greb, Raum: Birgit Angele, Kostüme: Elisabeth Strauß, Dramaturgie: Fabian Lettow.
Mit: Magdalene Artelt, Angelika Baumgartner, Ekkehard Freye, Kinga Prytula, Roland Silbernagl, Holger Stolz, Frank Wickermann.

www.schlosstheater-moers.de

 

Mehr zu Ulrich Greb: Im Mai 2008 berichtete nachtkritik.de über seine Inszenierung der Paulus-Briefe aus der Bibel, im Februar 2008 führte er Alkestis von Euripides auf.

 

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