Tragödie des Verplätscherns

von Esther Slevogt

Berlin, 17. Mai 2009. Zuerst guckt ein Cocktailglas wie eine Kasperlepuppe hinter einem riesigen Bartresen hervor. Kurz darauf erscheint dann auch die dazugehörige Cocktailtrinkerin, eine Frau um die Dreißig, die auf den Namen Jeani hört. Sie scheint wild zum Amüsement entschlossen. Doch irgendwie ist ihr die Gute-Laune-Miene wie ins Gesicht gefräst. Dann kommt noch die blonde Babsi dazu, und beide drehen kreischend vor Wiedersehensglück ein paar hysterische Runden um die Bar, die so hoch ist, dass nur noch die Köpfe dahinter hervorschauen.

Man redet Belangloses. Einwortsätze, wo hinter jeder Replik existenzielle Bedeutung lauert: "Du." "Ja. Du." "Hast mal." "Tatsächlich." "Tatsächlich dazugehört." "Zum Mittelstand." "Zum emotionalen Mittelstand." Bis Max kommt, der Dritte im Bunde dieser in die Jahre gekommenen Clique – ein vergrämter, unfroher Typ ohne Eigenschaften. Einst teilte man eine Wohnung miteinander. Nun teilt man nur noch die Erinnerungen an die Träume, die man hatte, von denen scheinbar kaum einer in Erfüllung gegangen ist.

Wohnst du noch, oder lebst du schon?
Auf den ersten Blick nicht gerade ein brandneues Thema, das der österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer da in seinem zweiten Stück "wohnen. unter glas" thematisiert, das nun in der Box des Deutschen Theaters Jakob Fedler inszenierte. Nur treibt Palmetshofer es noch ein bisschen weiter. Denn bereits die Träume, die die Drei träumten, sind nicht echt, sondern nur irgendwelche überkommenen Instant-Utopiemodelle, die folglich auch keine Orientierung bieten können, wie man leben soll.

Eine eigene Sprache haben sie auch nicht. Denn Palmetshofer lässt sie in Worthülsen reden, abbrechende Halbsätze stammeln, die inzwischen feuilletonweit als genuiner Palmetshofer-Sound gefeiert werden. Wobei unentschieden ist, ob das nicht eigentlich ein affirmativer Sound ist, der sich geschickt an den werbewirksamen Ikea-Existenzialismus anlehnt: wohnst du noch, oder lebst du schon? Denn das ist im Grunde die Frage, die das Stück stellt, um sie am Ende zu verneinen.

Gefrorene gute Laune
Jakob Fedler, wie Palmetshofer Jahrgang 1978, der das Regiehandwerk an der Zürcher Hochschule für Musik und als Regieassistent u.a. von Dimiter Gotscheff erlernte, macht mit seinen drei präzisen Schauspielern Rebecca Klingenberg (Jeani), Alexandra Finder (Babsi) und Mathis Reinhardt (Max) eine fein beobachtete, in Wort und Bild exakt choreografierte Studie über den Stillstand daraus. Über das Unglück, das hinter der egozentrischen Unbezogenheit heutiger Selbstverwirklichungsfanatiker lauert, die oft kaum über ein Selbst verfügen, das zu verwirklichen sich lohnen würde. "Du bist gut 30 und hattest noch nie eine Beziehung wo du sagen würdest. Nein. Hattest du noch nie", sagt Max, dem auch der ganze irgendwie linke "Perspektiven-Visions-Scheiß" nichts nützte, zu dem er sich verpflichtet fühlte, weil das zum verordneten Jungsein damals dazugehört hat.

Fedler taktet Palmetshofers Stakkatoton genau ein, reißt Abgründe zwischen den Ein-Wort-Repliken auf. Manchmal gefrieren die Schauspieler zu verzweifelten Bildern, die die zwanghaft jugendliche Gute-Laune-Atmosphäre, die sich die Drei verordnet haben, dramatisch konterkarieren: Jeani, die verkrampft den Kopf auf den Bauch des neben ihr stehen Max hinunterbeugt, sich gekrümmt an ihn schmiegt und noch einmal Anlauf nimmt, ihm ihre Liebe zu erklären. Dem tragikomischen Treiben der Drei zu ewiger Jugend Verfluchten vor, auf und hinter dem überlebensgroßen Bartresen schaut man eine Weile mit amüsierter Bestürzung zu. Sieht, wie die verordnete Unbeschwertheit Max, Jeani und Babsi immer bleierner in die Tiefe zieht.

Notausgang ins Spießerleben
Aber irgendwann hat man dann doch begriffen, was hier läuft und wartet nun auf weitere Progression. So etwas wie eine Klimax, einen Zenit, wie Max das in einem großen Verzweiflungsmonolog nennt. Doch weil Stück und Figuren so angelegt sind, dass gar nix passieren kann, passiert dann auch nichts. Das ist sozusagen die Tragödie. Dieses Verplätschern im Bedeutungslosen. Die Tragödie der Figuren, aber am Ende leider auch des Stücks und seiner Inszenierung.

"Das kann doch nicht alles gewesen sein?", fragt man sich mit den Figuren immer drängender, während man nicht ohne Verständnis zumindest Jeani alias Rebecca Klingenberg den Notausgang aus dem Kerker der erfahrungslosen Dauerpuberträt in ein echtes Spießerleben nehmen sieht. Aber das war dann nach 75 Minuten schon alles: Jeani heiratet in Weiß, und das ist schließlich besser als nichts. Besser, als das Leben, das Max und Babsi blüht, deren vertrockneten Sehnsüchten auch der fanatischste Wille zum Sinn nicht mehr aufhelfen wird. Da kann vermutlich auch ein Ikeabesuch nichts ändern.

 

wohnen. unter glas
von Ewald Palmetshofer
Regie: Jakob Fedler, Bühne und Kostüme: Bernhard Siegl, Musik: Martin Person.
Mit: Alexandra Finder, Rebecca Klingenberg, Mathis Reinhardt.

www.deutschestheater.de

 

Mehr zu Ewald Palmetshofer? Bei den Mülheimer Theatertagen wird er in diesem Jahr vermisst, aber ein paar Kilometer weiter in Bochum spielt man auch wohnen. unter glas. Und zuletzt kam am Wiener Schauspielhaus Palmetshofers faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete zur Uraufführung.

 

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