Von Formen und Förmchen

von Oliver Bukowski

Berlin, 25. Juni 2007. Ob als Fertigstück, Lego-Bausatz oder Würfelbecher – die sog. Postdramatik hat die Klaviatur der Mittel und Möglichkeiten eines Bühnenabends angenehm breit gemacht. Das scheint jetzt sogar auf die Juroren überzuschwappen. Die handverlesenen Herrschaften (oder die, die gerade dazu Zeit hatten) strengen sich an, in ihren Entscheidungsweisen selbst a bisserl artifiziell zu werden. Jury-art?

In Mülheim gewinnt ein Stück den Dramatikerpreis, bei dem man eigentlich nicht mehr so recht weiß, wer genau der Dramatiker dahinter ist. Oder wie viele es sind. Na wurscht, wenn den Machern alles erlaubt ist, warum dann den Juroren nicht. Nur ein wenig lästig, dass sich dadurch wieder nicht die Grabplatte über die eben erst durchstandene "Werktreue"-Debatte schiebt. Von der Frage nach dem Werk zur Frage nach dessen Autor ist es nun mal so weit nicht. Aber müssen denn wirklich alle Fragen gestellt werden? Selbst wenn man – wie C. Schmidt – klug genug ist, Antworten auf der Pfanne zu haben? Ist es dem Theaterabend nicht herzlich egal, ob der Autor sich nun als Medium, Erfüllungsgehilfe, Puls-der-Zeit-Messer, fleischgewordener Götterfunken oder einfach nur als eitler Sack benahm oder fühlte?

Der Autor sitzt am Tisch und schreibt was hin

Gut, also jetzt ist es der Autor, an dem man sich abwundern kann. In einer Welt, habermasisch-unübersichtlich, bildinflationär, mediendurchtränkt, dass einem das Interaktive vergehen kann, sitzt der Autor am Tisch und schreibt was hin. Gehört er zur exklusiven Schar jener Pollesche und Katers, muss er das nicht einmal. Vorerst nicht. Er kann – work in progress – seine Darsteller plappern und machen lassen und ruft nur "Stop, so sei es!" Dann aber setzt er sich auch hin und schreibt auf. Das Bild "schreibender Autor" bleibt schlussendlich das gleiche, sein Werden war nur ein anderes.

Nun aber ins legendenumraunte Dunkel der Beweggründe, Inspirationen und Anlässe seines Schreibens. Eine kleine Typologie?

Abgesehen von denen, die durch eine übersteigerte Schläfenlappenaktivität an Hypergrafie leiden, gibt es erstens doch wohl die, deren Vergnügen am Theater am Schreibtisch anfängt und genau dort auch aufhört. Ob nun aus selbsttherapeutischen Gründen oder einfach nur, weil ihnen der Tag sonst zu lang wird – sie schreiben vor sich hin. Sie sind allein mit sich, wenngleich nicht einsam. Sie haben ja genau ihre Figuren, Situationen, Bilder vor Augen. Das genügt ihnen. Schön, wenn andere ihr Zeug mögen und damit umspringen wollen, aber eigentlich genügt es ihnen. Sie fragen nicht, ob sie zeitanalytisch richtig liegen oder bühnenästhetisch en vogue sind. Es ist ihre Welt, und da sie ja nicht Van Gogh oder das Bärchentier sind, wird es schon jemanden geben, der eine ähnliche hat und sieht und mag.

Aufklärer und Kantinenabhängige

Anders zweitens: die Messianischen. Die wollen noch immer zuvorderst "bewegen", "aufrütteln", "klarstellen", ´"Stimme", "Spiegel", "Waffe" sein. Jawohl, die gibt’s tatsächlich noch. Offenbar hat Brecht sich damit nicht lächerlich genug gemacht. Vermutlich als Sozialphilosoph, Politiker oder Dutschke gescheitert, machen sie nun die Bühne zu genau dem Pult, von dem sie auf das blöde Parkett "erhellend" herabdonnern. Sie machen die Schlüssellöcher frei und lassen das Publikum durchsehen. Was ist es denn anderes, wenn man pseudo-investigativ Laien ihre persönlichsten Worte stöpseln lässt, reale Ereignisse nachbebildert, Akten oder Philosophie-Standards auf die Bühne stemmt? Steht da nicht doch der Aufklärungsgedanke in plattester Ausführung dahinter? Nicht doch die Arroganz, zu meinen, man können in zwei drei Stunden Bühnenabend erklären, "was die Welt zusammenhält"?

Drittens, und diese Unterart gibt es wohl in jeder Kunstform, drittens hat es mit den Trendsettern zu tun. Ihr Schreiben entstammt nicht einer wie auch immer erfahrenen Realität, sondern ist Produkt der Kantine. Man weiß sehr genau, was dort angesagt ist, kennt die Meinung der kritischen Massen in der Fachpresse und zirkelt das Seine über die Form hinauf zum Sahnehäubchen des Bühnengeschehens. Nein, nicht angepasst (sie wissen wirkungsbewusst sehr wohl, dass man sofort zum alten Schuh wird, wenn man einen Trend lediglich bedient), mehr wie Schlagsahne auf Schwartenmagen: Sie reagieren negativ angepasst, sie machen unbedingt anders, "brandneu", es soll ihr Tag X sein, an dem nichts mehr ist wie zuvor.

Die Schlagworte dazu: "Handschrift", „eigen (ganz eigen)", "typisch Herr X, Frau Z". Bestenfalls kann der Autor damit zu einer (theatergeschichtlichen) Größe werden, schlimmstenfalls knallt ihm das auf die eigenen Füße: er muss fortan genau so weiter machen. Genau so. Sich Tag für Tag zitieren. Armer Werner Schwab...

Und die, die ständig über das WIE reden

Und nebenher: 3a) wären die, die ihre Originalität dadurch frisieren, indem sie ganz simpel aus anderen Kunstformen und Kulturkreisen klauen. Was bspw. in Chile gängiges Alltagstheater ist, kann auf deutscher Bühne zu einer "mutigen und ganz neuen Sichtweise" verklärt werden. Oder her mit den Performances des Wiener Kreises und ab damit in die Volksbühne. Klappt auch. Und noch nebenherer: 3b) Fällt einem nun gar nichts mehr so richtig Eigenes mehr ein, na dann eben "Dramaturgie mit der Schere" und ran an die, denen mal was einfiel. Filme, Bestseller, rechtsfreie Tote. Name drunter, "Uraufführung" drauf, fertig ist.

Die Spezies unter Punkt 3 ist übrigens leicht daran zu erkennen, dass sie ständig über das Wie redet, eine Unmenge Namen und Vergleiche parat hat, selten aber wiedergeben kann, wovon das Stück eigentlich handelt. Hakt man genau dort nach, wird man erstaunt sein, wie viele sozialphilosophischen Floskeln in einen Mund passen.

Schließlich viertens, schließlich die, die sich gern mal in diesem oder jenen Kleid auf der Bühne verneigen wollen. Oder Herzdame beeindrucken. Oder es schick finden, den eigenen Namen auf einem Plakat zu sehen. Alles charmant weil menschlich.

Soweit hier, im Groben.

Sicher, wie bei jeder Typologie gibt’s die Typen selten in Reinform: der Mensch – ein Mischverhältnis. Und Autoren sind eben auch nur Menschen. Müssen wir für diese Binse tatsächlich eine neue Diskussion auslösen? Mehr noch: Ist sie nicht sogar schädlich?

Ich kenne viele junge wie ältere Autoren, denen ein allzu großer Wind um Schaffensfragen, die Haltung des Autors in und zur Welt, die Psychognomie des Schöpfers usw. nur die Schultern versteift. Die "Angst vorm leeren Blatt" gibt’s nämlich wirklich. Oder, um noch einmal W. Schwab aus seiner letzten Erde zu holen: Wenn ich ständig denken würde, dass ich ein Dichter oder Dramatiker bin – ich könnte nicht einmal mehr pissen gehen.

 

Oliver Bukowski, 1961 geboren, lebt in Berlin. In den 90ern wurde er mit Stücken wie "Londn – L.Ä. – Lübbenau", "Bis Denver" oder "Nichts Schöneres" bekannt. Er bekam zahlreiche Preise, u.a. den Mülheimer Dramatikerpreis für "Gäste" 1999. Inzwischen arbeitet er auch als Lehrender für Dramatik (etwa als Professor an der UdK Berlin oder für den Lehrgang Szenisches Schreiben in Graz) und ist Mitgründer der Filmfirma it works!.

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