Die Vergänglichkeit von Mensch und Theater

von Michael Laages

Hamburg, 22. Mai 2009. Und warum wird beim Happy-End im Film jewöhnlich abjeblendt'? Das wusste schon Kurt Tucholsky: weil es danach immer nur viel schlimmer kommen kann. Ivana Müllers kleine Performance "Playing Ensemble Again and Again" wirkt wie halb übertragen aus dieser Ironie in die Phantasie des Theaters – und erklärt die gemeinhin ja nur wenigen Minuten von Beifall und Verbeugung danach zum eigentlichen Kern ihrer theatralischen Bemühung.

Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Akustisch friert ein großer Beifall die Szene zu Beginn quasi ein; was bleibt, ist dumpfes Grollen. Einer und eine nach dem bzw. der anderen treten sechs Stück Darsteller vor den Vorhang – aber sie "treten" natürlich nicht, sondern sie schweben halb: und bewegen sich von Anfang bis Ende der Performance-Stunde in Zeitlupe.

Abgebremste Zeit

Das ist ziemlich anstrengend. Für alle im Saal. Gedanklich geht es (wie gesagt) um eine Handvoll Minuten; real um eine Stunde – gefühlt ist der "Abend" allerdings mindestens ein überlanges Fernsehspiel. Optisch schickt Ivana Müller das Publikum also in die ewige Warteschleife – akustisch aber bleiben wir wach.

Immerhin. Denn das Sextett erzählt nun, in dieser mit beträchtlicher Mühe abgebremsten Zeit und in einigermaßen gut verständlichem Englisch, von dem, was sich auf die Schnelle so denken ließe im Minuten-Beifall. Dass sie gut waren, diese sechs, in dieser Aufführung. Oder aufgeregt. Oder verwirrt. Oder ziemlich von der Rolle. Oder ganz beieinander und so konzentriert wie lange nicht mehr, jeder für sich oder alle mit allen. Oder auch einfach nur jung – oder oder oder …

Dann gehen alle (oder, wie gesagt, besser: schweben) ab in die Gassen rechts und links, reden und denken weiter – darüber, wie das Publikum reagiert hat, speziell das eigene Kind, das irgendwo in einer der vorderen Reihen saß … und schweben wieder herein, zur nächsten Verbeugung; dann wieder raus, dann wieder rein … In der finalen Runde denken sie sich aus, was sie jetzt gleich tun könnten, diese Zeitlupen-Grübler - wenn endgültig alles vorbei sein wird, wenn das Licht aus ist und keiner sie mehr sehen wird. Licht aus. Aus. Beifall. Diesmal der richtige, in Echtzeit. Einige trampeln vor Begeisterung.

Eine Sekunde in Gedanken - eine Ewigkeit im Theater

Und weiter? Nichts weiter. Ivana Müller, Jahrgang 1972 und aus Zagreb, hatte eine auf den ersten Blick und formal womöglich sogar recht interessante Idee, deren strukturelle Weiterungen und Konsequenzen sicherlich den Seminaren mit den Profi-Denkern drin sehr gut gefallen werden; "Playing Ensemble Again and Again" bietet allemal Material für raumgreifendes Philosophieren rund um die Vergänglichkeit von Mensch und Theater und das Bemühen beider, diesen Zustand mit allen Kräften aus- und aufzuhalten. Aber mit Brecht: "Der Kuchen erweist sich beim Essen."

Und Müllers Spiel-Idee in der Aufführung – die aber leider nichts ist als eben diese Idee; eine Sekunde in Gedanken, ein paar Minuten in der Wirklichkeit des Bühnen-Beifalls, tatsächlich eine Stunde, aber eben auch ein langer-langer Abend. Eine Ewigkeit. Oder noch schlimmer: Ein kleines Bier, an dem wir uns einen ganzen Fußballfernsehbundesligaendspielnachmittag festhalten müssen. Das aber ist nun wirklich pure Quälerei. Deshalb wollen wir jetzt auch gar nicht weiter drüber reden. Und darum wird beim Happy-End im Film jewöhnlich abjeblendt' …


Playing Ensemble Again and Again
von Ivana Müller
Konzept, Choreographie und Regie: Ivana Müller.
Mit Katrin Dreyer, Karen Roise Kielland, Bojana Mladenovic, Pedro Inés, Daniel Almgren-Recén, Rodrigo Soberzo.

www.kampnagel.de

 

 

 

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