Töten, sterben – und feiern mit Dosenbier

von Andreas Schnell

Osnabrück, 24. Mai 2009. 2000 Jahre ist es her, da Arminius, ein Cherusker im Dienste des römischen Kaisers, die Seiten wechselte und dem römischen Heer im heutigen Osnabrücker Land eine vernichtende Niederlage zufügte. Christian Dietrich Grabbe machte daraus das "Nationaldrama" (Grabbe) "Die Hermannsschlacht", ein Werk, das seine Uraufführung 1934 erlebte (weitere tausend Jahre im Sinn). Da war Grabbe schon fast 100 Jahre tot. Die faschistische Rezeption hat sein Werk sogleich nachhaltig desavouiert, weshalb es nach 1945 nicht mehr gespielt wurde. Zum 2000-Jahres-Jubiläum jedoch wird das Stück nun wieder hervorgeholt, das Landestheater Detmold legte im Februar vor, nun zog das Theater Osnabrück nach.

"Die Hermannsschlacht" schildert die Geschehnisse im Teutoburger Wald der Überlieferung gemäß (wobei der Ort des Schlachtens bis heute nicht letztgültig bestimmt ist) und erhellt in Schlaglichtern politische Grundkonstellation und Vorgeschichte: der Statthalter Varus, der höchst zudringlich um Hermanns Thusnelda wirbt; Hermann (wie Arminius dann ab dem 16. Jahrhundert eingemeindet hieß), der sich dem Verdacht seiner Verwandten aussetzt, ein Verräter zu sein, in Wirklichkeit aber plant, die germanischen Stämme gegen Rom zu vereinen; eine Gerichtsszene, in der ein Richter im Minutentakt römisches Recht spricht, das auf Lebenswelt, Sitten und Nöte der Germanen keinerlei Rücksicht nimmt.

Auftritt Frau Grabbe

Als sich schließlich Roms beste Legionen auf den Weg in den Harz machen, um Aufständische zu bekämpfen, durchkreuzt das Wetter ihre Pläne. Auf dem Rückweg legt Hermann die römische Uniform ab: Der Kampf beginnt. Nach drei Tagen sind die Römer schließlich aufgerieben. Als der sieche Kaiser Augustus von der Niederlage hört, schwant ihm schon der Untergang des römischen Reiches, zumal ihm auch noch ein gewisser König Herodes von der Geburt eines angeblichen Gottessohnes schreibt. Hermann wiederum, der den Sieg ausbauen und am liebsten gegen Rom ziehen möchte, scheitert am Desinteresse seiner Soldaten.

Bevor indes Germanen und Römer in dem schlichten, aber variablen Bühnenbild (eine vierstufige Treppe, deren Trittflächen aufgeklappt Gräben freilegen und zudem für jede Menge Lärm herhalten dürfen) bei viel umherspritzendem Kunstblut aneinandergeraten, lässt Philip Tiedemann Frau Grabbe (Christel Leuner) auftreten, die aus Briefen ihres Mannes liest, an den Verleger, an einen Schulfreund, an einen Intendanten.

Hägar der Schreckliche lässt grüßen

Frau Grabbe zeigt sich irritiert, weil ihr Gatte immer wieder schreibt, er habe das Stück nun endlich vollendet und Monate später das gleiche erneut verkündet – immer wieder hatte Grabbe an seinem letzten Drama gearbeitet, verworfen, umgeschrieben. Es bleibt nicht der einzige Auftritt von Frau Grabbe: Im Schlachtengetümmel taucht sie wieder auf. Der Bühnen-Hermann ist davon sichtlich verunsichert und greift sich einen der Briefe. Und noch einmal, da ist die Schlacht schon geschlagen, liest sie aus Grabbes Briefen: "Meine Hermannsschlacht ist fertig".

Christel Leuners ruhige Diktion, das leise Befremden, steht dabei in effektivem Kontrast zu der deftig in Szene gesetzten antiken Heldenwelt, in der getötet, gestorben und mit Dosenbier gefeiert wird, gerad' wie bei Hägar dem Schrecklichen. Sie weist uns immer wieder mit sanftem Nachdruck darauf hin, wann dieses Stück entstand; in einer Zeit nämlich, in der ebenjener Nationalismus Gestalt annahm, der Arminius, den germanischen Legionär in Roms Diensten, schließlich zum protodeutschen Hermann machte und seinen Kampf zum Befreiungskampf einer Nation, die es damals schlichtweg noch nicht gab.

Leichtfüßig durchs blutrünstige Gemetzel

Diese sanften Interventionen lassen auch vereinzelte Schwächen nicht zuletzt des Hermanns von Clemens Dönicke stärker hervortreten, unter dessen spielfreudiger und oft auch hinreißender Darstellung mehr als einmal die Verständlichkeit leidet. Insgesamt bewältigt das Ensemble seine Aufgaben souverän und nutzt die Gelegenheit für komödiantische Highlights, wie Oliver Meskendahl als Hauptmann der Prätorianer im Schlussbild: Mit entzückendem ostwestfälischem Einschlag berichtet er Augustus, die Germanen hätten die römischen Legionen restlos "vertilcht".

So gelingt Philip Tiedemann ein leichtfüßiger Umgang mit einem Stück, das auch ohne die faschistisch inspirierten Entstellungen, die einst Hans Bacmeister für die Uraufführung unternahm, durchweg nationalistisch ist. Ein Abend, der sich vehement, aber mit viel Witz dem Gedanken widersetzt, ein blutrünstiges Gemetzel müsse gefeiert werden – und das gar als Gründungsmythos der deutschen Nation.

 

Die Hermannsschlacht
von Christian Dietrich Grabbe
Regie: Philip Tiedemann, Bühne und Kostüme: Etienne Pluss, Dramaturgie: Jürgen Popig, Musik: Henrik Kairies. Mit: Christel Leuner, Jan Schreiber, Laurenz Leky, Olaf Weißenberg, Steffen Gangloff, Christina Dom, Dominik Lindhorst, Sophie Lutz, Dietmar Nieder, Oliver Meskendahl, Clemens Dönicke, Thomas Schneider.

theater.osnabrueck.de

 

Hier geht's zur nachtkritik von Grabbes "Hermannsschlacht" am Landestheater Detmold.

Kritikenrundschau

Das von den Nationalsozialisten diskreditierte Stück habe bis 1995, als es in Chemnitz revueartig bearbeitet wurde, kein Regisseur mehr angefasst. Erst das Theater Osnabrück lässt es nun für sich sprechen, schreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.5.) "Doch ganz ohne Stützkorsett kommt es auch hier nicht aus." Im "Vorspiel" klettere eine ältere Dame aus dem Souffleurkasten und setzte sich gouvernantenhaft in Positur und Frau Grabbe liest dann aus Briefen vor, die ihr Mann geschrieben hat. Philip Tiedemann inszeniere ein Mosaik, "das zwischen lebensgroßem Kasperltheater und teutonischem Grand Guignol, Kabarett und Travestie, Schattenspiel und Kindertheater wechselt". Der Cherusker ist "ein zotteliges Schlitzohr mit lustigem Schnurrbart und Hermanns Frau Thusnelda eine blonde Walküre im bonbonrosa Abendkleid. Ein Spiel mit Klischees, das sich von der Heldensage bis zum Hollywoodschinken satirisch schadlos hält. Fazit: "Die Ausgrabung in Osnabrück, von einem wackeren Ensemble mehr konzeptionell ausgefüllt als ausgeformt, kann das Stück nicht retten. Aber es gelingt ihr, ein Paradox zu veranschaulichen. Denn sie bestätigt nicht einfach, dass Grabbes 'Hermannsschlacht' unspielbar ist, sondern kann auf zumindest streckenweise vergnügliche Weise auch plausibel machen, warum das so ist."


Wie ein Kasperletheater habe der Regisseur Grabbes letztes Drama angelegt. Schwarz-weiß gestreifte Holzkisten, in Treppenform aufgereiht, stehen für den Wald der berühmten Varus-Schlacht im "jederzeit raffinierten, stimmungsvollen Bühnenbild von Etienne Plus", schreibt Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (26.5.) Das offenbare durchaus tieferen Sinn: "Tiedemann macht Grabbes Geschichtsdrama als Theater im Kopf des Autors kenntlich." Das Schauspielensemble schaffe Bilder von starker Suggestionskraft. Für dieses bizarre Schlachtengemälde aus versierter Regisseurshand, ohne peinlichen Realismus als Gefahr des Stückes, habe sich die Grabbe-Wiederbelebung gelohnt.

 

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