Das Käthchen von Heilbronn - Roger Vontobel und Jana Schulz gehen auf Kleist los
Herbe Käthe, tolle Jana
von Katrin Ullmann
Hamburg, 28. Mai 2009. Der Vater ist in Sorge. Er irrt umher, fragt, sucht und bangt. Das "Käthchen von Heilbronn" ist ihm abhanden gekommen. Ist unerreichbar fern, weit weg von Vaterherz und Vaterhaus. Wie vom Blitz getroffen sei es, flammend – und einem gewissen Friedrich Wetter, Graf von Strahl, hörig wie ein Hund.
Michael Prelle spielt diesen Vater, den einfachen Waffenschmied aus Heilbronn. Immer wieder drückt er im Schauspielhausfoyer Passanten und Zuschauern ein Foto vom Käthchen in die Hand, wird von ihnen abgedrängt, ignoriert und landet schließlich auf der Bühne. Dort setzt er sich vor den Eisernen Vorhang und geht mit eben jenem Graf von Strahl ins Gericht.
Sitzen und sehnen
Das Parkett ist hell erleuchtet, als der Waffenschmied den vermeintlichen Verführer seiner Tochter tränenreich verteufelt und verklagt. Doch dieser wird freigesprochen, das Gericht sitzt im Theater und antwortet als vielstimmiger Chor von den Logen und Rängen. Roger Vontobel beginnt Kleists komplexes Schauspiel mit einem losen, zuschauernahen Dialog.
Dann geht der Vorhang hoch und auf dem Bühnenboden sitzt Jana Schulz als Käthchen von Heilbronn. Das weiße Unterhemd zerfetzt, das eine Bein in Schienen, kauert sie zu Füßen des Grafen von Strahl (Guntram Battria). Sie guckt und sehnt, ist hingerissen und fasziniert von diesem dandyhaften Typen im sandfarbenen Anzug samt luftig-weißem Seidenschal (Kostüme: Heide Kastler).
Der Graf kümmert sich zunächst freundlich um sie, wird später schroff und roh. Das Käthchen fühlt sich unverstanden in seiner reinen, schicksalhaften Liebe und versucht's bald mit einem Sehnsuchtslied, das zwar die Herzen der Zuschauer zerreißt, aber nicht das des Grafen von Strahl. Jana Schulz schreit bald mehr als dass sie singt und verschwindet schließlich unter High-Speed-Wolkenprojektionen, einer Szenerie, die sich Roger Vontobel und Immanuel Heidrich (Musik & Video) allzu offensichtlich bei einer uralten Installation von Pippilotti Rist abgeguckt haben.
Knien und klettern
Doch fliegen an diesem Theaterabend nicht nur Wolken und riesenhaft projizierte Schauspielergesichter über den Bühnenhimmel, sondern dieser selbst fällt mit einem sanften Wind der Erde auf den Kopf. Das passiert allerdings erst im zweiten Teil der Inszenierung. Wenn die Burg des Grafen einstürzt, weil ein gewisser Rheingraf von Stein (Lukas Holzhausen) einen Anschlag darauf verübt. Dieser wiederum nämlich ärgert sich, dass seine Verlobte Kunigunde (kühl und blond: Julia Nachtmann) den Grafen von Strahl heiraten will.
Kunigunde ist, mal abgesehen von den unüberwindbaren Standesunterschieden, Käthchens größte Konkurrenz. Sie steckt schon längst im Hochzeitskleid, als das Käthchen noch – mal im Bühnenportal kletternd, mal auf Knien – um die Gunst des Grafen buhlt. Völlig traumverloren glaubt das Käthchen an ihre Bestimmung, ihre Liebe, verwehrt sich der Wirklichkeit, tauscht zu gern Schein gegen Sein.
Grob und zerbrechlich
Jana Schulz ist ein breitschultriges, zähes Käthchen, das sein Ziel höchst ausdauernd und ernsthaft verfolgt. Mit schlaflos geröteten Augen, einer herben Stimme und scheinbar unbeugsamem Willen gibt sie in Vontobels Inszenierung eine absolut großartige Hauptfigur. Und ist in ihrer Hingabe und Widersprüchlichkeit, ihrer widerspenstigen Kindlichkeit und einer Männlichkeit, mit der sie Ben Becker Konkurrenz machen könnte, auch die Hauptsensation des Abends. Roh und grob ist sie, und doch wahnsinnig zerbrechlich, traumverloren und zielsicher zugleich, leidenschaftlich, unbeholfen und hoch engagiert um einen Grafen, der sich noch allzu oft an Mutters (Irene Kugler) Rockzipfel klammert.
Jana Schulz' brillante Schauspielkunst verliert man an diesem Abend nie aus den Augen, auch wenn Vontobel unentwegt ein enormes Effektspektakel auffährt: Da treffen Kunstnebel, fallende Bühnenhimmel, Lichtgewitter und Ritterrüstungen aufeinander, reihen sich Slapsticks neben Rockauftritte, elektronische Streicher neben chorische Gesänge. Vom hysterischen Zickenkrieg über komplizierte Burgfehden, wildes Kreidegekrickel und aufgeblasenes Hofstaatgetue.
Vontobel zeigt zwar Humor, Feinsinn und Fantasie – und dazwischen auch recht statisches Rampentheater –, doch vor allem offenbart er dabei seine fehlende Entschiedenheit. Glücklicherweise hat er den Kleist-Text stark gekürzt, sodass der Abend kaum drei Stunden dauert. Doch von der Komplexität und Vielschichtigkeit des Textes wird Vontobel sichtlich überrannt – und mit ihm eine mögliche eigene Haltung oder gar Hingabe.
Das Käthchen von Heilbronn
von Heinrich von Kleist
Regie: Roger Vontobel, Bühne: Claudia Rohner, Kostüme: Heide Kastler, Musik & Video: Immanuel Heidrich.
Mit: Guntram Brattia, Jana Schulz, Irene Kugler, Tristan Seith, Julia Nachtmann, Michael Prelle, Aleksander Radenkovic, Marco Albrecht, Lukas Holzhausen.
www.schauspielhaus.de
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Kritikenrundschau
"Ein großer Abend fürs Schauspielhaus!" schreibt Werner Theurich bei Spiegel-Online (29.5.2009). Und er verbeugt sich vor allem vor Käthchen-Darstellerin Jana Schulz: diesem kontrollierten Orkan habe sich niemand entziehen können, weder Ensemble noch Publikum. Aber auch alle anderen werden gewürdigt und gelobt. Die Figuren seien "oft in archaisch choraler Form arrangiert - schwirren eher ornamental um die Hauptakteure, effizient arrangiert von der Regie, präzise in den gemeinsamen Sprechpartien, stimmlich stark in den musikalischen Sequenzen". Für Theurich "ein hervorragendes Beispiel, wie dominante Charaktere gestärkt und gegen unterstützende Rollen austariert werden können. Und Beleg dafür, wie das Schauspielhaus-Ensemble langsam aber sicher qualitativ wächst und weiter zueinander findet." Am Ende finde die "mitunter berserkerhafte, hochkörperliche Inszenierung in eine transzendente Harmonie" und das Glück dieses Abends liegt darin für Theurich darin, "dass dies heikle Dramen-Ende hier eine schlaue und wagemutige Basis gewinnt: Größtes Glück und ein wirklich neues Leben gründen sich auf Gefühl, Kopf und Tat. Eine Einheit von Denken und Sein: viel Philosophie am Stück, deren glaubwürdige Sinnlichkeit am Schluss mit viel Beifall vom Premierenpublikum bedacht wurde."
Weniger euphorisch schreibt Monika Nellissen in der Tageszeitung Die Welt (30.5.2009). Weder "schreckliche Tiefen" noch "kleistsche Höhen" seien bei Vontobel zu finden, "dafür jede Menge Klamauk, chorisches Sprechen – es ist derzeit am Theater wieder en vogue – und ein Choral zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit". Auch Jana Schulz ist ihr als Käthchen zu "herb dragonerhaft", kein "reines, ungeheuer starkes Geschöpf", sondern "eher eine lästige, schmuddelige Stalkerin, die ihre Brüste entblößt und dem Grafen Strahl sagt, wo es lang geht". Am stärksten ist die Inszenierung aus Sicht der Kritikerin, "wenn sie sich auf karge, starke Bilder konzentriert, am mitreißendsten aber ist sie im wahrsten Sinne, wenn der Plafond als zusammenstürzende Welt auf den Bühnenboden kracht und ein Wirbelsturm durch den Zuschauerraum geht."
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Doch dann ist da eben die Kleist'sche Sprache und vor allem dieses wundersam autonome Käthchen, das durch dieses Gaga-Chaos stolpert. Und dann kommt mit der Holunderbusch-Szene eine der schönsten Szenen der Dramenliteratur überhaupt. Vielleicht hat Kleist ja all diesen Plunder nur zusammengeklaubt, um diese eine Szene richtig herauszubringen. Und vielleicht hat Vontobel verstanden, dass man das Effektspektakel erst einmal inszenieren muss, um das Käthchen vor dieser Kulisse in seiner ganzen Schönheit und Eigengesetzlichkeit zu zeigen.
PS Was mich interessieren würde: Wie hat Vontobel die Holunderbusch-Szene denn angelegt?
Vielleicht wäre könnte und sollte! Das kann doch nicht dein Ernst sein - guck dir den Abend gefälligst an, such Hollunderbüsche und erläutere dann, nochmal mit Bedacht, die Geistesverwandtschaft von Kleist und Vontobel! VIELLEICHT wirst du ja fündig - Ich für meinen Teil, wäre überrascht !
Man nehme: Einen Klassiker,Videoinstallationen,
Bühnennebel,Mikroports, Gitarrenlastigen melancholischen Brit-Pop(unbedingt live,an beliebigen Momenten des Abends gesungen),
Videoinstallationen,Kunstblut&Matsch,neuerdings auch EINEN CHOR (unter anderem im Publikum verteilt - huch,verrückt !!!),Pyrotechnik,"Nackisch-über-die-Bühne" springen und Videoinstallationen .
Ja,ich fühl mich alt - weil ich das alles schon so oft gesehen habe,aber um vieles besser und intelligenter. Ich finde das Problem ist ja gar nicht so sehr das man ganz viel Zeug zitiert und klaut,und sich erstmal hemmungslos mit allem was die Wunderkiste Theater hergibt ,auf die Bühne schmeißt - Das Problem ist,wie auch in diesem Käthchen, das es um nix - aber auch rein gar nix - geht ! Außer vielleicht um die außerordentlich spannende Versuchsanordnung; 'Was wäre wenn Käthchen ein verwildertes, verhaltengestörtes Trollmädchen wäre?' 'Nix!' - Super,und dazu können wir doch noch ein paar dufte Lieblings Songs singen und ein bisschen rumschreien !
Ja, sie haben den Nagel damit auf den Kopf getroffen, wie man so schön sagt.
Ihr Spiegel-Onliner, für das was ihr euch da an Lobhudelei aus den Fingern gesogen habt, habt ihr euch aber echt noch'n Sandwichtoaster und n' Eierkocher verdient!
ALLES nur kein Stadttheater !
Gar nicht seltsam sondern beinahe schon Routine ist es, dass der Rest des Schauspielhaus-Ensembles wieder einmal auf unterstem Mittelmaß spielte, hölzern, nichtssagend, lahm – mit Ausnahme von Michael Prelle als Käthchens Vater. So, als sei dies nicht das Deutsche Schauspielhaus sondern das Stadttheater Augsburg. Wann wird es endlich besser? In dieser Spielzeit sicher nicht. Dies war die letzte Premiere vor der Sommerpause." - Hamburger Abendblatt
aber wie auch immer. zerreißt euch nur weiter, solange hier niemand etwas wirklich fundiertes, kluges zu der inszenierung selbst gesagt hat, bleibt all die künstliche aufregung hier undifferenzierte schaumschlägerei ohne anrecht auf wahrnehmung.
Und wenn es mir diese Inszenierung wert gewesen wäre, hätte ich mich vielleicht sogar noch zu einem Leserbrief aufgerafft - aber das Ärgerlichste an dieser wirklich dummen Kritik war, dass ich ihr in soviel Punkten grundsätzlich recht geben mußte... was für ein entsetzlicher Zwiespalt!
Deshalb ist es mir auch unmöglich "etwas wirklich Fundiertes, Kluges" zu dieser Inszenierug zu sagen; Ich habe sie komplett vergessen, verdrängt und gelöscht - in der Süddeutschen gibt es allerdings heute etwas Sinnvolles darüber zu lesen und da fiel mir auch wieder ein WARUM ich diesen Theaterabend vergessen habe!