Flucht ins Öde

von Wolfgang Behrens

Berlin, 3. Juni 2009. Bis kurz vor Premierenbeginn regnet es, und das erhöht die Spannung ungemein. Denn das von Bert Neumann erbaute "Amfiteatr", das seit zwei Wochen vor der Volksbühne antike Lebensart verströmt, ist nach oben offen – was in Verbindung mit dem Regen die Aufführung irgendwie zu gefährden droht. Silvia Rieger, Regisseurin und Hauptdarstellerin der anstehenden Freiluftvorstellung, verkündet dem in olivgrüne Bundeswehrponchos gehüllten Publikum jedoch, dass in jedem Fall zu Ende gespielt werde.

Es ist dies der wohl dramatischste Moment des Abends (der dann übrigens weitgehend trocken bleibt). Das nämlich, was heute auf dem Programm steht, könnte undramatischer kaum sein: Bertolt Brechts "Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar".

Exaltierte Posen

Brecht schickt in diesem recht umfangreichen Romanfragment aus seinen dänischen Exiljahren 1938/39 einen Biographen aus, der 20 Jahre nach dem Tod Cäsars die Größe dieses berühmtesten Römers zu fassen und für die Nachwelt festzuhalten sucht. In Gesprächen mit Cäsars Bankier und in den Aufzeichnungen des Sekretärs Rarus stößt der Biograph indes nicht auf einen strahlkräftigen Charakter, sondern ausschließlich auf ökonomische Verflechtungen, Lobbyismus und Korruption. Die große Persönlichkeit entpuppt sich als Schimäre, als Fälschung einer propagandistisch verklärenden Geschichtsschreibung.

Die Vision einer alles Heroische verschlingenden Ökonomik ist in Brechts Fragment punktgenau und brillant entworfen. Der protokollarische Ton des Romans allerdings, seine trockene analytische Schärfe sind kaum dazu angetan, ihn fürs Theater attraktiv zu machen. Silvia Riegers Umsetzung bietet denn auch wenig szenische Aktion, sondern flüchtet sich ins Karge und Strenge. Man könnte auch sagen: ins Öde.

Zu Beginn schleudert Silvia Rieger ein paar Worte unbekannter Provenienz und einige spitze Schreie in den trüb verhangenen Abendhimmel, um dann 45 Minuten lang zu monologisieren. Immer wieder stampft sie – gummistiefelbewehrt und in einer bunt leuchtenden Toga – durch den "Amfiteatr"-Sand und wirft sich exaltiert in Pose, bereit zum Kampf mit den Brecht'schen Textmassen. Der ihr deutlich anzumerken ist: In ihr überartikuliertes, die Satzmelodie zerhackendes Sprechen schleicht sich eine von den Händen dirigierte Fahrigkeit, die den Eindruck des Manierierten noch erhöht. Das Ganze gleicht doch mehr einem mnemotechnischen Spektakel als einem sinnvollen Vortrag der Geschehnisse um Cäsar.

Ein wissender Lacher

Immerhin gibt es auch in diesen ersten 45 Minuten bereits szenische Akzente: Mandy Rudski und Michael Klobe, beide ebenfalls mit bunten Togen angetan, dürfen auf Stichwort strammstehen, schreiten, rennen oder umfallen. In der dann noch folgenden Stunde werden diese szenischen Mittel intensiviert: Jetzt, da auch Rudski und Klobe vereinzelte Passagen sprechen dürfen, wird noch variabler gestanden, geschritten und gerannt.

Der Clou des zweiten Teils ist jedoch der Auftritt Boris Scaranos, eines vielleicht 8-jährigen Kindes, das in weißer Toga eine geschlagene Stunde lang angewurzelt auf einem Fleck verharrt (da es sehr kühl ist an diesem Abend, wird der Knabe allerdings beim Verharren zunehmend aktiver). Offenbar symbolisiert der Junge das von Heldengröße auf Kleinformat zusammengeschnurrte Cäsar-Bild – zum Schluss gehen die beiden Frauen ehrfürchtig zu Boden vor dem Kind, das daraufhin noch ein paar Verse von Pasolini auf Italienisch zum Besten gibt.

Das bundeswehrgrün verpackte Publikum folgt diesen Exerzitien wie paralysiert. Wer keine Textkenntnis hat, dürfte sie sich durch diesen Abend kaum erwerben können. Ein Herr in der zweiten Reihe freilich hat seine Hausaufgaben gemacht: Ihm entgehen die bösen Brecht'schen Pointen nicht, und er gluckst bei ihnen wissend in sich hinein. "Man muss einmal bestochen haben, um sich selber ordentlich bestechen lassen zu können." Köstlich. Oder: "Ein Händler muss auf den Gedanken gekommen sein, dass man aus einem Menschen mehr herausholen kann als nur die Gedärme." Witzig, witzig.

Der Lacher ist der Autor Lothar Trolle, der die Textfassung für die Aufführung erstellt hat. Da der Text am Rest der Zuschauer nahezu ungehört vorbeirauscht, bleibt er mit seinem Lachen ziemlich allein.

 

Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar
von Bertolt Brecht in einer Fassung von Lothar Trolle
Regie: Silvia Rieger, Bühne und Kostüme: Bert Neumann, Dramaturgie: Sabine Zielke, Licht: Torsten König. Mit: Boris Scarano, Michael Klobe, Mandy Rudski, Silvia Rieger.

www.volksbuehne-berlin.de

 

Mehr lesen, zum Beipiel, was in der Agora der Berliner Volksbühne sonst noch geschah? Dimiter Gotscheff inszenierte Heiner Müllers Aischylos-Bearbeitung Prometheus und Jérôme Savary servierte seine Version einer berühmten Komödie von Aristophanes Vögel ohne Grenzen.

 

Kritikenrundschau

Im Berliner Tagesspiegel (5.6.) schreibt Christoph Funke: Brechts fast unbekannter Roman "Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar" gründe sich auf "ein weitgreifendes Studium der Geschichte Roms im 1. Jahrhundert n. Chr." Auf sechs Bücher angelegt, sei der Roman Fragment geblieben, aber dessen ungeachtet eine "intellektuelle Herausforderung". Ein "klügeres Buch über die Beziehung von Geschäft und Politik, eine gnadenlosere Durchleuchtung bis heute gültiger ökonomischer Vorgänge" sei schwer zu finden. Lothar Trolle habe sich der Aufgabe unterzogen, "den Text für das Theater spielbar zu machen – das konnte nicht gelingen". Der Text sei "Hör-Spiel", assoziativ "verkettet" seien "Bericht, Kommentar, Befragung und Klage". Immerhin habe Silvia Rieger den Versuch unternommen, "das Inkommensurable in sinnliche Anschauung einzubinden". "Mit stampfenden Schritten durchmaß Rieger den Sand, sich trotzig in Positur werfend, eine Tragödin, die Welt- und Menschenschicksale beschwört." Doch sei es bei Anrufungen geblieben, "die der noch nicht vom Regen in die Flucht geschlagene Zuschauer selbst deuten" musste.

In der Berliner Zeitung (5.6.) widmet Ulrich Seidler die ganze Besprechung der Schauspielerin und Regisseurin Silvia Rieger, als der "strapaziösesten Diva der Stadt". Die "Strapaze nämlich" sei "ganz offenbar Konzept bei ihr, und sie erfüllt es bei jedem Auftritt auf das Virtuoseste". Diese von allen "noch so begründeten Zweifeln unangefochtene Egomanie" habe "Seltenheitswert". "Nicht die Inszenierung ist wichtig, sondern Silvia Riegers Auftritt, nicht die Situation, sondern Silvia Riegers Körper, nicht das Gesagte, sondern Silvia Riegers Sprechen." Das sei gar kein Sprechen, sondern ein "verschleppter Zungen- und Lippentanz, bei dem sie ihre Zähne fletscht, ihren Stimmapparat unmotiviert hochtourt und im nächsten Moment abquetscht", ohne sich "auch nur im Geringsten" von der "Bedeutung des Gesagten bei der Laut-und-Geräusch-Bildung stören zu lassen".

 

Kommentare  
Brechts Caesar in Berlin: Beitrag zur größten Krise
immerhin einer der wenigen versuche des theaters etwas zur grössten krise dieser gesellschaft seit... beizutragen.wäre doch schön wenn noch mehr was zu sagen hätten,oder?
Brechts Caesar in Berlin: Aufführung total hilflos
brecht hat was zur grössten krise seit ... zu sagen. aber die volksbühne? ich glaube nicht. die aufführung ist doch total hilflos.
Brechts Caesar in Berlin: unvergesslich
Ich kann Wolfgan Behrens nur zustimmen. Das Stück war so schlecht, dass es schon wieder gut war. Auf jeden Fall werde ich es nicht so schnell vergessen.
Brechts Caesar in Berlin: Herr Castorf, wo sind Sie?
Also man hat ja das Gefühl, daß die Volksbühne zunehmend zum autistischen Verein mutiert. Diese ganzen Agoraveranstaltungen sind so komplett daneben, daß man sich fragt, auf welch unterirdischem Niveau da denn eigentlich die Latte liegt. Merkt denn der Castorf das nicht? Das kriegt langsam was Tragisches. Das ist ja schlimmer als Peymann.
Brechts Caesar in Berlin. konsequente Arbeit am Text
Ich finde die Caesar Arbeit weder hilflos noch autistisch sondern konsequent. Sie stellt die Arbeit am Text ins Zentrum. Das ist ein kluger Text, der vom Zuhoerer Konzentration erfordert. Ein Text, der keine Botschaft enthaelt sondern den Zuschauer zwingt eine Haltung dazu zu einzunehemen.
Brechts Caesar in Berlin: Text klug, Inszenierung nicht
Der Text ist klug, die Inszenierung ist es nicht. Sie ist eitel, autistisch und anmaßend – auch in ihrem schrillen, divenhaften Gestus. Als Zuschauer fühlt man sich peinlich berührt angesichts dieser völligen Abwesenheit von Selbstreflexion dieser Schauspielerin, ihrer Unfähigkeit, die eigenen Grenzen zu erkennen. Denn das gehört meiner Menung nach dringend zu einer seriösen Arbeit dazu, dieses Bewußtsein, was man noch stemmen kann, und wovon man lieber die Finger lassen sollte.
Brechts Caesar in Berlin: Kritikerkritikerkritiker
was schreibt denn dieser seidker immer.. so verquastes Zeug. Versteht dass jemand oder kann damit etwas anfangen...man kritikerkritiker. das wäre mal ein Traumberuf und dann selber noch kritikerkritikerkritiker sein...ach es ist so hoffnungslos.
Brechts Caesar in Berlin: Silbe für Silbe eingetrichtert
Ich habe eben den Text von Ulrich Seidler gelesen, und ich habe gelacht wie selten. "Sie muss sich den Text Silbe für Silbe eingetrichtert haben, was gedächtnistechnisch eine viel athletischere Leistung ist, als wenn man einfach versucht, das Aufgeschriebene zu verstehen und diesen Gedanken beim Sprechen zu folgen." Das ist doch Weltklasse!
Brechs Caesar in Berlin: Konzept zu verkaufen
gut, es muss gespart werden. warum dann nicht die texte per lautsprecher übermitteln. vorlerserinnen sitzen im trockenen, die zuschauer im halbrund hören ein rauschen. es ist der regen. bühne leer. dann kommt das kind und spielt im sand. was will man mehr. darf ich ihnen mein konzept verkaufen?
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