Séancen mit Rockstar

von Stefan Keim

Recklinghausen, 5. Juni 2009. Um den Tod Kurt Cobains ranken sich eine Menge Legenden. Keine klingt zu absurd, um geglaubt zu werden. Seine Frau Courtney Love soll einen Auftragskiller bezahlt, ein Stück seines Schädels gehortet, seine Asche in einer Tasche bei sich zu Hause gehabt haben, bis sie Jahre später geklaut wurde. Und was waren das für seltsame Magenschmerzen, die den Sänger quälten und deren Ursache kein Arzt ergründen konnte?

Werner Fritsch strebt nicht nach Klarheit, sondern bläst mit seinem neuen Stück frischen Dampf in die Gerüchteküche. Er hält viele Theorien am Köcheln und würzt damit seinen assoziativen Text, der den Geist des Toten in einer Art Séance herauf beschwört. "Bring mir den Kopf von Kurt Cobain" ist nicht nur ein Klischeesatz, mit dem ein Mörder los geschickt wird. Fritsch versucht, eine Ahnung von der Gedankenwelt des Rockstars zu erjagen. Wie Cobain seine Songtexte schrieb, als Cut-Ups, Ausschnitte ohne logischen Zusammenhang, komponiert der Autor sein Stück.

Autor, Killer, Gott

Love wird zu Isis, der ägyptischen Göttin, die alle über mehrere Länder verteilten Leichenteile ihres Bruders und Gatten Osiris wieder zusammen fügt und ihn wieder zum Leben erweckt. Ein geheimnisvoller Mr. X wandelt sich fortwährend, ist Autor, Killer, Gott und schließlich der alte William S. Burroughs, mit dem Cobain eine Platte aufnahm. Am Ende fordert Burroughs seinen Kumpel zum Wilhelm-Tell-Spiel auf und damit zum Spiel mit dem Tod. Burroughs hat volltrunken seine Ehefrau getötet, als er versuchte, ihr nach historischem Vorbild einen Apfel vom Kopf zu schießen. Sich eine Kugel in den Kopf zu jagen, meint Burroughs am Ende, sei der einzige Ausweg, der Gedankenkontrolle durch die Regierung zu entgehen.

Wie in seinem Monolog Nico – Sphinx aus Eis über die Sängerin von Velvet Underground wagt Werner Fritsch eine Gratwanderung zwischen Kitsch und Drogenpoesie mit ständiger Absturzgefahr. Regisseur Patrick Schimanski begegnet ihr mit einem einfachen, klaren Bühnenbild, zwei Stühle stehen vor einem Halbkreis. Es gibt keinen Best-Of-Nirvana-Soundtrack, nur einmal spielt der Pianist kurz die berühmte Melodie von "Smells like teen sprit" an.

Zwischen ironischer Distanz und Hingabe

Sonst unterfüttern Marc Awolin und Sven Pollkötter zusammen mit Schimanski, der schon über hundert Bühnenmusiken komponiert hat, die Szene mit einer geräuschvoll-rauschartigen Klangsphäre. Sie streichen mit einem Bogen am mikroverstärkten Gong und Becken, das Klavier wird manchmal verzerrt. Kuschelnostalgie kommt niemals auf.

Allerdings bleiben so auch die Emotionen etwas unterkühlt. "Bring mir den Kopf von Kurt Cobain" ist reines Gedankenspiel, Kopftheater. Lange sitzt Frank Siebenschuh mit dem Rücken zum Publikum und spricht gegen die Wand. Wenn er sich umdreht, sieht er einen Augenblick lang Cobain ziemlich ähnlich. Auch Viola Neumann erinnert mit durchsichtigem Minikleid und schwarzer Unterwäsche manchmal an die oft als ruhmsüchtige Schlampe beschriebene Courtney Love. Was sie antreibt, ihren Gatten wiederzubeleben, bleibt unklar. Um psychologische Deutungsmuster oder Enthüllungen geht es an diesem Abend nicht. Mit etwas verwaschener Sprache aber viel Ausstrahlung verkörpert Siegfried Bühr den mysteriösen Mr. X.

Für die Bildungsbürger der Generation X

Das Ensemble des Tübinger Zimmertheaters überzeugt auf ganzer Linie. Wenn die Darsteller zu viel Heiligkeit oder Kunstwollen in die Texte legen würden, könnte die Kitschfalle zuschnappen. Sie finden einen geschmackvollen Mittelweg zwischen Momenten ironischer Distanz und leidenschaftlicher Hingabe.

Wenn Love Cobain auf den Schoß springt und ihn mit ihren Beinen umschlingt, wird die erotische Dimension spürbar, die Ebene der Begierde, die für diese Beziehung anscheinend sehr wichtig war. Sex sei für ihn etwas Heiliges, sagt Cobain. Alle Figuren bewahren ihre Rätselhaftigkeit, was das Ansehen nicht immer leicht macht. Auch wenn die Aufführung nur 70 Minuten dauert, erlahmt zwischendurch die Aufmerksamkeit. Weil Werner Fritschs Text nichts Neues bringt, sondern nur bekannte Informationen einigermaßen geschickt montiert.

Wer keine grundlegenden Kenntnisse über Kurt Cobain mit bringt, hat von dieser Aufführung überhaupt nichts. Man muss schon die meisten der vielen Anspielungen verstehen, um die Dynamik des Textes zu verstehen. "Bring mir den Kopf von Kurt Cobain" ist Bildungsbürgertheater für die Generation X, mit seinem expressiven, sich selbst genügenden Stil wird Werner Fritsch eine Randerscheinung der deutschsprachigen Dramatik bleiben.



Bring mir den Kopf von Kurt Cobain (UA)
von Werner Fritsch
Regie: Patrick Schimanski, Bühne/Licht/Kostüme: Colin Walker, Musik: Stiebel_Elthron (Awolin; Pollkötter; Schimanksi, Dramaturgie: Elisabeth Hesse. Mit: Frank Siebenschuh, Viola Neumann, Siegfried Bühr, Marc Awolin, Sven Pollkötter.

www.zimmertheater-tuebingen.de
www.ruhrfestspiele.de


Mehr lesen über Patrick Schimanski? Mit dem Bremer Theaterlabor inszenierte er im Juni 2008 Rainald Goetz' Jeff Koons. Zu Michael Heicks' Bielefelder Uraufführung von Tom Peuckerts Elende Väter im November 2007 komponierte Schimanski die Musik.

 

Kritikenrundschau

"Smells like Proseminar" schreibt Daniel Stender in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (7.6.), der in Werner Fritschs Stück nur ein "hermetisches Textding" sehen kann. Bei den drei Akteuren beobachtet er ernsthafte Schwierigkeiten, daraus ein Schauspiel zu machen, obwohl sie einzeln, wie man seinen Schilderungen entnehmen kann, durchaus gute Figuren machen. Doch es bleiben Stenders Eindruck zufolge "nur kurze Haltungen, für Zusammenhänge lässt die knappe Handlung keinen Platz". Am Ende steht die Erkenntnis "Jeder ist Kurt". Also keiner. Der Kopf von Cobain sei auch gar nicht so wichtig, gezeigt werde eher, "was in dem Kopf von Werner Fritsch so an Assoziationen herumtollt, wenn er an den frühen Tod von Rockstars denkt."

Fritsch, der seit mehr als zwanzig Jahren "mit sperrigen Texten durch die Theaterlandschaft" geistere, "mag keine simplen Erklärungen", müsse aber "immer wieder erleben", wie manche den "Wildwuchs" seiner Texte "grob beschneiden", erläutert Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (8.6.). So werde nun auch dessen Cobain-Stück domestiziert, von Patrick Schimanski. Der habe es allerdings auch nicht leicht, hat Fritsch im Grunde doch 14 Songs geschrieben, "die sich von vorne und hinten krebsartig aufeinander zu bewegen, mit einer leeren Szene in der Mitte (...); monologische Auswürfe (...), irrlichternde Gespräche, verworrene Liebesduette zwischen Cobain und Courtney Love". Wie bei seinem Nico-Abend sei Fritsch hier "nicht an einer biographischen Aufarbeitung interessiert". So ergibt das Ganze "keine 'Nirvana'-Show". Bei Schimanski gibt's jedoch auch keinen "Gitarrenlärm der nihilistischen Verzweiflung", sondern "Klavierromantik" und "Besserschmecker-Jazz". Mittendrin vermittelten "zwei hemmungslos überforderte Schauspieler sowie der brennende Cobain Frank Siebenschuh" nur eine "milde Ahnung von der Wildheit des Stücks. Dessen Erkenntniswert besteht allenfalls in einem brodelndes Unwohlsein gegenüber der eigenen faden Genügsamkeit".

Auch Arnold Hohmann scheint es in der Westfälischen Rundschau (7.6.) zu bedauern, dass "kaum ein Ton" Nirvana zu hören ist und stattdessen eine "avantgardistische Klangpartitur" erklingt, die die "Kunstbeflissenheit der Unternehmung" unterstreiche. Das ergebe "ein Stück über Cobain und die Mythen, die sich um seinen Selbstmord ranken, das aber den Künstler radikal ausspart". Der Text handele "mehr von dem, was der Autor Fritsch an Zitatmaterial und eigenen Kopfgeburten zusammengetragen hat – kein Stück jedenfalls, mehr ein Sammelsurium aus Traumbildern, realen Begebenheiten, Tagebucheinträgen, Assoziationen und Phantasiefetzen". Viola Neumann als Cobain-Gattin Courtney Love sei "noch das Beste an diesem Abend". Das Paar-Spiel entwickle "zeitweise so etwas wie erotische und gedankliche Spannung", wenn Cobain dann jedoch "in die hochnotpoetische Fritschsche Waberlyrik" verfalle, verpuffe angesichts der "verblasenen Sentenzen" alles Menschliche. Das rieche weniger nach "Teen Spirit" als "nach Hörspiel für Bildungsbürger".

Kommentare  
Fritschs Cobain: wie klingt denn das?
"Wenn Love Cobain auf den Schoß springt und ihn mit ihren Beinen umschlingt, wird die erotische Dimension spürbar, die Ebene der Begierde, die für diese Beziehung anscheinend sehr wichtig war".
was bitte ist das denn für ein geschreibsel? (...) klingt übrigends zudem nach einer schrecklichen inszenierung!
Fritschs Cobain: Unsinns- Kommentar
kommentar zum kommentar:

was ist denn das für ein hirnloser und vollkommen unsinniger kommentar?
Fritschs Cobain: beim Lesen wehtun
der kommentar weist auf textzeilen in der kritik hin die eigentlich jedem menschen beim lesen wehtun müssen.
ich habe noch eine:
"Viola Neumann erinnert mit durchsichtigem Minikleid und schwarzer Unterwäsche manchmal an die oft als ruhmsüchtige Schlampe beschriebene Courtney Love"

diese naiv dahergeschriebenen sätze bleiben in diesem aufsatz erstaunlich unreflektiert stehen und verdienen daher ihre blosstellung.
wenn ein regisseur durch sexuell aufgeladene handlungen erotische dimensionen sichtbar macht hat dasfür sich genommen keinen besonderen informationswert. offensichtlich ist dem autor aber gerade diese szene besonder gerne im gedächtnis geblieben. und warum Frank Siebenschuh nun cobain ähnlich sieht und was er an dem abend so getragen hat das bleibt einem aus ungeklärten gründen vorenthalten.
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