Orfeus - Brett Baileys südafrikanisches Wander- und Wundertheater
Müll und Mythos
von Reinhard Kriechbaum
Wien, 5. Juni 2009. Eine Reise ins Blaue ist angesagt, nein: ins Schwarze. Denn schwarz verhängt sind die Fenster der beiden Busse, die die Festwochenbesucher an einen nicht genannten Ort karren. Dreißig Minuten dauert diese Reise. Auf den Fernsehschirmen im Bus sieht man Aufnahmen vom unfeinen Stadtrand Kapstadts. Wie sagt man in Südafrika zu Favelas? Viel Armut, Schäbigkeit, Wellblech jedenfalls. Wird's an Wiens Borderline attraktiver?
Auf Strohballen
"Third World Bunfight" – frei übersetzt: Dritte Welt Tortenschlacht – heißt die Theatertruppe von Brett Bailey. Das Anliegen: postkoloniale Geschichten aus und über Afrika zu erzählen, so wahrhaftig wie poetisch. "Third World Bunfight" war schon früher zu den Wiener Festwochen eingeladen ("Big Dada", "The House of the Holy Afro"). "Orfeus" ist jetzt eine europäische Erstaufführung.
Es ist ein Wander- und Wunderabend. Im Bus schon hat man Taschenlampen in die Hand gedrückt bekommen, aber noch ist’s dämmerig. Das Publikumsgrüppchen wird in ein Wäldchen geführt, ein ritueller Platz ist eingerichtet. Im Halbkreis sitzt man auf Strohballen. Und da hören wir von dem kultisch verehrten Orfeus.
Noch ist er zugedeckt mit einem weißen Leintuch, aber der "rituelle Führer" wird ihn uns gleich vorführen. Er tut nicht viel, dieser weiß wie Elvis gewandete, dunkelhäutige Barde mit der Gitarre. Mit hoher Stimme schmachtet er ein wenig kitschig vor sich hin. Ein Götzenbild der Weltmusik, alleweil tauglich als Projektionsfläche für ein besseres Leben.
Noch ist ohnedies alles bestens: lauer Frühsommerabend, hübsche Songs und die angenehme Stimme der Erzählerin. Dann wird dem armen Orfeus seine Eurydike genommen, die eben noch ekstatisch getanzt zu seinem Gesang hat. Wie eine Mischung aus rotem Teufel und Bankräuber (Wollhaube mit Sehschlitzen) kam die Schlange daher. Sie hat Eurydike einfach aus Orfeus Armen gewunden und davongetragen.
In der Unterwelt
Nun machen also auch wir uns mit Orfeus auf. Der Ort beginnt magisch zu werden, er entpuppt sich als aufgelassenes Gaswerk-Areal. Eine Wand aus Sperrmüll, darin das Tor in die Unterwelt. Feuer in Blechtonnen. Es gibt viele Ecken für kleine schauspielerische Montagen und Interventionen.
Wer sind die ewig Verdammten in der "Unterwelt" des heutigen Afrika?
In einem Stacheldraht-Geviert nähen einige beklagenswerte Kreaturen an Turnschuhen. Einer müht sich auf einem qualmenden Berg mit Müllsäcken ab: anschauliche Spielarten von Tantalus und Sisyphos. Der Führer durch die Unterwelt mahnt zur Eile. Da ist eine alte Werkshalle, und dort geht es wirklich über Eisentreppen in den Untergrund, wo zwischen Pappschachteln der König der Unterwelt amtiert, mit Laptop auf den Knien.
Als Orfeus singt, löst sich aus einer Reihe von Frauenfiguren mit rot-weißen Masken Eurydike. Den dramatischen Moment, wenn Orfeus sich verbotenerweise umdreht, enthält uns Regisseur Brett Bailey vor. Zurück auf dem Kultplatz, wo das Lagerfeuer neues Holz bekommen hat, erleben wir Orfeus sozusagen als posthumen Popkünstler. Er singt mechanisch vor sich hin. Über das Voraus- und Zurückschauen sinniert die Erzählerin, ein bisserl Botschaft will ja auch übermittelt werden. Doch das hält sich in Grenzen.
Durch die Pampa
Aufdringliches Moral-Einbläuen gehört nicht zum Theaterkonzept von Brett Bailey. Sein "Orfeus" bleibt hübsch bebildertes Märchen mit sanftem Event-Charakter. Wer spaziert nicht gerne einen Abend lang mit dunkelhäutigen und weißen Schauspielern, also ungezwungen multikulturell, durch die Industriepampa?
Die Märchenbilder wirken sanft suggestiv, sie rütteln nicht auf, packen nicht wirklich. Emotional bleibt dieses Theater flach. Sanft wird man am Ende hinausgeleitet aus dem Wäldchen. Gut so, die Bilder mögen weiterwirken. Leuchtende "Notausgang"-Schilder, eines sogar innen am Unterwelts-Tor, haben uns schon zuvor ungemein beruhigt: Die Magie des Mythos und feuerpolizeiliche Vorschriften vertragen sich nicht immer ganz so gut. Aber das allein war’s nicht, das diesen "Orfeus" auf uns hübsch, aber etwas unter-intensiv hat wirken lassen.
Orfeus
Third World Bunfight
Text, Regie, Installation und Ausstattung: Brett Bailey, Musik: Bebe Lueki. Mit: Andile Bonde, Mxolisi Bosvark, John Cartwright, Bebe Lueki, Xola Mda, Jane Rademeyer, Abey Xakwe, Nondumiso Zweni.
www.festwochen.at
Mehr von den Wiener Festwochen 2009? Wir sahen Christoph Marthalers Riesenbutzbach, Alvis Hermanis Schukschins Erzählungen, die Faulkner-Adaption The Sound und the Fury von John Collins und (A)pollonia von Krzysztof Warlikowski.
Kritikenrundschau
"Wie treffsicher zeitgenössisches Theater sein kann", habe das Publikum bei Brett Baileys "Orfeus" erleben können, schreibt Georg Horvath im Standard (10.6.). Man werde darin zum "Teil der Inszenierung", die antike Sage "geschickt als Trägermedium für die Darstellung aktueller Unterwelten" genutzt und "einer rituellen Zeremonie gleich" erzählt. Die Leiden des Prometheus oder Tantalos' ersetze Bailey dabei durch "bekannte Bilder von Dauerkrisenherden". Das Ensemble müsse "keine Leidensbilder erfinden, um glaubwürdig zu sein. Mit Wucht bringt die Truppe aus Südafrika Themen auf die Bühne, die gerne verdrängt oder mit zynischer Argumentation kleingeredet werden." Fazit: "ein gelungener wie schonungsloser Theaterabend ohne Druck auf die Tränendrüsen".
Die Grundidee sei interessant, dieser "Orfeus" aber letztlich "mehr gut gemacht als wirklich überzeugend", befindet bp in der Presse (10.6.). Bailey sehe "die Realität als die Unterwelt". Dabei berührten die lebenden Bilder, "von fern an exotische Tableaus aus dem 19. Jh." erinnernd, "heute eher unangenehm": "Der Fremde, das Fremde als Schaustück". Im "afrikanischen Stil" werde die Geschichte von Orfeus erzählt. Doch "die Verbindung zwischen Kultur und Kultus funktioniert nicht, die erwünschte spirituelle Aura stellt sich nicht ein". Für notwendig wird zwar befunden, "dass die Kultur der wachsenden schwarzen Bevölkerung Wiens vermittelt wird", "allerdings sollte keiner glauben, dass er bei Kreationen, die für den Westmarkt designt sind, authentische Eindrücke empfängt. Letztlich ist dieses Theater eine Art Show wie die Folklore für die Touristen".
Hans Haider von der Wiener Zeitung (10.6.) nähert sich dem Abend ganz über die Beschreibung. Für ihn ist der "samtene Kulturfilmton" der Erzählerin "die einzige Schwäche in diesem starken Ausflug in die Schau- und Geräuschkulisse einer nicht ganz fremden Welt".
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Die Helferlein, alles fesche, junge, weiße Wiener/Innen, trugen alle Turnschuhe. Die "beklagenswerten Gestalten", die die Turnschuhe genäht haben, sind übrigens Kinder, schwarze. Eine Arbeit zum hinkucken gehen, nicht zum kucken.