Gefräßige Plüschschlange namens Wirtschaftssystem

von Kerstin Edinger

Bochum 10. Juni 2009. Daniel kann sich nicht entscheiden. Er ist der Erbe eines alteingesessenen Familienunternehmens, das kurz vor dem Bankrott steht. Und Daniel, ohnehin nicht besonders mutig und entscheidungsfreudig, steht da und weiß nicht, was zu tun ist. Wie kann er die GFF, die "Große Fahrstuhlfabrik" retten? Am liebsten würde er gehen, die Firma hinter sich lassen, doch er fühlt sich verpflichtet, ist Teil eines Systems, dem er nicht angehören will. "Wir werden auf diesen Planeten geschleudert, mitten unter Leute, die wir nicht mögen, mitten in eine Gesellschaft hinein, in der wir uns nicht wohlfühlen."

Der Beginn der Geschichte ist durchaus nachvollziehbar und einigermaßen realistisch. Im weiteren Verlauf aber wird "Fahrstuhl zum Bankrott", das neueste Stück des Schweizer Autors Marcel Luxinger, immer abgedrehter. Regisseurin Bettina Bruinier nimmt den Ball gekonnt auf und überzeichnet die Figuren mit übertriebenen Perücken und persiflierenden Kostümen. Slapstickartig verbiegen sich die Schauspieler, suchen nach Worten und hampeln herum. Es ist ein Spaß ihnen dabei zuzuschauen, allen voran dem ungleichen Brüderpaar Daniel (Oliver Möller) und Larbo (aalglatt gespielt von Leopold Hornung): Daniel mit Hornbrille und Seitenscheitel, sein erfolgreicher Bruder im weißen Anzug mit sportlichen Trainingsanzug und gegelten Haaren.

Die Firmenzentrale wird demontiert

Gespielt wird in einem mehrstöckigen Hausgerüst mit Aufzug, umschlungen von einer dicken schwarzen, aber auch gefräßigen Plüschschlange, die exemplarisch für das gierige Wirtschaftssystem mit dem Haus verwachsen scheint. Die Firmenzentrale der "GFF", in der die Darsteller auf allen Etagen, auch Halbetagen, im Sitzen, im Stehen oder Liegen spielen, wird im Laufe des Abends demontiert.

Daniel erhofft sich Rettung und den nötigen Handlungsimpuls von der so intelligenten wie attraktiven Analystin Marjusa (blondgelocktes Engelchen und raffinierte Agentin: Evamaria Salcher), die ihm bei der Sanierung helfen soll. Sie hat ausgezeichnete Verbindungen nach Translirien, einem fleißigen und wirtschaftlich aufstrebenden Land, dessen Fürst mit der neu gewonnenen Unabhängigkeit und Demokratie seines Staates noch nicht allzu viel anzufangen weiß. "Was nützt einem die Freiheit, wenn sie sich so anfühlt wie der Zwang?"

In der Mitte hat das Stück Längen. Aber gegen Ende dreht sich das Karussell der Absurditäten immer schneller. In Translirien wird Daniel vom Fürsten empfangen, der die "GFF" übernehmen will. Daniel und Marjusa verlieben sich. Der Fürst wird ermordet, um später wieder aufzuerstehen, und Daniel trifft auf den Chef der Unabhängigkeitsbewegung und einen amerikanischen Colonel.

Verantwortung zu tragen ist nichts Schönes

Natürlich entpuppt sich das Ganze schließlich als Trick von Marjusa, die mit den Transliriern und ihrem wirtschaftspolitischen Denken konform ist und Daniel von der Last seiner Firma befreien will. Und natürlich illustriert der Handlungs-Irrwitz nur die Befindlichkeiten der Figuren: Alle sind Sklaven eines Systems, das sie weder beherrschen noch verstehen. Privat wie beruflich tapern sie herum. Verantwortung zu tragen ist nichts Schönes. Die Freiheiten, die sie haben, können sie nicht genießen. Tragikomische Figuren im Konflikt zwischen Moral und Macht, sozialem Gewissen und persönlichem Wohlstand.

Luxingers Stück sprüht einerseits vor Ideen. Andererseits wird ihm gerade das zur Last. Er hätte sich von mancher Idee trennen müssen, um die soziale Brisanz zu verdichten. Themen wie Moral und Wirtschaftsethik werden nur angerissen und rasch wieder fallengelassen. Das kann auch Bettina Bruiniers überzeugende Regie nicht ausgleichen. Trotzdem: Insolvenz, Bankrott, Wirtschaftskrise und das alles verpackt in einer irrwitzigen Komödie zwischen Agententhriller und Kapitalismusfarce – schon lange nichts so Abgedrehtes mehr gesehen!

 

Fahrstuhl zum Bankrott
von Marcel Luxinger
Regie: Bettina Bruinier, Bühne Justina Klimczyk, Kostüme: Mareile Krettek, Musik: Oliver Urbanski.
Mit: Oliver Möller, Jele Brückner, Leopold Hornung, Evamaria Salcher, Maja Beckmann, Alexander Maria Schmidt.

www.schauspielhausbochum.de

 

Mehr zu Bettina Bruinier, die 2008 den Publikumspreis beim Festival Radikal jung in München gewann, lesen Sie in der Kritik zu ihrer Inszenierung von Lukas Bärfuss' Die Probe (der brave Simon Korach) im April 2007 in der Box des Deutschen Theaters in Berlin.

 

Kritikenrundschau

Im Deutschlandfunk (11.6.) zeigt sich Michael Laages enttäuscht, dass "Fahrstuhl zum Bankrott", das die Wirtschafts- und Finanzkrise als Farce beschreiben wolllte, als echter "Rohrkrepierer" ende. Das kleine Stück sei fast schon vorbei und die große Fahrstuhl-Fabrik beinahe schon in den "Privatbesitz eines raffzähnigen Wellness-Mediziners gefallen", als der Agitator das Wort ergreife. Er zwinge den ganzen "aufgestauten Widerwillen aufgeklärter Zeitgenossen gegen die wirtschaftlichen Unausweichlichkeiten der Globalisierung auf den systemkritischen Punkt", worauf er von "der wild gewordenen Vorzimmerdame des gerade verstorbenen Alt-Direktors mit der Flinte erlegt" wird. Ganz so, "als könnte auch dieses Theaterstück keinen halbwegs zusammenhängenden Gedanken wie diesen ertragen." Immer neue entlegene Randfiguren kämen bei der ohnehin schon überbordenden Farce ins Spiel und sehr schnell stelle sich heraus, dass "Fahrstuhl zum Bankrott" gar nicht von "der Logik der Wirtschaft handele, sondern vielmehr von den vielfältigen Neurosen unüberschaubarer Mengen von Menschen, die irgendwie mit Wirtschaft zu tun" hätten. Es hätte womöglich um sehr viel mehr gehen können - doch auch Regisseurin Bettina Bruinier sei "letztlich ratlos geblieben" vor diesem "Wechselbalg von Stück". In ihrer Not forciere sie die Farce, doch auch in der zündeten die Pointen nicht wirklich, und Tempo allein und überdrehtes Getue seien "letztlich auch nicht genug". So werde aus dem hoffnungsvollen Stück eine "Pleite".

 

Kommentare  
Luxinger in Bochum: belanglos
Ich habe mich gelangweilt, obwohl nette Ideen vorhanden waren. Es wirkte alles so belanglos, nichtssagend und zum Ende hin völlig überdreht. Ich finde auch, dass eine große Chance, die die Thematik des Stückes beinhaltet, vertan wurde.
Fahrstuhl zum Bankrott: großartig hemmungsloses Ensemble
Eines kann man dem Bochumer Schauspielhaus sicher nicht vorwerfen: abgesicherte Spielpläne! Die riskieren was und spielen so herrlich unbekümmert drauflos, dass es eine Freude ist. Das Ensemble ist großartig und großartig hemmungslos. Lange kann man es ja nicht mehr sehen, schade eigentlich! Vielleicht kapiert man erst so langsam was Goerden da so zusammengestellt und gehegt hat. Komme aus Düsseldorf regelmässig nach Bochum und es lohnt sich (meistens). Jetzt hauen die auch noch dieses Festival raus. Respekt!
Natalie Ginz, D`dorf
Fahrstuhl zum Bankrott: neobiedermeierlich
Also, ich fand den Abend furchtbar. Ich weiss nicht wie alt sie sind, aber für mich war das Altherrentheater. Luxinger und Brunier können so alt doch gar nicht sein, das wirkt alles unbeholfen, bieder, unrhythmisch. Das Thema mag interessant sein, die Umsetzung aber grottenschlecht. Der Bochumer Spielplan ist übrigens völlig belanglos, auch im Vergleich zu Düsseldorf, ich weiss nicht, wo sie hier irgendwo etwas Riskantes erkennen. Diese Neobiedermeier Veranstaltung war es jedenfalls schon mal nicht.
Fahrstuhl zum Bankrott: mehr Inhalt!
@2. Kann sich der vereinzelte Claqueur aus dem Schauspielhaus Bochum nicht mal um abwechselungsreichere Lobreden bemühen: "Vielleicht kapiert man erst so langsam was Goerden" - solche Forumulierungen haben wir in verschiedenen Bochum-Foren bereits ausgiebig vernommen. Bitte mehr Abwechselung in der Bochumer PR! Und mit dem Trick, "ich komme aus Düsseldorf", ist das Düsseldorfer Schauspielhaus auch nicht durchgekommen. Mehr Inhalt, weniger Form, bitte!
Fahrstuhl zum Bankrott: herrlich leichte Komödie
Leider konnte ich es in Bochum nicht sehen, aber ich habe das Stück gelesen, eine herrlich leichte Komödie, zugleich eine Groteske über den späten Kapitalismus, für den man dennoch Gesichter, Figuren braucht, denn es ist der Mensch, der das alles macht und das klingt zwar banal, aber harrt der Aufklärung nach wie vor, danach suchen die Beiden, die junge Brunnier und der alte, junge Luxinger
Fahrstuhl zum Bankrott: fordernd, nicht erklärend
ein toller, kluger abend, der endlich einmal fordert und nicht wie sooft gesehen und gewünscht, jeden satz noch 3mal vor- und nacherklärt! danke dafür, ich habe mich mit allem sinnen sehr gut unterhalten gefühlt!
Fahrstuhl zum Bankrott: banal, bemüht, gewollt
Der Text ist banal, die Inszenierung um Humor bemüht, das Bühnenbild gewollt, aber nicht gekonnt. Die Schauspieler strengen sich redlich an, können den Abend aber auch nicht retten, der lang wird bei solch einem kurzen Stück.
Fahrstuhl zum Bankrott: mehr Inhalt in Verschwurbelung
@Nix: So so, eine Komödie braucht Figuren und Gesichter. Eine tiefreichende Erkenntnis. Ihr syntaxresistenter Verschwurbelungsstil in Ehren allen, aber können sie ihre Floskeln nicht füllen mit Inhalt etwas ?
Fahrstuhl zumn Bankrott: raffiniert
frech und fluffig
Eine Inszenierung, die das Risiko nicht scheut und Wirtschaftskrise, Kolportage und Familienkrach mal anders, nämlich frech in der Form eines auf den ersten Blick harmlosen Konversationsstücks zusammenwürfelt, ruft sogleich die Hohepriester der Theaterpuristik auf den Plan… Was das Publikum unterhält, kann nicht künstlerisch wertvoll sein. Ich habe es gestern so erlebt wie die meisten anderen im Zuschauerraum: witzig und raffiniert, wenn man sich darauf einlässt.
Fahrstuhl zum Bankrott: letztendlich doch gefallen
Es ist wahr, dass das Stück in mancherlei Hinsicht zu wünschen übrig lässt; einige Ideen werden nur angekratzt und nicht weiterverfolgt, Humor wird an mehren Stellen sehr gewollt eingesetzt. Die zweite Hälfte (vor allem die letzten Szenen) strotzen nur so vor Ungereimheiten und absurden Wendungen. Nun ja. Dennoch muss ich sagen, dass mir der Abend letzendlich trotzdem gefallen hat; das Ensemble passte sehr gut zusammen. Besonders Oliver Möller und Alexander Maria Schmidt sorgen an unerwarteten Stellen zwischen all dem Hin und Her und komischen Dialogen auch für einfühlsamere Momente. Insgesamt nicht das beste Stück, aber doch ganz nett.
Fahrstuhl zum Bankrott: Lobhudeleien
Die Bochumer Propagandamaschinerie läuft wieder an, die ganze 2. linke Reihe sondert Lobhudeleien auf bald arbeitslose Regisseure und Schauspieler ab. Dennoch wäre etwas mehr Präzision bei der Kritik angebracht: was, z.B., sind absurde Wendungen? Sind die etwa auch so "gewollt" wie der Humor? Und warum ist das so problematisch? Ist der "ungewollte Humor" etwa lustiger als der gewollte? Ist der gewollte Humor etwas Anrüchiges bei Stücken? Dürfen nur Regisseure lustig sein?
Fahrstuhl zum Bankrott: dämlichste Feldzüge
es tut so weh, und macht diese ganze Nachtkritik so furchtbar sinnlos, wenn hier immer nur die dämlichsten Propagandafeldzüge geführt werden, die so daher gespült werden... ne, dann will ich hier nie wieder lesen, ein gewisses Maaß
Fahrstuhl zum Bankrott: Registrierung!
@ 12. Es hilft nur die Registrierung. Sonst ist das hier alles Unsinn.
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